Sören Widmann über Paul Schempp (1900-1959): „Erst nach seinem Tode wurde sichtbar, für wie viele Menschen Paul Schempp, der streitbare und angefochtene Theologe, auch Helfer und treuer Seelsorger war. Ihn habe, so bekennt einer der vielen Freunde in einem Brief, ein einziger Satz immer wieder aufgerichtet, den Schempp einem Pfar­rerskollegen zur Antwort gab, als dieser ihn mitten in den turbulenten Tagen des Kirchenkampfes ängstlich-neugierig fragte, was es denn Neues gebe: »Seit der Auferstehung Jesu Christi gibt es nichts Neues!«“

Paul Schempp (1900-1959)

Von Sören Widmann

Paul Schempp war wie seine Freunde und Kampfgefährten Hermann Diem und Richard Widmann Jahrgang 1900: eine Generation auf der Grenze. Die Väter von Diem, Schempp und Widmann waren Stuttgarter Handwerker. Schempps Vater Andreas (geboren 1864) kam als junger Lehrbub von der Rauhen Alb nach Stuttgart, lernte bei einem Bandagisten und konnte am Ende der Gründer­jahre im Zentrum Stuttgarts einen Meisterbetrieb mit Sanitätshaus eröffnen. Dort in der Langestraße wurde Paul als fünftes von neun Geschwistern geboren, und der Vater wünschte schon früh, daß dieses begabte Kind Pfarrer werden solle. Dies war kein vermessener Wunsch, denn die städtischen Handwerker, die es zu bescheidenem Wohlstand gebracht hatten, begannen in diesen Jahren, die Bildungseinrichtungen des Bürgertums auch als die ihren zu betrachten.

Paul wurde auf die erste Schule des Landes, das Stuttgarter Eberhard-Lud­wigs-Gymnasium, geschickt, wo er ab der Vorschule mit Richard Widmann zu­sammen war, mit dem ihn eine lebenslange enge Freundschaft verband. Die Söhne aus einfachen pietistischen Elternhäusern tauchten in die Welt der klassi­schen Bildung ein, und Paul beendete die Schulzeit als Primus der Klasse. Zum Abitur reimte einer der Klassenkameraden auf ihn:

»Faust«-bewandert, ein Genie,
Turner sondergleichen –
Will studiern Theologie –
Großes Fragezeichen!

Diese Generation konnte nicht denselben Weg gehen wie ihre Väter. Als Vierzehnjährige erlebten sie den nationalen Rausch des Kriegsbeginns und wurden 1918 gleich nach dem Abitur als letztes Aufgebot in den schon verlore­nen Krieg geschickt. Paul und sein Freund Richard gehörten vor und nach der Konfirmation zu einer Gruppe vaterländisch-pietistischer Pfadfinder, aber mit 18 Jahren hatten sie bereits Haeckels «Welträtsel« gelesen und Nietzsches »Za­rathustra« verschlungen. Schempp dachte nie im Leben daran, das pietistische Erbe der strengen Bibelorientierung preiszugeben, aber für ihn durfte kritische Wissenschaft vor der Bibel nicht haltmachen.

Der schwäbische Altpietismus, aus dem er kam, war eng mit dem württembergischen Kirchentum verbunden, dessen schärfster Kritiker er werden sollte. Doch als sich Landesbischof Wurm und Paul Schempp 1948 aussöhnten, schrieb der damals noch Amtsenthobene und aus der Landeskirche Ausgetre­tene an Wurm über seinen soeben verstorbenen Vater, daß er wisse, »wie ein reich begnadeter Pietist die faktische Gemeinschaft von Glaube, Liebe und Hoffnung bewähren kann mit einem theologisch und politisch sehr viel anders denkenden Menschen der nächsten Generation […] Ich darf Ihnen das heute sagen, weil mein Vater, in dem, was mich von ihm trennte, und in dem Größe­ren, was mich mit ihm verbunden hat […], Ihnen geglichen hat.«[1]

Ein »Heidenchrist« unterwegs zum Pfarramt

Noch in Militärklamotten bezog Schempp im Wintersemester 1918/19 als Theologiestudent das Evangelische Stift in Tübingen. Von den Tübinger Pro­fessoren imponierten ihm eigentlich nur der kritische Kirchengeschichtler Müller und der Neutestamentler Adolf Schlatter, dessen biblische Theologie er zeitlebens schätzte. Prägender aber wurden für ihn die Freundschaften und die permanenten theologischen, literarischen und politischen Gespräche in der von Theologen geprägten akademischen Verbindung Nicaria. Dort gab es ei­nen vom Wandervogel beeinflußten unruhig gärenden sowie einen vaterlän­disch-konservativen Flügel, und hier traf man auf so unterschiedliche Geister wie den religiösen Sozialisten Schenkel und die späteren Prälaten Karl Harten­stein und Wolfgang Metzger. In diesem buntbewegten Haufen fanden die vier »Ur-Sozietätler«, Hermann Diem, Heinrich Fausel, Paul Schempp und Richard Widmann, schon bald als theologische Freunde zusammen.

Paul Schempp wirkte freilich schon damals über diesen Kreis hinaus. »Er zog unruhige und im Studium gestörte Köpfe an, und man hieß den Schemppkreis ›Heidenchristen‹«, wie ein damaliger Kommilitone zu berichten weiß.[2] Tat­sächlich findet sich in Schempps Nachlaß ein 200seitiges Manuskript des Zwanzigjährigen mit dem Titel »Ave victi! – Gedanken und Bekenntnisse eines Heidenchristen«, das im Zarathustra-Stil die verkrustete Kirche beklagt, aus deren Ruin erst Neues entstehen wird.[3] Das Auswärtsstudium führte Schempp zunächst nach Marburg zu dem Religionsgeschichtler Friedrich Heiler, der ihm empfahl, eine Seminararbeit über »Die prophetische Intoleranz« zur Lizentiatenarbeit auszubauen. Doch es zog ihn weiter nach Göttingen, wo er Karl Barth begegnete.

Der erwähnte Kommilitone berichtet, daß der nach Tübingen zurückge­kehrte Schempp in seinem letzten Studienjahr die 1922 neu erschienene zweite Auflage des Römerbriefes von Karl Barth im Stift einführte und »damit eine Re­volution entfachte«[4]. Mit einer glänzenden Note absolvierte er im Herbst 1922 das erste Dienstexamen, und damit standen ihm alle Wege für eine wissen­schaftliche oder kirchliche Karriere offen.

»Keiner von den Freunden dieses Buches, der selber Pfarrer ist«, hatte Karl Barth im Vorwort zum Römerbrief geschrieben, »soll leicht daran tragen, daß er es nicht nur sich selbst, sondern auch seiner Gemeinde nicht leicht machen kann.«[5] Schempp hat es immer zuerst sich selber schwer gemacht – auch darin ein Jünger Kierkegaards, den er und seine theologischen Freun­de verehrten. Gleich in seinem ersten Vikariat bittet er schon nach wenigen Wochen um vor­übergehende Entlassung aus dem Kirchendienst. Der Vorgang wiederholt sich ein Jahr später. Der zuständige Dekan diagnostiziert damals als Grund »seine Stellung zum geistlichen Beruf überhaupt«, und er vermutet, »seine starke Beeinflussung durch Barth in Göttingen« habe ihn bisher gehindert, »hier die richtige Einstellung zu finden«[6]. Als Schempp dann im September 1924 um seine »hoffentlich endgültige Aufnahme in den Kirchendienst« bittet, gibt er an, daß »wesentlich durch die Beschäftigung mit Luther die Gründe für den Austritt kraftlos geworden sind«.

Für die Jahre 1925 bis 1929 kehrt Schempp als Repetent ans Tübinger Stift zurück. Diese Zeit ist geprägt von intensivem Luther-Studium, von leidenschaftlichen Diskussionen mit Repetentenkollegen und Studenten, aber auch von Studienreisen nach Frankreich, Dänemark, in die Länder des Balkan und in die USA. Im Sommer 1927 liest er an der Universität über »Das Wesen der Theologie nach Luther«, wodurch der kleine, aber drahtig-sportliche Repetent vielen der Jüngeren bekannt wird als begeisternder Theologe, der Barth mit Luther zu verbinden weiß. 1929 wird Schempps erstes Buch »Luthers Stellung zur Heiligen Schrift« veröffentlicht. Das Schreibmaschinen-Manuskript reicht er als schriftliche Arbeit zum zweiten theologischen Dienstexamen ein und erhält dafür die Traumnote 1b. Diese Arbeit blieb nicht im Histori­schen hängen, son­dern zielte auf die konkrete Existenz des Theologen: »Der Hörer soll nicht der Person oder dem Geiste des Pfarrers glauben, sondern seinem Wort, aber auch dies nicht, ohne es an der Schrift zu prüfen, und der Pfarrer soll sich auf Gottes Befehl und Wort berufen können, auch und gerade da, wo der eigene Glaube fehlt oder schwach ist.«[7] Dies befreit und entlastet, lädt aber dennoch die größte Verantwortung auf den Prediger. Wie würde es Paul Schempp damit im Pfarramt gehen?

Nicht tragbar für Behördenkirche und Führerstaat

Noch im Sommer 1929 schloß Paul Schempp die Ehe mit Erika Siepmann, einer jungen Lehrerin aus Westfalen, und fand zunächst für eineinhalb Jahre Ver­wendung als Religionslehrer an einem Gymnasium in Bad Cannstatt, bevor ihm im April 1931 in Waiblingen die erste Gemeindepfarrstelle übertragen wurde. Doch bereits vier Monate später bat er, von seinem Amt entbunden zu werden. Der Hintergrund war folgender: Er sollte im Kirchensteuerausschuß seiner Ge­meinde zustimmen, daß gegen säumige Zahler das Zwangsmittel der staatli­chen Steuerpfändung angewandt wird. Dagegen protestierte Schempp im Na­men des Evangeliums, das in der Kirche nur Freiwilligkeit kennt und Zwangs­mittel nach weltlichem Recht ausschließt. Er unterlag mit seinem Veto und kün­digte deshalb an, er werde für diesen Grundsatz als Prediger des Evangeliums weiter kämpfen. Dies geschah in der Predigt des darauffolgenden Sonntags.

