Georg Frölich anonym verfasste Gutachten „Ob eine weltliche Obrigkeit das Recht habe, in des Glaubens Sachen mit dem Schwert zu handeln“ war ein Gutachten, dass dieser als Kanzleischreiber im März 1530 für die Reichsstadt Nürnberg erstellt hatte. In ihr argumentiert Frölich konsequent mit der Zwei-Reiche-Lehre, so dass diese Schrift als erstes reformatorisches Plädoyer für eine umfassende staatliche Religionstoleranz gelten kann. Man hat sich im reformatorischen Lager in Nürnberg damit schwer getan, wie das von Lazarus Spengler bestellte Gegengutachten von Johannes Brenz zeigt:
Von Johannes Brenz
Zuerst ist es die Wahrheit, dass das Neue Testament von zwei verschiedenen Reichen auf Erden spricht, nämlich von einem geistlichen und von einem weltlichen Reich.
Ebenso ist es wahr, dass jedes Reich seinen eigenen König, sein Zepter, Ziel und Ende auf unterschiedliche Weise hat, wie es im Verzeichnis vorgetragen wurde.
Drittens ist es auch wahr, dass es der weltlichen Obrigkeit nicht zusteht, den rechten Glauben mit Gewalt zu beschützen oder den Unglauben mit Gewalt zu vertreiben oder zu bestrafen.
Aber hier liegt das Problem: Der Verfasser des Verzeichnisses macht keinen Unterschied zwischen Glaube und Unglaube und zwischen den äußeren Werken und Taten, die aus Glaube oder Unglaube folgen. Ja, er vermischt diese beiden Dinge und schließt daraus: Weil die weltliche Obrigkeit keine Gewalt hat, den Unglauben zu bestrafen, habe sie auch kein Recht, die Werke oder äußeren Handlungen dieses Unglaubens zu bestrafen oder zu verhindern. Diesen Schluss zieht er aus seinen Worten, in denen er meint, jede weltliche Obrigkeit sei ihrem Gewissen nach verpflichtet, jede Sekte oder Glaubensrichtung – ob wahr oder falsch – in ihrem Gebiet öffentlich zu dulden und friedlich zu behandeln.
Nun aber sind diese beiden Dinge – rechter oder falscher Glaube und das öffentliche Handeln aus diesem rechten oder falschen Glauben – sehr verschieden voneinander. Wenn man sie gut voneinander unterscheidet, lässt sich klar aufzeigen, was die weltliche Obrigkeit mit gutem Gewissen verhindern oder unterbinden darf.
Erstens geschieht der Glaube – ob recht oder unrecht – im Herzen. Und weil die weltliche Obrigkeit kein Herr oder Meister über das Herz und Gewissen der Menschen ist, steht es ihr in keiner Weise zu, den falschen Glauben im Herzen oder im Gewissen zu bestrafen oder mit Gewalt zu unterdrücken. Das ist bei allen Rechtgelehrten bekannt.
Danach bringt dieser Glaube ein äußeres Bekenntnis mit sich, das mit dem Mund geschieht. Und dieses Bekenntnis, solange es persönlich bleibt und nur das eigene Herz und Gemüt einer Person für sich selbst ausdrückt und offenbart, ohne andere zu lehren oder zusammenzurufen, untersteht ebenfalls nicht der Gewalt der weltlichen Obrigkeit. Ebenso wie der Glaube des Herzens soll auch das persönliche mündliche Bekenntnis vor ihrer Gewalt frei und sicher sein. Das nennt man eigentlich „Glaubenssache“, die von keiner weltlichen Gewalt beherrscht werden darf. Denn obwohl das Bekenntnis des Mundes eine äußere, öffentliche Handlung ist, ist es so eng mit dem Herzensglauben verbunden, dass beides als eines gezählt wird. Wenn man also sagt, der Glaube solle frei sein, versteht man allgemein darunter auch das Bekenntnis dieses Glaubens.
Aber wenn es nicht beim Glauben im Herzen und beim persönlichen mündlichen Bekenntnis bleibt, sondern so weit geht, dass man sich versammelt – sei es öffentlich oder heimlich –, ein neues Lehramt aufrichtet und beginnt zu lehren, dann beginnt es, Sache der weltlichen Obrigkeit zu werden, sich in solches Handeln einzumischen. Dann kann sie solche Versammlungen und Lehrämter fördern, wenn sie nützlich und friedlich erscheinen, oder sie verhindern, wenn sie aus triftigen Gründen als schädlich und unfriedlich erkannt werden.
Dies will ich mit Gottes Hilfe beweisen: Erstens aus dem Alten Testament (wie das Alte auch dem Neuen dient, wird später gezeigt), danach aus dem Neuen Testament. Drittens aus den eigenen Worten und der Meinung des Verfassers des Verzeichnisses, und außerdem aus anderen gewichtigen Gründen, wie sie sich dem allgemeinen Verstand nach ergeben.
Im fünften Buch Mose, Kapitel 13 (Verse 2, 3, 6) steht geschrieben:
Wenn ein Prophet oder Träumer in deiner Mitte aufsteht und dir ein Zeichen gibt usw. und sagt: „Lasst uns anderen Göttern nachfolgen und ihnen dienen“, so soll der Prophet sterben, damit du das Böse aus deiner Mitte entfernst.
