Ernst Fuchs, Das Weihnachtsevangelium (1959): „Das bessere Gleichnis für Gottes Stille wäre eine ruhige Nacht friedlichen Schlafes, ohne Lärm und Schrecken. Aber selbst die ruhigste Nacht kann hier auch nur ein Gleichnis sein. Sie müsste ja zur heiligen Nacht werden können. Und das könnte nur ge­schehen, wenn in solcher Nacht das helle, das wahre himmlische Licht aufleuchten würde, um uns in seinen Schein hereinzuneh­men. Aber würde diese Nacht dann nicht zum Tag? In einer derart heiligen Nacht bräche ja der wahre Tag an, der Tag des Herrn, der nicht nur Frieden gibt, sondern Frieden macht.“

Das Weihnachtsevangelium (1959)

Von Ernst Fuchs

„Da, in jenen Tagen, ging ein Erlaß vom Caesar Augustus aus, die ganze Oekumene habe sich amtlich eintragen zu lassen. Diese Eintra­gung war die erste, die stattfand, während Cyrenius Statthalter in Syrien war. Und es begaben sich alle zur Eintragung, jeder in seinen Heimatort.

So reiste denn auch Joseph von Galiläa aus dem Ort Nazareth hinauf nach Judäa in Davids Stadt, die Bethlehem heißt, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids stammte, um sich eintragen zu las­sen, in Begleitung von Maria, der ihm Verlobten, die schwanger war.

Da, während ihres Aufenthalts dort, war ihre Zeit vollends gekom­men, und sie gebar ihren erstgeborenen Sohn. Und sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in einer Krippe nieder, weil es für sie keinen Platz in der Herberge gab.

Und Hirten waren in derselben Gegend draußen und hüteten des Nachts ihre Herde. Und der Engel des Herrn trat zu ihnen her und der Glanz des Herrn umschien sie, und sie gerieten in große Furcht. Doch sprach zu ihnen der Engel: Fürchtet euch nicht! Denn sieh’, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird — geboren ward euch heute ein Retter, der ist Christus, der Herr, in Davids Stadt. Und dies sei euch Zeichen: ihr werdet finden das Kleine in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend. Und plötzlich war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerschar, die lobten Gott mit den Worten:

Ehre in der Höhe für Gott und auf Erden Friede bei den Menschen des Wohlgefallens!

Und da, als die Engel von ihnen weg in den Himmel zurückgekehrt waren, sprachen die Hirten zueinander: Auf, wir wollen nach Bethle­hem hingehen und dies Ding sehen, von dem uns der Herr kundgetan hat, daß es geschah! Und sie machten sich eifrig auf den Weg und fan­den Maria auf und den Joseph und das Kleine in der Krippe liegend. Als sie (es) gesehen hatten, gaben sie Bericht von dem Ding, das ihnen über dieses Kindchen gesagt worden war. Und alle, die (es) hörten, wunderten sich über das, was von den Hirten zu ihnen gesagt wurde; aber Maria bewahrte alle diese Worte und überdachte sie in ihrem Herzen. Und die Hirten kehrten um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, so wie es zu ihnen gesagt worden war.“

Dem Evangelium folgt wenige Verse später ein Nachwort. Der alte Simeon segnet die Eltern des Kindes und spricht zu Maria das pro­phetische Wort:

„Sieh’, dieser ist gesetzt zu einem Fall und Auferstehen für viele in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird — auch durch deine Seele wird ein Schwert gehen -, damit aus vielen Herzen offen­bar werden wird, was sie denken“ (V. 34 f.).

Ev. Luk 2, 1-20

Weil wir eine exegetische Arbeitsgemeinschaft sind und weil wir die Verlegenheit kennen, die unser Weihnachtsevangelium manchem nachdenklichen Menschen bereitet, wollen wir uns zu­erst verdeutlichen, von welchem Standpunkt aus dieses Evange­lium aufgefaßt werden will.

