Hans Ehrenberg, „Ihr seid teuer erkauft.“ Geleitwort zu Karl Barths Tambacher Rede (1919): „Unter den Schweizer Vorträgen in Tambach machte den stärksten Eindruck die Rede von Karl Barth: Christ in der Gesellschaft; und alle, Gleichdenkende wie Gesinnungsgegner, hatten den einen Wunsch, die ge­sprochenen Worte auch im Buche zu besitzen. Da konnte ich nun Karl Barch um seine Rede bitten für unseren Patmoskreis. Und er gab sie mir, denn zwischen uns hatte in Tambach ein Etwas gesprochen, das nicht lügt. Und ich darf auch annehmen, dass es ihm von großem Werte ist, vor die deutsche Öffentlichkeit in einem Kreise von Gesinnungsfreunden zu erscheinen; denn die Schweizer empfinden ja doch das ganze Land ihrer Sprache als ihre Mutter Erde.“

„Ihr seid teuer erkauft.“ Geleitwort zu Karl Barths Tambacher Rede

Von Hans Ehrenberg

Ihr seid teuer erkauft.
1. Korinther 6,20.

Wir sind nicht unsere eigenen Herren! wir leben nicht von unserem eigenen Besitztum! Knechte des Lebens oder Diener des Höchsten! nur zwischen diesen haben wir zu wählen. Wie es auch sei, wir sind verkauft! Jedoch an wen sind wir durch den Kauf übergeben? an Gott oder an unser eigen Leben? Das Leben gibt uns keinen Preis, aber Gott zahlt; wer Ihm verkauft ist, erhält den Kauf­preis: Christus! Durch das Blut der Passion am Kreuze sind wir in das Eigentum des göttlichen Kaufherrn über­gegangen, der Christi und unser Vater ist.

„Darum so preiset Gott an euerm Leibe und in euerm Geiste, welche sind Gottes“, fährt der Apostel fort; es ist kein Unterschied zwischen Leib und Geist, sie sind beide in eins verkauft, denn wir sind als ein einiges Wesen geschaffen.

Wie ist die irdische Geschichte doch stets voll der Gleichnisse zur himmlischen! Mit Gleichnissen holt die väterliche Hand des Schöpfers die Söhne zurück aus der Fremde in Sein Haus, unsere Heimat. So ist es uns auch wieder in der Gegenwart ergangen. Wir waren aus dem väterlichen Hause ausgebrochen, gleich aufrührerischen Sklaven; da schuf uns Gott ein Gleichnis durch unser Blut. Denn einen teuern Preis wahrlich ließ er uns zahlen, und tat er es nicht, um uns erneut zu kaufen? Es ist anders als damals vor zwei Jahrtausenden: jetzt müssen wir selber zahlen, um in Gottes Hand zurückzukehren. Wohl können wir das geflossene Blut unseres Volkes in die Körper nicht zurückrufen; aber wir vermögen ihm einen neuen Leib zu erwirken, in dem es wieder Kraft und Leben geben wird.

Die Frucht des Opfers wächst noch nicht im Ge­opferten, sondern erst in seinen Erben, die wir Ver­schonte, obschon Miterleber des Opfers sind. In ihnen kann auch aus sündigem Blute Auferstehung erstehen, denn Christus hat uns von dem unerfüllbaren Muß der Sündenlosigkeit befreit.

So aber müssen wir uns auch wahrhaft dahingeben. Ob jetzt nur einige, die in diesem Jahre bereits so leben dursten, als wären sie durch das Blut Erkaufte, ob bald mehr, ob in Wahrheit alle, wir haben unser Eigen ver­loren und sind ewig in die Hand des Kaufherrn über­gegangen. Unser Glück aber steht noch unter dem Drucke eines Wissens, das uns sagt: wir hätten die Heimat bei Gott durch das Blut der einen, durch das Elend der anderen errungen; und wir sind mit dem Ja, das Gott zu uns redet, noch dem Nein mitüberantwortet, das so viele Jahre gesprochen hat.

