Hans Joachim Iwand, Brief an Rudolf Hermann vom 20. Juni 1937: „In Wahrheit ist doch der Kampf, in den wir geworfen sind, ein Glaubenskampf, nur in zweiter Linie ein Kir­chenkampf. Es geht darum, ob der Gott, den wir bezeugen, ein Nationalgott ist, oder der Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat und vor dem wir alle eine Menschheit sind, eingeschlossen in die beiden Pole: Adam und Christus. Jedes Kirchenregiment, das dieser Klärung dient und aus dieser Entscheidung heraus die Gemeinden sammelt, baut auf, jedes Kirchenregiment, das um diese Entschei­dung herumkommen möchte, verführt.“

Brief an Rudolf Hermann vom 20. Juni 1937

Von Hans Joachim Iwand

Jordan (Neumark), d. 20. VI. 37.

Sehr verehrter, lieber Herr Professor!

Haben Sie vielen herzlichen Dank für Ihren letzten Gruß, der mir Freude und Stärkung bereitet hat. Ich hatte immer vor, ausführlich auf Ihren vorletzten Brief zu antworten, stand aber so im Gedränge der kirchlichen Arbeit in Ostpreußen, daß mir immer wieder Zeit und Besinnung dazu fehlte. Bei meiner Ausweisung ist ein Gutes: daß ich endlich einmal etwas frei geworden bin von der fast un­tragbaren Verantwortung, die sich mehr und mehr auf uns lastete.

Idi glaube, Sie verstehen mich falsch, wenn Sie meinen, der Kampf gegen die Ausschüsse sei sozusagen das Thema meiner Ar­beit in dem letzten Jahr in Ostpreußen gewesen. Ich bedaure viel­mehr, daß es überhaupt zu diesem Problem in diesem Ausmaße kirchenpolitisch gekommen ist. Daran hat sowohl die BK wie die Ausschüsse Schaden genommen.

Wohl aber habe ich es für richtig gehalten, zu widerstehen, als die Ausschüsse versuchten, die BK aufzulösen. Das war nicht ihre Aufgabe. Sie hätten die uns nicht erreichbaren Gemeinden auf den­selben Stand bringen sollen und mit Kleinarbeit vorgehen sollen, anstatt mit Program­men nach Totallösungen zu trachten und die BK der Schwarmgeisterei anzuklagen — Nun aber ist es soweit ge­kommen, daß die Bruderräte sich in die Ausschüsse festbissen und die Ausschüsse die Bruderräte anklagen — so, daß niemand, weder in noch außer der Kirche, weiß, wo die Kirche ist.

Mir scheint der Kampf ums Kirchenregiment der Erisapfel zu sein, den ein böser Geist ins Lager rollte, denn die evangelische Kir­che lebt nicht vom Kirchenregiment, sondern von der Theologie. Alle die Strömungen, die Kirchenregiment als Artikel I setzen, scheinen mir verdächtig. Das Evangelium regiert die Kirche, d. h. die Herzen, und jene Linie, die vom Kirchenregiment Gesundung erhofft, etwa Vilmar oder auch Stahl, ist mir immer als Linie in den Abgrund oder die Erstarrung erschienen. Vielleicht — und das hoffe ich — zerbricht die kom­mende schwere Zeit, der wir entgegengehen, diese Erstarrung und läßt uns wieder auf das Evangelium unsere Hoffnung setzen. Denn in Wahrheit ist doch der Kampf, in den wir geworfen sind, ein Glaubenskampf, nur in zweiter Linie ein Kir­chenkampf. Es geht darum, ob der Gott, den wir bezeugen, ein Nationalgott ist, oder der Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat und vor dem wir alle eine Menschheit sind, eingeschlossen in die beiden Pole: Adam und Christus. Jedes Kirchenregiment, das dieser Klärung dient und aus dieser Entscheidung heraus die Gemeinden sammelt, baut auf, jedes Kirchenregiment, das um diese Entschei­dung herumkommen möchte, verführt.

Es scheint mir nicht gut zu sein, nun noch einmal das Kapitel Ausschüsse aufzuwerfen. Was meine eigene Situation anlangt, so haben die Leute der Ausschüsse in Ostpreußen mich nicht gerade sehr brüderlich behandelt — und zwar gleich zu Beginn: die Auf­lösung des Seminars war ja ihre erste Forderung — aber ich glaube nicht, daß mich das im Letzten in der Haltung bestimmt hat. Nur habe ich noch nie persönlich einen von diesen Brüdern, mit denen wir ja menschlich und sachlich verbunden waren, so als Handels­objekt angesehen wie die das mit uns taten. Aber das liegt im Ziel: ihnen geht es um die Erhaltung der Institution, darum kommen die persönlichen Dinge an zweiter Stelle, das kann ich nicht. Ohne Ge­rechtigkeit und Liebe wird man die Kirche, die ja doch eine Institu­tion besonderer Art ist, nicht erhalten, nicht so erhalten, wie Gott sie erhalten wissen will. Darum habe ich mich auch zu Niemöller gestellt, denn ich finde es ungerecht, einen Mann zu opfern, weil man meint, er sei Ballast.

