Martin Luther, Widmungsschreiben bezüglich der Weihnachtspostille an den Grafen von Mansfeld (1521): „Darum soll Euer Gnaden nochmals an das Evangelium denken, das alles verkehrt und umdreht. Was die Welt für Schande hält, ist Ehre, und was sie für Ehre hält, ist Schande. Die, die verbrennen, sind des Feuers wert – und die, die verbrannt werden, sind des Gerichts würdig. Sie werden am Jüngsten Tag den Richterstuhl besitzen. Dann wird offenbar werden, was der Prophet im Psalm 18 (V. 27) sagt: ‚Mit dem Verkehrten verkehrt sich auch Gott.‘ Wenn sie also verkehrt und ungerecht richten, wird Gott mit Recht verkehrt handeln.“

Widmungsschreiben bezüglich der Weihnachtspostille an den Grafen von Mansfeld (1521)

Von Martin Luther

Jesus. 1522

An den edlen und hochgeborenen Herrn, Herrn Albrecht, Grafen von Mansfeld, Herrn zu Schrappel und Helderungen usw., meinem gnädigen Herrn. Martin Luther.

Gnade und Frieden von Gott. Amen.

Der heilige König David, als er den Erben seines Königsthrons bestimmen wollte, ordnete es so, dass unter seinen Söhnen der Jüngste allein das ganze Reich besitzen sollte. So sollte das Königtum Israels einig und ungeteilt bleiben (1 Kön 1,30 ff). Und wenn der Stamm dieses jüngsten Sohnes ausstürbe, sollte der nächste jüngere Bruder an seine Stelle treten. So machte David seinen jüngsten Sohn Salomo zum König vor allen anderen. Das Reich blieb in Salomos Linie (2 Kön 11,1 ff) bis König Joas. Zu dessen Zeit versuchte die wütende Königin Atalja, nach dem Tod ihres Sohnes Ahasja (aus Salomos Linie), das ganze Haus Davids auszurotten. Doch Gott bewahrte auf wunderbare Weise ein einziges Fünkchen: Joas – aus dem Stamm Nathans, Salomos jüngerem Bruder (2 Sam 5,14; Lk 3,31) –, um Christi willen, der ja als Nachkomme Davids im Fleisch verheißen war (2 Sam 7,12 ff).

Obwohl diese Ordnung gegen das mosaische Gesetz zu verstoßen scheint, das dem Erstgeborenen das Vorrecht und doppelten Erbteil gewährt (5 Mose 21,15-17), widersprach sie ihm nicht wirklich. Denn Davids erster Sohn Amnon war schon von seinem Bruder Absalom getötet worden (2 Sam 13,1 ff). Diese Unruhen unter seinen Kindern veranlassten David zu jener Ordnung – vor allem aber, um ein Bild für Christus zu schaffen: den wahren Salomo, der unter allen Kindern Gottes der Jüngste und Kleinste ist. Wie er selbst sagt (Mt 11,11): „Unter allen, die von einer Frau geboren sind, ist kein Größerer aufgestanden als Johannes der Täufer; aber der Kleinste im Himmelreich ist größer als er.“ Dieser Kleinste ist allein Christus.

Niemand wurde je so tief erniedrigt oder hat sich selbst so sehr klein gemacht wie Christus (Mt 11,29). Deshalb konnte nur er sagen: „Lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig.“ Kein Heiliger konnte je solche Worte von sich sagen, und keiner kann ihm in Demut und Sanftmut gleichkommen. Sie alle bleiben Schüler unter diesem Meister. Auch Paulus sagte zu den Korinthern: „Folgt mir nach“ – und fügte sogleich hinzu: „wie ich Christus nachfolge“, um klarzumachen, dass er nicht sich selbst, sondern Christus in sich zum Vorbild nimmt.

Deshalb ist Christus nun auch erhöht und zum König über alle seine Brüder gesetzt – das sind wir und alle Christen. Wie es im Psalm 45 heißt: „Dein Gott hat dich gesalbt über deine Gefährten.“ So ist das Bild Salomos in Christus erfüllt, ja nicht nur erfüllt, sondern uns auch als Beispiel gegeben. Überall soll uns das Hauptstück der evangelischen Lehre vor Augen stehen: „Wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht“ (Mt 23,12; Lk 14,11), und: „Wer unter euch der Größte sein will, der sei euer Diener“ (Lk 9,48).

Das Evangelium ist nichts anderes als die Geschichte des geringsten Sohnes Gottes und seiner Erniedrigung. Wie Paulus schreibt (1 Kor 2,2): „Ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als Jesus Christus, und zwar als den Gekreuzigten.“

All das, gnädiger Herr, habe ich deshalb vorangestellt, weil ich mir vorgenommen habe, dieses Buch einem Herrn meines Heimatlandes zu widmen. Es mag daher nicht als ungewöhnlich gelten, dass ich es nicht dem ältesten, sondern dem jüngsten aus dem Stamm widme – sowohl dem Inhalt als auch der Gestalt dieses Buches entsprechend. Denn in diesem Buch wird stets das Kleinste und Jüngste hervorgehoben. Deshalb wollte ich die Widmung ebenso gestalten und es nicht als störend empfinden, sondern im Gegenteil dem Evangelium damit ein kleines Werk zur Seite stellen.