Weil aber die strittige Sache die ganze Landeskirche anging, informierte er unverzüglich den Kirchenpräsidenten Wurm: «Ich habe scharf zugegriffen und bin Ihnen nun Rechenschaft schuldig. Ich lege Ihnen darum meine Predigt vor. Als Maßstab lasse ich nur die Schrift nach reformatorischem Verständnis gel­ten.«[8] In seiner Predigt hatte der junge Pfarrer noch weiter ausgeholt und von dem »Ehr- und Machtstreben der Kirchenfürsten« gesprochen. Deshalb beteu­erte er in seinem Brief an Wurm, dies sei »in keiner Weise ein persönlicher An­griff und Vorwurf«, weil die Führer der Kirche ja Ehre und Macht nicht für sich, sondern für die Kirche wollten. Schempp schloß: »Gebrauchen Sie Gewalt ge­gen mich und Sie werden meine Predigt nur bestätigen […]. Widerlegen Sie mich aus Gottes Wort, sonst werden Sie mich zu keinem Widerruf und zu kei­ner Einschränkung bewegen können.«[9]

Es kam zu einer persönlichen Aussprache mit dem Kirchenpräsidenten. Nach diesem Gespräch richtete Wurm einen freundlichen Brief an den kühnen Kriti­ker, der inzwischen einen Antrag auf Entlassung aus dem Waiblinger Pfarramt gestellt hatte. Der Kirchenpräsident empfahl die Übernahme einer kleineren Pfarrstelle, riet aber von einer Religionslehrerstelle, um die Schempp gebeten hatte, ab: »Im Lehramt rücken Sie den konkreten Gemeindeaufgaben ferner, und das würde ich bedauern.«[10] Schempp bedankte sich ebenso freundlich, glaubte aber nochmals auf das Gespräch mit Wurm zurückkommen zu müssen, weil ihn der Kirchenpräsident dabei auch gefragt hatte, ob für ihn eine Volks- und Landeskirche überhaupt der richtige Platz sein könne und ob ihm mit sei­ner Einstellung eine Freikirche nicht angemessener wäre. Schempps Antwort verdient deswegen Beachtung, weil ihm auch später Gegner und manche Freunde dieselbe Frage stellten. »Ich kann«, so Schempp, »Konfessionen, Sek­ten und Freikirchen nicht anerkennen; hierin bin ich so stockkatholisch wie Lu­ther wider alle Vernunft und Erfahrung. Das verbietet mir eine Wahl der Kirche nach meiner eigenen Eignung und verlangt, daß ich an meinem Ort für die eine Gemeinschaft der Heiligen eintrete, die zwar zerstreut ist, aber am Wort er­kennbar und vereinbar ist.«[11]

Modellhaft sind im Waiblinger Kirchensteuerstreit die wesentlichen Ele­mente von Schempps späteren Konflikten vorgezeichnet. Insbesondere wird schon hier als Grundposition deutlich, daß in Fragen, welche die ganze Kirche betreffen, die Personen in den Leitungsämtern unnachsichtig bei ihrer Verantwortung gegenüber der Heiligen Schrift persönlich zu behaften sind. Aus keinem anderen Grund hatte einst auch Kierkegaard sich genötigt gesehen, die höchst ehrenwerten Bischöfe Mynster und Martenson scharf zu attackieren.

Schempps Bitte nach einer Stelle im Lehramt wurde stattgegeben, und man übertrug ihm eine Religionslehrerstelle an zwei Stuttgarter Mädchengymnasien, dem Königin-Olga-Stift und dem Königin-Charlotte-Gymnasium. Doch der kecke Briefwechsel mit dem Kirchenpräsidenten blieb nicht ohne disziplinarische Folgen: Der Oberkirchenrat sprach Schempp gegenüber »ernste Mißbilligung über den überheblichen Ton des Schreibens« an Wurm aus.[12]

Die Wertschätzung, die der 31jährige Theologe bei dem Kirchenpräsidenten offensichtlich trotzdem genoß, ist wohl nicht nur auf seine überragenden Examina und sein Luther-Buch zurückzuführen. Bereits 1929 hatte sich Schempp zusammen mit theologischen Freunden aus der Studentenzeit (W. Metzger, H. Diem, H. Fausel, R. Widmann) zu einer theologischen Arbeitsgemeinschaft zu­sammengeschlossen, die sich kritisch mit der von der Synode vorgeschlagenen Neufassung der agendarischen Kirchengebete befaßte. Zehn weitere junge Theologen stießen zu der Gruppe und begannen – wie sie es bei Luther und Barth gelernt hatten den Entwurf an der Norm der Schrift und den reformato­rischen Bekenntnissen kritisch zu messen. Die Kritik überzeugte die Synode. Es kam zu einer Neubearbeitung, zu der die Arbeitsgruppe zahlreiche Alternativ­vorschläge beisteuerte. Dafür dankte Wurm vor der Synode diesen »Jünger(n) Karl Barths« ausdrücklich.

Wolfgang Metzger, der organisatorische Motor der Gruppe, rief nach dieser ersten Bewährung eines solchen theologischen Kollegiums zur Bildung von Kirchlich-Theologischen Arbeitsgemeinschaften (KTA) in allen Kirchenbezir­ken Württembergs auf und erreichte damit vor allem die jüngeren Theologen, die bei Schlatter und Barth gelernt hatten. Schempp gehörte von Anfang an zum Leitungskreis dieses größeren Zusammenschlusses und lieferte 1932 mit dem Grundsatzreferat »Die Probleme der Kirche nach der Schrift« den einzel­nen Arbeitsgemeinschaften die Agenda für ihre konziliare Praxis. Mit diesen KTA’s war man in Württemberg besser als in manchen anderen Landeskirchen für die theologischen und kirchenpolitischen Herausforderungen des Jahres 1933 gerüstet und konnte von dieser Plattform aus bereits im April 1933 der Forderung der Deutschen Christen nach Gleichschaltung mit dem »Wort württembergischer Pfarrer zur Gleichschaltung« entgegentreten.

Acht Monate nach der Machtergreifung Hitlers wurde Schempp aus politi­schen Gründen aus dem Schuldienst entlassen. Lehrerkollegen und Schülerin­nen wußten, wo Schempp stand – spätestens nachdem er eine heftige Diskus­sion im Lehrerzimmer mit dem Satz beendet hatte: »Jetzt gehe ich zu meinen künftigen Kriegerwitwen!«[13] Den Stein ins Rollen brachte eine Denunziation. Rehm, der Wortführer der Deutschen Christen in Württemberg, griff Schempp in einem Zeitungsartikel scharf an, weil er in einer Theologenver­sammlung unwidersprochen behauptet habe, vom Evangelium her bestehe kein Unterschied zwischen einem kommunistischen und einem nationalsozia­listischen Staat.

Von der Schulbehörde zu schriftlicher Stellungnahme aufgefordert, räumte Schempp ein, als Diskussionsredner bei der Jahrestagung der Kirchlich-Theo­logischen Arbeitsgemeinschaften sinngemäß gesagt zu haben, daß »für die Wirksamkeit des Evangeliums zwischen dem kommunistischen und dem natio­nalsozialistischen Staat kein Unterschied« besteht. Doch statt sich herauszure­den, ging Schempp im Schreiben an das Oberschulamt zum theologischen An­griff auf den Geist der neuen Zeit über: »Die Kirche hat das Evangelium nicht im Geiste des Dritten Reiches zu verkündigen, sondern im Geiste Gottes; und wer Nationalsozialismus und Christentum einfach gleichsetzt, deshalb weil der Nationalsozialismus eine religiöse Bewegung sei oder ist, der […] verwechselt Religiosität und christlichen Glauben. Ein Christ wird gerade jetzt für die Frei­heit dieser Verkündigung mit Ernst eintreten, damit nicht aus dem Evangelium für Gottes Reich unter der Hand ein solches vom dritten Reich wird.«[14]Schempp schloß seine Stellungnahme ohne das geringste Zugeständnis: »Sollte allerdings die mir eigene ›barthsche Theologie‹ entgegen ihrer Äuße­rung als politisch verdächtig gelten, so will ich, so nahe das läge, trotzdem meine Theologie nicht durch ein politisches Glaubensbekenntnis zu stützen versuchen, weil das gerade meiner Theologie und letztlich auch der Haltung Jesu widerspräche.«[15]

Im Entlassungsschreiben des braunen Kultministers Mergenthaler vom 5. September 1933 ist der inkriminierte Satz in der von Schempp eingeräumten Fassung zitiert. Der Minister stellt fest, daß »diese Worte in einem für die natio­nalsozialistische Bewegung verletzenden Sinn verstanden werden konnten und, wie die Anzeige zeigt, […] verstanden worden sind«[16]. Damit sei Schempp für den Schuldienst untragbar und fristlos zu entlassen. Die Kirchenleitung kommentierte diese Entfernung aus dem Schuldienst weder dem Staat noch Schempp gegenüber. Ihm wurde aber unverzüglich angeboten, ab Oktober 1933 die vakante Pfarrstelle des abgelegenen 600-Seelen-Dorfes Iptingen im Dekanat Vaihingen/Enz zu verwesen.

