John H. Yoder über Pazifismus (1996): „Die Argumentation der Kriegsbefürworter stellt die politische Realität falsch dar, indem sie das ideale Schema des gerechten Krieges verwendet, das nicht dem entspricht, was Politiker und Soldaten wirklich tun. Ein großer Teil des militärischen Denkens ist ‚realistisch‘ in dem Sinne, dass es keine moralische Verpflichtung jenseits des nationalen Interesses und keine Beschränkung auf das, was zum Sieg nötig ist, anerkennt. Vieles ist ‚kreuzzüglerisch‘ in dem Sinne, dass die Teilnehmer glauben, dass Gott besonders auf ihrer Seite ist und dass ihre Gegner nicht den gleichen Status wie Menschen haben.“

Pazifismus

Von John H. Yoder

„Pazifismus“ ist ein Begriff neueren Datums, der jede moralische oder politische Position bez­eichnet, der zufolge Krieg inakzeptabel ist. Am einen Ende des Spektrums kann (von einigen) jede politische Position als „pazifistisch“ bezeichnet werden, die einen bestimmten Krieg als ungerechtfertigt ablehnt. Die Gründe dafür können ganz pragmatisch sein. Am anderen Ende des Spektrums steht die prinzipielle Ablehnung aller Gewalt, wobei die Ablehnung des Krieges Teil eines größeren moralischen Systems ist. In der Zusammensetzung eines solchen „größeren Systems“ variieren die Komponenten der Moralphilosophie, der religiösen Weltan­schauung und des politischen Realismus von Fall zu Fall. In diesem Beitrag soll nicht ver­sucht werden, rein persönliche, philosophische oder pragmatische Beispiele zu behandeln.

Das zentrale Definitionsmerkmal, nämlich die Ablehnung der persönlichen Beteiligung am Krieg, reicht selten aus, um eine Position zu definieren. Der weitere Definitionskreis umfasst oft (a) eine alternative Form des öffentlichen Dienstes, der manchmal von den Behörden an­stelle des obligatorischen Waffendienstes gefordert und manchmal freiwillig geleistet wird; (b) eine Erklärung, ob der Krieg nur für den Einzelnen (der dann oft als „gewissenhaft“ und sein Pazifismus als „beruflich“ bezeichnet wird) oder für alle als falsch angesehen wird; (c) wenn der Krieg für alle als falsch angesehen wird, eine alternative Vorstellung davon, wie na­tionale Werte nicht-militärisch verteidigt werden können („zivilbasierte Verteidigung“ und/oder „alternative Weltordnungsmodelle“); (d) ein moralisches Verständnis davon, ob die Ablehnung des Krieges von der Bereitstellung wirksamer alternativer Verteidigungsmöglich­keiten abhängt ((c) oben) oder auch Kapitulation oder Märtyrertum erfordern kann.

Da es keine einheitliche „pazifistische“ Weltanschauung und keinen einzigen „gemeinsamen Nenner“ auf der Ebene der Argumentation gibt, müssen mehrere Beispiele aus der Geschichte angeführt werden.

Der Pazifismus (ohne das Wort), der das Judentum seit der Zeit Jeremias geprägt hat, wurzelt (a) in den negativen Lehren, die aus dem Scheitern der Experimente mit dem Königtum in Is­rael und Juda gezogen wurden; (b) in den Erfahrungen mit dem Überleben und sogar dem Gedeihen als geduldete Minderheit unter den Heiden (Joseph, Jeremia, der an die Exilanten in Babylon schrieb, Esther, Daniel und ein Großteil der späteren jüdischen Geschichte); (c) in den eher negativen Lehren aus den Erfahrungen der Makkabäer und der Zeloten; (d) die Überzeugung, dass, da Gott souverän ist, wenn wir leiden, es sein muss, dass Gott es zulässt, und wir uns nicht dagegen auflehnen sollten; (e) die Überzeugung, dass wir befreit werden, wenn Gott es will, durch den Messias, und nicht vorher oder auf andere Weise; (f) die Überzeugung, dass, da es nur einen Gott gibt, auch die anderen Nationen ihren Platz in seinen Plänen haben; (g) die Überzeugung, dass das menschliche Leben heilig ist, so dass das Vergießen des Blutes des einzigen Geschöpfes, das nach dem Bilde Gottes geschaffen wurde, ein einzigartiges Sakrileg ist; h) alle bekannten Reiche und Armeen (bis zur Neuzeit) praktiz­ierten Götzendienst als Teil des militärischen Lebens.

