Hier ein weiterer Text von Gerhard von Rad (1901-1971), der es meisterhaft versteht, die biblische Schöpfungsgeschichte unserem aufklärungsgeprüften Glauben näher zu bringen:
Die biblische Schöpfungsgeschichte
Von Gerhard von Rad
Lange Jahrhunderte hindurch war der biblische Schöpfungsbericht für die ganze Christenheit absolute Autorität, sowohl für ihren Glauben wie auch für ihr Wissen. Man hat weder daran gezweifelt, daß Gott die Welt geschaffen habe und daß er sie seitdem in seinen allmächtigen Händen halte, noch daran, daß er sie so geschaffen habe, wie es im 1. Buch Mose geschildert ist. Dieses bedingungslose Vertrauen — wie gesagt, auch in die naturwissenschaftliche Zuverlässigkeit des Schöpfungsberichtes — ist nun freilich seit dem Beginn der Neuzeit einer immer tieferen Zersetzung anheimgefallen. Herder hat das Alte Testament ja noch für die älteste Urkunde des Menschengeschlechts gehalten, aber der veränderte Gesichtspunkt ist doch unverkennbar: Die Schöpfungsgeschichte ist eben eine Urkunde des Menschengeschlechts. Niemand hat sie in seiner Zeit höher gepriesen als Herder, aber sie ist eine menschliche Urkunde, der andere, ähnliche gegenüberstehen. Den Tiefpunkt in diesem Vertrauensschwund der Schöpfungsgeschichte gegenüber bezeichnete dann der Babel-Bibelstreit am Anfang unseres Jahrhunderts, in dem der Berliner Assyriologe Friedrich Delitzsch die Priorität und den unbedingten qualitativen Vorrang der babylonischen Schöpfungsmythen gegenüber dem biblichen Schöpfungsbericht verfochten hat. Das Alte Testament war eben völlig in die große Zahl der religionsgeschichtlichen Dokumente eingeordnet, und es war dann eigentlich nur mehr eine Frage des [109] literarischen, ästhetischen und religiösen Geschmacks, von welcher Urkunde man sich persönlich mehr ansprechen ließ. Im Grund distanzierte man sich als aufgeklärter Europäer von allen.
Diesem kurzen Aufsatz kann es natürlich nicht gelingen, alle Fragen, besonders die Glaubensfragen zu klären. Es wäre aber schon viel gewonnen, wenn er zu einem besseren Verständnis des 1. Kapitels der Bibel etwas beitragen könnte und wenn es ihm gelänge, in Kürze darzutun, wie wir heute diesen Text wissenschaftlich und theologisch sehen. Da wäre nun zuerst zu bedenken, daß dieser Text nicht nur für sich allein steht, daß er also kein in sich abgeschlossenes Dokument ist, das ganz für sich erklärt werden könnte; nein, der Schöpfungsbericht ist ja nur der Anfang eines riesigen Buches. Dieses Buch ist ein Geschichtsbuch; es beginnt bei der Weltschöpfung und führt über die Geschichte der Erzväter hin zur Volkwerdung Israels; es verweilt lange bei den Ereignissen am Berge Sinai und endet mit der Einwanderung Israels in das verheißene Land Kanaan. In der Wissenschaft nennt man es Hexateuch, denn es umspannt die Geschichtserzählung der fünf Bücher Mose und des Buches Josua. Wir dürfen uns dabei natürlich nicht ein Buch im modernen Sinne vorstellen, mit einem Verfasser und einem Erscheinungsjahr. An diesem Buch hat Israel vier Jahrhunderte geschrieben. Aber trotzdem ist dieses Buch doch kein Korallenriff von planlos zusammengewachsener Literatur, es hat vielmehr eine klare Disposition und auch eine spannende Handlung. Es will dartun, wie Israel geworden ist, wie Gott seine Geschichte gelenkt hat und was er für universale Pläne mit ihm hatte. Aber nun kommt das Merkwürdige: Dieses Buch, diese große Ätiologie Israels, fängt nicht erst bei Abraham an, dem ersten Ahnherrn der Frühzeit, wie man das doch erwarten möchte, sondern bei der Weltschöpfung. Darin liegt zweifellos ein ungeheurer Anspruch: Um von Israel