In diesem Gesetz ist zunächst zu beachten, dass nicht der falsche Glaube oder das einfache persönliche Bekenntnis bestraft wird, sondern das Lehr- oder Predigtamt des falschen Glaubens. Denn das Gesetz sagt nicht: Wer falsch glaubt, sondern: Wenn ein Prophet sagt: „Lasst uns anderen Göttern nachfolgen.“ Daraus ergibt sich, dass der falsche Glaube unter den Juden unbestraft geblieben ist, aber das Lehr- oder Predigtamt des falschen Glaubens bestraft wurde.
Zum Zweiten ist es gewiss, dass die Ausführung und Durchführung dieses Gesetzes bei den Juden den Königen bzw. der weltlichen Obrigkeit anvertraut war. Denn wenn bei ihnen ein König gewählt und gesalbt wurde, so wurde ihm dieses fünfte Buch Mose, in dem das oben genannte Gesetz enthalten ist, von den Leviten in die Hand gegeben, damit er nach dessen Lehre und Satzung das Königreich regiere (vgl. 5. Mose 17,18 ff.).
Nun sagt man aber: Das Alte Testament bindet heute keinen Menschen mehr, und wenn man sich in einem Punkt daran halte, könne man sich dem Rest nicht mehr entziehen. Das ist wahr und gewiss: Das Alte Testament ist aus sich heraus nicht mehr bindend oder verpflichtend. Dennoch, wie Paulus in 2. Timotheus 3,16 bezeugt, ist jede Schrift des Alten Testaments von Gott eingegeben und nützlich zur Lehre, zur Ermahnung, zur Besserung und zur Zurechtweisung in Gerechtigkeit. Paulus selbst gebraucht viele Aussagen des Alten Testaments zu Lehrzwecken, zum Beispiel in 1. Korinther 9, wo er lehrt, dass man die Apostel mit Nahrung versorgen soll und dass sie das Recht haben, von ihrer Amtsausübung auch materiellen Unterhalt zu nehmen. Dies belegt er unter anderem mit dem Gesetz Mose in 5. Mose 25,4: „Du sollst dem Ochsen, der da drischt, nicht das Maul verbinden.“ Hätte ihm nun jemand entgegengehalten: „Lieber Paulus, das Alte Testament bindet die Christen doch nicht mehr, wie du selbst gepredigt hast – warum also dieses Gesetz anführen?“, hätte Paulus sicher geantwortet: „Ich weiß wohl, dass das Alte Testament niemanden mehr wörtlich bindet, aber niemand kann mir verbieten, daraus zur Lehre und Unterweisung etwas zu entnehmen.“
Ähnlich handelt er in 2. Korinther 13,1, wo er sagt: „Ich komme nun zum dritten Mal zu euch; durch zweier oder dreier Zeugen Mund soll jede Sache entschieden werden.“ Ist das nicht ebenfalls ein Gesetz aus 5. Mose 17,6?
Also ist es richtig: Das Gesetz, das die Tötung eines falschen Propheten fordert, verpflichtet heute keine christliche Obrigkeit mehr buchstäblich. Aber weil die Ausführung dieses Gesetzes bei den Juden aus göttlicher Ordnung der weltlichen Obrigkeit anvertraut war, kann eine christliche Obrigkeit daraus mit Recht Belehrung über ihr Amt gewinnen: nämlich, dass sie berechtigt und verpflichtet ist, geeignete und maßvolle Mittel zu suchen, um falscher, schädlicher Lehre und Gottesdienst unter ihren Untertanen entgegenzuwirken. Ebenso kann ein Prediger der Wahrheit daraus lernen, wie er auf geistliche Weise in seiner Gemeinde gegen falsche Lehre vorgehen soll. Daraus folgt: Diese Vorschrift ist Belehrung für beide Ämter – das weltliche wie das geistliche –, ja für jedermann auf seine Weise: der Obrigkeit im Sinne der äußeren Abwehr oder Bestrafung, dem Prediger im Sinne der geistlichen Zurechtweisung und Ermahnung.
Wendet aber jemand dagegen ein: Ja, daraus könnte eine weltliche Obrigkeit den Schluss ziehen, dass sie einen falschen Lehrer töten dürfe und nicht nur seine Lehre oder sein Wirken im Land verbieten müsse – was käme dann dabei heraus? Antwort: Das kann sie nicht tun. Denn wenn sie sich auf das Gesetz ausschließlich nach dem Buchstaben stützen wollte, müsste sie auch den übrigen Gesetzen des Mose folgen, wie es die Schrift im Verzeichnis aus Galater 5,3 richtig aufführt. Um also keinen Fehler zu begehen, muss sie ihre Belehrung aus der Absicht und dem Sinn des Gesetzes nehmen. Dieser Sinn ist letztlich: dem Bösen und dem Unfrieden Einhalt zu gebieten. Kann sie dies mit guten Worten tun – umso besser. Wenn es aber nur mit einem Verbot im Land möglich ist, dann soll sie auch dies tun – aber immer nur mit göttlich verantwortbaren, geeigneten Mitteln. Wenn also dem Bösen und dem Unfrieden gewehrt wird, ohne leibliche Todesstrafe – wie es oft möglich ist –, dann ist dem Sinn und Zweck des Gesetzes Genüge getan.