Der Pazifismus, der die ersten Christen kennzeichnete, fügte diesem jüdischen Fundament, das sie unverändert beibehielten, die Lehren Jesu (Feindesliebe, Verzicht auf Vergeltung, Ver­zicht nicht nur auf die tödliche Tat, sondern sogar auf den Wunsch) und sein Beispiel hinzu (obwohl er dazu berufen war, die Herrschaft Gottes einzuleiten, verzichtete Jesus auf gerechte, „zelotische“ Gewalt als Weg dorthin und nahm stattdessen unschuldiges Leiden in Kauf) Dieser „frühchristliche Pazifismus“ beinhaltete nicht die Erwartung, dass heidnische Regierungen denselben Weg einschlagen würden. Gegen Ende des zweiten Jahrhunderts hin­derte er eine Minderheit von Christen nicht daran, in der römischen Armee zu dienen, aber wir haben keine Informationen darüber, ob sie jemals im Kampf Waffen trugen (da die meisten Soldaten, die die pax romana verwalteten, dies nicht taten) oder ob ihre Priester und Bischöfe dies guthießen.

Als das Christentum zur obligatorischen Religion des Reiches wurde, wandelte sich der pazi­fistische Impuls in Bemühungen, den Krieg zu mildern, anstatt sich aus ihm herauszuhalten. Die Bischöfe versuchten, Konflikte zwischen Fürsten zu schlichten. Sie legten Zeiten (Gottesfrieden) und Orte (Gottesfrieden) fest, an denen der Krieg verboten werden konnte. Sie befreiten Büßer, Pilger, den Klerus und Frauen von der Teilnahme am Kampf. Es entwickelte sich allmählich der Begriff des gerechtfertigten Krieges, der als das geringere Übel anerkannt wurde, weil er bestimmte Anforderungen hinsichtlich Ursache, Absicht, Autorität und Mittel erfüllte.

Von da an tauchte die pazifistische Alternative, die nicht nur vom Judentum vertreten wurde, episodisch als kritische Strömung innerhalb der Christenheit auf:

  1. bei den pauperes Christi, den Franziskanern und den Waldenserinnen, insbesondere in Verbindung mit dem Beispiel des armen Wanderpredigers Jesus;
  2. in der böhmischen Reformation (Hus, Chelcicky, Unitas Fratrum) die Betonung der Antithesen der Bergpredigt als neues Gesetz – ein Thema, das später von Tolstoi wieder aufgegriffen wurde;
  3. für Erasmus von Rotterdam, verbunden mit seiner Überzeugung, dass Krieg einfach dumm ist, der Würde des menschlichen Geistes oder der Einheit des christlichen Eu­ropas unwürdig;
  4. bei den „Wiedertäufern“ der protestantischen Reformation, die durch ihre Gewaltlosigkeit und ihr Martyrium am Kreuz Christi teilhaben;
  5. in der Gesellschaft der Freunde (Quäker), die auf die Kraft der Wahrheit Gottes ver­trauten, um selbst den Feind zu erleuchten („mit dem Gott in jedem Menschen sprechen“).

Mit dem Aufkommen anderer kritischer Minderheiten haben sich die Begründungen im Einzelnen immer wieder verändert. In dem Maße, in dem der westliche Protestantismus liberaler und pluralistischer wurde, veränderte sich auch sein Pazifismus.