recht reden zu können, um Israel recht verstehen zu können, dazu muß man schon bei der Weltschöpfung beginnen, denn Israel hat in den Weltgedanken Gottes seinen Platz. Deshalb also ist im 1. Buch [110] Mose von der Schöpfung die Rede. Nicht aus einem sozusagen neutralen wissenschaftlichen Interesse an der Frage der Weltentstehung heraus, so wie etwa die altgriechische Naturphilosophie nach einem letzten Prinzip geforscht hat, von dem aus diese Welt zu begreifen sei, sondern deshalb, weil hier eine Geschichte anhob, eine Geschichte zwischen Gott und den Menschen, in der Israel eine zentrale Stellung bekommen sollte. Das ist also der Sinn des Anfangs der Bibel: Man versteht Israel, seinen Glauben und seinen Gottesdienst nicht richtig, wenn man das alles nicht vor dem Hintergrund der Weltschöpfung Gottes sieht. Erst dann ist all das, was dieses Buch von Israel aussagt, ins rechte Maß gerückt.
Mit alledem wollte ich nur den Punkt aufzeigen, wo in Israel das Interesse an der Schöpfung entstand. Es klingt paradox, aber es ist zutreffend: Nicht um der Natur willen und ihrer Probleme, sondern um der Geschichte willen hat sich Israel für die Schöpfung interessiert.
Wenn wir uns nun dem alten, so unendlich oft ausgelegten Text und einigen Einzelheiten zuwenden, so wollen wir mit einer Vorerwägung beginnen: Wie mag er entstanden sein? Es spricht alles dagegen, daß so ein Kapitel wie der biblische Schöpfungsbericht einmal im Geist eines einzelnen Menschen Gestalt gewonnen haben und eines Tages von ihm niedergeschrieben worden sein könnte. Aussagen über Gott und Welt, über Gott und Mensch von solcher Breite und einem solchen Geltungsanspruch entstammten im Altertum nicht der Erleuchtung eines Einzelnen, sie konnten ja auch nach der Anschauung der Alten in dem Anspruch, in dem sie auftraten, niemals von einem Einzelnen verantwortet werden. Sie waren Lehre, und das heißt: sie waren Priesterüberlieferung. Lehre: das heißt weiter, sie wurden von den Priestern aufs sorgfältigste bedacht, sie wurden von Generation zu Generation weitergegeben und immer mehr ausgereinigt von allem, was dem Glauben Israels nicht ganz gemäß war. So kann man sagen: An diesem Kapitel hat das theologische und kosmologische Denken Israels Jahrhunderte gearbeitet. Demgemäß ist auch die [111] Sprache dieses Schöpfungsberichtes von einer ungeheuren Dichtigkeit und höchster Präzision. Alles, was hier gesagt ist, will genau so, wie es dasteht, gelten; nichts ist symbolisch oder bildlich umzudeuten. Die Sprache ist wirklich wissenschaftlich (wenn auch nicht im modernen Sinn des Wortes), das heißt, sie hat sich jedes Schmuckes, jeder dichterischen Bewegtheit entäußert und ist sachlich bis zur Monotonie — freilich einer Monotonie und einer Konzentration, die nun auch wieder monumental wirkt. Das empfindet jeder, der nur den Anfang laut liest: » Im Anfang schuf Gott den. Himmel und die Erde. Die Erde war aber wüste und öde, Finsternis lag auf der Urflut, und ein Gottessturm schwebte über den Wassern. Und Gott sprach: Es werde Licht, und es ward Licht.«