Danach wird dasselbe auch aus dem Neuen Testament belegt, nämlich aus 1. Timotheus 2,1–2, wo Paulus sagt: „Ich ermahne euch, dass man für alle Menschen Fürbitte halten soll – besonders für Könige und alle Obrigkeiten –, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können.“ Sieh da: Es ist Aufgabe der Obrigkeit, unter den Christen ein ruhiges und friedliches Leben zu erhalten. Nichts aber stört dieses mehr, als wenn unter ihnen falsche Lehrer und eigene Sekten entstehen. Ich höre wohl, wenn sich zwei Menschen wegen eines Pfennigs streiten, soll sich die Obrigkeit einschalten. Aber wenn sie sich öffentlich auf der Kanzel wegen des Glaubens streiten, und es nicht bei der persönlichen Meinungsverschiedenheit bleibt, sondern in der Gemeinde Unruhe und Verwirrung stiften – soll sich die Obrigkeit da nicht kümmern und mit angemessenen, nicht tyrannischen Mitteln für Frieden sorgen? Es ist wahr: Die weltliche Obrigkeit kann und soll kein Richter über die Lehren sein, aber sie soll Richter über Unfrieden und Streit sein – denn es ist ihre Aufgabe, unter den Untertanen ein ruhiges und friedliches Leben zu gewährleisten.
Ebenso wird dies durch die eigenen Worte dessen bestätigt, der das Verzeichnis verfasst hat. Denn er schreibt: „Der weltlichen Obrigkeit ist befohlen, äußeren Frevel, sofern sie ihn in Worten oder Werken erkennt, zu bestrafen.“ Ist es aber nicht ein äußerer Frevel, wenn in einer Stadt mit tausend oder zweitausend Einwohnern zehn oder zwanzig Bürger, die sich bislang friedlich in die kirchliche Ordnung fügen und sich mit dem Prediger, der rechtmäßig von der Obrigkeit berufen ist, zufrieden geben, sich nach vier oder sechs Wochen plötzlich absondern und eine eigene Versammlung gründen wollen – ja sogar gegen die Ordnung der Obrigkeit ein neues Predigtamt ins Leben rufen? Wenn ihnen der rechtmäßige Prediger nicht gefällt, können sie ja glauben, was sie wollen oder andernorts hingehen. Aber dass sie zusätzlich zu ihrem eigens erwählten Glauben auch noch eine neue Gemeindeordnung und ein eigenes Predigtamt einrichten – in einem Ort, dessen Regierung ihnen nicht anvertraut ist und in dem sie nichts öffentlich zu sagen haben – das ist ein öffentlicher Frevel. Wenn sich die Obrigkeit dem widersetzt, kann man ihr nicht vorwerfen, sie wolle über den Glauben herrschen. Jeder möge glauben und für sich selbst bekennen, was er will – das geht den weltlichen Magistrat tatsächlich nichts an. Aber wenn man eine neue Sekte oder ein Predigtamt ohne seine Erlaubnis gründet, betrifft ihn das sehr wohl.
Darauf könnte jemand einwenden: Nach dieser Logik hätten die Apostel auch nicht predigen dürfen, bis sie von der Obrigkeit dazu berufen worden wären oder deren Erlaubnis gehabt hätten. Aber sie haben ja gepredigt, ohne dazu aufgefordert zu sein, ja sogar oft gegen das ausdrückliche Verbot der Obrigkeit. Also hätten sie, nach der vorherigen Argumentation, Unrecht getan. Antwort: Es ist gewiss, dass die Apostel gegen die Ordnung der damaligen Obrigkeit gehandelt haben – daran besteht kein Zweifel. Aber die eigentliche Frage ist: Haben sie dabei tatsächlich eine strafwürdige Tat begangen? Wenn man es nach dem äußeren Anschein beurteilt, war es ein Frevel – und die heidnische oder jüdische Obrigkeit hatte nach ihrem eigenen Glauben das Recht, dem entgegenzuwirken. Ich sage nicht, dass sie das Recht hatten, einen heidnischen oder jüdischen Glauben zu haben. Vielmehr hätten sie als erstes das Recht gehabt, nach der Wahrheit zu suchen, sie zu lernen und ihr zu folgen. Aber da sie eben Heiden oder Juden waren, haben sie – nach ihrer Überzeugung – recht gehandelt, wenn sie gegen eine neue Sekte oder ein neues Predigtamt, das ihrem Glauben widersprach, vorgingen. Ich halte es für eine törichte und nachlässige Obrigkeit – gleichgültig, welchen Glauben sie vertritt –, die es aus Unachtsamkeit zulässt, dass neue Versammlungen unter ihren Untertanen entstehen, die ihrem eigenen Glauben widersprechen. Wenn sie aber mit Bedacht und Gerechtigkeit handeln will, muss sie zuerst für die rechte Erkenntnis des Glaubens sorgen und danach – soweit es ihr Amt betrifft – diesen Glauben fördern und im Frieden erhalten.
Was nun das Handeln der Apostel betrifft, so ist es wahr, dass sie gegen die Obrigkeit einen Frevel begangen haben. Aber das war kein beliebiger oder sündhafter, strafwürdiger Frevel. Ebenso wie Mose und Pinchas [2. Mose 2,12; 4. Mose 25,7f.] zwar einen Totschlag begangen hatten, aber darin nicht gestraft wurden, so war der „Frevel“ der Apostel keine Sünde – denn sie waren von Gott selbst zu ihrem Dienst berufen und konnten diesen Beruf durch Wunderwerke – also mit „Brief und Siegel“ – sowohl den Juden als auch den Heiden öffentlich bezeugen und beweisen. Wenn sich nun heutzutage eine Rotte oder ein Predigtamt außerhalb der geltenden Ordnung und gegen das Verbot der Obrigkeit in einem Ort erhebt und dennoch für sich das Recht beansprucht, dann sind sie verpflichtet, ihre Berufung ebenso durch öffentliche Wunder zu bestätigen. Können sie das nicht, dann ist es rechtens, ihren Frevel als sündhaft und strafbar zu beurteilen.