Das kann freilich nur ein Standpunkt sein, der den Text gel­ten läßt. Denn der Text ist so geschrieben, daß er von Genera­tion zu Generation weitergereicht werden kann. Weder die Zeit, noch die Geschichte, keine Verwirrung soll ihm etwas anhaben. Deshalb steht das Ganze so geschlossen in sich selber da. Aber doch nicht einsam. Das Evangelium, die gute Nachricht für die ganze Welt, gibt ja bekannt, was es sagt. Es will immer wieder laut verkündigt werden. Trotzdem, das Evangelium behält eben deshalb seinen eigenen Bereich, sein eigenes Reich. Das sollen wir spüren. Das Evangelium will uns in sein Reich holen. Wie ge­schieht das?

Darauf macht uns das Verhalten der Maria aufmerksam. Maria heißt vielleicht ursprünglich die „Widerspenstige“. Aber die Mutter Jesu ist die gehorsame Magd des Herrn, wie sie im ersten Kapitel gesagt hatte. Sie erwägt in ihrem Herzen, was Got­tes Wort wiederholt aus Engelmund kundgetan hat. An ihr ge­schah, was alle andern sehen und hören. Und an ihr wird nicht vorübergehen, was alle andern tun werden. Der Schmerz bleibt ihr nicht erspart; sie hat ihn vor allen andern erfahren müssen. Von Freude, sogar von großer Freude, spricht nur der Engel des Herrn, er allein. Was dann noch laut wird, ist zwar der Lobge­sang des Himmelsheeres der Engel und das Gespräch und das Zeugnis, der Lobpreis, der Hirten. Aber die Nächstbeteiligten, die heilige Familie, ist still. Sogar das Ereignis selbst, die Geburt des Kindes, geschah wie beiläufig, vor alledem, im Stall in Bethle­hem. Das menschliche Echo hinterdrein ist eben ein Sich-wundern, weiter ein Prophetenwort, und durch alles hindurch das, was sich im Herzen der Maria eingräbt, die dieses Kind, ihren ältesten Sohn, geboren hat und kaum Platz für ihn fand.

So geschieht also das Ereignis selbst im Vergleich mit der öffent­lichen Welt fast verborgen. Es wäre unbemerkt geblieben, wenn der Himmel nicht selbst gesprochen hätte. Das ist der Stand­punkt, von dem aus das Evangelium aufgefaßt sein will: die ruhige Stille des Heiligen. Aus dieser Stille ist die Weihnachtsge­schichte geschrieben. Es wird besser sein, wenn wir vor dem Bild nicht länger zurücktreten, um es nach der Art des Handwerks zu analysieren, sondern wenn wir in das Bild hineingehen, um zu versuchen, ob auch wir in seine Stille gelangen. Der Weg in das Bild ist der Weg in die Stille. Wo ist Stille?

Erst in der Stille zeigt sich, ob wir zur Ruhe kommen. Davon spürt jeder etwas auf jedem Gang zum Friedhof. Doch der Ruheplatz der Toten ist nur ein Gleichnis, ein Gleichnis für die Stille Gottes. Die Stille Gottes sagt mehr, als ein Friedhof oder ein Grab oder das Andenken an einen Toten sagen kann. Die Stille Gottes verheißt uns nicht, daß wir sterben – dessen bedarf es nicht -, sondern sie sagt, daß wir zur Ruhe kommen sollen.

Das bessere Gleichnis für Gottes Stille wäre eine ruhige Nacht friedlichen Schlafes, ohne Lärm und Schrecken. Aber selbst die ruhigste Nacht kann hier auch nur ein Gleichnis sein. Sie müßte ja zur heiligen Nacht werden können. Und das könnte nur ge­schehen, wenn in solcher Nacht das helle, das wahre himmlische Licht aufleuchten würde, um uns in seinen Schein hereinzuneh­men. Aber würde diese Nacht dann nicht zum Tag? In einer derart heiligen Nacht bräche ja der wahre Tag an, der Tag des Herrn, der nicht nur Frieden gibt, sondern Frieden macht.