Man muß versuchen, den ersten Sätzen gegenüber einmal alle Vertrautheit abzutun, um ihre Großartigkeit neu zu sehen. Versuchen wir einmal, ihnen beizukommen, indem wir feststellen, was sie nicht aussagen. Die Mehrzahl aller Schöpfungsmythen der Völker versteht den Schöpfungsvorgang als einen schöpferischen Kampf mythisch-personifizierter Urkräfte, meist zweier Urprinzipien, eines lichten, guten und eines dunklen, bösen. Statt dessen ist hier von dem Gott die Rede, der vor aller Welt war und der die Welt aus der Freiheit seines Willens geschaffen hat und der deshalb auch ihr Herr ist. Dieses Schaffen geschieht durch das bloße schöpferische Wort. Lassen Sie mich wieder zuerst erklären, was damit nicht gemeint, welche Vorstellung damit abgewehrt ist. Fast alle Schöpfungstheorien in den Religionen sind emanatistisch, das heißt sie verstehen die Welt doch nicht ganz streng als Schöpfung der Gottheit, sondern mehr als einen Ausfluß, eine Ausströmung ihres Wesens. Damit verwischt sich aber die Grenze zwischen Gott und Welt; die Welt wird in einem gewissen Sinn zu einer anderen Erscheinungsform, zu einer Selbstdarstellung der Gottheit. Wenn dagegen Israel sagte, daß Gott die Welt durch sein Wort geschaffen habe, so ist damit nicht nur die vollendete Mühelosigkeit der Schöpfung, sondern auch ein absoluter seinsmäßiger Abstand zwischen Schöpfer und Ge-[112]schöpf ausgesprochen. Die Welt hat nicht als eine Ausströmung der Gottheit teil am göttlichen Wesen, sondern sie ist Geschöpf und hat als solches ihre eigene Herrlichkeit. Dieser erste Satz ist gewissermaßen die Summe des ganzen Schöpfungsberichtes; er wird in den folgenden Versen schrittweise entfaltet.
Da hat es nun oft Verwunderung erregt, daß der Schöpfungsbericht in seinem zweiten Satz auf das Chaotische, also auf den Zustand des Vorgeschaffenen zu sprechen kommt. Dieses Chaotische wird als wäßrig, finster und abgründig definiert. Was aber hat es für einen Sinn, das Chaotische so umständlich zu bestimmen, nachdem vorher schon von der Schöpfung die Rede war? Fällt der Schöpfungsbericht in dem 2. Vers nicht hinter die grandiose Position zurück, die schon der Vers 1 in einem steilen Aufschwung bezogen hatte? Aber die Sache ist wohl so zu erklären, daß der Begriff der Schöpfung, so wie es der Bericht will, gar nicht richtig gefaßt, gedacht werden kann, wenn er nicht von dem Chaotischen, dem vorweltlich Ungestalteten abgehoben wird. Das Chaotische ist ja eine Urerfahrung des Menschen. Täglich begegnen wir ihm und erschrecken vor ihm, denn alles Geschaffene ist vom Chaotischen bedroht, alles Geschaffene kann jeden Augenblick in den Abgrund des Gestaltlosen zurückfallen. Das also heißt Schöpfung — sagt unser Schöpfungsbericht —: nicht nur, daß Gott am Anfang diese Welt ins Dasein gerufen hat, sondern daß er fortdauernd alles Geschaffene über dem Abgrund des Gestaltlosen hält und trägt, von dem es in jeder Sekunde bedroht wird. Man darf sich von der steinernen Unbewegtheit der äußeren, sprachlichen Darstellung nicht täuschen lassen. Die Sachen, von denen die Rede ist, sind voll gewaltiger innerer Spannungen. Denken wir nur an die Erschaffung von Tag und Nacht, die jetzt folgt. Gott hat das Licht in das nächtliche, abgründige Chaos hineingegeben. Aus dem dadurch entstandenen unbeschreiblichen Gemenge — wir müssen das alles ganz realistisch verstehen! — hebt Gott die Lichtelemente heraus und schafft den Tag. Die Nacht ist ihrer Herkunft nach etwas ganz [113] anderes; sie ist gewissermaßen ein Überbleibsel des Chaosdunkels, aber nun in eine heilsame schöpferische Ordnung einbezogen. Auch das ist eine menschliche Urerfahrung: in jeder Nacht bricht etwas von der absoluten, von der Chaosfinsternis über die Erde herein, jede Nacht löst ja die Konturen des Geschaffenen wieder ins Gestaltlose auf. Und jeder Morgen ist eine Art Neuschöpfung, insofern sein Licht das Geschaffene aus dem formlosen Dunkel wieder heraushebt. Der unverbildete Mensch begegnet der Nacht mit Grauen; sie ist eine Bedrohung der Schöpfung und auch seiner persönlichen Existenz. Um dieses Bangen vor der Nacht wissen noch unsere alten kirchlichen Abendlieder.