Sagt jemand: „Ja, nach dieser Logik begehen auch die evangelischen Prediger einen Frevel, da sie ihre Lehre nicht mit Wundern bekräftigen können.“ Antwort: Ich spreche hier nicht über die Lehre an sich – die möge für sich bestehen –, sondern über das öffentliche Predigtamt und das öffentliche oder geheime Entstehen von Rottenbildungen. Evangelische Prediger werden nämlich ordnungsgemäß von der Obrigkeit berufen und üben ihr Amt an den Orten aus, zu denen sie von der Obrigkeit gesandt wurden und wo die weltliche Obrigkeit die Versammlungen erlaubt. Daher kann man ihnen keinen Frevel vorwerfen. Und sie benötigen auch keine Wunderwerke zum Beweis ihrer Berufung, weil sie ja ihr Amt auf ordentliche Weise angetreten haben. Worauf sie jedoch achten müssen, ist, dass sie den Grund und die Ursache ihrer Lehre darlegen können.
So wie ein weltlicher Amtsträger, der von der Obrigkeit in sein Amt gesetzt wurde, keine Rechenschaft über seine Berufung ablegen muss – denn es ist bekannt, dass er ordnungsgemäß berufen wurde –, wohl aber über sein Handeln im Amt, so ist es auch mit einem Prediger, der von der Obrigkeit ordnungsgemäß berufen wurde. Wer hingegen das Predigtamt nicht ordnungsgemäß angetreten hat, der muss nicht nur für seine Lehre Rechenschaft ablegen, sondern auch für seine Berufung. Kann er Letzteres nicht, dann begeht er tatsächlich einen Frevel.
Und tatsächlich müsste man inzwischen ausreichend Erfahrung gesammelt haben, dass unordentliche Predigt, selbst wenn sie teilweise wahre Inhalte enthält, doch nichts Gutes hervorbringt. Sowohl Bauern als auch Gelehrte begannen damals ohne Berufung oder Auftrag zu predigen – und damit nahm auch das Spiel des Bauernaufstands seinen Anfang.
Und dies wird auch von dem Verfasser des anderen Verzeichnisses anerkannt, wo er schreibt: „Wenn ein Prediger ohne Bestellung an einem Ort aufsteht und predigen will, dann soll die Obrigkeit für Frieden sorgen usw.“ – Wenn also an einem Ort keine Wiedertäufer vorhanden sind und es keinen Prediger gibt, sondern sich erst aus einigen Bürgern Gläubige der Wiedertäufer entwickeln und sie sich untereinander einen Prediger wählen: Wer wollte sagen, dass dieser Prediger ordnungsgemäß berufen sei? Denn einzelne Bürger oder Untertanen haben kein Recht, sich selbst einen Prediger zu wählen. Und wenn sie doch glauben, dieses Recht zu haben, dann sollen sie es beweisen. Können sie das nicht öffentlich belegen, soll dann nicht die ordentliche Obrigkeit die Macht haben, diesem Frevel zu wehren?
Hat sie doch auch die Macht, in einem Ort ohne bestehende Zunft keine neue Zunft entstehen zu lassen. Und sollte sie nicht auch die Macht haben, in ihrem Gebiet keine neue religiöse Rotte aufkommen zu lassen?
Ich höre wohl: Wenn es sich so verhält, dass etwa eine ganze Nachbarschaft, die gemeinsam in einer Gasse einer Stadt wohnt, plötzlich Christen wird – und innerhalb von acht Tagen alle Einwohner dieser Gasse Juden werden und sich nach jüdischem Brauch beschneiden lassen –, dann müsste die Obrigkeit ihnen folglich auch erlauben, eine eigene Synagoge zu bauen und ihnen gewähren, alle Dinge nach dem Gesetz Moses zu tun. Wer wäre so unsinnig und würde einer Obrigkeit solches raten?
Etwas anderes ist es, wenn eine Obrigkeit von Untertanen mit unterschiedlichen Glaubensrichtungen in der Weise angenommen und bestellt wird, dass sie jedem seinen Glauben und dessen Ausübung frei lässt – wie es etwa bei den Römern gegenüber den Juden oder bei Ferdinand gegenüber den Böhmen, wie man sagt, der Fall war. Auch Josua hatte den Gibeonitern Sicherheit zugesagt und musste sie ihnen halten [Josua 9], obwohl sonst befohlen war, dass alle Fremdglaubenden im Land Kanaan auszurotten seien.
Aber eine neue Sekte oder ein neues Predigtamt in ihrem Gebiet eintreten zu lassen – das kann eine Obrigkeit zwar aus bestimmten Gründen freiwillig tun, wie es etwa die Städte Worms und Frankfurt möglicherweise aus guten Gründen bei den Juden getan haben. Doch dass sie kraft ihres Amtes dazu verpflichtet wäre, das kann ich aus keinem einzigen vernünftigen Grund erkennen.