Unterwegs zu den Synoden von Barmen und Dahlem

»Als ob nichts geschehen wäre« und ohne sich von den aufregenden politischen Ereignissen das Gesetz des Handelns vorschreiben zu lassen, sollten sie einfach bei der Sache bleiben, hatte Karl Barth im Juni 1933 den evangelischen Theologen in Deutschland empfohlen. Nichts anderes beabsichtigten bereits im Frühjahr 1933 Schempp und die anderen Initiatoren der »Blätter zur kirchlichen Lage«. Die »Blätter« sollten, so der Herausgeber Ernst Bizer, durch theologische Aufsätze dazu anregen, »daß jeder Einzelne treue theologische Arbeit tut. Darüber hinaus, daß möglichst viele sie gemeinsam tun«. Gerade dadurch, daß sie nicht tagespolitischen Themen, sondern fundamentalen theologischen Fragen verpflichtet waren, bekamen die »Blätter« ihre politische Aktualität. So zum Beispiel, wenn H. Fausel und R. Widmann das Kirchenrecht, mit dem die Deutschen Christen in den von ihnen beherrschten Kirchengebieten regierten, theologisch in Frage stellten und wenn Paul Schempp in seinem Aufsatz »Du Familie in Kirche und Volk« dem völkischen Rassenwahn die Erwählung Israels und die Gottessohnschaft des »Juden Jesus« entgegenstellte. Die »Blätter« existierten nur ein Jahr lang und gingen im April 1934 in der reichsweit verbreiteten theologischen Zeitschrift der Bekennenden Kirche »Evangelische Theologie« auf, deren Mitherausgeber Schempp wurde.

Im Frühjahr 1934 erfolgte die Berufung Schempps zum ständigen Pfarrer von Iptingen. Anläßlich seiner Bewerbung um die Pfarrei hatte der zuständige Dekan über ihn geschrieben: »Daß Schempp hochbegabt ist, zeigt sich bald. Er ist aber auch ein grundehrlicher, lauterer und im Grunde bescheidener Mensch. Daß Schempp zu denen um Barth gehört und zwar zum engsten Kreis und mit Barth persönlich befreundet ist, ist bekannt. Aber es ist mir erstaunlich, daß Schempp […] von der Gemeinde Iptingen gewürdigt und verstanden wird.«[17]

Für die Gruppe von Theologen, die sich ab 1935 »Kirchlich-Theologische Sozietät in Württemberg« nannte, war die theologische Verständigung unter Freunden und das Verstandenwerden von der Gemeinde gleichermaßen konstitutiv. Zentraler Tagesordnungspunkt dieser societas, als deren wichtigste Anreger von Anfang an Hermann Diem und Paul Schempp hervortraten, war bei jedem Treffen das Bemühen um den Text der nächsten Predigt, und daraus wuch­sen dann auch die aktuellen Stellungnahmen zur Lage, wie zum Beispiel das »Wort württembergischer Pfarrer: Wie können wir Kirche bleiben?« vom Mai 1934, das Barmen inhaltlich vorwegnahm.

Seit der Machtergreifung Hitlers hatte es bis dahin in der württembergischen Landeskirche keine klare Linie gegeben. In aller Regel wurde der Führerstaat von Pfarrern und Gemeindegliedern freudig begrüßt. Selbst die erwähnte KTA-Erklärung zur Gleichschaltung bejahte ausdrücklich die neue NS-Regierung. Auch Landesbischof Wurm machte kein Hehl aus seiner Sympathie für die Deutschen Christen. Er holte das DC-Mitglied Wilhelm Pressel in den Ober­kirchenrat und verschaffte bei den von Hitler befohlenen Kirchenwahlen dieser Bewegung durch eine Einheitsliste die absolute Mehrheit in der Synode. Deren Methoden sollte Wurm erst kennenlernen, als die Forderung nach Gleichschal­tung drängender wurde und ihn die Wortführer der württembergischen DC scharf attackierten. Viele Pfarrer, darunter Pressel, trennten sich nun von der DC-Führung und stellten sich hinter Wurm. Als dann im Frühjahr 1934 Reichs­bischof Müller daranging, die Gleichschaltung der Kirche im Reich mit staatli­chen Zwangsmitteln durchzusetzen, riefen Wurm und sein bayerischer Bi­schofskollege Meiser Pfarrer und Gemeinden auf, mit ihnen an Schrift und Be­kenntnis festzuhalten und denen den Gehorsam zu verweigern, die mit staatli­cher Gewalt die Herrschaft über die Kirche erringen wollten. Wurm unter­stützte den Aufruf zur reichsweiten Bekenntnissynode in Barmen und nahm dort zusammen mit neun weiteren württembergischen Synodalen teil.

Der 34jährige Pfarrer aus Iptingen spielte bei dieser Geburtsstunde der Be­kennenden Kirche in Deutschland eine wichtige Rolle. Er gehörte zum Vorbereitungskreis der Barmer Synode und wurde für einen der sechs großen Schlußgottesdienste als Prediger bestimmt. Schließlich war Schempp als einziger Nichtsynodaler Mitglied im Theologisch-Lutherischen Konvent, der die Bar­mer Theologische Erklärung beriet und der Synode zur Annahme empfahl. Schon damals aber – und das zeigt seine Predigt auf der Synode – waren für ihn die sechs Barmer Thesen nicht nur das Bekenntnis, durch das man sich von den Deutschen Christen unterschied, sondern die Richtschnur, an der sich die Kir­che immer wieder neu zu orientieren hatte.

In den Monaten nach Barmen bewährte sich die reichsweite Einheit der Be­kennenden Kirche. Reichsbischof Müller hatte durch seinen Rechtswalter Jäger die württembergische Kirchenleitung mit staatlicher Gewalt abgesetzt und Bi­schof Wurm unter Hausarrest gestellt. Dagegen lehnten sich mit Ausnahme der DC-Front alle Gemeinden und Pfarrer in Württemberg zusammen mit der Be­kennenden Kirche im ganzen Reich auf. Die nach Berlin-Dahlem auf den 19./20. Oktober 1934 einberufene Bekenntnissynode stellte sich geschlossen vor Wurm als den rechtmäßigen Bischof der Evangelischen Kirche in Württem­berg. Doch was von vielen als glückliche Wende empfunden wurde, nämlich der Empfang der Bischöfe Marahrens, Meiser und Wurm durch Hitler am 30. Oktober 1934 und deren Wiedereinsetzung in die alten Rechte, erwies sich bald als Belastung für die Bekennende Kirche in Deutschland.

Der Kampf um die geistliche Leitung der Kirche

Mit den Stimmen der württembergischen Synodalen hatte die Bekenntnissyn­ode von Dahlem die christlichen Gemeinden und ihre Pfarrer aufgefordert, sich an die Anordnungen der Bekenntnissynode »und der von ihr anerkannten Or­gane zu halten«. Doch sofort gab es Zank um die von der Dahlemer Synode ge­wählte vorläufige Leitung der DEK, deren Mitglied auch Karl Barth war. In ei­ner tumultuarischen Reichsbruderrat-Sitzung am 21. November 1934 wurde auf Druck der drei »intakten« Landeskirchen Barth wieder abgewählt und eine vor­läufige Kirchenleitung mit Marahrens an der Spitze gebildet. Die drei von Hit­ler rehabilitierten Landesbischöfe wollten sich zwar zur Bekennenden Kirche zählen, aber sich dennoch nicht deren Leitungsorganen vorbehaltlos unterstel­len.

Paul Schempp wußte von diesem Manöver, das die Vorläufige Leitung der Reichsregierung akzeptabler machen sollte, noch nichts, als er am 21. Novem­ber 1934 einen empörten Brief an Landesbischof Wurm richtete, den sieben sei­ner Freunde mit unterzeichneten. Anlaß seines Schreibens war die Tatsache, daß die Kirchenleitung weder die Beschlüsse der Synode von Barmen noch der von Dahlem den Gemeinden bekanntgegeben hatte. Schempp bezeichnete es als »doppeltes Spiel«, »einer Botschaft an die Gemeinden seine Zustimmung durch die verantwortlichen Vertreter [zu] geben und nachher mit dem Vor­wand der Unverständlichkeit für die Gemeinden die Kanzelabkündigung [zu] verweigern. Das heißt mit den Gegnern, die den Glauben zerstören, aus Angst in Wirklichkeit halb paktieren und doch […] von einem Bekenntniskampf re­den. Entweder man führt einen Glaubenskampf, dann lehnt man das DC-Kirchenregiment bis in alle Gemeinden hinein schlicht ab […], oder aber man führt einen Rechtsstreit nach weltlichem Recht.«

Schempp drängte den Bischof, die Auseinandersetzung mit der Irrlehre der DC endlich in die Gemeinden zu tragen und dort den Kampf »ohne Gewalt« allein mit den Waffen des Wortes auszufechten. Deshalb sollte die Kirchenlei­tung gegen DC-Pfarrer keine Beurlaubungen und Amtsenthebungen verfügen. Vielmehr sollten die Gemeinden die DC-Irrlehrer einfach nicht mehr als ihre Prediger anerkennen, doch könnten diese mit Einverständnis der Gemeinde so­gar Gehalt und Amt behalten. »Der Staat und das profane Recht«, so Schempp, »haben nach Schrift und Bekenntnis in der Kirche schlicht keine Funktion.« Aufgabe der Kirchenleitung sei vielmehr die »geistliche Führung«, und deswe­gen sei der Dienst der Kirchenleitung »primär nicht Ordnungsdienst, sondern Wachdienst über die Alleingültigkeit des Wortes Gottes in Glaube und Liebe bei allem kirchlichen Handeln«[18].

Wurm hielt den Brief für »töricht und anmaßend«, und es fiel ihm um so leichter, dessen Inhalt zu ignorieren, als Schempp sich damit nicht an die Öf­fentlichkeit gewandt hatte. Kurz darauf bot im Januar 1935 der Selbstmord ei­nes bayerischen DC-Pfarrers, gegen den seine Landeskirche ein Disziplinarver­fahren eröffnet hatte, Schempp Gelegenheit, den Oberkirchenrat noch einmal zu beschwören, gegen Irrlehre in der Kirche nicht das Gewaltmittel der Amts­enthebung anzuwenden.

Wurm wußte, daß die Macht der DC gebrochen war. Ihm schien politisch nun vordringlich zu sein, mit der Reichsregierung in ein erträgliches Verhältnis zu kommen, um die Rechtsstellung der Landeskirche abzusichern. Vor diesem Hintergrund nimmt es nicht wunder, daß er im Juni 1935 Schempp aufforderte, einen an alle Pfarrer gerichteten Brief des Reichsbischofs mit einem geharnisch­ten Offenen Brief zu beantworten. Der Versuch des Reichsbischofs, die Recht­mäßigkeit der von der DC beherrschten Kirchenverwaltungen mit der staatli­chen Anerkennung zu belegen, wurde von Schempp in glänzender theologi­scher Argumentation ebenso entkräftet wie dessen Angriffe auf die Bekennende Kirche. Schempps Entgegnung fand damals in der ganzen Bekennenden Kirche Deutschlands Verbreitung.

