Theophil Wurm im Brief an August Marahrens (1943): „In unserem Volk ist weithin die Empfindung, dass nun viele Sünden, die das deutsche Volk entweder begangen oder unwidersprochen gelassen hat, gebüßt werden müssen, dass auch die Christenheit darunter leiden muss, dass sie nicht offener und nicht einmütiger Unrecht Unrecht geheißen hat. Soll nun ausgerechnet die Kirche solche Gedanken zurückdrängen zugunsten einer hemmungslosen Kriegsleidenschaft?“

Aus einem Brief des württembergischen Landesbischofs Theophil Wurm an August Marahrens, Bischof der hannoverschen Landeskirche vom 9. August 1943

[…] wenn nun die „rücksichtslose Entschlossenheit“ zu einer „von aller Sentimentalität freien“ Kriegführung zum Gegenstand des Gebets gemacht und das lutherische Berufsethos für die totale Kriegführung in Anspruch genommen wird, so können wir in diesen Ausführungen kein Wort der Kirche erkennen. Selbstverständlich tut auch jeder Christ, ob er die Waffe führt oder die für den Schutz der Heimat notwendigen Maßnahmen befolgt, seine Pflicht im Sinne der Berufsauffassung, die uns das Neue Testament und die Reformation eingeprägt hat. Aber das ist doch gerade nach dem Vorbild Luthers nicht möglich, ohne gleichzeitig gegen Schuld und Sünde zu zeugen und die furchtbaren Schicksalsschläge, die eine Stadt um die andere treffen, als Heimsuchung Gottes zu verstehen. Die Kirche muss es der politischen Propaganda überlassen, diese furchtbaren Ereignisse zur Entfachung der Leidenschaften gegen den äußeren Feind zu benutzen. Ihre Aufgabe ist es, darauf hinzuarbeiten, dass eine innere Frucht solcher Leiden erwachen kann, und auf diese kann man nur hoffen, wenn man […] die unzähligen Opfer auch als Sühneopfer ansieht für vieles, was geschehen ist und nicht hätte geschehen sollen. In unserem Volk ist weithin die Empfindung, dass nun viele Sünden, die das deutsche Volk entweder begangen oder unwidersprochen gelassen hat, gebüßt werden müssen, dass auch die Christenheit darunter leiden muss, dass sie nicht offener und nicht einmütiger Unrecht Unrecht geheißen hat. Soll nun ausgerechnet die Kirche solche Gedanken zurückdrängen zugunsten einer hemmungslosen Kriegsleidenschaft?

Wir würden damit unserem Volk und Vaterland den allerschlechtesten Dienst erweisen. Sieg oder Niederlage hängt nicht in erster Linie von der Überlegenheit unserer Waffen und der Rücksichtslosigkeit des Front- und Heimateinsatzes ab. So sieht es freilich im Durchschnitt der Politiker, der Soldat, der Wirtschaftler an. Aber einige unter ihnen werden aus dem bisherigen Gang der Dinge doch auch schon den Schluss gezogen haben, dass es letzte Faktoren gibt, die nicht in des Menschen Hand sind. Vollends aber für die christliche Betrachtung der Weltereignisse kann es doch gar keinem Zweifel unterliegen, dass es von Gottes Gnade abhängt, ob er uns ein furchtbares Schicksal ersparen und dem deutschen Volk auch für die Zukunft eine Sendung anvertrauen will. Das will erbeten sein unter der tiefen Beugung darüber, dass wir so vielfach seine Gaben missbraucht und sein Wort verachtet haben. Vollends, wenn ein Krieg, wie aus maßgeblichen Kundgebungen hervorgeht, dazu dienen soll, die Verkündigung des Evangeliums zu hemmen und das Abendland seines christlichen Erbes vollends ganz zu berauben, ist es unmöglich, dass die Kirche den Anschein erweckt, als ginge es nur um die Verteidigung der Heimat gegen Angriffe von außen. Ein Verhallen der Kirche, das auch jetzt nicht besseres weiß als restlose Zustimmung zu Parolen der politischen Propaganda, ist in jeder Hinsicht verkehrt und verwerflich und macht sie vor Freund und Feind verächtlich.

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