Auch in den alten Geschichtsbüchern findet man, dass unter manchen Kaisern die Ketzer neben den Katholiken geduldet wurden. Gleichzeitig aber liest man auch, dass christliche Kaiser – soweit sie der christlichen Religion anhingen – niemals Ketzergemeinden duldeten. So heißt es in der Tripartita-Historie, Buch 3, Kapitel 11:
„Die Lehre des Arius wurde zwar unter vielen durch Disputationen verbreitet, aber sie hatte sich noch nicht zu einem eigenen Volk oder unter einem bestimmten Namen gebildet. Alle gingen gemeinsam in die Kirche und empfingen das Abendmahl – mit Ausnahme der Novatianer, der sogenannten Phrygier, der Valentinianer, der Marcioniten, der Paliniten und anderer Häretiker. Gegen all diese erließ der Kaiser ein Gesetz, das ihre Versammlungsorte einzog und sie den rechtmäßigen Kirchen zuwies. Er verbot ihnen sowohl öffentliche Versammlungen als auch private Zusammenkünfte in ihren Häusern.“
Ebenso in Buch 9, Kapitel 7: „Die Kaiser Gratian, Valentinian und Theodosius erklärten: Alle Völker, die unter der Herrschaft unserer Gnade stehen, sollen in dieser Religion leben usw.“ (Diese Verordnung wurde später auch von Justinian in seinen Gesetzescodex aufgenommen unter dem Titel De summa Trinitate et de Fide Catholica.)
Ein ähnliches Dekret liest man auf kaiserlichen Befehl in Buch 9, Kapitel 10, ebenso in Kapitel 19: „Der Kaiser ordnete per Gesetz an, dass die Häretiker weder Kirchen besitzen, noch über den Glauben lehren, noch Bischöfe oder andere geistliche Amtsträger ordinieren durften. Einige sollten aus den Städten ausgewiesen, andere entehrt und vom allgemeinen Bürgerrecht ausgeschlossen werden. Er setzte sogar grausame Strafen gegen sie fest, führte diese aber nicht aus – denn er bemühte sich vielmehr, Einigkeit zu erreichen, als mit Strafen zu drohen.“
Und weiter in Kapitel 25: „Als der Kaiser die Ereignisse und Aussagen verstand und sich darüber wunderte, erließ er sofort ein Gesetz, das die Versammlungen der Häretiker verbot.“
Daraus wird deutlich: Die frommen Kaiser haben sich mit den Versammlungen der Ketzer zu ihrer Zeit ernsthaft befasst und sie verboten. Und soweit mir bekannt ist, wurde keiner dieser Kaiser je von einem gottesfürchtigen Bischof deswegen als gottlos beschimpft – was mit Sicherheit geschehen wäre, wenn man ihr Handeln für unrecht oder für ein unzulässiges Eingreifen in geistliche Dinge gehalten hätte.
Nun muss ich auch einiges zu dem sagen und entgegnen, was in dem Verzeichnis aufgeführt wurde. Zuerst heißt es da: „Es findet sich gar nicht, dass die Apostel, wenn jemand ihrer Lehre und Predigt nicht folgte, sondern einen anderen Glauben lehrte oder hielt, die weltliche Obrigkeit angerufen hätten“ usw. Das ist wahr: Die Apostel haben die weltliche Obrigkeit nicht gegen jene angerufen, die im falschen Glauben waren. Das tut auch kein christlicher Prediger. Ich will noch mehr sagen: Die Apostel haben auch keine weltliche Obrigkeit gegen Diebe oder Mörder angerufen – und ebenso wenig tut dies ein rechter Prediger. Sollte aber deshalb ein rechter Prediger der Obrigkeit nichts über sein Amt berichten oder, wenn sich ein Fall ereignet, sie nicht unterweisen dürfen, damit sie mit gutem Gewissen und ihrer Pflicht gemäß Diebe und Mörder bestrafen kann?
Ebenso, wenn es geschieht, dass eine christliche Obrigkeit – des Gewissens wegen – die Prediger fragt, ob sie mit gutem Gewissen eine selbstgewählte Versammlung oder selbstberufene Prediger, die gegen ihren Glauben predigen, in ihrem Gebiet abschaffen könne, sollte es dann heißen, die Obrigkeit werde angerufen, nur weil der befragte Prediger sie in ihrem Amt unterweist und belehrt? Paulus lehrt doch über die Obrigkeit, dass sie von Gott eingesetzt ist zur Bestrafung der Bösen und damit die Untertanen ein stilles und ruhiges Leben führen [Röm 13,4]. Sollte man ihn deshalb beschuldigen, er habe die Obrigkeit gegen seine Widersacher angerufen, die Tag und Nacht nach seinem Leben trachteten? Das sei ferne!
Demnach gibt es einen großen Unterschied zwischen:
- Die Obrigkeit über ihr Amt zu belehren,
- und sie um Hilfe und Rettung anzurufen.
Ersteres ist Aufgabe aller Prediger; das andere gehört zu den weltlichen Nöten der Untertanen.
Dass man im Neuen Testament nicht findet, dass eine Obrigkeit dafür gelobt wurde, ist nicht ausschlaggebend – denn ein Argument aus dem Schweigen der Schrift ist kein gültiger Beweis („quia locus ab auctoritate negativa non valet“). Man findet jedoch auch nicht, dass eine Obrigkeit getadelt wurde, weil sie keine Versammlung eines falschen Glaubens dulden wollte. Zudem waren zur Zeit, als das Neue Testament geschrieben wurde, die Obrigkeiten noch keine Christen – daher konnte man sie in dieser Sache weder loben noch tadeln.