Als die Bekennende Kirche der Altpreußischen Union im Herbst 1935 mit der Gründung von zwei kirchlichen Hochschulen die Theologenausbildung selbst in die Hand nahm, wurde Schempp gleich für das Gründungssemester als Dozent für Lutherische Dogmatik an die Kirchliche Hochschule in Wuppertal berufen. Aber die Freistellung Schempps wurde aufgehalten. Der Oberkirchen­rat in Stuttgart zögerte die Sache hinaus, weil die Zustimmung der Vorläufigen Leitung der DEK noch nicht vorlag. Tatsächlich hielt man in der diplomati­schen Vorläufigen Leitung ebenso wie in Stuttgart die Gründung einer freien BK-Hochschule für provozierend, und man hegte Zweifel, ob der barthianische Luther-Jünger Schempp geeigneter Vertreter der Theologie des Luthertums sein könne. Erst nach energischer Intervention Niemöllers kam die Beurlaubung Schempps dann doch noch vier Tage vor Semesterbeginn zustande.

Noch am Eröffnungstag wurde die Kirchliche Hochschule in Wuppertal verboten. Man ging trotzdem unverdrossen an die Arbeit. Anfang Dezember 1935 jedoch verlangte der Reichskirchenminister die strikte Einhaltung der staatlichen Verbotsanordnung. Ein damaliger Student schreibt im Rückblick: »Dir. waren nicht nur bewegende Stunden in dem Wissen, wir sind an sich verboten, aber wir machen weiter. Das waren auch sehr fröhliche Stunden.« Dem Verbot zum Trotz organisierten die Studenten zusammen mit ihrem Dozenten Schempp am 6. Dezember einen ausgelassenen und geistreichen Nikolausabend für die ganze Hochschule.[19]

Als Schempp Ende Februar 1936 aus Wuppertal wieder ins Iptinger Pfarramt zurückkehrte, hatte soeben die Bekenntnissynode in Bad Oeynhausen stattgefunden. Das vom Reichsbruderrat gewählte Gremium wurde als Zweite Vorläufige Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche und als geistliche Leitung der Bekennenden Kirche bestätigt. Die Lage hatte sich zugespitzt, weil Kirchenminister Kerrl sich in Fragen der Ordnung der Kirche alle Befugnisse vorbehielt und der Vorläufigen Leitung jedes Weisungsrecht absprach: »Die BK ist nicht diejenige, welche, sondern ich bin derjenige, welcher, der die Ordnung der Kirche zu bestimmen hat.« Schempp und seine Freunde hatten schon im Herbst 1935 hingegen unmißverständlich deutlich gemacht: »Wir kämpfen für eine geistliche Leitung der Kirche und für das Schlüsselamt der Gemeinde, deshalb kann es kein Kirchenregiment aufgrund staatlichen und weltlichen Rechts ge­ben, ebenso keine Trennung von Bekenntnis und Ordnung.«[20]

Jetzt erklärten die Sozietätler durch Unterschrift, daß sie sich dem Kirchen­minister zum Trotz den Beschlüssen der Bekenntnissynode und damit auch der Zweiten Vorläufigen Leitung unterstellen würden und deren Beschlüsse auch in der Landeskirche gewahrt sehen wollten. Bischof Wurm verweigerte eine sol­che Unterordnung unter die Organe der Bekennenden Kirche und bildete mit den Bischöfen von Bayern und Hannover den sogenannten Lutherischen Rat als »geistliche Leitung für die Lutherischen Kirchen und Gemeinden der Beken­nenden Kirche«. Die Sozietät und der Landesbruderrat lehnten dieses »schismatische Gebilde« einmütig ab. Doch Wurm entfernte sich noch weiter von dem in Barmen eingeschlagenen Kurs, als er im Sommer 1936 mit den DC-Pfarrern in Württemberg eine Art Burgfrieden schloß, nachdem diese sich von dem Radikalismus der Thüringer DC distanziert hatten.

Wie breit der Graben zwischen dem Lutherischen Rat und der Leitung der BK bereits geworden war, zeigte sich, als sich der Lutherische Rat Ende Juli 1936 öffentlich von der dem Füh­rer zugeleiteten mutigen Denkschrift der Zweiten Vorläufigen Leitung distanzierte, nachdem deren Verfasser von der Nazipresse als »Hochverräter« denunziert worden waren. Die BK-Pfarrer im Reich und die Sozietätler in Württemberg jedoch zeigten Solidarität mit der bruderrätlichen Kirchenleitung und verlasen, obwohl die Reichsregierung mit Amtsenthebung droh­te, einen abgewandelten Text der Denkschrift als Kanzel­abkündigung im Gottesdienst, während der Oberkirchenrat in Stuttgart eine solche Verlesung verbot.

Diese für die Bekennende Kirche fatale Entwicklung war der Hintergrund für Schempps zweiten schonungslosen Brief an Landesbischof Wurm vom 8. Sep­tember 1936.[21] »Ich möchte«, so schreibt er, »vor Gott das gute Gewissen ha­ben, daß Sie nicht ungewarnt die Kirchenführung wieder in die alten Geleise weltlicher Herrschaftsform zurücklenken.« Im folgenden geht er hart mit dem kirchenpolitischen Zick-Zack-Kurs Wurms ins Gericht und hält ihm vor, daß in der Kirche »tausend Dinge, die in der Freiheit stehen […], zum Zwang erho­ben werden, […] und das Allereinzigste, was nicht in der Freiheit steht, son­dern Grund und Maß aller Freiheit ist, nämlich die Botschaft ihres Herrn […] in Kirchen oder Ställen […], frei oder verboten, auszurichten«, der Opportunität preisgegeben wird. Daß die Pfarrämter zu Sippenforschungsinstituten gewor­den und der Arierparagraph für den Pfarrernachwuchs praktisch eingeführt wurde, dazu gebe es von der Kirchenleitung ebensowenig ein klares Wort wie »zum Eid, zum totalen Staat, zu DC-Pfarrern, zur Lehre der Liebenzeller, zu NS-Kindergärten, zum ›Stürmer‹ und so weiter […]«. Schempp kündigt dem Bischof den Gehorsam auf und rechnet mit dessen Entrüstung. Doch der zor­nige Brief endet mit dem Satz: »Gott möge Sie erleuchten und uns allen gnädig den Trost seines Wortes lassen. Paul Schempp, minister verbi divini«.

Wurm ließ auf diesen persönlich an ihn gerichteten Brief den Oberkirchenrat antworten, der sich freilich auf eine Entgegnung in der Sache nicht einließ, weil das Schreiben »an Gehässigkeit und Überheblichkeit jedes Maß« übersteige. Außerdem könne Schempps Verhalten ohnehin vor »Schrift und Bekenntnis nicht bestehen«, und zum ersten Mal wird der böse Verdacht einer pathologi­schen »nervösen Überreiztheit« Schempps geäußert.

Die Dinge eskalieren rasch, denn Schempp machte ernst mit seiner Ankündigung, den behördlichen Anweisungen der Kirchenleitung, sofern sie nicht von der Schrift her begründet sind, keine Folge mehr zu leisten. Er lehnte es ab, eine Kanzelabkündigung Wurms zu verlesen und verweigerte die Annahme von Sendungen des Evangelischen Gemeindedienstes. Nachdem der Oberkirchenrat im Mai 1937 auch der Sozietät das Recht abgesprochen hatte, im Namen des Bekenntnisses aufzutreten, weil diese Gruppe die organisatorische Sammlung der BK in Württemberg am Oberkirchenrat vorbei vorgeschlagen hatte, beantwortete Schempp eine verwaltungstechnische Anordnung seines Dekans mit der Feststellung, er betrachte sich vom Oberkirchenrat faktisch aus der Kirche ausgeschlossen, denn wenn man ihm und seinen Freunden das Recht ab spreche, im Namen des Evangeliums zu reden, spreche er dem Oberkirchenrat die geistliche Leitung der Kirche ab.

Trotz dieser Zuspitzung kam es noch einmal unverhofft zu großer Einmütigkeit, als im Juni 1937 der Staat von allen Religionsunterricht erteilenden Pfarrern einen Eid auf den Führer ohne Vorbehalt verlangte. 700 evangelische Pfarrer in Württemberg verweigerten im Einvernehmen mit dem Bischof den Treueschwur und wurden als Religionslehrer aus den Schulen entfernt. Auch bei der Verhaftung Niemöllers im Juli 1937 protestierten Wurm und der Oberkirchenrat gemeinsam mit der ganzen Bekennenden Kirche in Württemberg und im Reich gegen diesen Willkürakt, und zum Jahresende nahm der Oberkirchenrat das böse Wort über die Sozietät wieder zurück.

Das Entscheidungsjahr 1938

Man kann die Verschärfung von Schempps Konflikt mit Wurm und dem Oberkirchenrat in den folgenden Monaten nur auf dem Hintergrund der politischen Ereignisse des Entscheidungsjahres 1938 verstehen. Dieses Jahr begann mit einem Angriff auf die Bekennende Kirche. Der Reichskirchenminister verschaffte sich das Recht, persönlich über disziplinarische Gewalt gegen die Pfarrer der Bekennenden Kirche auszuüben. Damit war die Zweite Vorläufige Leitung un­mittelbar bedroht.

Am 12. März 1938 marschierten deutsche Truppen in Österreich ein. Der Anschluß ans Reich wurde unter Jubel vollzogen. Als Antwort auf dieses Ereig­nis forderte der Oberkirchenrat die Pfarrer zu einer nationalreligiösen Dank­feier im Hauptgottesdienst auf, denn »[…] der Herr hat Großes getan am Deutschen Volk […]«. Die Sozietät befand, die Jubelagende des OKR stehe im Widerspruch zum ersten und grundlegenden Satz der Barmer Erklärung, und der Landesbruderrat sah darin einen »Rückfall in die Verirrungen von 1933«.