Im Folgenden (Vers 6-10) tritt die Verschiedenheit von unseren naturwissenschaftlichen Vorstellungen besonders stark zutage. Der ganze alte Orient hielt nämlich das Himmelsgewölbe, das über der Erdscheibe steht, für einen massiven Himmelskörper, also für eine riesige stabile Himmelsglocke. Unser Wort »Firmament«, also »das Feste«, kommt noch davon her. Luther spricht in seiner Übersetzung von »der Feste«. Mit der Erdscheibe und über ihr dieser Himmelsglocke ist das Weltgebäude sozusagen im Rohbau fertig. Nun folgt die Erschaffung der Pflanzenwelt (Vers 11-13). Aber der Schöpfungsbericht lautet hier anders. Nicht »Gott sprach: Es sollen Pflanzen werden«, sondern »Die Erde lasse aufgehen junges Grün«. Hier ist also die Erde zu einer selbständigen Mitbeteiligung an dem Werk der Schöpfung aufgerufen und ermächtigt. Der Begriff der natura, also der selbsttätig schöpferischen Natur taucht hier auf. Er ist allerdings durch die vorausgegangene göttliche Beauftragung und Ermächtigung auch wieder stark eingegrenzt. Tatsächlich haben ja die Pflanzen ihre Unmittelbarkeit allein zur Erde; aus ihr sprießen sie auf und auf sie fallen sie wieder zurück.
Daß die Erschaffung der Gestirne der der Pflanzen erst nachfolgt, will sich wieder unserem Weltbild gar nicht einfügen (Vers 14-19). Der Text scheint an ein Urlicht zu denken, das zunächst auch jenseits des Lichtes der Himmelskörper vorhanden war; tatsächlich erfolgte ja die Er[114]schaffung des Lichtes lange vor der der Gestirne. Aber abgesehen von dieser Spezialfrage gehört der Abschnitt von der Gestirnschöpfung zum Erstaunlichsten in unserem Schöpfungsbericht. Man muß bedenken, daß er einer Zeit und einer Umwelt entstammt, die völlig dem Gestirnkult ergeben war, die also die Gestirne unmittelbar für göttliche Wesen hielt. Und nun lasse man die kühle Nüchternheit auf sich wirken, mit der hier von den Gestirnen als Geschöpfen und Himmelskörpern gesprochen ist: »Und Gott sprach: Es sollen Lichter werden an der Feste des Himmels, zu scheiden zwischen Tag und Nacht; sie sollen als Zeichen dienen und zur Bestimmung von Zeiten, Tagen und Jahren.« Man höre, wie den Gestirnen hier im Weltgefüge eine dienende Funktion zuerkannt wird. Auch in diesen Sätzen, die so ruhig hingeschrieben sind, lebt ein gewaltiges, antimythisches Pathos.