Obwohl Christus in Matthäus 13 [29] sagt, man solle das Unkraut nicht ausreißen, sondern wachsen lassen, meint er damit keineswegs, dass man darüber schweigen oder untätig bleiben solle. Vielmehr setzt Christus an dieser Stelle dem apostolischen Amt eine Grenze: Er sah, dass seine Apostel immer mit Schwert und Faust handeln wollten, wie es auch in Lukas 9 [54] sichtbar wurde, als sie Feuer vom Himmel rufen wollten, um die Samariter zu verbrennen – oder als Petrus mit dem Schwert dreinschlug, als man Christus gefangen nahm. Deshalb lehrt er sie, dass ihr Amt nicht zum weltlichen Schwert gehört [Mt 26,51].
Nichtsdestotrotz gehört es zu ihrem Amt, das Unkraut gemäß ihrer Berufung auszureißen. Denn wenn dem nicht so wäre, dürfte kein Prediger je gegen Ketzerei predigen, und Paulus hätte unrecht gehabt, als er gegen die Beschneidung und andere Irrlehren geschrieben hat.
Aber heißt es denn nicht, dass man durch Predigt und Schrift das Unkraut ausreißen soll? Ja, ganz gewiss! Wie es also dem Prediger gemäß seiner Berufung zusteht, mit Gottes Wort dagegen zu wirken, so steht es auch einer weltlichen Obrigkeit zu, gemäß ihrem Amt – ja, jedem Amt gemäß seiner Zuständigkeit –, das Unkraut, soweit möglich, zu entfernen. Sonst müsste man gemäß jenem Spruch auch sagen, die Obrigkeit dürfe keine Räuber, Mörder oder Gotteslästerer bestrafen. Ist Mord kein Unkraut? Ist öffentliche Gotteslästerung kein Unkraut? Ist Ehebruch kein Unkraut? So könnte man meinen, die Obrigkeit müsse auch diese wachsen lassen bis zur Ernte und dürfte niemanden bestrafen. Daher verbietet Christus hier den Aposteln, in Ausübung ihres Amtes mit Gewalt zu handeln, erlaubt aber gleichzeitig jedem Amt, sowohl dem geistlichen als auch dem weltlichen, gemäß ihrem Auftrag zu handeln und das Unkraut, soweit möglich, auszureißen.
Denn es steht geschrieben: Christus wird in seinem Reich streiten [Jes 11,4]. Wenn man aber meint, dies heiße, dass sich niemand um das Unkraut kümmern dürfe, dann dürften die Prediger auch nicht mehr dagegen predigen, und die Christen nicht mehr dagegen beten oder zu Gott rufen. Aber Christus streitet in eben dem Moment, da die Prediger dagegen predigen und die Christen dagegen beten.
Es steht auch geschrieben, dass der allmächtige Gott im Himmel und auf Erden regiert.
So könnte einer meinen, daraus folge, dass die weltliche Obrigkeit nicht regieren solle. Das wäre ein falscher Schluss. Vielmehr, wenn die Prediger mit dem Wort Gottes gegen die Lüge kämpfen und die Obrigkeit alle Unordnung, Unzucht und Zwietracht bekämpft, dann kann man mit Recht sagen, dass Christus streitet und der allmächtige Gott durch Prediger und Obrigkeit als seine eingesetzten Werkzeuge regiert.
Dass Daniel sagt, der Antichrist werde ohne Menschenhand zerstört [Dan 2,34], ist wahr. Aber schreibt er auch, dass deshalb eine christliche Obrigkeit die Predigt oder Versammlung des Antichrists in ihrem Gebiet zulassen muss? Nein, gewiss nicht. Wenn nun eine weltliche Obrigkeit es ablehnt, ein neues Predigtamt oder eine Versammlung falschen Glaubens in ihrem Gebiet zuzulassen, so unternimmt sie es nicht, den Antichrist zu vernichten, sondern lediglich, bei ihren Untertanen einen stillen, ruhigen und einträchtigen Zustand zu bewahren [vgl. 1 Tim 2,2].
Die Juden gehören auch zum Werk des Antichrist. Und wenn der Antichrist ohne Hand zerstört werden soll, könnte man wohl folgern, dass die Obrigkeit überall Juden aufnehmen und ihnen Synagogen und Predigtämter einrichten lassen müsse. Aber wer sollte sie dazu zwingen? Es ist wahr: Die Aufnahme von Juden ist ein Werk der Barmherzigkeit. Ihnen jedoch eine eigene Synagoge und Lehramt zu gestatten, dazu kann keine Obrigkeit aus Gewissensgründen gezwungen werden.
Ferner: Wenn man aus gewissen Worten Christi, die er zu dem sprach, der wollte, dass Christus zwischen ihm und seinem Bruder das Erbe teile, oder die er zu seinen Jüngern und zu Pilatus sagte, folgert, dass die zwei Reiche (geistlich und weltlich) voneinander zu unterscheiden seien [Lk 12,13f.], so ist das richtig. Aber daraus zu schließen, dass eine weltliche Obrigkeit in ihrem Gebiet dulden müsse, dass unter ihren Untertanen – die derzeit in äußerlicher Einigkeit des Glaubens leben – eine neue Versammlung und ein Predigtamt der Sakramentierer, Wiedertäufer, Juden, Türken oder dergleichen eindringe und sich etabliere, das kann aus den oben angeführten Gründen nicht gefolgert werden.