Am 10. April war Volksabstimmung, durch die man sich für den Anschluß Österreichs und für Adolf Hitler aussprechen sollte. Die lutherischen Bischöfe forderten zur Treuebekundung gegenüber dem Führer auf, und der OKR hielt sogar Glockengeläut am Abstimmungstag für angebracht. Pfarrer Otto Mörike und seine Frau Gertrud in Kirchheim/Teck stimmten mit Nein und begründeten dies schriftlich mit der Unterdrückung der Bekennenden Kirche und der Beu­gung der Grundrechte durch den Staat. Noch am selben Abend überfiel die SA Mörike in seiner Wohnung, mißhandelte ihn schwer und prügelte ihn durch die Straßen. Wurm rügte zwar die rüden Methoden der SA, tadelte aber auch Mö­rike, weil er seinem Protest eine »politische Form« gegeben habe.

Indessen hielt Wurm trotz des schweren Zwischenfalls die Zeit für eine Ver­ständigung mit dem NS-Staat gekommen. Er propagierte deshalb wie die DC-Kirchenführer auch für die Württembergische Landeskirche den Treueid auf Hitler. Zusammen mit 50 weiteren Sozietätlern verweigerte Schempp den Treueid und verpflichtete sich, diesen Schritt vor seiner Gemeinde öffentlich zu begründen. Er schrieb im Gemeindebrief an seine Iptinger, daß er trotz der Ei­desauflage des Oberkirchenrats »selbstverständlich in [seiner] bisherigen Hal­tung verharre[n] und das Amt der Predigt nicht durch Eid an politische Zielset­zungen oder Einschränkungen ausliefern werde«. Er fuhr fort: »Daß ich meine Entlassung zu gewärtigen habe, dafür sind starke Anzeichen vorhanden, da ich der frivolen Willkür der Kirchenleitung entgegengetreten bin.«[22] Gegen Her­mann Diem, der eine entsprechende Erklärung vor seiner Gemeinde verlesen hatte, wurde ein Dienststrafverfahren eröffnet und einstweilige Dienstenthe­bung verfügt. Doch während das Verfahren gegen Diem zwei Monate später eingestellt wurde, eskalierte der »Fall Schempp« erst recht.

In einem Brief an seinen Dekan, vor dem der Eid abgelegt werden sollte, ar­gumentierte
Schempp, daß mit diesem Treueid auf Hitler nun der »ganze große Streit um Schrift und Bekenntnis als ein großer Betrug entlarvt ist«, weil man sich damit »für die öffentliche Neutralität des Wortes Gottes entschieden« hat. »Was für eine Lakaienkirche, die von Freiheit redet, was für eine Hurenkirche, die von Hingabe an Christus predigt! […] Der Friede mit der DC wird diktiert, die Unantastbarkeit der staatlich sanktionierten Weltanschauung auch durch die Predigt ist akzeptiert gegen vorläufig tolerante Behandlung […]. Ich habe mich losgesagt von der Gottlosen-Zentrale des Alten Postplatzes.«[23]

Die Eröffnung des Disziplinarverfahrens

Schempps Schreiben an den Bischof und andere dienstliche Vorgesetzte waren nie an die Öffentlichkeit gerichtet. Niemand konnte Kenntnis haben von seinem Brief vom April 1938 an einen Beamten des Rechnungsprüfamts, dessen Prüfungsbemerkungen er mit beißendem Spott quittiert hatte. Schempp bat diesen Verwaltungsmann in einem späteren Schreiben um Entschuldigung, falls er ihn persönlich beleidigt habe, und versuchte ihm zu erklären, weshalb er Ziel seiner Angriffe geworden war. »Der Hauptgrund, warum ich […] mit absichtlich sackgroben Ausfälligkeiten antwortete, ist der: Alle meine […] Bemühungen, für kritische Bemerkungen und Fragen gegenüber der angeblich geistlichen Kirchenleitung beim Oberkirchenrat Gehör zu finden, sind fehl geschlagen. Man hat mich auf die allerbeleidigendste Weise, nämlich durch Ignorierung und die aus der Luft gegriffene Behauptung, ich sei krank, einfach abgelehnt. […] Ich kam zu der Überzeugung, daß der angeblich evangelische Oberkirchenrat […] sich erst dann zu einer Stellungnahme herbeiläßt, wenn diese Männer sich persönlich angegriffen fühlen. Da mußte nun eben die Verwaltungsbehörde die Brücke sein. Ich mußte so ausfällig und radikal sein, um eine Weiterleitung an den Oberkirchenrat und ein Disziplinarverfahren zu erreichen.« Schempps Brief endet mit den Worten: »Gott helfe uns, daß wir den Weg zu einer evangelischen, das heißt geistlich und in Freiheit regierten Kirche zurückfinden.«[24] Hinter Schempps bewußt inszenierten Provokationen steckte offensichtlich die Hoffnung, wenigstens im Zuge eines Disziplinarverfahrens werde endlich auch die Sache, um die es ihm allein ging, zur Verhandlung kommen.

Tatsächlich reagierte der Oberkirchenrat auf Schempps Brief an das Rechnungsprüfamt mit der Androhung eines Disziplinarverfahrens mit dem Ziel der Dienstenthebung und verfügte eine empfindliche Geldbuße durch Gehaltsabzug. Wieder verwies man auf eine »krankhafte Anlage« und stellte im übrigen fest, »sein unwürdiges Verhalten« stehe in krassem Widerspruch zu einer »an Schrift und Bekenntnis gebundenen Amtsführung«. Am 2. September 1938 wurde das Disziplinarverfahren gegen Schempp eröffnet. Gleichzeitig informierte der Oberkirchenrat die Pfarrerschaft über alle Inhalte der Klageschrift mit ausführlicher Zitierung aller beleidigenden Auslassungen Schempps, um ihn als pathologischen Querulanten zu diskreditieren. Tatsächlich wurde nun alles als Beweis dafür gesehen, daß Schempp weder äußere Ordnung noch menschlichen Anstand zu wahren wußte: der Eklat wegen des nicht korrekten Formats seiner zweiten Examensarbeit[25], sein Zaudern beim Eintritt in den Kirchendienst, sein Protest gegen die Kirchensteuerpfändung im kecken Brief an Wurm, seine angebliche Unbotmäßigkeit im Schuldienst, der Brief an Wurm vom 8. September 1936, die Annahmeverweigerung von Dienstpost, der grobe Brief an das Prüfungsamt und als letzter Auslöser die Stellungnahme zur Eidesfrage im Iptinger Gemeindebrief.[26]

Herausgefordert durch die Klageschrift wandte sich Erika Schempp am 16. September in einem Brief, von dem sie auf keinen Fall wollte, daß ihr Mann da­von erführe, an ein Mitglied der Kirchenleitung, den Prälaten von Heilbronn. Sie habe nicht die Hoffnung, das sehr einseitige Verfahren, bei dem die Kläger auch die Richter sind, in irgendeiner Weise beeinflussen zu können, wohl aber wolle sie zeigen, was ihr »vom rein menschlichen Standpunkt aus« am Verfah­ren »unbegreiflich« ist. »Ich weiß gut«, schreibt Erika Schempp, »daß die Aus­drucksweise meines Mannes geeignet ist, Anstoß und Entrüstung zu erregen […], aber ich kann es trotzdem nicht verstehen, daß eine Kirchenbehörde die Sache, um die es geht, so gänzlich mit Schweigen übergeht um dieser Form wil­len « Sie fragt, wie es zusammenpaßt, »daß die gleichen Herren, die sich durch jeden Brief meines Mannes beleidigt und in ihrer persönlichen Ehre angegriffen fühlen«, nun ihrerseits meinem Mann »krankhafte Veranlagung zusprechen wollen«. Sie fährt fort: »Ist es wohl menschlich anständig, wenn man in dieser Weise [wie in der Klageschrift, d. V] die berufliche Vergangenheit meines Mannes darstellt, […] ist es anständig, eine große Anzahl von einzelnen der­ben, schroffen, groben Äußerungen anzuführen, aber zu verschweigen, in welch größerem Zusammenhang sie getan wurden und worum es im tiefsten Grunde ging?« Und sie fragte weiter, wer denn der Kirche, die aufgrund ihres Auftrags auch »gezwungen ist, den Staat anzugreifen und Dinge zu sagen, die menschliche Ohren nicht gerne hören«, besser dient: jene, die blind sind für die Schäden oder einfach den Kampf scheuen, solche, denen ihr Fortkommen wichtiger ist als ihr Predigtamt, »oder Männer, wie mein Mann, die die Kirche so ernst nehmen, daß sie ohne Rücksicht auf ihr eigenes Wohl und das ihrer Fa­milie, allerdings dann auch ohne Rücksicht auf die Ruhe und Bequemlichkeit der vorgesetzten Behörde diese ermahnen, warnen und angreifen und bekämp­fen, wo es ihnen notwendig erscheint, die auch nach Jahren vergeblichen Kampfes die Hoffnung noch nicht völlig aufgegeben haben«. Erika Schempp schließt »früher habe ich versucht, meinen Mann zu einer Milderung seiner Ausdrucksweise und zum Nachgeben zu bewegen, heute tue ich das nicht mehr; ich habe nur den einen Wunsch, daß mir die Kraft geschenkt wird, ihm den Kampf, in dem er steht, durch meine Kleinmütigkeit nicht noch schwerer zu machen.«[27]

Die Bekennende Kirche wird zur stummen Kirche

Als Erika Schempp diesen Brief schrieb, drohte Hitler der Tschechoslowakei offen mit Krieg. Darauf gab die tapfere Zweite Vorläufige Leitung der Bekennenden Kirche eine Bußliturgie für Sonntag, den 30. September 1938, heraus, in welcher der Krieg als Strafgericht Gottes bezeichnet wurde. Durch das Mün­chener Abkommen kam es zwar nicht zu diesem Bußgottesdienst, doch eine SS-Zeitung hatte den Text der Liturgie bereits abgedruckt und diesen als lan­desverräterisch bezeichnet. Es war ein Desaster für die BK, daß sich die Bischöfe Wurm, Meiser und Marahrens von Reichskirchenminister Kerri dazu drängen ließen, sich sowohl vom Wortlaut wie von den Verfassern der Gebets­liturgie durch Unterschrift zu distanzieren. Bischof Wurm wurde vom Landes­bruderrat beschworen, die Erklärung zurückzuziehen. Die Sozietätler verfaßten zusammen mit Schempp eine zustimmende theologische Stellungnahme zu der Gebetsliturgie und bekundeten ihren Gemeinden durch Kanzelabkündigung und gegenüber dem Reichskirchenminister durch Unterschrift ihre Solidarität mit der vorläufigen Kirchenleitung. Minister Kerrl verlangte einen Monat spä­ter vom Oberkirchenrat Amtsenthebung sämtlicher 67 Unterzeichner, darunter natürlich Schempp.