Manche verwenden das Wort „Pazifist“, um diejenigen zu bezeichnen, die zwar die Tradition des gerechten Krieges für ideal richtig halten und gewaltsame Selbstverteidigung in extremis und in der Theorie für zulässig halten, aber keinen wahrscheinlichen realen Fall sehen, der auf diese Weise gerechtfertigt wäre. Dies war die Haltung von Erasmus; seit dem Zweiten Welt­krieg wird sie von vielen Denkern aufgrund ungerechter Mittel (wahlloser oder unverhält­nismäßiger Schaden durch nukleare, chemische oder biologische Waffen) oder unwürdiger Grün­de (die Verteidigung des Imperiums oder wirtschaftlicher Vorteile) vertreten. Der in den 1950er Jahren von Einzelpersonen formulierte „Nuklearpazifismus“ wurde in den 1980er Jah­ren von kirchlichen Einrichtungen übernommen.

Eine solche nahezu kategorische Ablehnung des Krieges kann auch die Überzeugung eines Einzelnen sein, der zwar nicht gegen alle Kriege ist, aber die bestimmten Kriege, die seine Re­gierung führt oder führen könnte, für ungerecht hält und deshalb den Kriegsdienst ver­weigert. Diese Haltung wird manchmal als „selektive Kriegsdienstverweigerung“ bezeichnet. Während die meisten westlichen Demokratien heute eine Befreiung vom Militärdienst für überzeugte Pazifisten zulassen, zögern sie, die „selektive“ Variante als authentisch „aus Gewissensgründen“ anzuerkennen.

Die andere Argumentationslinie, bei der Personen, die nicht prinzipiell pazifistisch sind, den­noch gemeinsame Sache mit dem Pazifismus in der Politik machen, ist das Eintreten für alter­native Mittel des sozialen Kampfes oder der „Konfliktlösung“ (ein neuer Zweig innerhalb der Sozialwissenschaften) oder sogar der nichtmilitärischen Verteidigung der Nation, „Friedensstudien“ als akademische Disziplin und „Peacemaking“ als eine Art des Engage­ments in Konfliktsituationen bringen Pazifisten und Beinahe-Pazifisten zusammen. Dasselbe gilt für die gemeinschaftsbildenden Mittel internationaler Organisationen oder sogar für den nichtmilitärischen Einsatz von Militärpersonal.

Im Schatten des Zweiten Weltkriegs wurde der Pazifismus sowohl der liberalen Protestanten als auch der Freikirchen von vielen mit der Begründung aufgegeben, dass es keine Alternative zur Gewalt gebe, um Hitler zu stoppen, was selbstverständlich schien. Der „christliche Realis­mus“ dieses Arguments, das von Reinhold Niebuhr formuliert wurde, beherrschte das protes­tantische Denken in Nordamerika eine Generation lang. Dieses „alternativlose“ Argument wurde bald auf die Befreiungskämpfe in Afrika und Lateinamerika übertragen, wo es weniger angebracht war. In dieser Welt ist die Befreiung nicht gewonnen worden. Seit den über­raschenden Erfahrungen mit großen politischen Veränderungen, die gewaltfrei erreicht wurden (Manila 1986, Osteuropa 1989), wird dem Argument gegen den Krieg und für gewaltfreie Kampfformen wieder Aufmerksamkeit geschenkt.

Da die Pazifisten eine umkämpfte Minderheit sind, ist es am besten, die Argumente für den Pazifismus mit den Mehrheitsmeinungen zu vergleichen. Da es nicht nur eine Art von Pazifis­mus gibt, kann es keine eindeutige Aussage geben; es ist am besten, mehrere Argumente zu berücksichtigen und diejenigen auszuwählen, die von den Kritikern am meisten beachtet werden.