Darauf folgt der Bericht von der Erschaffung der Fische, der Vögel und der Landtiere. Wir wenden uns aber gleich dem zu, was von Anfang an das Ziel und der Höhepunkt in der ganzen Schöpfungsgeschichte war, der Erschaffung des Menschen (Vers 26-30). Hier kann man nun besonders deutlich sehen, wie gering alles eigentlich naturwissenschaftliche Interesse bei dieser Schöpfungsgeschichte ist; es geht in ihr nicht um ein Verständnis der Natur an sich, sondern von Mal zu Mal geht es um ihr Verhältnis zu Gott, also um Glaubensfragen. Es ist eigentlich nicht schwer zu sehen, wie stark diese Schöpfungsgeschichte ein Bekenntnis ist, trotz ihrer so verhaltenen Sprache. Sagte ich, es geht um das Verhältnis der Dinge zu Gott, so wird sofort deutlich, daß da im einzelnen sehr markante Unterschiede gemacht werden. Am fernsten steht Gott die Dimension des Chaotischen; von der schöpfungsmäßigen Unterschiedenheit von Tag und Nacht haben wir auch schon gesprochen, und auch davon, daß die Pflanzen eigentlich ihre Unmittelbarkeit zur Erde haben. Dasselbe gilt auch von den Tieren. Sie aber sind in einem entscheidenden Punkt über die Pflanzen hinausgehoben, denn Gott hat sie gesegnet, das heißt er hat ihnen die Fruchtbarkeit zur selbständigen Fortzeugung ge-[115]geben. So ergibt sich also eine aufsteigende Linie; an der Spitze der ganzen Pyramide steht der Mensch, denn er allein von allen Geschöpfen ist ganz unmittelbar zu Gott. Allein seiner Erchaffung ist ein feierlicher Entschluß im göttlichen Herzen vorausgegangen: »Lasset uns Menschen machen nach unserem Bilde«. So verdankt allein der Mensch sein Dasein einer Selbstentschließung in der Tiefe des göttlichen Herzens. Außerdem hat Gott bei seiner Erschaffung das Modell aus der oberen Welt genommen, er hat ihn gottesbildlich erschaffen. Ja, er hat ihn zu seinem eigenen Statthalter auf Erden eingesetzt; er soll in seinem Herrschen Gottes Herrschaftsanspruch auf Erden vertreten. Alle Gottesbezogenheit der Welt ist also in ihm zusammengefaßt. In ihm hat die Welt ihre direkteste Verbindung zu Gott, kein Geschöpf ist unmittelbarer zu Gott als er. Vor Gott ist er die Mitte und das Ziel der Schöpfung. Nicht wahr, das sind keine naturwissenschaftlichen Aussagen, das sind Glaubensbekenntnisse von höchster Dichtigkeit!
Merkwürdigerweise schließt dieser Schöpfungsbericht nun aber doch nicht mit der Erschaffung des Menschen. An seinem Ende kehrt er nämlich wieder zu Gott zurück und rührt an eines der innersten Geheimnisse des Schöpfers und seiner Schöpfung — an die Ruhe Gottes. Diese Ruhe ist nun freilich keineswegs eine sozusagen private, innergöttliche Angelegenheit, sondern unser Text versteht sie als eine der Welt zugekehrte Seite Gottes. Gott hat — so ist gesagt — diese Ruhe gesegnet. Es ist also von ihr gesprochen wie von etwas Drittem zwischen Gott und Welt. Man hat öfters gesagt, dieser Passus handle von der Einsetzung des Sabbats. Das ist aber so nicht richtig, denn hier ist von einer Ruhe die Rede, die lange vorhanden war, ehe der Mensch geheißen war, sie wahrzunehmen und sein Leben an sie zu binden. Schon bei der Schöpfung hat Gott diese Welt auf Ruhe hin angelegt. Auch diese Aussage ist, wie alles in diesem Kapitel, höchst konzentriert formuliert und nicht zum erbaulichen Lesen sondern als eine Essenz theologischer Lehre niedergeschrieben. Gerade dieser Satz, daß der Schöpfer die Welt auf Ruhe hin angelegt hat, daß über [116] ihr seit der Schöpfung eine Verheißung der Ruhe liegt, wäre nun erst nach den verschiedensten Seiten hin zu interpretieren.
