„Gotteskinder werden nicht erwachsen.“ Eine Predigt zur Sterbehilfe: „Wer kalkuliert mit dem eigenen Leben abschließen will, sich gar selbst zu töten versucht, schenkt dem Tod sei­nen Glauben und betrügt sich damit um seine eigene Kindheit.“

„Gotteskinder werden nicht erwachsen.“ Eine Predigt zur Sterbehilfe

Wenn doch eh alles im Tod endet …

Der Bundestag debattiert gegenwärtig über eine mögliche neue Gesetzgebung zur Sterbehilfe. Eine Parlamentariergruppe um den SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach und den Bun­destagsvizepräsident Peter Hintze (CDU) sprach sich jüngst für die Freigabe des medizinisch assistierten Suizids aus. Sie wissen die Mehrheit der Deutschen hinter sich, stimmen doch 67 Prozent der Deutschen einer aktiven Sterbehilfe zu. Die Vorstellung vom lebensunwerten Leben, dem man selbst ein Ende machen dürfe, scheint immer plausibler zu werden.

Jüngst hat dies der ehemalige MDR-Intendanten Udo Reiter vorgeführt. Am 10. Oktober 2014 wurde er auf der Terrasse seines Hauses im Leipziger Stadtteil Gottscheina mit einer Schuss­wunde tot aufgefunden worden. Schon vorher ist er in Talkshows und publizistisch vehement für das Recht der Selbsttötung eingetreten:

„In meinem Alter fragt man sich dann doch, wie soll das weitergehen? Vor allem: Wie soll’s aufhören? Da bin ich für mich zu dem Ergebnis gekommen, dass ich eigentlich nicht als Pfle­gefall enden möchte. Nicht als jemand, der langsam sein Ich verliert, der von anderen dann gewaschen, gebürstet und gewindelt wird, und ich möchte auch nicht als gutmütiger oder bösartiger Idiot vor mich hindämmern, sondern möchte rechtzeitig sagen können: Es ist sehr schön gewesen, es hat mich sehr gefreut, aber jetzt möchte ich gehen.“

So klingt denn auch seine Tötungserklärung, der er schriftlich hinterlassen hat, ganz ähnlich:

„Nach fast 50 Jahren im Rollstuhl haben meine körperlichen Kräfte in den letzten Mo­naten so rapide abgenommen, dass ich demnächst mit dem völligen Verlust meiner bisherigen Selbst­ständigkeit rechnen muss. Vor allem die Fähigkeit, aus eigener Kraft die Toilette zu benutzen und das Bett zu erreichen, und wieder zu verlassen, schwindet zunehmend. Parallel dazu beobachte ich auch ein Nachlassen meiner geistigen Fähig­keiten, das wohl kürzer oder später in einer Demenz enden wird. Ich habe mehrfach erklärt, dass ein solcher Zustand nicht meinem Bild von mir selbst entspricht und dass ich nach einem trotz Rollstuhl selbstbestimmten Leben nicht als ein von Anderen ab­hängiger Pflegefall enden möchte. Aus diesem Grund werde ich meinem Leben jetzt selbst ein Ende setzen. Ich haben vielen zu danken, die meinen Weg begleitet und meinem Leben Freude und Sinn gegeben haben.“

Da hat ein selbsterklärter „katholischer Atheist“ aus Lindau seine Exit-Strategie in Sachen Leben tötungskonsequent umgesetzt. Das eigene Leben ist selbst grammgenau abgewogen worden: Wenn die Waagschale des Leids und der Mühe den Genuss und die Lebensfreude überwiegt, bedeutet dies das eigene Todesurteil. Hinter aktiver Sterbehilfe bzw. dem kalku­lierten Alterssuizid steht das Ideal eines selbstbestimmten Lebens, das sich angesichts der Realität des Todes in einem selbstbestimmten Sterben die letzte Lebensantwort vorbehalten will: Wer dem bevorstehenden Tod seinen ganzen Glauben schenkt, für den ist die Selbsttö­tung eine Lebensoption.

