Karl Barth, Die Hoffnung der Kirche und die Hoffnung der Welt. 18 Thesen (1951): „Die Kirche dürfte, müsste und könnte in der Welt die große, umfassende und endgültige Hoffnung vertreten und verkündigen: die bevorstehende Wiederkunft Jesu Christi als die allgemeine Offenbarung der Versöhnung der Welt mit Gott, die eben in Jesus Christus schon geschehen ist. Die Wahrheit und Kraft dieser Botschaft der Kirche hängt zu allen Zeiten und in allen Verhältnissen davon ab, ob die Kirche selbst die Lektion, die sie der Welt lehren möchte, schon gelernt hat, oder doch zu lernen ernstlich im Begriff steht, d.h. ob sie selbst in der großen, in Jesus Christus begründeten und auf ihn gerichteten Hoffnung für die Welt lebt: in der Zuversicht, dass diese letztlich die einzige, aber auch die ganz gewisse und genügende Hoffnung ist.“

Die Hoffnung der Kirche und die Hoffnung der Welt. 18 Thesen (1951)

Von Karl Barth

1. Unter „Hoffnung“ ist zu verstehen: der tröstende, ermutigende und Richtung gebende Ausblick auf ein solches künftiges Ereignis, das einem gegenwärtigen Zustand gegenüber in zuverlässiger Weise eine Wendung zum Besseren verspricht.

2. Glaube ohne Hoffnung ist nicht christlicher Glaube und Liebe ohne Hoffnung ist nicht christliche Liebe. Das Evangelium bedeutet im Einzelnen wie im Ganzen und unter allen Umständen des Menschen Orien­tierung nach vorwärts: in der Richtung auf das Bessere, das von Gott her kommen wird.

3. Die Kirche dürfte, müsste und könnte in der Welt die grosse, um­fassende und endgültige Hoffnung vertreten und verkündigen: die bevorstehende Wiederkunft Jesu Christi als die allgemeine Offenbarung der Versöhnung der Welt mit Gott, die eben in Jesus Christus schon geschehen ist.

4. Je in bestimmten Zeiten und Verhältnissen dürften, müssten und könnten in dieser Botschaft der Kirche auch kleinere, einzelne und vorläufige Hoffnungen – in Übereinstimmung oder im Streit mit denen, die die Welt sich selbst macht – eingeschlossen sein.

5. Die Wahrheit und Kraft dieser Botschaft der Kirche hängt zu allen Zeiten und in allen Verhältnissen davon ab, ob die Kirche selbst die Lektion, die sie der Welt lehren möchte, schon gelernt hat, oder doch zu lernen ernstlich im Begriff steht, d.h. ob sie selbst in der grossen, in Jesus Christus begründeten und auf ihn gerichteten Hoffnung für die Welt lebt: in der Zuversicht, dass diese letztlich die einzige, aber auch die ganz gewisse und genügende Hoffnung ist.

6. Wenn die Kirche selbst in solcher Zuversicht in und von dieser grossen Hoffnung für die Welt lebte, so würde sich das zuerst darin erweisen, dass sie sich in der Entschlossenheit und im Stil ihrer eigenen Existenz als ein Zeichen der Wiederkunft Jesu Christi, d.h. als eine Bezeugung der in ihm schon geschehenen Versöhnung der Welt mit Gott darstellte.

7. Der „Glaubenssatz“ Jesus Christus Dominus Mundi ist als solcher richtig, könnte aber in der Welt und in der Kirche selbst nur dann Hoffnung bedeuten, wenn die Kirche seiner und seiner Konsequenz für die Zukunft so gewiss wäre, dass sie mit ihrer eigenen Existenz Zeichen und Zeugnis seiner Wahrheit sein dürfte und müsste. [2]

8. Der Satz, dass der moderne Mensch zwischen Verzweiflung und säkularem Messianismus, zwischen enttäuschter Hoffnung und utopischer Hoffnung lebe, ist kein christlicher Satz, sondern ein Satz hoch­mütig-pessimistischer Weltweisheit. Die Kirche, die sich ihn zu eigen macht, ist eine selbst hoffnungslose Kirche. Eine Kirche, die in und von ihrer grossen, in Jesus Christus begründeten und auf ihn gerichteten Hoffnung lebt, wird diesen Satz nur streichen und vergessen können.