Wir können aber solchen Gedanken hier nicht nachhängen, sondern müssen uns nun zum Schluß noch einmal dem Schöpfungsbericht im ganzen zuwenden. Er ist, so sahen wir, ein durch und durch theologisches Dokument. Er redet nicht von der Welt an sich und ihren natürlichen Problemen, sondern von Gott: Gott schuf, Gott sprach, Gott sah, Gott schied, Gott setzte, Gott vollendete, Gott segnete. Hier geht es also um Credenda, um Glaubensdinge. Vor allem bedenke man das abrundende, abschließende Fazit: »Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.« Dieses »sehr gut« könnte man für uns noch verständlicher mit »ganz vollkommen« übersetzen. Das will sagen: Alles war genau so ins Dasein getreten, wie Gott es sich ausgedacht hatte. Was das betrifft, haftete der Schöpfung keinerlei Unvollkommenheit an. Von Gott ist kein Böses in sie gelegt worden. Man erwäge, was das heißt: Dieses Urteil ist in unserer Welt gesprochen, in einer Welt der vielfältigsten Rätsel und Mißklänge. In dieser Hinsicht kann über die Absicht der biblischen Schöpfungsgeschichte kein Zweifel aufkommen; sie will theologische Lehre sein. Andererseits kommt in dem Kapitel nun aber auch nicht wenig Naturwissenschaftliches zur Sprache. Es wäre unbillig zu bestreiten, daß auch die Alten eine Wissenschaft hatten, daß sie sich ernsthaft um ein Verständnis des Weltganzen und seiner Teile bemüht haben und daß sie dabei zu ganz bestimmten Erkenntnissen und Unterscheidungen gekommen sind. In der Klassifizierung der Pflanzen zum Beispiel in solche, die unmittelbar Samen werfen, und in solche, die Früchte bringen, in denen der Same enthalten ist, oder in der Klassifizierung der Tiere oder in der urzeitlichen Chronologie folgt der Schöpfungsbericht einfach der Wissenschaft seiner Zeit. Die Christenheit hat es unter schweren Erschütterungen ihres Glaubens lernen müssen, daß dieses Weltbild ganz veraltet ist.
Wenn sich der Schöpfungsbericht darauf beschränkt hätte, [117] zu sagen, daß Gott am Anfang die Welt geschaffen habe, wenn er sich mit dem Bekenntnis des ersten Verses begnügt hätte, dann wären uns in diesem Punkt alle Anfechtungen erspart geblieben. Aber sowie der Glaube zu Einzelaussagen über das Verhältnis Gottes zu den Geschöpfen übergeht und zu Einzelbestimmungen, die das Verhältnis der Geschöpfe zueinander betreffen, so muß er da und dort von den Dingen eben so reden, wie er sie in seiner Zeit naturwissenschaftlich sieht. Auch uns würde es ebenso gehen; auch wir müssen unseren Glauben unter gelegentlicher Zuhilfenahme unserer heutigen Naturerkenntnis aussprechen. Also darüber, daß das Weltbild von 1. Mose 1 nach seiner naturwissenschaftlichen Seite hin nicht mehr das unsere ist, sind die Akten geschlossen. Das freilich ist gelegentlich doch vermerkt worden, daß sich dieser Schöpfungsbericht trotzdem mit gewissen Erkenntnissen der neueren Naturwissenschaft zu berühren scheint, so vor allem in dem sukzessiven Nacheinander von Pflanzen, Tieren und Mensch. Nun, es ist schon möglich, daß jene alte Naturwissenschaft schon in gewissen Erkenntnissen stand, zu denen unsere rationale Naturwissenschaft auf ganz anderem Wege gelangt ist. Man muß ja bedenken, daß jene Alten ihr Wissen von der Welt ganz anders eingebracht haben, denn sie bedienten sich beim Anschauen der