Aber ich hoffe ja nun — und hoffe es von ganzem Herzen — daß dieser Zwist seinem Ende entgegengeht und wir erkennen, daß es ein Evangelium ist, das heute von vielen, in sich verschiedenen Kir­chen bezeugt sein will. Es gibt wohl eine lutherische Kirche, unierte Kirchen, reformierte Gemeinden, aber das Evangelium, zu dessen Zeugnis wir heute aufgerufen sind, ist doch das eine. Und ich kann nicht einsehen, warum wir das nicht tun. Daß bestimmte Gefahren von Sekte und Schwärmerei vorhanden sind, und zwar gerade in der BK, ist mir sehr deutlich. Aber ebenso deutlich ist mir, daß wir kirchenpolitisch damit nicht fertig werden, sondern allein theolo­gisch — und daß wir vor allem den Grund dieser Tendenzen sehen müssen, die furchtbare Bedrängung des Glaubens durch die mit der politischen Autorität ausgestattete Weltanschauung, die in sich nichts anderes ist als der Monismus. Nur in dem Maße, als wir hier widerstehen, haben wir Hoffnung, auch der Schwärmerei begegnen zu können. Bitte, wenn ich Sie so bitten darf, helfen Sie doch mit, daß diese uns in der ganzen evangelischen Kirche verlorengegangene Einigkeit wiedergefunden werde, denn ich glaube, daß der Zwie­spalt, der in den beiden letzten Jahren aufgekommen ist, unser Zeugnis vor der Welt schwach und halb gemacht hat. Die letzten Ereignisse in Berlin lassen erkennen, daß wir keine Zeit mehr zu verlieren haben und daß es nur eine Kirchenspaltung gibt, die sich rechtfertigen läßt: die einer das Evangelium in sein Gegenteil ver­fälschenden Lehre, die mit Gewalt wider die Wahrheit zu herrschen sucht. Wenn wir den Gekreuzigten als eine relative Sache ansehen und eine Jesusreligion mit völkischem Einschlag dafür einhandeln, dann haben wir das Erstgeburtsrecht der evangelischen Kirche ver­kauft.

Ich muß Ihnen offen gestehen, daß mir oft zuviel von Kirche und zuwenig von diesem die Rede ist, daher auch die Profanisierung unserer Predigten, die ganz in Polemik aufgehen. Aber ich kann ja nur so dagegen an, daß ich an meinem Teil und in meinem Amt da­gegen wirke und auch diese Schuld mittrage, denn die Angriffe auf die Kirche provozieren natürlich auch diese Abwehr. Was nun wer­den wird, steht noch dahin — aber ich hoffe, daß der Mittwoch uns etwas weiter bringt, daß wir auf dem Wege neuer Einigkeit geführt werden.

Nun noch einiges von mir und hier. Hier ist wirklich ein Exil, wir sind sehr einsam und suchen so recht und schlecht unsere theologische Arbeit zu tun wie das eben geht. Daß ich die Kinder nicht und meine Frau auch nur sehr zeitweise hier habe, ist mir schwer. Peter ist jetzt gerade so reizend und war mir eine große Freude. Dazu kommt, daß man nicht weiß, wie lange man noch frei ist. Meine Ausweisung dürfte wohl den ganz allgemeinen Grund haben, das sagte man auch auf der Gestapo in Berlin, daß man mich in Ost­preußen weghaben will, ich fürchte fast — aber ich sage das sonst nicht — daß man hofft, nun mit Kuessner die «Befriedung» der Pro­vinz zu erreichen. Wer der «Man» ist, will ich lieber nicht zu Papier bringen. Kuessner spinnt leider ständig politische Fäden. Aber ich glaube, daß sich ja nun bewähren muß, welcher Weg richtig ist — in diesen kirchenpolitischen Entscheidungen können wir schließlich nie sagen, was wirklich richtig war — und daß auch hier nichts ohne persönliche Note geschieht, wie nirgends in der Welt. Das läßt sich begraben und vergessen. Im Grunde genommen ist es immer Tor­heit, wenn jemand hofft, durch den Sturz seines Gegners zu steigen.

Schwerer ist mir die Sorge, daß ich nun wieder meine Arbeit wer­de wechseln müssen. Ich hatte mich jetzt in diese Arbeit der prakti­schen Theologie etwas eingearbeitet und den neuen Beruf liebge­wonnen. Ich habe ein Grauen davor, ohne Beruf herumzuvagabun­dieren und werde sehen, daß ich bald wieder ein Amt finde. Wenn wir gut durch die nächsten Monate kommen, will ich mich dann da­nach umtun. Vielleicht haben wir für den Winter wieder ein Dach über dem Kopf, und ich habe meine Frau und die Kinder bei mir.

Daß Thomas zu Ihnen kommen darf und wird, freut mich sehr. Meine Frau schreibt mir heute, daß er schon sehr darauf brennt und ich danke Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin sehr, daß Sie ihm diese große Freude bereitet haben. Sehr große Sorge mache ich mir um Herrn Prof. Schniewind. Hoffentlich läßt sich das Schlimmste ver­meiden. Ob eine Adresse der Studenten — etwa an das Ministerium — gut ist, kann ich nicht sagen. Jedenfalls müßte es eine offizielle Stelle sein, von der die Adresse ausgeht, BK-Studentenschaft würde wohl kaum nützen. Im Falle Barth hat es auch wenig genützt.

Nun will ich schließen. Hoffentlich können Sie diesen handgekrit­zelten Brief lesen, denn ich habe hier keine Schreibmaschine. Noch­mals vielen Dank und herzliche Grüße an Sie und Ihre verehrte Frau von Ihrem dankbaren

Hans Iwand

Quelle: Hans Joachim Iwand, Nachgelassene Werke, Bd. 6: Briefe an Rudolf Hermann, hrsg. v. Karl Gerhard Steck, München: Chr. Kaiser, 1964, S. 291-294.

Hier der Text als pdf.

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