Zudem hat eine weltliche Obrigkeit nicht nur jene Dinge zu verhindern, die von Natur aus Aufruhr erzeugen, sondern auch solche, die eine öffentliche Ärgernis und Unzucht verursachen. So z. B.: Zwei oder drei Ehefrauen zu nehmen verursacht an sich keinen Aufruhr – wie man bei den Türken sieht, die viele Ehefrauen haben, und wie man weiß, dass auch die Juden vor Christi Kommen viele Frauen hatten. Sollte deshalb eine Obrigkeit einen Mann, der zwei oder drei Ehefrauen nimmt, nicht bestrafen?
Ebenso beim Fluchen: Sätze wie „Macht und Kraft“, „Verdammt und verwundet“ – wie sie im Schwur gewöhnlich gebraucht werden – lösen auch keinen öffentlichen Aufruhr aus. Sollte dies deshalb von der Obrigkeit ungestraft bleiben?
Genauso ist es mit einem Predigtamt oder einer Versammlung eines falschen Glaubens: Auch wenn diese an sich keinen Aufruhr verursachen, so bringen sie doch unter Christen Unordnung, Verwirrung und sogar Zwietracht hervor – denn „wo der Glaube verschieden ist, kann auch das Herz nicht treu sein“. Warum also sollte es der Obrigkeit nicht zustehen, hier einzugreifen?
Dass aber derjenige, der das Verzeichnis aufgestellt hat, meint, es sei angemessen, wenn eine weltliche Obrigkeit dem Rat des Gamaliel in Apostelgeschichte 5,38–39 folge, wo er spricht: „Ist dieses Werk von Menschen, so wird es untergehen; ist es aber von Gott, so könnt ihr es nicht aufhalten“ – das wäre vielleicht ein guter, weiser und vernünftiger Rat für eine Obrigkeit, die selbst nicht weiß, in welchem Hafen die Gerste gedeiht, und was der rechte und beste Glaube sei, und die auch zu tyrannisch verfahren wollte. Denn damals, als Gamaliel dies sagte, waren die Schriftgelehrten durch die großen Wunderwerke der Apostel innerlich gezwungen, mussten selbst zweifeln und wollten allein mit Gewalt wüten und töten. Aber für eine christliche Obrigkeit, die den Glauben auf dem festen Grund der Heiligen Schrift gewiss erkennt, wäre dieser Rat zweifelhaft und sähe danach aus, als ob sie selbst noch im Glauben schwanke und nicht wüsste, wohin sie gehört.
Auch das Wort Galions in Apostelgeschichte 18,14–15 dient hier nichts, denn Gallio war ein Heide und hatte das Amt mit der Abmachung übernommen, dass er die Juden in ihren Satzungen bestehen lassen wolle. Was sich aber einer vornimmt, das ist billig, dass er es auch hält. Und so hat er weise gehandelt, indem er gemäß seinem Auftrag sich nicht mit dem Glauben und den Streitigkeiten der Juden befasst hat. Nach der Meinung des Verfassers des Verzeichnisses aber hätte er unweise gehandelt, denn in einem anderen Verzeichnis sagt er: „Wo eine Sekte einem Prediger oder Diener die Erlaubnis entzieht und dennoch derselbe sein Amt an dem Ort weiterführt und Lohn einnimmt, oder wenn ein Prediger ohne Auftrag an einem Ort auftreten und predigen will, da soll die Obrigkeit auf die Klage des Beleidigten hin eingreifen und Frieden schaffen.“ Das sind seine Worte. Nun war Paulus in Achaja von den Juden nicht zum Prediger bestellt und wurde deshalb vor die Obrigkeit verklagt, wie in Apostelgeschichte 18 berichtet wird. Aber der Landvogt Gallio wollte sich der Sache oder Klage nicht annehmen. Nach Meinung des Verfassers hätte er daher unweise gehandelt. Es ist jedoch bereits gesagt worden, dass es ein großer Unterschied ist, ob man eine neue Sekte eintreten lässt oder ob man sich entschließt, eine alte, lang bestehende Sekte im äußeren Frieden zu belassen und bei ihren überlieferten Ordnungen zu belassen.
Auch Abrahams Antwort an den reichen Mann in Lukas 16,29: „Sie haben Mose und die Propheten“, kann eine Obrigkeit gut denen gegenüber gebrauchen, die für sich selbst einen falschen Glauben haben und diesen persönlich bekennen – ja, sie kann dies auch gegenüber jenen anwenden, die wider ihr Verbot Rottenbildungen und Lehrämter gründen. Nämlich so: Wir wollen dich deines falschen Glaubens und persönlichen Bekenntnisses wegen nicht strafen, denn du hast das Wort Gottes, seine Lehrer und Prediger. Willst du diese nicht hören, so wird unsere Strafe dir ohnehin nichts helfen. Aber dass du außerhalb unseres Befehls mit anderen Leuten rottenweise neue Lehrämter gründest, das wollen wir strafen.
