Eine seelsorgerliche Katastrophenpredigt

„Predigt im Gespräch“ ist eine Zeitschrift des Ökumenischen Vereins zur Förderung der Predigt, die jeweils eine denk-würdige Predigt samt ausführlichem Kommentar zum Inhalt hat. Im Heft 105/Juli 2009 habe ich folgenden Kommentar zu einer Predigt von Lothar Malkwitz über 1. Thess 5,14-24 am 24. August 2008 veröffentlicht:

Eine seelsorgerliche Katastrophenpredigt

Eine Katastrophenpredigt schenkt uns Lothar Malkwitz. Vier Tage vor dem Sonntagsgottesdienst in der sommerlichen Ferienzeit ist eine vierköpfige Familie aus der unmittelbaren Nachbarschaft bei einem Flugzeugunglück in Spanien umgekommen. Das Sommerloch wird schlagzeilig aufgefüllt. Nachdem die Namen auf der Passagierliste veröffentlicht worden sind, belagern Reporter und Kamerateams das Wohnhaus der Familie. Die allzu menschliche Sensationsgier will um jeden Preis mit Neuigkeiten befriedigt werden. Das Unglück hat auch die örtliche Kirchengemeinde eingeholt. Die Menschen sind geschockt und aufgebracht. Und am Sonntag gibt es auf der Kanzel kein Entrinnen.

Der Prediger redet von Beginn an nicht vorbei, gesteht das eigene Mitgenommensein ein und nimmt die Stimmung auf – unser Glaube hat gegenüber der Wucht der Katastrophe keine Chance. Der Bruch wird zugegeben, auch wenn der Vergleich der Unglücksgeschehens mit Karfreitag etwas gewagt erscheint.

Gut ist, dass der Prediger trotz der Kasualie „Unglück“ beim vorgesehenen Predigttext aus der Perikopenreihe bleibt. Was es gerade jetzt zu sagen gilt, muss der Mahnrede des Apostels an die Thessalonicher entnommen werden, auch wenn Worte wie „seid allzeit fröhlich“ bzw. „seid dankbar in allen Dingen“ im Kasus der Katastrophe fast höhnisch klingen mögen. Die Katastrophenpredigt wird als Homilie entfaltet, ohne dass sie damit unter dem Anspruch des Trostspendens steht. Der geschulte Psychoanalytiker Malkwitz weiß, dass es in der Katastrophe keinen Trost geben kann, „die Katastrophe selbst ist wie ein schwarzes Loch, das alles Licht, alle Lebensenergie außerhalb zu verschlucken trachtet.“

Um den Predigttext im Katastrophenfall sprechen zu lassen, müssen freilich die zwischenmenschlichen Ermahnungen in das je eigene Seelenleben hingenommen werden, eine allegorische Auslegung also. Im Verlauf der Predigt wird dann der Blick über die Katastrophe hinaus geweitet, wenn es um eine eher allgemeine gehaltene Lebenshilfe geht. Schlussendlich muss es dann doch noch theologisch werden, wenn es um den Segenswunsch in Vers 23 geht. Der Prediger wagt sich zu der Aussage vor, dass Gott für Kriege, Naturkatastrophen und Unfälle nicht verantwortlich ist, da er selbst kein allmächtiger Weltenlenker sei.

Dann kommt schließlich doch der eingangs verweigerte Trost zumindest indirekt zur Sprache. Die Einwohnung eines „leisen Gottes der Liebe und des Friedens“ wird dem verunsicherten und verstörten Leben zugesprochen. Die Katastrophenpredigt erweist sich damit im wahrsten Sinne des Wortes als „seelsorgerlich“. Man kann davon ausgehen, dass sie von den Zuhörenden als positiv und hilfreich aufgenommen worden ist.

Der Widerspruch, der in dieser Predigt steckt, bezieht sich auf die Trostlosigkeit der Katastrophe und die eigene Bemühung um Seelentrost. Für den Prediger ist diese Katastrophe in erster Linie seelisch zu bewältigen. Die sinnlosen W-Fragen sowie die göttliche Allwirklichkeit werden zu Recht zurückgewiesen. Die Katastrophe ist sinnlos und Gott ist dafür nicht verantwortlich zu machen. Der nachfolgende Seelentrost will die Sinnfrage nicht beantworten, sondern sucht dem angefochtenen Leben die göttliche Gegenwart zuzusprechen. Dabei bleibt jedoch eine Frage außen vor: Was ist mit den Opfern? Nach der Einleitung tauschen sie in der Predigt nicht mehr auf. Sie sind aus dem Blickfeld verschwunden. An dieser Stelle werden für mich die Beschränkungen einer seelsorgerlichen Predigt deutlich. Die eigene seelische Bewältigung des Schreckens muss den leiblichen Verlust außer Acht lassen.

Für mich besteht die eigentliche Herausforderung des Katastrophenfalls darin, die Handlungswirklichkeit Christi auszusprechen. Es geht dabei nicht um eine „theo-idiotische“ Beantwortung der Warum- oder Wozu-Frage, sondern vielmehr um die Wirklichkeit des Pascha-Mysteriums Christi – Ostern im Angesicht der Katastrophe. Das unfassbare Geschehen kann von uns seelisch nicht wirklich bewältigt werden. Was von Christen jedoch zu erhoffen und zu erbeten ist ist, dass das tödliche Geschehen vom Kreuzestod Christi eingenommen ist und die Namen der Opfer von der Fleischwerdung des Gottessohnes umgriffen sind, so wie es der Apostel Paulus ausspricht: „Unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber. Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn. Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sei.“ (Röm 14,7-9). In Christus geht menschliches Leben nicht verloren, auch nicht in einer unfassbar bleibenden Flugzeugkatastrophe. Eine evangelische Predigt, die die Größe des Pascha-Mysteriums Christi im Angesicht der Katastrophe herausstellt, kann den Opfern die ganze Beachtung schenken.

Jochen Teuffel

Kommentar zu einer Predigt von Lothar Malkwitz über 1. Thess 5,14-24 am 24. August 2008 aus: Predigt im Gespräch, Heft 105/Juli 2009, Seiten 5-7.

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