Zwei Tage vor dieser mutigen Sozietätsaktion brannten in Deutschland die Synagogen. Am Bußtag, eine Woche später, war Pfarrer Julius von Jan in Ober­lenningen wohl der einzige Pfarrer im Reich, der damals mit seiner Predigt ge­gen den Pogrom dem prophetischen Auftrag der Kirche gerecht wurde. Die SA nahm Rache und prügelte den Pfarrer schier zu Tode. Die Predigt und das Schicksal von Jans habe, so Theodor Dipper, unter den bekenntnistreuen Pfar­rern einen Schock ausgelöst. »Sie entsetzten sich, sie schämten sich, aber sie fragten auch, ob man wirklich […] so direkt […] von der Sünde und von dem drohenden Gericht hätte reden müssen […].«[28]

Pfarrer Mörike wandte sich sofort an die Kirchenleitung und bestürmte sie, die Predigt von Jans drucken zu lassen und die ganze Pfarrerschaft aufzufor­dern, sie vor der Gemeinde zu verlesen. Dies wäre »geistliche Kirchenleitung« im Sinne Schempps und seiner Freunde gewesen. Aber man wies Mörikes An­sinnen schroff zurück. Statt dessen distanzierte sich Wurm von der Predigt von Jans ähnlich wie im Frühjahr von Mörikes Protest. Die Pfarrer, so belehrte er in einem Erlaß, hätten darauf zu achten, daß die »Verkündigung des Evangeliums mit seinem tiefsten seelenrettenden Inhalt« nicht belastet wird »mit politischen und kirchenpolitischen Ausführungen«[29]. So wurde die Bekennende Kirche in entscheidender Stunde zur stummen Kirche.

Amtsenthebung durch die Landeskirche – Beauftragung durch die Gemeinde

Schempps Freunde in der Sozietät erklärten gleich nach Eröffnung des Diszipli­narverfahrens ihre Solidarität mit dem Angeklagten. Sie beharrten auf der Aus­setzung des Verfahrens und forderten die unverzügliche Aufnahme des Sachge­spräches über die geistliche Leitung der Kirche. Gleichzeitig liefen Vermitt­lungsversuche, die eine persönliche Aussprache zwischen Wurm und Schempp zum Ziel hatten. Doch der Oberkirchenrat sammelte weitere Anklagepunkte. Schempp bot dazu Gelegenheit, als er einen Monat nach dem Pogrom ein Flug­blatt des Evangelischen Gemeindedienstes mit der Überschrift »Das Alte Testa­ment – ein Judenbuch?« mit Protest zurücksandte, weil dieses »jämmerliche Machwerk« den Bußruf des Alten Testaments dazu benütze, um »einträchtig mit allen Rasse-Antisemiten über das Volk Israel zu Gericht zu sitzen«[30]. Man rechtfertige insgeheim »den rassischen Judenhaß mit der Bibel« und ver­schweige die Tatsache, »daß Jesus ein geborener Jude ist«, wobei dann gleich­zeitig eine »götzendienerische Kirchenleitung« den Arierparagraphen ein­führe, die Judentaufe verbiete und den alttestamentlichen Unterrichtsstoff »im Dienst der heidnischen öffentlichen Meinung« zusammenschneide. Man nahm dieses Schreiben als weiteren Beweis für
Schempps aggressive Unversöhnlich­keit und betrieb das Disziplinarverfahren weiter.

Unmittelbar vor dem Urteilsspruch schien Bischof Wurm jedoch zu einem Gespräch mit
Schempp bereit zu sein, nachdem dieser schriftlich erklärt hatte: »Kommt es zu einem verbindlichen Gespräch [über den Weg der Kirche, d. V.], dann hat mein Rufen und Schreien, das zuletzt wohl als anstößig bezeichnet werden kann, den einzigen Zweck, dem es diente, erfüllt, und ich bin bereit, zu Beginn dieses Gesprächs jede gewünschte menschliche Genugtuung für die Form meines Vorgehens zu gewähren.« Die Richter zeigten sich davon unbe­eindruckt und verkündeten am 29. März 1939 ihr Urteil, wonach Schempp mit Wirkung vom 6. Mai aus dem Dienst ohne Bezüge zu entlassen war, weil er die kirchliche Ordnung mißachtet, seine »vorgesetzten Dienststellen und ihre Träger« beleidigt und in der Öffentlichkeit herabgesetzt sowie ihnen entgegen der im Ordinationsgelübde enthaltenen Verpflichtung den Gehorsam verweigert habe. Daß erst der Oberkirchenrat die Schmähreden Schempps vor der Öffent­lichkeit ausgebreitet hatte, spielte im Prozeß ebensowenig eine Rolle wie Schempps untadelige Amtsführung, sein Dienst als Prediger und Seelsorger soeben war der Band mit seinen bis heute mustergültigen Traureden erschienen – und sein vielfältiges Wirken als Theologe der reichsweiten Bekennenden Kir ehe.

Eine Woche bevor das Urteil wirksam wurde, berief Schempp in Iptingen eine Gemeindeversammlung ein, informierte über das Urteil des Disziplinarge­richts und legte den anwesenden Gemeindegliedern folgende Erklärung zur Abstimmung vor: »Pfarrer Schempp hat bisher sein Pfarramt im Einklang mit dem Glaubensbekenntnis der evangelischen Kirche pflichtgemäß und zum Wohl der Kirchengemeinde verwaltet und wird von der Kirchengemeinde he auftragt, seine Tätigkeit hier ohne Rücksicht auf seine landeskirchliche Entlassung so lange fort­zusetzen, als er nicht durch Gewalt daran gehindert wird «[31] Für das Bleiben ihres Pfarrers votierten 234 Stimmberechtigte bei einer Enthaltung. Später kamen noch weitere 90 schriftliche Erklärungen hinzu. Damit standen 97 Prozent aller erwachsenen Iptinger hinter Paul Schempp. Diese dankbare Treue und Liebe zu ihrem Prediger und Seelsorger hat die Gemein­de auch in den folgenden schwierigen Jahren in großer Geschlossenheit bewährt. Am 5. Mai, dem Vorabend der Amtsenthebung, fand in Iptingen eine weitere Gemeindeversammlung statt, in der Hermann Diem im Namen von 44 Sozietätlern das theologische Recht des Disziplinarurteils bestritt und die brüderliche Gemeinschaft mit Schempp und seiner Gemeinde bezeugte. Zu dieser Solidaritätserklärung gehörte die Verpflichtung, »mit der Gemeinde Iptingen zusammen auch die Sorge für den Lebensunterhalt von Pfarrer Schempp zu über­nehmen«.

Obwohl sich Wurm in einem ernsten Schreiben an die Unterzeichner der Solidaritätserklärung wandte und ihnen vorwarf, »das zuchtlose und unwahre Schimpfen« Schempps kommentarlos hinzunehmen und durch ihr Vorgehen zur Zerstörung der Landeskirche beizutragen, tat der Oberkirchenrat in den nächsten Monaten nichts, was die Lage noch zusätzlich verschärft hätte. Den unermüdlichen Vermittlungsbemühungen des Sozietätsmitglieds Harald Buchrucker, einem Berufsoffizier, war es zu danken, daß der Bischof endlich zu ei­nem Gespräch mit Schempp bereit schien, von dessen Ergebnis abhängen sollte, ob das Urteil aufgehoben wür­de. Doch die von Schempp dazu abgege­bene Bereitschaftserklärung befand Wurm aus unerfindlichen Gründen als un­zureichend. Dafür aber kam es am 20. Juli 1939 wenigstens zu einem ersten Ge­spräch zwischen Vertretern der Sozietät und dem Oberkirchenrat. Eine Fortset­zung dieses Gesprächs über die Grundsätze einer geistlichen Leitung der Lan­deskirche war geplant, doch der Kriegsausbruch machte ein weiteres Treffen unmöglich.

Schempp wurde gleich zu Kriegsbeginn zu einer Reserveeinheit in Ludwigs­burg und später in Rastatt eingezogen. Der Landesbischof gewährte Schempps Familie für die Zeit des Wehrdienstes einen Unterhaltszuschuß unter der Vor­aussetzung, daß einer landeskirchlichen Versorgung Iptingens nichts im Wege stehe. Der damit beauftragte Nachbarpfarrer respektierte den Beschluß der Iptinger Gemeinde und tat seinen Dienst in Absprache mit Schempp, der, so oft es ihm möglich war, in Iptingen predigte und Dienst tat. In einem Gemeinde­brief konnte Schempp mitteilen: »Solange ich Soldat bin, herrscht ein gewisser Burgfriede […], dagegen darf ich in diesem Jahr keine Kirchensteuern erheben, und die Kirchenpflege ist nun ganz auf freiwillige Beiträge angewiesen.«[32] Die von der Landeskirche unabhängige Gemeinde kam auf diese Weise für ein Mi­nimalgehalt ihres Pfarrers selbst auf. Schempps Vater und seine Freunde halfen durch ihre Beiträge mit.