In diese Erinnerung, die uns schwach macht, kam nun eine Stimme von Brüdern zu uns, die uns gestärkt hat. Ich muß es dem Leser erzählen: es war in dem Thüringschen Städtchen Tambach, wo Schweizer Freunde zu uns Deutschen sprachen. Wir waren zusammengekommen, Pfarrer und Laien der evangelischen Kirchen, um uns über die religiösen und sozialen Fragen unserer Zeit zu be­sprechen. Während wir Deutsche nun noch im Tumult unserer Gefühle und unter dem Druck unserer Erlebnisse waren, konnten die Schweizer aus einem ruhigeren Inneren heraus sich auftun und zu uns reden. Nicht ja gleich uns waren sie dem Nein jener Jahre überantwortet; sie waren nicht gleich uns wie schlechte Knechte ausgebrochen; sie haben den Verkauf ihres Blutes nicht gleich uns er­fahren; so sind sie allerdings auch nur Mit-Verkaufte, und wir möchten uns mehr dünken als sie, die weniger gelitten haben. Aber es traf uns das Umgekehrte; wer überhaupt mißt mit Maßen des Leidens?! der Mensch sicherlich nicht! Und wir erfuhren, daß sie sind wie wir und uns sogar zu Helfern berufen. Wir wollen nicht sagen, daß sie weiter seien als wir; liegt doch in dem Erlebnis des Nern eine furchtbare Gewalt; sie tobt in uns und läßt uns nicht los; sie vernichtet uns, auf daß wir wiedergeboren werden. So sind jene, unsere Schweizer Freunde, nicht weiter, denn Gottes Ja ist immer einunddasselbe. Jedoch ward es ihnen wohl leichter gemacht, und so konnten sie uns stützen, was wir ihnen nicht zurückzugeben vermochten. So wurden sie uns zu Helfern in der Not, sie verkürzten unseren weiteren Leidensweg — Gott gab ihnen und uns dieses Geschenk. And wir danken ihnen, nicht um sie zu Selbstüberhebung zu verlocken; denn Gott pachtet uns, nicht wir ihn, und nur dadurch gehören wir ihm an. Aber unserem Danke sollen sie sich daher auch nicht verweigern.

Unter den Schweizer Vorträgen in Tambach machte den stärksten Eindruck die Rede von Karl Barth: Christ in der Gesellschaft; und alle, Gleichdenkende wie Gesinnungsgegner, hatten den einen Wunsch, die ge­sprochenen Worte auch im Buche zu besitzen. Da konnte ich nun Karl Barch um seine Rede bitten für unseren Patmoskreis. Und er gab sie mir, denn zwischen uns hatte in Tambach ein Etwas gesprochen, das nicht lügt. Und ich darf auch annehmen, daß es ihm von großem Werte ist, vor die deutsche Öffentlichkeit in einem Kreise von Gesinnungsfreunden zu erscheinen; denn die Schweizer empfinden ja doch das ganze Land ihrer Sprache als ihre Mutter Erde.

Und wir erfahren es: dieser ist nicht wie wir teuer erkauft; und doch ist er unser! Für ihn ist kein Blut der Seinen geflossen, kein Elend und Jammern in den Häusern gewesen. Und doch war auch er ein Mit-leidender der modernen Schädelstätte! Die Miterkauften sind hinter den Erkauften nicht zurückgeblieben; fast müssen wir das Um­gekehrte vermeinen. So sollen wir uns unseres Leidens nie rühmen: nicht wir haben uns eingekauft; wir sind nicht Käufer, sondern Verkaufte; wir sind kein Leidensheld, kein zweiter Christus; Versuchung, weiche von unserem Herzen! Wir hüben keinen Vorzug vor anderen; sie sind alle Gottes! Aber wir leben in unserem Schicksal die anderen in ihrem; wir sind alle erkauft; uns aber ist auch unser Blut geflossen; so harret unser die schwerste Prüfung, unser Geschick, in dem Gott zürnend zu uns gesprochen hat, mit unseren Brüdern, zu denen Gott nicht, mit der gleichen Stimme geredet hüt, zu vereinen. Unser Schicksal zwingt uns in Demut zu sagen: „Wir sind teuer erkauft!“ jedoch in diesem Worte von uns selbst ver­schwinden wir auch bereits, da sterben wir wirklich, da haben wir auch unser Leiden dahingegeben, daß wir es nicht voll Geiz als Letztes, das wir besitzen, festhalten; da sind wir ohne unser Leiden, da sind wir sogar rein und sauber von dem Blut, das für uns geflossen ist, da ist nur noch übrig: Gott zu preisen an unserem Leibe und unserem Geiste, denn sie sind Gottes!

Heidelberg,
im November 1919.               Hans Ehrenberg

Quelle: Karl Barth, Der Christ in der Gesellschaft. Eine Tambacher Rede, Würzburg: Patmos, 1920, S. III-VI.

Hier die Druckfassung von 1920 als pdf.

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