Ihr seid jetzt nämlich alle Kinder Gottes

Ein vielversprechendes Gegenwort zum abgealterten und selbstbestimmten Leben stellt uns der Apostel Paulus vor:

Ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in Christus Jesus. Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen.“ (Galater 3,26f)

Gotteskinder leben nicht selbstbestimmt, sondern christusbestimmt. Gotteskinder werden nicht erwachsen, weil sie wider aller Biologie und Generationenfolge nicht der göttlichen Fürsorge entwachsen können.

Kind sein heißt in einer Lebensbeziehung stehen, mehr noch unter der göttlichen Verheißung leben: „So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott.“ (Galater 4,7) Die Gottesbestimmung für das eigene Leben überwiegt meine eigene hoffnungslose Selbstbestimmung. Als Kind Gottes gehören ich mir nicht selbst und muss deswegen auch nicht über Tod und Leben entscheiden. „Ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in Christus Jesus.“ (Galater 4,6) In dieser Glaubensverbindung bin ich selbst in den Tod Christi hineingenommen. Meinen eigenen Tod muss ich nicht vergeblich suchen. Am Ster­benskreuz Christi ist er schon längst gefunden und ist für Gottes Kinder überwunden.

Keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber. Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn. Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sei.“ (Römer 14,7-9)

Gottes Kindsköpfe bleiben

Es lassen sich für uns Jahr für Jahr Kindergeburtstage feiern, ohne dass dabei das Alter trium­phal aufgezählt wird. Auch bei zunehmendem Alter dürfen wir Gottes Kindsköpfe bleiben. Todernst muss es nicht zugehen, eher unbedarft. Unser körperlicher und seelischer Zustand ist bei Gott nicht lebensentscheidend. Was zählt ist seine Annahme. In der Taufe sind wir in das Christusgedächtnis hineingenommen, und dieses göttliche Gedächtnis zählt für uns auf Ewig­keit:

Der Gott behält uns und unser Leben im Gedächtnis – auch dann wenn wir uns wegen De­menz sich selbst und andere nicht länger im eigenen Gedächtnis behalten können.

Der Gott behält uns und unser Leben im Gedächtnis – auch wenn wir selbst die Gebrechlich­keiten des eigenen Leibes nicht länger ertragen können.

Der Gott behält uns und unser Leben im Gedächtnis – auch wenn wir für andere Menschen zum bettlägerigen Pflegefall werden.

Was uns im Alter noch alles zugemutet wird, was alles beschwerlich, schmerzlich oder depri­mierend sein wird, können wir nicht vorhersehen. Und doch enden Kinder bei Gott nicht als Pflegefall. Wie anders hingegen ein vermeintlich selbstbestimmtes Leben, wo man als Er­wachsener nicht länger Kind sein will, wo man aus bleibenden Lebensbezügen herausgewach­sen zu sein scheint, wo man sich selbst überlassen glaubt und dann auch eine Todesentschei­dung als Lebensentscheidungen für sich selbst treffen will.

Für Christen spricht das bleibende Kind-sein gegen jede aktive Sterbehilfe: Wer kalkuliert mit dem eigenen Leben abschließen will, sich gar selbst zu töten versucht, schenkt dem Tod sei­nen Glauben und betrügt sich damit um seine eigene Kindheit. Wo wir vom Zwang der Selbstbestimmung befreit sind, bleibt Kind-sein unsere Lebenszukunft. Mitunter wird es auch für Kinder lebensernst werden. Die unschuldige Kindheit gibt es nicht. Aber schlussendlich ist uns der göttliche Lebensgeist zugesagt, den wir selbst nicht aufbrauchen können:

Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater! So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott.“ (Galater 4,6f)

Predigt im Gottesdienst zur Dekanatssynode Neu-Ulm am 7. November 2014 in der Aufer­stehungskirche in Günzburg.

Hier meine Predigt als pdf.

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