Der Bruch mit der Landeskirche

Im Jahr 1942 wurde das Stillhalteabkommen brüchig. Ein neuer Stellvertreter versuchte im Einvernehmen mit dem Oberkirchenrat und an Schempp vorbei, die Iptinger Kirchengemeinde wieder in die landeskirchliche Ordnung einzu­gliedern und überdies das von der Sozietät aus theologischen Gründen abgelehnte neue Konfirmandenbüchlein einzuführen. Schempp protestierte und war doch zugleich hilflos. Deshalb kündigte er, falls keine Einigung erzielt würde, die Niederlegung seines Amtes an und machte zugleich deutlich, daß er sich dann nicht mehr »als Mitglied dieser Körperschaft des öffentlichen Rechtes« betrachte. Ende September 1942 verabschiedete sich Schempp in einer Predigt »für die Dauer seiner Einberufung« von seiner Gemeinde. Doch wider Erwarten wurde er auf Antrag seines Bruders, der in Kirchheim/Teck in der Leitung einer Segelflugzeugfabrik tätig war, zur Arbeit in diesem Rüstungsbetrieb als kaufmännischer Angestellter vom Wehrdienst freigestellt. Damit war eine notdürftige Versorgung Iptingens von Kirchheim aus wieder möglich

Gleichzeitig machte Schempp seine Ankündigung wahr und beantragte in Kirchheim seinen formellen Austritt aus der Landeskirche, vollzog diesen aber noch nicht. In Absprache mit dem Stellvertreter tat er nach wie vor immer wieder Dienst in Iptingen. So hatte er sich auch auf den 21. März 1943 zum Predigtgottesdienst angemeldet, fand aber zu seiner Überraschung an diesem Tag seinen Stellvertreter im Talar samt dem neuen Dekan des Bezirks in der Sakristei vor, der ihm untersagte, den Gottesdienst zu halten, weil er sich von der Landeskirche getrennt habe und damit kein Predigtrecht mehr besitze. Schempp der von diesem Kanzelverbot vorher nichts erfahren hatte und sich von seiner Iptinger Gemeinde beauftragt wußte, beförderte die beiden unter Schimpfen und indem er sie am Ärmel zog aus der Sakristei hinaus und begann dann den Gottesdienst.

Die unmittelbare Folge dieses Eklats war ein Predigtverbot für Schempp in der ganzen Landeskirche, das bis November 1948 bestand, sowie sein Ausschluß aus der Landeskirche. Deshalb wandte sich Schempp wieder an die Ge­meinde und ließ über drei alternative Anträge abstimmen. Zwei Anträge sahen vor, daß Schempp den Weg in Iptingen um des Friedens willen frei macht. Da für stimmten insgesamt 25 Personen. Doch 209 Gemeindeglieder entschieden sich dafür, daß Schempp sein Pfarramt wieder aufnehmen und so gut als möglich versehen sollte.

Jetzt richtete sich der Zorn der Kirchenleitung gegen die hartnäckige Kirchengemeinde Iptingen. Der Landesbischof drohte ihr den Ausschluß aus der Landeskirche an. Sie habe nun keinen Anspruch mehr auf geistliche Versorgung. Schempps Freunden wurde verboten, in Iptingen Dienst zu tun, und Erika Schempp mit ihren vier Kindern wurde kurzfristig das Pfarrhaus gekündigt. Dies nannte Hermann Diem damals »Interdikt, Bann, Exkommunikation […] nicht wegen Irrlehre, sondern als Zwangsmittel«[33] zur Durchsetzung der Ordnung.

Schempps leidenschaftlicher Kampf konzentrierte sich in dieser letzten Phase ganz auf die Verteidigung der evangelischen Freiheit seiner Gemeinde, die er durch die mit Zwangsmaßnahmen arbeitende landeskirchliche Ordnung be­droht sah. Es folgten Wochen unerträglicher Spannung, bis der Landesbischof und Schempp auf Hermann Diems Vorschlag eingingen, die Vorläufige Leitung der Bekennenden Kirche um Vermittlung im Streit zu bitten.

Für den 7. August 1943 wurde ein Gespräch zwischen dem Bischof und Schempp anberaumt, und vier Tage später sollten Vertreter der Sozietät, des Oberkirchenrats und der Vorläufigen Leitung versuchen, zu einer Einigung zu kommen. Das Gespräch mit dem Bischof schien die glückliche Wende zu brin­gen. Wurm bat Schempp, den Kirchenaustritt rückgängig zu machen, wie er dann seinerseits das Urteil des Disziplinargerichts aufheben werde, wenn Schempp als in seine Rechte wieder eingesetzter Pfarrer die »Ordnungen der Landeskirche in dem evangelischen Geist, in dem sie gemeint sind«, künftig beachte. Im Ge­spräch der Kirchenleitung mit der Sozietät, an dem Schempp teilnahm, traten freilich die Gegensätze noch einmal scharf zu Tage. Dennoch bedankte sich Schempp am folgenden Tag herzlich beim Bischof für das Gespräch und zeigte sich bereit, auf den Boden von Wurms Vorschlag zu treten, wenn er »für ein Jahr von der dem Diener des Wortes Gottes aufgelegten Pflicht zur Kritik am Kir­chenregiment« entbunden werde. Wurm wurde wegen dieser Bedingung stutzig, und Schempp erläuterte, daß es ein generelles Ja zu den Ordnungen einer Kirche gar nicht geben könne, wenn nicht das Evangelium von vornherein begrenzt wer­den solle. Der Bischof habe die Möglichkeit, den »Krieg« zu beenden, wenn er in Iptingen den Zustand der ersten drei Kriegsjahre wieder herstelle.

Tatsächlich beantragte Schempp kurz darauf wieder seinen Rücktritt in die Landeskirche. Doch dann wurde plötzlich durch die Forderung des Oberkir­chenrats, Schempp müsse natürlich erneut in seiner Gemeinde investiert werden und habe dabei gegenüber dem bisherigen Pfarrverweser ein öffentliches Schuld­bekenntnis abzulegen, eine neue Hürde aufgebaut. Weil er durch diese Zumutun­gen wiederum das Recht der Iptinger Gemeinde, die ihn ordnungsgemäß berufen hatte, durch evangeliumsfremde Bestimmungen willkürlich in Frage gestellt sah, schlug Schempp alle weiteren Vermittlungsversuche zur großen Enttäuschung der Vorläufigen Leitung und auch seiner Freunde in der Sozietät aus. Hermann Diem hatte bisher mit unverdrossener Solidarität zu Schempp gestanden, auch wo ihn dieser vor vollendete Tatsachen gestellt hatte. Daß er aber nun die ausge­streckte Hand des Bischofs zurückwies, konnten er und andere Freunde nicht ver­stehen, zumal Wurm inzwischen wieder treu zur Bekennenden Kirche und ihrer Leitung hielt. Am 29. November 1943 legte Schempp in einem Schreiben an Bi­schof Wurm sein Pfarramt in Iptingen nieder und erklärte unter erneuten heftigen Angriffen auf Wurm und den Oberkirchenrat kurz vor Weihnachten 1943 seinen Austritt aus der Landeskirche. Postwendend wurden ihm nun die zuvor wieder verliehenen Rechte des geistlichen Standes entzogen.

Daß dieser Kirchenaustritt niemals die geistliche Trennung von der Gemeinde Jesu Christi in Deutschland bedeutete, zeigte sich ein Jahr später in Kirchheim/Teck, wohin die Familie umgezogen war. Erika und Paul Schempp riskierten beide den Hals, als sie Ende 1944 in ihrer kleinen Wohnung auf Bitten des Wankheimer Pfarrers Richard Gölz den flüchtigen jüdischen Arzt Dr. Pineas drei Wochen lang beherbergten.

Neuanfang statt Restauration

»Restauration oder Neuanfang in der Kirche?« lautete der Titel einer Broschüre, die Hermann Diem und Paul Schempp gemeinsam im Februar 1946 heraus brachten.[34] Es handelte sich um den Entwurf einer neuen Kirchenordnung, die Konsequenzen aus den Erfahrungen des Kirchenkampfes zu ziehen versuchte Bereits in den ersten Wochen nach dem Untergang des Nazireiches hatte Schempp die Gefahr gewittert, daß der Neuanfang vertan würde und die Kir­che den Weg der Restauration beschreite. Zwei Tage nach der Kapitulation, am 10. Mai 1945, hatte sich Wurm als Landesbischof und unbestrittener Sprecher der Bekennenden Kirche in Deutschland bei einem Gottesdienst im Stuttgarter Staatstheater mit einer Predigt und einer Kundgebung an die deutsche und internationale Öffentlichkeit gewandt. Schempp sah in Wurms damaligen Wor­ten das Bild einer Kirche gezeichnet, die den Nazis getrotzt hatte und im gro­ßen und ganzen immer auf dem richtigen Weg geblieben war. Erzürnt reagierte er auf diese erste offizielle Äußerung der Evangelischen Kirche Deutschlands nach dem Kriege mit einer damals nicht veröffentlichten Schrift »Der Weg der Kirche« vom 29. Mai 1945.[35] Nicht die Nazis hätten jetzt in erster Linie Buße zu tun, sondern die Bekennende Kirche, wenn sie sich nicht um den Neuanfang in der Kraft der Vergebung bringen wolle. Er erinnerte den Bischof an die Sabo­tage der Bekennenden Kirche durch die eigenen Kirchenführer und fragte: »Wo hat die christliche Kirche den Auftrag, sich zu distanzieren von der Schuld der Welt, sich selber zu rechtfertigen und zu empfehlen? Wo wäre das je in der Weltgeschichte unangebrachter, verräterischer, unbarmherziger gewesen als gerade heute unter dem Gericht Gottes? […] Hat man nichts Besseres zu tun als gerade das zu sagen, wonach dem ganzen Volk die Ohren jücken, nämlich die Schuld abzuschwächen und […] sich möglichst reinzuwaschen von der ge­meinsamen Schuld?«[36] Wieder war Wurm empört über Schempp, und es gelang ihm, den Druck der Schrift zu verhindern.