Natur nicht nur des reinen Verstandes sondern in gewissem Sinn einer »Schau«; sie waren also im Besitz eines Sinnesapparates und verfügten über meditative Möglichkeiten, die vielleicht unserer durchrationalisierten Geistigkeit in gewissen Punkten überlegen waren. Indessen, so interessant solche Feststellungen sein mögen, so wäre es doch töricht, mit solchen Argumenten den biblischen Schöpfungsbericht hinsichtlich seiner naturwissenschaftlichen Erkenntnisse retten zu wollen. Er ist nach seiner naturwissenschaftlichen Seite hin schlechterdings veraltet. Trotzdem zeigt er uns gerade, was das Verhältnis des Glaubens zur Naturwissenschaft betrifft, etwas sehr Wichtiges: Man kann ihn nämlich doch nicht einfach dadurch modernisieren, daß man an die Stelle der alten, überholten die neuzeitlichen Naturerkenntnisse einsetzt. [118] Das hängt damit zusammen, daß hier in einer einzigartigen Weise theologisches und naturwissenschaftliches Erkennen spannungslos ineinander ruhen. Die beiden Aussagenreihen, die theologischen und die naturwissenschaftlichen, gehen nicht nur einander parallel, sondern sie verschlingen sich derart, daß man eigentlich an keiner Stelle sagen kann, ein Satz sei nur naturwissenschaftlich (und deshalb für uns abgetan) oder nur theologisch (und deshalb den Glauben noch angehend). Die Theologie hatte eben in der damaligen Naturerkenntnis ein Instrument gefunden, dessen sie sich zur Entfaltung der Glaubensinhalte ohne weiteres bedienen konnte. Man konnte von einer und derselben Sache theologisch oder naturwissenschaftlich reden. Und gerade das fällt uns heute so schwer, weil die heutige Naturwissenschaft nicht mehr offen ist nach der Welt des Glaubens hin und weil sie ihre Erkenntnisse auf Grund eines verborgenen Dogmatismus vielfach so formuliert, daß damit einer Glaubensaussage über denselben Gegenstand der Raum verstellt wird. Hinsichtlich seiner Naturerkenntnis hat, so sagten wir, unser Schöpfungsbericht teil an den allgemeinen Vorstellungen des alten Orients. Was aber seinen spezifischen Gehalt betrifft, so ist er doch von den Schöpfungsmythen seiner Umwelt weit abzurücken. Die Gemeinsamkeit mit den Mythen der benachbarten Völker geht kaum über einige wenige kosmologische Grundvorstellungen und -begriffe hinaus; wobei aber entscheidend ist, daß diese Begriffe — etwa tehom für das Chaosmeer — im biblischen Schöpfungsbericht ihres mythischen Gehaltes entkleidet worden sind und nurmehr als priesterlich-kosmologische Fachausdrücke verwendet werden. Wir sahen es zu Anfang: Unser Schöpfungsbericht ist ja nur der Anfang eines Geschichtswerkes. Mit der Weltschöpfung wird hier also der Plan der Geschichte aufgerissen und zwar einer Geschichte, in der in steigendem Maße Heilssetzungen Gottes offenbar werden. Die überschwenglichen Hymnen des Psalters stehen in völligem Einklang mit dieser so viel spröderen Priesterlehre, wenn sie die Weltschöpfung als die erste Heilstat Gottes preisen.
Vortrag im Süddeutschen Rundfunk, Sendereihe »Schöpfungsglaube und Evolutionstheorie«. Zuerst veröffentlicht in: Schöpfungsglaube und Evolutionstheorie, Kröners Taschenausgabe Band 230, 1955, S. 25-37, A. Kröner Verlag Stuttgart.
Quelle: Gerhard von Rad, Gottes Wirken in Israel. Vorträge zum Alten Testament, Neukirchen-Vluyn 1974, 108-118.