Reinhold Niebuhr, ein früherer Pazifist des liberalen christlichen Programmatikertyps, charak­terisierte den Pazifismus als auf einem verabsolutierten Verständnis von Liebe zum Gegner auf Kosten der Gerechtigkeit beruhend. Die Alternative besteht darin, die Liebe so zu ver­stehen, dass sie uns dazu auffordert, unsere Verantwortung für die Gerechtigkeit an die erste Stelle zu setzen, auch wenn dies auf Kosten des Gegners geschehen muss, und deshalb Buße zu tun. Der Pazifismus spielt für Niebuhr immer noch eine Rolle als „Berufung“ von Minder­heiten, die keinen Anspruch auf soziale Verantwortung erheben. Niebuhr wurde der promi­nenteste protestantische Theologe Nordamerikas in diesem Jahrhundert. Sein Anliegen, den naiven programmatischen Pazifismus zu widerlegen, indem er „hinter“ die Ethik und die augustinische Anthropologie zurückgriff, wurde zum stärksten Motor für den theologischen Wandel im amerikanischen Protestantismus der Jahrhundertmitte. Einige Pazifisten akzep­tierten die Rolle, die Niebuhr ihnen zuwies, als Ehre, indem sie ihren Frieden mit einer dualis­tischen Analyse machten, die ihre Irrelevanz erklärte. Andere stellten seine Argumentation aus christlich-theologischen Gründen in Frage. Einige argumentierten für eine hohe Ein­schätzung des menschlichen Potenzials zum Guten und stellten Niebuhrs Auffassung von der Allgegenwart der Sünde in Frage. Einige stellten seine Beschreibung Jesu als ahistorischen Idealisten in Frage und argumentierten mit der vollen und repräsentativen Menschlichkeit Jesu.

Philosophen im Gefolge Kants, die gewohnt sind, die Verallgemeinerbarkeit als Prüfstein der moralischen Rationalität zu betrachten, verurteilen den Pazifismus, weil der Verzicht auf das Töten nicht verallgemeinert werden kann; andere werden weiterhin ihre Interessen durch Tö­ten (oder die Androhung des Tötens) verteidigen. Solange andere bereit sind, auf Gewalt zurückzugreifen, und der Pazifist sie (per definitionem) nicht zum Verzicht zwingen kann, hat der Pazifist den Test der Rationalität nicht bestanden. Der Pazifist wird entgegnen, dass dieser abstrakte Begriff der Rationalität merkwürdig ist. Wir prüfen nicht, ob es sinnvoll ist, die Wahrheit zu sagen, indem wir fragen, ob wir andere vom Lügen abhalten können, indem wir die Wahrheit sagen. Die Tatsache, dass andere Menschen beharrlich lügen, berechtigt uns nicht, dasselbe zu tun, um sie davon abzuhalten.

Es kann kein Kriterium für ethische Konsistenz sein, dass eine Verhaltensweise für Menschen sinnvoll ist, die nicht dieselben Annahmen teilen. Die kantische „Verallgemeinerbarkeit“ kann sinnvoll sein, wenn sie bedeutet: „Handle so, dass die Regel, nach der du handelst, die Regel für alle sein könnte“, aber sie lässt sich weder logisch noch moralisch in „Handle nur so, dass du auch Menschen zum Handeln bringen kannst, die deine Werte nicht teilen“ umwandeln. Die einen Pazifisten räumen ein, dass sie sich nicht an den Maßstäben anderer messen lassen können (und bestehen darauf, dass sie das auch nicht müssen), und machen keine Anstalten, ihre Moral in fremden Begriffen zu loben. Andere (siehe King-Hall 1958; Boserup 1975; Sharp 1985; Friesen 1986) weigern sich, ihre Haltung mit den Werten ihrer Nachbarn zu be­gründen, und nehmen die Herausforderung an.

Ein anderes, weniger abstraktes Argument konzentriert die ethischen Überlegungen auf das Abwägen offensichtlicher Konsequenzen; der Pazifismus wird wegen der massiven Konflikte zwischen Gesellschaften, die nur durch Krieg entschieden werden können, abgelehnt.

