Zweifel ist der Bruder des Glaubens (Über Glaubenszweifel): „Was sich da­bei im Bereich des Gemütes und der Empfindungen als „Trockenheit“ und „dunkle Nacht“ äußert, wird im Be­reich des Erkennens als Verunsiche­rung und Zweifel erfahren: Bisherige Gottesbilder und Glaubensvorstellun­gen, die einmal tragfähig waren, erwei­sen sich als zu vordergründig und zu eng gedacht, Wünsche und Erwartun­gen an Gott offenbaren sich als allzu menschliche „Projektionen““ (Reinhold Körner).

Glaubenszweifel sind für Protestanten weithin kein theologisches Thema, allenfalls die Anfechtung (tentatio) wird bedacht. In der RGG4 fehlt jedenfalls der Begriff. In dem (leider vergriffenen) Praktischen Lexikon der Spiritualität findet sich jedoch von Reinhard Körner ein ansprechender Artikel in Sachen „Zweifel“:

Zweifel

Von Reinhard Körner

Im allgemeinen Sprachgebrauch be­zeichnet das Wort „Zweifel“ ein viel­schichtiges Phänomen in der Seele des Menschen, das sich im Bereich des Glaubens als Unsicherheit oder Unent­schiedenheit, als Schwierigkeit, eine Glaubenswahrheit anzunehmen, als kritische Einstellung zum Glauben, aber auch als innere Verwirrung und Gewissensnot äußern kann. Genauer diffe­renziert ist der Zweifel ein Akt des Er­kenntnisvermögens. Zweifeln heißt: sich einer Wahrheit oder Einsicht unsicher werden bzw. sie für unsicher halten. Die landläufige Meinung, Zweifel im Glauben sei immer Sünde, ist ein (auch durch die Pastoral mitverschuldetes) Mißverständnis der dogmati­schen und moraltheologischen Lehre der Kirche, wonach nicht der Zweifel selbst, sondern das willentliche Ver­harren im Zweifel, die Unentschlos­senheit im Annehmen der Offenba­rung Gottes und die grundsätzliche Be-Zweiflung oder Leugnung ihrer Wahrheiten ein sündhaftes Verhalten darstellen.

Der Zweifel selbst hat durchaus positi­ven Wert, er entspricht der Eigenart Gottes und seiner Geheimnisse, die immer größer sind als das, was über sie gedacht und ausgesagt werden kann. Ein ehrliches geistliches Leben, das nicht Ideologie und „Überzeugung“, sondern die Wirklichkeit Gottes sucht, wird wenigstens von Zeit zu Zeit in die „Krise“ kommen müssen. Was sich da­bei im Bereich des Gemütes und der Empfindungen als „Trockenheit“ und „dunkle Nacht“ äußert, wird im Be­reich des Erkennens als Verunsiche­rung und Zweifel erfahren: Bisherige Gottesbilder und Glaubensvorstellun­gen, die einmal tragfähig waren, erwei­sen sich als zu vordergründig und zu eng gedacht, Wünsche und Erwartun­gen an Gott offenbaren sich als allzu menschliche „Projektionen“, „Wort­hülsen“ der Glaubens- und Gebets­sprache werden frag-würdig.

Bei den Mystikern der christlichen Tradition bereitet der Zweifel am „Wissen“ immer für die höhere Weis­heit des „Nicht-Wissens“ vor, er ist – ähnlich wie der „methodische Zwei­fel“ in der Philosophie – der Weg zum tieferen Erfassen der Wirklichkeit des Gedachten und Vorgestellten. Dort, wo viele Menschen stehenbleiben oder gar zum Ver-Zweifeln versucht sind, öffnet sich ihnen ein Tor zur (wenn auch alle Verstandeskräfte überstei­genden) Wirklichkeit Gottes und zur Gewißheit seiner Verheißungen und seiner liebenden Zugewandtheit. Folg­lich geben sie den Zweifel ehrlich zu, wie Therese von Lisieux: „Die schlimmsten Gedanken der Atheisten drängen sich mir auf“, sie sprechen ihn vor Gott aus, wie Charles de Foucauld: „Mein Gott, wenn es dich gibt …“, und durchleiden ihre „Gottesfinsternis“ in „Stellvertretung“, d h. in liebend-brüderlicher Verbunden­heit mit den Menschen ihrer Zeit, wie viele bekannte und unbekannte Mysti­ker unseres Jahrhunderts, so etwa Si­mone Weil, Peter Wust, Edith Stein, Madeleine Delbrel, Dag Hammarskjöld und Gabriel Marcel.

Theologisch und psychologisch reflek­tiert hat diese inneren Vorgänge im Laufe der Geschichte vor allem der Kirchenlehrer der Mystik, der hl. Jo­hannes vom Kreuz (1542-1591). Unter dem Bildwort „dunkle Nacht des Gei­stes“ beschreibt er den für ein geistli­ches Leben notwendigen Prozeß der „Reinigung“ der Erkenntniskraft und des Gedächtnisses von allen Vorstel­lungen und Denkgewohnheiten, die Gott und seine Geheimnisse festma­chen und domestizieren wollen. Nach seiner Erfahrung und Lehre ist es Gott selber, der den Menschen in den „Zweifel“ führt – um ihn einzuladen, der Grenzenlosigkeit und Herrlichkeit seiner Liebe zu begegnen, die „alle Er­kenntnis übersteigt“ (Eph 3,19). Die Frucht solchen Zweifels ist ein Glaube, der Gott als Gott anerkennt, der Gott zugesteht, fern und unbegreif­lich zu sein, wo er unbegreiflich sein will, und nah und erleuchtend, wenn er Einsicht in seine Geheimnisse schenken möchte.

Das Johannesevangelium stellt den Apostel Thomas als den Zweifler dar (20,24-29). Wenn der Auferstandene ihm antwortet: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“, belehrt er ihn und alle nachfolgenden Jüngerge­nerationen über den Hauptpunkt im geistlichen Umgang mit dem Zweifel: Es gilt, den im Blick zu behalten, der frag-würdig geworden ist; Glaube ist Treue – auch wenn das Verstehen in die Krise gerät. Gott als der „ganz An­dere“ und immer Größere hat ein Recht auf Ent-Täuschung und Zwei­fel, er ist es wert, „ein Leben lang ge­sucht zu werden“ (Teresa von Avila).

LITERATUR: Art. „Glaubenszweifel“ in den theologi­schen Lexika; Johannes vom Kreuz, Empor den Kar­melberg (Einsiedeln 1964); ders., Die Dunkle Nacht (Einsiedeln 1978).

Quelle: Christian Schütz (Hg.), Praktisches Lexikon der Spiritualität, Freiburg 1992, 1470-1473.

Hier Körners Artikel über Zweifel als pdf.

Hier noch ein Artikel über den Zweifel aus theologischer Sicht von Wolfgang Schoberth aus dem Evangelischen Kirchenlexikon.

Meine eigene Predigt zu Thomas dem Zweifler findet sich hier.

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