Das Evangelium will aber genau dies sagen: der wahre Tag, der Tag des Herrn, ist gekommen! Jetzt jubelt man im Himmel: Ehre in der Höhe für Gott! Und deshalb gilt die Botschaft: und auf Erden Friede! Der Friede gilt den Menschen. Sie brauchen ihn. Deshalb kommt er zu ihnen. Gottes Wohlgefallen erfüllt sich an ihnen. Die Botschaft gilt ohne Einschränkung. Denn der Friede ist ja die Antwort auf die Ehre Gottes in der Höhe. Und so ruft die Botschaft den Menschen, damit sie Gottes Ehre in der Höhe mit dem Frieden auf Erden beantworten. Das wird und das soll ihre neue, ihre wunderbare Möglichkeit sein.

Wir feiern die Botschaft mit Jubel und Lichterglanz und wol­len die Zeichen der Liebe um uns herum sehen. Das ist schon recht getan. Wollen wir aber ganz in die Stille Gottes gelangen, so müssen wir das Zeichen, ihr Zeichen, eigens und ganz beachten.

Dieses Zeichen ist die einzige Person im Bilde, die sicher nichts sagt: das Kind in der Krippe. Die Krippe ist das Zeichen für die Hirten draußen, ein Zeichen, das sie verstehen, weil sie mit Krip­pen und Armut Bescheid wissen. Für uns ist das Kind selbst das Zeichen, falls wir mit Kindern Bescheid wissen. Deshalb fordert uns Weihnachten ja auf, besonders Kindern zu bescheren. Unter Erwachsenen ist das alles schon viel schwieriger.

Doch auch das Kind in der Krippe ist nur ein Gleichniszeichen. Es sagt nichts, es kann nichts sagen und braucht auch nichts zu sagen, weil es selbst Wort, Gottes ganzes Wort ist. Was sagt uns dieses Wort? Es sagt still: ich bin euch in die Hände gegeben. Was werdet ihr mit mir anfangen, die ihr nicht meine Mutter seid? Werdet ihr mich kreuzigen? Oder werdet ihr mich an eurem Kreuze finden?

Merket wohl auf den Ernst dieser beiden Fragen, die doch nur eine einzige Frage sind! Er ist in unsrer Hand. Wir können ihn kreuzigen. Wir können seine völlige Schutzlosigkeit mißbrau­chen. Er wird uns dann nicht antworten. Er wird schweigen, wie Gott schweigt.

Darüber hilft keine Rede hinweg. Es gibt ein Zu-spät.

Aber dieses Zu-spät hat keine Macht dort, wo jemand sein eigenes Kreuz trägt, solange er nur tragen kann. Dort schweigt Gott nicht. Dort redet er, aus seiner Stille. Dann muß die Welt verstummen.

Wo immer ein Mensch merkt, daß er in Wahrheit schutzlos ist, da legt Gott seine Ehre auf die Waage und spricht: Ich mache Frieden, ich gebe euch Ruhe. Dagegen stürmt die Welt an und will Gott Lügen strafen.

Nun bleibt still, fürchtet euch nicht! Wie sein Wort kam, ein Mensch wurde wie wir, damit wir fassen, was Gott ist und daß Gott ist; wie er sich auch uns ins Herz gräbt, wenn wir leiden, – so verspricht er uns mit diesem Menschen, daß er Frieden machen wird und Ruhe bringen wird, so wahr seine Stille alle Macht in sich versammelt, die Macht, die in Wahrheit allein Macht ge­nannt zu werden verdient.

Hat er angefangen, so wird er nicht zurückweichen. Für die Liebe gibt es niemals ein Zurück!

Diesen Anfang feiern wir mit der Geburt Jesu Christi. Wir glauben, daß der Anfang seine Fortsetzung findet, weil angefan­gen ist: Christus der Herr. Und so wandern auch wir zum Ziel, im Geleit der Botschaft vom Tage des Herrn, im Zeichen des Kin­des, in der Stille des Glaubens und deshalb im Licht der Heiligen Nacht.

Ansprache in der Vorlesung am 17. Dezember 1959 in Berlin.

Quelle: Ernst Fuchs, Zur Frage nach dem historischen Jesus, Tübingen: J.C.B. Mohr, 1960, S. 431-435.

Hier der Text als pdf.

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