Im besten Fall (d.h. wenn die Berechnung der Folgen ehrlich und die Mittel legitim sind) ist dies die Tradition des gerechten Krieges. Im Zeitalter Niebuhrs war sie überzeugend, aber sei­ther hat ihre Selbstverständlichkeit im Nachhinein an Glanz verloren: (a) der Zweite Welt­krieg rettete kein jüdisches Leben; (b) der Zweite Weltkrieg überließ Osteuropa dem Totali­tarismus; (c) Hitlers Sieger rechtfertigten in den folgenden Jahrzehnten imperialistische Kriege (am auffälligsten Vietnam) mit derselben Rhetorik, die sie gegen den Nationalsozialis­mus verwendet hatten. Das Argument des geringeren Übels verlor sogar noch mehr an Selbstverständlichkeit, als klar wurde, dass die Zerstörung, für die unsere Waffen konzipiert sind, massiv unverhältnismäßig und unkontrollierbar sein würde.

Die Form, in der „der Einsatz“ so einfach argumentiert werden kann, ist nun nicht mehr der internationale Konflikt, sondern die „Befreiung“, d.h. der Kampf gegen repressive Regime. Das Argument erscheint selbstverständlich, solange man „Freiheit“ einfach definiert und ihr einen unangemessenen Wert zuschreibt. Es ist jedoch äußerst schwierig, die Logik des gerechten Krieges tatsächlich so anzupassen, dass sie einen „wahrscheinlichen Erfolg“ ver­spricht, und es ist logisch unmöglich, eine „legitime Autorität“ nachzuweisen. Auch hierauf reagieren die Pazifisten auf zwei Arten.

1. Die eher „spirituelle“ Antwort im Erbe von Gandhi, Helder Camara und Dorothy Day besteht darin, den Konsequentialismus der „Befreiungs“-Rhetorik in eine tiefe Vision der Einheit von Zweck und Mittel zu verwickeln. Die Mittel gehören zum Zweck wie die Eichel zur Eiche. Das Argument, dass böse Mittel guten Zwecken dienen könnten, dass der Krieg dem Frieden dienen könnte, kann in bestimmten, weit entfernten Fällen konstruiert werden, aber auf lange Sicht und im Durchschnitt, was der einzige Weg ist, moralisch zu argumentieren, kann es nicht bestehen. Die selbstkritische Behauptung des Gegenteils ist naiv gegenüber den Tatsachen, auf die sie sich beruft, und gegenüber ihrer Fähigkeit, die bösen Mittel, auf die sie zurückgreift, gerecht zu regieren.

2. Die andere Schule (siehe Sharp 1985) widerlegt die stillschweigende Annahme des Just-War-Gedankens, dass gewaltsame Mittel wirksam sind und dass es keine wirksamen gewaltfreien Mittel gibt. Die jüngsten Erfahrungen sind weit über das frühe Versprechen der Erfahrungen von Gandhi und King hinausgegangen und haben gezeigt, dass der Widerstand der Bevölkerung in der Lage ist, unannehmbare Regime zu stürzen. Parallele Entwicklungen in der Politikwissenschaft erklären, dass dies keine Überraschung sein sollte.

„Frieden“ ist nicht genug. Auf beiden Seiten des Gesprächs stößt man auf das Diktum „Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg“. Der Verfechter des gerechten Krieges meint damit, dass in manchen Fällen ein tatsächlicher Krieg den höchsten Werten der Gerechtigkeit näher kommt als die Aufrechterhaltung einer ruhigen, aber ungerechten Situation. Der Pazifist hingegen betrachtet den Verzicht auf Krieg nicht als die letzte moralische Pflicht, sondern lediglich als eine Voraussetzung für die anderen Bestandteile der gerechten Ordnung des Schalom. Die Abwesenheit von Krieg ist keine Garantie für Gerechtigkeit, aber die Anwesen­heit von Krieg macht sie unmöglich.

Die Überprüfung dieser typischen Pro-Kriegs-Argumente macht es möglich, den Rest der Anti-Kriegs-Argumente neu zu fokussieren.

Die oben genannten Pro-Kriegs-Argumente gehen von Annahmen aus, die durch die eu­ropäische Geschichte seit dem vierten Jahrhundert bedingt sind. Sie gehen davon aus, dass die nationale Gemeinschaft, vertreten durch ihren Herrscher, der primäre Träger moralischer Werte ist. Diese „konstantinische“ Vision muss sowohl praktisch als auch theologisch in Frage gestellt werden. Der Pazifist bekennt sich sowohl zu einer kleineren menschlichen Ge­meinschaft (die durch bestimmte, nicht erzwungene Werte definiert ist) als auch zu einer größeren (die den Feind einschließt und die Unterlegenen begünstigt).

