Von Karl Barth
Das Gesetzblatt der Deutschen Evangelischen Kirche vom 6. April 1939 veröffentlicht eine im Namen der Deutschen Evangelischen Kirche erlassene Bekanntmachung, in der sich elf deutsche „Landeskirchenleiter“ an ihrer Spitze der Präsident der Evangelischen Kirche der altpreussischen Union zu folgenden „Grundsätzen“ bekennen[1]:
1. Jedes überstaatliche oder internationale Kirchentum römisch-katholischer oder weltprotestantischer Prägung ist politische Entartung des Christentums. Echter christlicher Glaube entfaltet sich fruchtbar nur innerhalb der gegebenen Schöpfungsordnungen.
2. Der christliche Glaube ist der unüberbrückbare religiöse Gegensatz zum Judentum.
3. Der Kampf des Nationalsozialismus gegen jeden politischen Macht-anspruch der Kirchen, sein Ringen um eine dem deutschen Volk artgemässe Weltanschauung sind nach der Weltanschaulich-politischen Seite hin Fortsetzung und Vollendung des Werkes, das der deutsche Reformator Martin Luther begonnen hat. Mit der in diesem Kampfe neu gewonnenen echten Unterscheidung von Politik, Weltanschauung und Religion wird aber von selbst auch das wahre Verständnis des christlichen Glaubens wieder lebendig.
4. Voraussetzung für ein ehrliches religiöses Ringen, für Wachstum und Ausbreitung eines wahren christlichen Glaubens im deutschen Volk, sind Ordnung und Toleranz innerhalb der bestehenden Kirchen.
Wir geben auf diese vier Sätze folgende Antwort:
1) Die nationale Gliederung der christlichen Kirche ist nicht ein notwendiges (sondern ein zufälliges) Element ihrer sichtbaren Gestalt Sie hat ihren Segen. Sie hat aber auch ihre Gefahr. Geistliche Einheit aber ist der Kirche notwendig. Wenn sie sich in ihrer nationalen Gliederung darum bemüht, sich selbst zugleich als die eine, heilige, allgemeine apostolische Kirche sichtbar zu machen, so dient sie der politischen Bewährung des Christentums und fügt sich eben damit in die Ordnung ihres Herrn, der auch der Schöpfer ist.
2) Der christliche Glaube ist die Betätigung des Gehorsams gegen Jesus als den Messias Israels. Der christliche Glaube ist es also dem Judentum schuldig, ihm die Erfüllung seiner eigenen Verheissung zu verkündigen.
3) Die rechte Unterscheidung und Beziehung zwischen Politik und Weltanschauung auf der einen und dem christlichen Glauben auf der anderen Seite dienen dem Lebendigwerden des wahren Verständnisses des christlichen Glaubens, indem sie das Zeugnis bestätigen, dass nicht der Kirche, aber dem Herrn Jesus Christus nicht nur einige sondern alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden: auch über Politik und Weltanschauung.
4) Ordnung und Toleranz innerhalb der Kirche bedeutet dies, dass das Evangelium von Jesus Christus in ihr in voller Autorität steht und dass seine Verkündigung in ihr in voller Freiheit geschehen darf.
Wir stellen fest, dass die vier Sätze der deutschen „Landeskirchenleiter“, sofern sie mit dieser unserer Antwort im Widerspruch stehen, keine christlichen Sätze sind.
Typoskript vom 22. April 1939 (KBA 11142).
[1] Siehe Joachim Beckmann (Hrsg.), Kirchliches Jahrbuch für die evangelische Kirche in Deutschland 1933-1944, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, 21976, S. 285-287.