Da die Großen dieser Welt sich oft in ihrer Größe und Ehre sonnen, ist es umso nötiger, sie ab und zu an die evangelische Lehre von Demut und Erniedrigung zu erinnern – auch wenn sie wie wir alle nichts anderes schulden, als auf diese Lehre zu hören.

Auch hätte ich mich als Landeskind längst gegenüber Eurer Gnaden zeigen sollen. Doch das Evangelium selbst kam mir dazwischen und sagt, ungeachtet des menschlichen Rechts und Ansehens: „Die Letzten werden die Ersten sein, und die Ersten die Letzten“ (Mt 19,30). Ich wollte auch den Missgönnern keinen Anlass geben zu lästern, als ginge es mir um meine eigene oder meiner Leute Ehre. Denn ich bringe das ernsthafte Evangelium, das nicht duldet, dass man sich selbst sucht, sondern – wie gesagt – sich selbst verleugnet und gering achtet.

Und dass diese ganze Vorrede dem Evangelium angemessen ist, zeigt sich schon darin, dass der Verfasser (ich) selbst eine verachtete und verdammte Person ist. Durch Gottes Gnade bin ich unter dem Bann des Papstes und in Ungnade bei den höchsten Herren. Dazu verflucht und gehasst von seinen lieben Jüngern. So hoffe ich, dass es mir nicht übel zu stehen kommt, wenn ich dieses kleine, verachtete Büchlein vom Evangelium des geringsten Kindes Gottes behandle und die großen, stolzen Bücher des dreifach gekrönten römischen Königs beiseitelasse. Denn obwohl alle hohen Schulen, Stifte und Klöster an der dreifachen Krone hängen und das Evangelium – das kleinste Buch – links liegen lassen, so zwingt mich die Not, dass wenigstens einer sich des verachteten Buches vom Sohn Gottes annimmt – ob es ihm nun gelingt oder nicht. Ganz misslingen kann es ja nicht.

Euer Gnaden hat die päpstliche Bulle aus Rom und das Pariser Urteil gesehen, zweifellos von Gott besonders zugelassen, damit die Welt sehe, wie sehr die Wahrheit ihre Feinde mit deren eigenen Worten und Werken beschämt. Ich hätte mir nicht gewünscht, dass sie sich so schändlich und töricht machen – aber ich kann es um der Wahrheit willen gut ertragen. So erfüllt sich das Sprichwort, das nahe beim Evangelium liegt: „Die Gelehrten, die Verkehrten.“

Das Evangelium will ans Licht bringen, dass die Weisen Narren sind und die Narren Weise; dass die, die man Ketzer nennt, Christen sind – und die, die sich Christen nennen, Ketzer sind.

Ich sage das, gnädiger Herr, weil ich vermute, dass Ihr meinetwegen auch etwas Spott und Hohn werdet ertragen müssen – etwa von den hochgelehrten, klugen Jüngern des Papstes, die sagen werden, ich sei eine Schande und Unehre für Eure Herrschaft, ein kleiner, evangelischer, verachteter Aschenprophet. Denn so suchen die „Heiligen“ nur nach einem Grund zum Lästerwort. Sogar über die frommen, unschuldigen Leute in Sangerhausen konnten sie sich nicht enthalten zu schmähen – obwohl doch noch gar nicht feststeht, ob Kunz der Schmied oder der graue Sperling der schlimmere Ketzer oder gar eine Katze ist.

Johannes Hus, Hieronymus von Prag und viele andere sind in deutschen Landen verbrannt worden – aber bis heute nicht überwunden. Es gibt eine alte Prophezeiung vom Antichrist, dass er die Christen mit Feuer verbrennen werde. Sie muss sich erfüllen.

Darum soll Euer Gnaden nochmals an das Evangelium denken, das alles verkehrt und umdreht. Was die Welt für Schande hält, ist Ehre, und was sie für Ehre hält, ist Schande. Die, die verbrennen, sind des Feuers wert – und die, die verbrannt werden, sind des Gerichts würdig. Sie werden am Jüngsten Tag den Richterstuhl besitzen. Dann wird offenbar werden, was der Prophet im Psalm 18 (V. 27) sagt: „Mit dem Verkehrten verkehrt sich auch Gott.“ Wenn sie also verkehrt und ungerecht richten, wird Gott mit Recht verkehrt handeln.

Hiermit empfehle ich Eure Gnaden und Eure ganze Herrschaft samt allen Liebhabern des Evangeliums in Gottes Gnade, der sie vor menschlicher Lehre gnädiglich bewahren und in der göttlichen Wahrheit festhalten möge im freien christlichen Glauben. Amen.

Was ich sonst noch zur Vorrede sagen wollte, um den Brief nicht zu lang zu machen, habe ich in der folgenden Belehrung niedergeschrieben. Eure Gnaden wolle meine arme Darbietung nicht nach ihrem Wert, sondern aus Gunst annehmen.

Gegeben in der Wüste am Tag der heiligen Elisabeth, 1521.

Quelle: WA 10-I-1, S. 1-8.

Hier der Text als pdf.

Hinterlasse einen Kommentar