Die oben genannten Pro-Kriegs-Argumente gehen davon aus, dass sich moralische und politische Werte kasuistisch auf Testfälle, Zwickmühlen und harte Kosten-Nutzen-Abwägungen konzentrieren. Dies stellt sowohl die politische Realität als auch den moralischen Diskurs falsch dar, der nicht punktuell ist. Die moralische Realität erstreckt sich über einen längeren Zeitraum (sie umfasst Vergangenheit und Zukunft in einem Erzählstrang). Sie ist tief (sie besteht aus Dispositionen und Tugenden). Sie hat Breite (sie umfasst Gemein­schaften und Bündnisse). Die kasuistische Reduktion auf das geringere Übel ist absichtlich blind für den größten Teil des moralischen Universums.

Die Argumentation der Kriegsbefürworter stellt die politische Realität falsch dar, indem sie das ideale Schema des gerechten Krieges verwendet, das nicht dem entspricht, was Politiker und Soldaten wirklich tun. Ein großer Teil des militärischen Denkens ist „realistisch“ in dem Sinne, dass es keine moralische Verpflichtung jenseits des nationalen Interesses und keine Beschränkung auf das, was zum Sieg nötig ist, anerkennt. Vieles ist „kreuzzüglerisch (crusading)“ in dem Sinne, dass die Teilnehmer glauben, dass Gott besonders auf ihrer Seite ist und dass ihre Gegner nicht den gleichen Status wie Menschen haben. Vieles ist in der Tat „machohaft“ in dem Sinne, dass der Gegner zu einem Mittel wird, um die eigene Männlichkeit zu beweisen. Viele, die sich der Sprache des „gerechten Krieges“ bedienen, ziehen nicht ernsthaft in Erwägung, die Grenzen zu respektieren, die dieser Begriff auferlegt (Verzicht auf illegitime Mittel, Friedensklage, wenn ein Sieg mit legalen Mitteln unmöglich ist, Verfolgung von Kriegsverbrechen, Respektierung selektiver Einwände). Diejenigen, die für die Option des gerechten Krieges eintreten, sind meist keine Militaristen, sondern Intellektuelle, die den mor­alischen Anspruch des Pazifismus für zu einfach halten.

Literatur

American Friends Service Committee (1982) In Place of War: An Inquiry into Non-Violent National Defense, New York: Grossman.

Bainton, Roland (1961) Christian Attitudes Toward War and Peace, Nashville, TN: Abing­don.

Boserup, Anders und Mack, Andrew (1975) War Without Weapons, New York: Schocken.

Brock, Peter (1960) Pacifism in the United States from the Colonial Era to the First World War, Princeton, NJ: Princeton University Press.

— (1972) Pacifism in Europa to 1914, Princeton, NJ: Princeton University Press.

— (1991) Freedom from War; Nonsectarian Pacifism 1814-1914, Toronto: University of To­ronto Press.

Friesen, Duane (198b) Christian Peacemaking and International Conflict: A Realist Pacifist Perspective, Scottdale, PA: Herald Press.

King-Hall, Stephen (1958) Defense in a Nuclear Age, Nyack, MT: Fellowship.

Nuttall, Geoffrey (1958) Christian Pacifism in History, Oxford: Blackwell.

Sharp, Gene (1985) Making Europe Unconquerable: A Civilian-Based Deterrence and Defense System, London: Taylor & Francis.

Yoder, John H. (1985) When War Is Unjust, Minneapolis, MN: Augsburg.

Quelle: Andrew Linzey/Paul A. B. Clarke (Hrsg.), Dictionary of Ethics, Theology and Soci­ety, London-New York: Routledge, 1996, S. 625-628.

Hier der Text als pdf.

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