Und wo er weiter sagt: „Wenn eine christliche Obrigkeit auf ihrer Seite gegen den falschen Glauben handelt, dann macht sie damit den falschglaubenden Obrigkeiten Raum und Platz, auf ihrer Seite gegen den rechten Glauben zu kämpfen“ – darauf sei geantwortet: Wie oben gezeigt, wird hier erneut kein Unterschied zwischen Glauben und den äußeren Werken des Glaubens gemacht. Es ist zwar wahr, dass keine christliche Obrigkeit dem falschen Glauben oder Bekenntnis Vorschub leisten soll. Aber wie zuvor gesagt, darf sie die Rottenbildung und die neuen öffentlichen Ämter abwehren, ohne dass damit den falschglaubenden Obrigkeiten ein Raum gegeben wird, Unrecht zu tun.
Denn dieses Stück ist in die Hand der Obrigkeit gelegt – sei sie im rechten oder im falschen Glauben –, dass sie in ihrem Gebiet nach eigenem Gutdünken neue Gemeinschaften, Zünfte und Rottenbildungen dulden oder abwehren kann, und dazu ist sie nicht gezwungen. Wenn nun eine Obrigkeit einen falschen Glauben hat und die Versammlungen der Rechtgläubigen in ihrem Gebiet nicht zulassen will, so tut sie sich selbst Unrecht, wie zum Teil oben gezeigt wurde. Aber entsprechend ihrem falschen Glauben handelt sie nicht unweise oder unbillig. Sie haben, sagt Paulus, einen Eifer, aber nicht nach Erkenntnis (Röm 10,2). Ja, eine schlaffe, verruchte und träge Obrigkeit wäre es, die etwas in ihrem Gewissen für Unrecht und für nachteilig für ihre Untertanen hielte und dennoch nicht alle Mühe aufbrächte, dem Unrecht entgegenzuwirken. Gott würde ihr das auch nicht eher ungestraft durchgehen lassen als etwa dem Brennus, dem gallischen Herzog, dem es nicht ungestraft blieb, dass seine Krieger Apollon – der zwar ein Götze war, aber von ihnen als Gott verehrt wurde – schändeten, verspotteten und seinen Tempel beraubten. Denn Gott will auch in den Götzen seines Namens willen gefürchtet sein, ebenso will er auch im falschen Glauben gefürchtet sein. Und es ist eine schwere Sünde, wenn man wider das eigene Gewissen oder mutwillig in einem rechten oder unrechten Glauben handelt.
Und schließlich: Wenn dieser sagt, im Reich Christi müssten Sekten und Spaltungen sein (1 Kor 11,19), so folgt daraus nicht, dass man den Sekten und Spaltungen, soweit es jedem Amt möglich und geboten ist, keinen Einhalt gebieten solle. Waren nicht zu Korinth Sekten und Spaltungen? (1 Kor 1,10 ff.) Sieh aber zu, wie ernst Paulus dagegen auftritt und wie heftig er die Korinther dafür tadelt. Wenn sie nun absolut notwendig wären, so bräuchte niemand ihnen zu wehren – weder Prediger noch Apostel. Und wenn dieser sagt: „Warum will sich eine Obrigkeit anmaßen, mit dem Schwert etwas aus dem Reich Christi zu treiben, das nach der Schrift notwendig darin sein muss?“, so könnte man mit denselben Worten auch sagen: „Warum will sich ein Prediger anmaßen, mit dem Predigtwort etwas aus dem Reich Christi zu treiben, das die Schrift sagt, notwendig darin sein muss?“ (vgl. 1 Kor 11,19)
Aber dieser Spruch des heiligen Paulus ist so zu verstehen, dass dadurch nicht das Gebot beider Ämter – des geistlichen wie des weltlichen – aufgehoben wird. Ja, den Sekten und Spaltungen soll gewehrt werden, wer immer das kann: Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen (Mt 5,9). Sondern Paulus zeigt mit diesem Wort, was aus der Herrschaft des Teufels hervorgeht. Denn weil der Satan der Fürst dieser Welt ist und wie ein brüllender Löwe umhergeht, suchend, wen er verschlingen könne (1 Petr 5,8), so müssen wohl Zwietracht und Spaltung sein – sowohl in weltlichen Dingen als auch im Glauben –, da zwar viele berufen, aber wenige auserwählt sind. Daraus folgt, dass die Friedfertigen und Aufrichtigen offenbar werden. Also ist es an sich weder recht noch gottgewollt, vielmehr von Gott verboten, dass man zänkisch und spalterisch lebt – auch wenn der Teufel zum Teil noch in der Herrschaft ist und solches also geschehen muss, wie auch sonst viele Übel geschehen müssen, weil die Welt so beschaffen ist. Nichtsdestoweniger ist dem Prediger geboten, den Sekten durch das göttliche Wort zu wehren. Ebenso steht es der weltlichen Obrigkeit zu, aller öffentlichen Unordnung und Verwirrung vorzubeugen. Und sie wird in ihrem Gewissen nicht gedrängt, eine neue Sekte, Synagoge oder öffentliche Versammlung zum Schaden der rechten Christen in ihr Gebiet eindringen zu lassen, sondern sie kann mit gutem Gewissen diesem schädlichen Vorhaben der neuen Sekte wehren und sie auf gebührliche, besonnene und nicht tyrannische Weise abstellen.
Quelle: Johannes Brenz, Frühschriften, herausgegeben von Martin Brecht, Gerhard Schäfer und Frieda Wolf. Band 2. J.C.B. Mohr (Paul Siebeck): Tübingen, 1974, S. 528-541.