9. Die innere Entwicklung des römischen Katholizismus (vom Trienter Konzil über das Vatikanum zum neuesten Mariendogma) und die tiefe Unwissenheit über den antichristlichen Charakter dieses Gebildes in der übrigen Kirche sind keine Beweise der Entschlossenheit einer der Wiederkunft Jesu Christi entgegeneilenden Gemeinde.

10. Die gegenseitige Verständnislosigkeit, in der Reinhold Niebuhr und ich selbst als angeb­liche, oder wirkliche Vertreter eines „angelsächsischen“ und eines „kontinentalen“ Protestantis­mus nach Amsterdam 1948 aneinander vorbei geredet haben , war auch kein Beweis einer in der Kirche lebendigen Entschlossenheit hinsichtlich ihrer Hoffnung.

11. Dasselbe gilt von dem seit 1948 in vielen Kirchen erst recht überhand nehmenden und betonten Konfessionalismus, Traditionalismus, Institutionalismus und Liturgismus. Mag man diese Bestrebungen be­gründen oder erklären wie man will mit dem Leben einer nach vor­wärts orientierten Christenheit haben sie nichts zu tun.

12. Die Kirche, die in dem bekannten Ost-West-Konflikt der Gegenwart so gar keine eigene, überlegene Linie sichtbar zu machen wusste, die z.B. zum Koreakonflikt nichts Besseres zu sagen hatte, als das, was wir aus Toronto und später dazu gehört haben – diese Kirche sollte jedenfalls nicht, meinen, dass sie aus eigener Sachkunde dazu befähigt sei, der Welt zu sagen, was ihre Hoffnung ist.

13. Die Kirche, die Martin Niemöller und Gustav Heinemann in ihrem Kampf gegen den Wahnsinn der deutschen Wiederaufrüstung im Stich gelassen hat, sollte das auch nicht meinen.

14. So auch nicht die Kirche, die entschlossen scheint, ihr zweites Weltkonzil statt in Indien oder Afrika ausgerechnet in der Nähe von Chicago abzuhalten!

15. Und so auch nicht die Kirche, die es in diesem Jahr nicht bemerkt zu haben scheint, dass es zum Stil einer auf ihren Herrn als dem Herrn der Welt wartenden Gemeinde so schlecht wie möglich passt, Apostel-Jubiläen zu feiern! [3]

16. Die Frage nach dem Verhältnis der Erwartung des Reiches Gottes zu den „Anstrengungen und Bestrebungen der Geschichte“ wird dann (und erst dann!) sinnvoll, wenn die Kirche das gute Gewissen hat, ihrerseits in dieser und nicht etwa in anderen Erwartungen und erst recht nicht etwa bloss retrospektiv zu existieren. Alle Be­ratungen über jene Frage müssen gegenstandslos und alle kirchlichen Kundgebungen über dieses Verhältnis müssen klanglos und unglaub­würdig sein, wenn das gute Gewissen der Kirche im Blick auf ihr eigenes Verhältnis zum kommenden Reiche Gottes als selbstverständ­liche Voraussetzung behandelt wird.

17. Die von der Kirche an sich selbst zu richtende Frage nach ihrem eigenen Leben in der Hoffnung ist heute die konkrete Form der Frage nach der Gegenwart und dem Werk des Heiligen Geistes.

18. Das auf 1954 geplante zweite Weltkonzil dürfte nicht einberufen und es dürfte schon die beabsichtigte Botschaft nicht vorbereitet werden, ohne eine rechtschaffene Auseinandersetzung mit der Frage, ob uns ein geistlicher Auftrag, eine geistliche Notwendigkeit und eine geistliche Möglichkeit zu solchem Unternehmen wirklich gegeben sind.

Dreiseitiges Typoskript verfasst für die Kommission der Fünfundzwanzig beim Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK), Nr. 7, Juli 1951, KBA 613.

Hier der Text als pdf.

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