Christoph Schwöbel über Gott: „Der Gott, der sich in der Geschichte und im Geschick des auf­erstandenen Gekreuzigten definiert und so seine Gerechtigkeit als schöpferische erweist, die den Gottlosen gerecht macht und die allein im Glauben erfasst werden will, vergegenwärtigt sich den Menschen in seinem Geist. Im Geist haben die Glau­benden als Gottes Kinder an Jesu Gottesbeziehung Anteil und können ihn so als Vater anrufen.“

Gott

Von Christoph Schwöbel

»Woran du nun … dein Herz hängst und verlassest, das ist eigentlich dein Gott.« So hat Martin Luther im »Großen Katechismus« die Wechselbeziehung zwischen Gott und Glaube herausgearbeitet. Der Mensch wird als das »glaubende Tier« verstanden, das Beziehungswesen, das seine Orientierung im Denken und Handeln dadurch ge­winnt, dass es unbedingt vertrauen kann. Vertrauen ist die anthropologische Kon­stante. Umgekehrt wird Gott als der verstanden, der den Menschen in die Beziehung zu Gott einlädt und sich dem Menschen verspricht – als Erfüllung der Bestimmung seines Lebens in Gemeinschaft mit Gott und als Hilfe in allen Nöten: »Sieh zu und lasse mich alleine deinen Gott sein und suche ja keinen anderen … Ich, ich will dir genug geben und aus aller Not helfen: lass nur dein Herz an keinem anderen hängen noch ruhen.« (Luther) Allerdings kennt Luther auch die Ambivalenz von Vertrauen und Glauben. Das Herz kann sich auch in unbedingtem Vertrauen an Bedingtes hängen und in seiner »Götzenfabrik« (Calvin) Abgötter schaffen, denen es sich unbedingt unter­wirft: andere Heilsbringer ebenso wie Reichtum, Macht und Ansehen. Die Unterschei­dung zwischen Gott und Götze als Problem des eigenen Religionhabens durchzieht das Gottesverständnis des Christentums wie das des Judentums und des Islam. Die Fragen nach dem wahren Gott und nach der rechten Gottesbeziehung sind darum nicht zu trennen. In der Situation des religiös-weltan­schaulichen Pluralismus hat deshalb die Frage nach der Identität Gottes Priorität.

Die christliche Kirche beantwortet die Frage nach Gottes Identität mit dem Bekennt­nis zum dreieinigen Gott: Vater, Sohn und Heiliger Geist, als Schöpfer, Versöhner und Voll­ender von allem, was nicht Gott ist. Dieses Bekenntnis ruht auf den Selbstidentifikatio­nen Gottes durch die Mitteilung seines Namens und durch sein Handeln in den biblischen Zeugnissen, die im Gottesdienst das Reden zu Gott und das Reden von Gott bestimmen. Das Verständnis der Identität Gottes im Neuen Testament knüpft an seine Namensoffen­barungen (z.B. in Exodus) an. Auf Moses Frage antwortet Gott mit seinem Eigennamen (Jahwe: 2Mose 3,15), durch den Gott in Ewigkeit angerufen werden will, verweist auf seine Beziehung zu seinem Volk von Anfang an (»der Gott eurer Väter«), zeigt sein Wesen als Aufmerksamkeit und Erbarmen für die Not seines Volkes (2Mose 3,16) und verspricht die Befreiung aus der Sklaverei. Getragen wird diese Zusage durch das Versprechen: »Ich werde sein, der ich sein werde« (2Mose 3,14). Der Gott, der sich so zugänglich macht, ist in seinem Wesen ein Versprechen, das in radikaler Freiheit begründet ist, da Gott als einziges Wesen über seine Zukunft verfügt. Nur in Beziehung zu ihm, nur im Vertrauen auf dieses Versprechen haben Geschöpfe Zukunft und dauerndes Sein. Die Selbstbestimmung Gottes als Gott, der seine eigene Zukunft nur in Gemeinschaft mit seinen Geschöpfen will, hat eine inhaltliche Pointe. Barmherzig­keit ist in der Reihe der Namensoffenbarungen der zusammenfassende Name Gottes: »barmherzig und gnädig und geduldig und von großer Gnade und Treue« (2Mose 34,6).

Im Neuen Testament wird die Identifikation Gottes für Israel nicht aufgehoben, sondern in Je­sus Christus, Gottes fleischgewordenem Wort (Joh 1,14), das in Ewigkeit bei Gott ist (Joh 1,1), auf alle Menschen ausgeweitet. Der Gott Israels wird von der christlichen Gemeinde als der bekannt, »der unseren Herrn Jesus auferweckt hat von den Toten« (Röm 4,24) und sich darin als der erweist, »der die Toten lebendig macht und ruft das, was nicht ist, dass es sei« (Röm 4,17). Der Gott, der sich in der Geschichte und im Geschick des auf­erstandenen Gekreuzigten definiert und so seine Gerechtigkeit als schöpferische erweist, die den Gottlosen gerecht macht und die allein im Glauben erfasst werden will, vergegenwärtigt sich den Menschen in seinem Geist. Im Geist haben die Glau­benden als Gottes Kinder an Jesu Gottesbeziehung Anteil und können ihn so als Vater anrufen (Röm 8,11-17). Ihr Vertrauen ist getragen von der Gewissheit, dass sie nichts scheiden kann »von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn« (Röm 8,39). Der Glaube ist in der vom Geist geschenkten Gewissheit begründet, dass Gott, der allmächtige Schöpfer, in Geschichte und Geschick Jesu sein Wesen als wert­schaffende Gerechtigkeit und Barmherzigkeit auslegt, die dem im Widerspruch gegen Gott verlorenen Menschen in der Gemeinschaft mit Gott die Fülle des Lebens schenkt. Das Bekenntnis zum dreieinigen Gott, drei Personen in einem göttlichen Wesen, ist für die frühe Christi. Gemeinde kein Problem, sondern die Lösung des Problems, wie sie ihrer Gotteserfahrung angemessen Ausdruck geben: als gegenwärtig Gewissheit schen­kenden Geist über die Wahrheit der Christusoffenbarung als Offenbarung von Gottes in Israel zuerst verwirklichtem Gemeinschaftswillen für seine ganze Schöpfung.

So werden die Glaubenden hineingezogen in die Bewegung der Liebe Gottes zur Welt. Der Gottesdienst, den die Reformation als Dienst des dreieinigen Gottes an uns Menschen interpretiert, als Fest der dreifältigen Freigiebigkeit Gottes, wird so zur Quel­le für den Dienst am Nächsten. Für die christliche Gemeinschaft gilt: »Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist« (Lk 6,36). Diese im Wesen Gottes begründete Barmherzigkeit gewinnt im Leben des Glaubens Gestalt als Leidenschaft für das Wohl des Nächsten in seiner Not.

Hier der Text als pdf.

Hinterlasse einen Kommentar