
In Sachen herzloser Liturgie ist die folgende Geschichte aus Martin Bubers Erzählungen der Chassidim immer wieder lesenswert:
Das volle Bethaus
Der Baalschem blieb einst an der Schwelle eines Bethauses stehen und weigerte sich, es zu betreten. „Ich kann nicht hinein“, sagte er, „es ist ja von Wand zu Wand und vom Boden bis zur Decke übervoll der Lehre und des Gebets, wo wäre da noch Raum für mich?“ Und als er merkte, daß die Umstehenden ihn anstarrten, ohne ihn zu verstehen, fügte er hinzu: „Die Worte, die über die Lippen der Lehrer und Beter gehen und kamen nicht aus einem auf den Himmel ausgerichteten Herzen, steigen nicht zur Höhe auf, sondern füllen das Haus von Wand zu Wand und vom Boden zur Decke.“
Aus: Martin Buber, Die Erzählungen der Chassidim, Manesse Verlag Zürich, 12. A., 1992, 160f.