Aber daß das offene Schuldbekenntnis das einzige Tor zur Versöhnung und zum Neuanfang ist, diese Erkenntnis wuchs auch bei Wurm in den Herbsttagen 1945. Als erster unterzeichnete er vor den Vertretern der Ökumene das Stutt­garter Schuldbekenntnis vom 19. Oktober 1945. Schempp und seine Freunde atmeten auf.

Die eindrücklichste Konkretion sollte das sehr formelhafte Schuldbekennt­nis von Stuttgart dann freilich durch die »Erklärung der kirchlich-theologi­schen Sozietät in Württemberg vom 9. April 1946« erfahren, die das Versagen gerade der Bekennenden Kirche ebenso konkret benennt wie die Aufgaben, die jetzt vor den Gemeinden und ihren Pfarrern liegen. Gleich der erste Satz dieser Erklärung verrät den unverwechselbaren Gestus der eindringlichen Sprache Paul Schempps: »Wir sind mutlos und tatenlos zurückgewichen, als die Glieder des Volkes Israel unter uns entehrt, beraubt, gepeinigt und getötet worden sind. Wir ließen den Ausschluß der Mitchristen, die nach dem Fleisch aus Israel stammten, von den Ämtern der Kirche, ja sogar die kirchliche Verweigerung der Taufe von Juden geschehen. Wir widersprachen nicht dem Verbot der Ju­denmission. Wir wehrten nicht der militaristischen Verfälschung der Vater­landsliebe. Wir haben indirekt dem Rassedünkel Vorschub geleistet durch die Ausstellung zahlloser Nachweise der arischen Abstammung und taten so dem Dienst am Wort der frohen Botschaft für alle Welt Abbruch. Wir haben zu we­nig Widerspruch gewagt gegen die Vergötzung unseres Volkes und seiner Machthaber, gegen die Knechtung der Gewissen, gegen die Auflösung des Rechts, gegen die Vernichtung der Juden, gegen die in Angst oder Unverstand erfolgte Selbstauslieferung der Christen einschließlich der Geistlichen an die Leib und Seele fordernde Diktatur eines irrenden Menschen, gegen die Mas­senermordung von Unschuldigen und gegen den Überfall und die Ausbeutung der Nachbarländer. Wir waren schwach im Glauben, träge in der Liebe und setzten nicht unsere Hoffnung allein auf die Gnade unseres allmächtigen Va­ters.«[37]

Die ersten Jahre nach dem Kriege waren fast die arbeitsreichsten im Leben des dienstentlassenen Pfarrers Paul Schempp. Er wurde zum Prediger der Re­formierten Gemeinde in Stuttgart berufen, für die er eine »Christenlehre in Frage und Antwort« sowie eine Gemeindeordnung entwarf, die dann auch von der Gemeinde angenommen wurde. Schempp war ja nie ein Feind der Ordnung, wie seine Gegner meinten. Doch evangelische Ordnung hatte für ihn die Freiheit des Evangeliums zu ermöglichen.

Im zerstörten und viergeteilten Deutschland übernahm er die Aufgabe der Leitung der »Kirchlich-Theologischen Arbeitsgemeinschaften für Deutsch­land«, dem wichtigen Basisorgan der Bekennenden Kirche. Vorträge, Zeitungs­artikel und Radioansprachen wurden von dem »freien Schriftsteller« erbeten, und seine wichtigsten theologischen Veröffentlichungen entstanden in dieser Zeit. Der Mann, der nach wie vor auf Württembergs Kanzeln Predigtverbot hatte, wirkte über die Grenzen hinaus. Er schrieb in ausländischen Zeitschriften und wirkte als Redner der Gewerkschaften und der damals noch marxistischen SPD.

Seine ganze Liebe aber galt in dieser Zeit der desillusionierten Jugend Deutschlands. Ihr sind zahlreiche seiner kleineren Schriften in den ersten Nachkriegsjahren gewidmet, und er versteht es, eine Sprache zu finden, die frei ist von kirchlichen Phrasen. Auch seine theologischen Veröffentlichungen zeichnen sich aus durch souveräne Freiheit gegenüber den gängigen theologi­schen Denk- und Sprachmustern. Ob er nun in seiner Schrift »Das Evangelium als poli­tische Weisheit« eine politische Theologie entwirft, das Kernproblem von Gesetz und Evangelium erhellend am Phänomen des Selbstmords darlegt oder in seinem Büchlein »Die Geschichte und Predigt vom Sündenfall« bi­blisch-reformatorische Anthropologie entfaltet.

Im November 1948 kam es durch Vermittlung Hermann Diems zur Aussöh­nung mit Landesbischof Wurm. Schempp war auf Anregung Diems in einem Brief auf den greisen Bischof zugegangen, und Wurm begegnete ihm im persön­lichen Gespräch mit väterlicher Herzlichkeit. In einem Brief an Hermann Diem bekennt Wurm: »Es war mir eine große Freude, nun auch den Konflikt mit Paul Schempp bereinigen zu können. Ich betrachte das als den schönsten Abschluß meiner amtlichen Laufbahn.«[38] Schempp erhielt wieder seine Rechte als Predi­ger des Evangeliums in Württemberg und wurde Lehrer für die Fächer evangeli­sche Religionslehre, Philosophie und Deutsch an seiner alten Schule, dem Eberhard-Ludwigs-Gymnasium in Stuttgart. Dort erreichte ihn zehn Jahre spä­ter der Ruf, als Professor für praktische Theologie an die Evangelisch-Theologi­sche Fakultät der Universität Bonn zu kommen. Von dort war ihm ein Jahr zu­vor der theologische Ehrendoktor verliehen worden. Aus Anlaß der Verleihung dieser Auszeichnung hielt Schempp 1957 vor der Bonner Fakultät einen Vor­trag über das Thema »Der Mensch Luther als theologisches Problem«. Später hat er die Überschrift dieses Vortrags, der sich teilweise wie ein Kommentar zum Menschen und Theologen Paul Schempp liest, in »Der freie Mensch Lu­ther« geändert.

Das Wintersemester 1958/59, in dem Paul Schempp als Professor zu wirken begann, wurde zugleich sein letztes. Nach schwerem Leiden starb er am 4. Juni 1959 in Bonn. Erst nach seinem Tode wurde sichtbar, für wie viele Menschen Paul Schempp, der streitbare und angefochtene Theologe, auch Helfer und treuer Seelsorger war. Ihn habe, so bekennt einer der vielen Freunde in einem Brief[39], ein einziger Satz immer wieder aufgerichtet, den Schempp einem Pfar­rerskollegen zur Antwort gab, als dieser ihn mitten in den turbulenten Tagen des Kirchenkampfes ängstlich-neugierig fragte, was es denn Neues gebe: »Seit der Auferstehung Jesu Christi gibt es nichts Neues!«

Quelle: Rainer Lächele/Jörg Thierfelder (Hrsg.), Wir konnten uns nicht entziehen. 30 Porträts zu Kirche und Nationalsozialismus in Württemberg, Stuttgart: Quell, 1998, S. 351-377.


[1] Bizer, Kampf, 190.

[2] Müller, Tübinger Chronik – Reformationsfest 1965.

[3] Nachlaß von Paul Schempp im Besitz von Frau Ursula Schempp, Göppingen.

[4] Wie Anm. 2.

[5] Barth, Römerbrief, XVII.

[6] LKAS, PA Schempp.

[7] Schempp, Entwürfe, 39.

[8] Bizer, Kampf, 18.

[9] Bizer, Kampf, 20.

[10] Wie Anm. 3.

[11] Wie Anm. 10.

[12] LKAS, PA Schempp.

[13] Dunstkreis, 160.

[14] LKAS, PA Schempp.

[15] Wie Anm. 14.

[16] Ebd.

[17] Ebd.

[18] Bizer, Kampf, 34.

[19] Aschermann/Schneider, Studium, 123 f.

[20] Widmann, Predigtamt, 140. Das Zitat ist dem Votum der Sozietät gegen die sogenannten Zoellnerschen Kirchenausschüsse entnommen. Der Kirchenminister wollte die Kirchenleitung Ausschüssen übertragen, in denen die Deutschen Christen und die Bekennende Kirche glei­chermaßen vertreten sein sollten. – Zum vorausgehenden Diktum Kerrls siehe Niemöller, Kir­che, 181.

[21] Bizer, Kampf, 45.

[22] Widmann, Predigtamt, 164.

[23] Alter Postplatz 4 war die Adresse des Oberkirchenrats. Zitat aus Bizer, Kampf, 60 f.

[24] Bizer, Kampf, 68.

[25] Siehe dazu LKAS, PA Schempp. Schempp hatte bei der Einsendung seiner großen Luther-Ar­beit nicht das vorgeschriebene Format beachtet, sondern einen Durchschlag seines für den Ver­lag bestimmten Maschinenmanuskripts eingereicht. Die Annahme wurde verweigert, was Schempp veranlaßte, den oberkirchenrätlichen Bürokratismus mit beißendem Spott zu attackieren.

[26] Wie Anm. 25.

[27] Wie Anm. 26. Dr. Weeber, Jurist im Oberkirchenrat und Ankläger im Disziplinarverfahren, nahm übrigens keinerlei Rücksicht auf die Bitte von Erika Schempp, ihren Mann von ihrem Schreiben nichts wissen zu lassen. In bewußtem Vertrauensbruch wurde der Brief zu Prozeßbeginn als Beleg dafür verwendet, daß Schempp die Klageschrift empfangen hatte.

[28] Dipper, Bekenntnisgemeinschaft, 267.

[29] Wie Anm. 28.

[30] Bizer, Kampf, 88 f.

[31] Bizer, Kampf, 99.

[32] Bizer, Kampf, 121.

[33] Bizer, Kampf, 138.

[34] Diem, Restauration, 8.

[35] Schempp, Weg, 8, und Widmann, Predigtamt, 186f.

[36] Schempp, Weg, 17.

[37] Schempp, Weg, 25.

[38] Diem, Ja oder Nein, 205.

[39] Wie Anm. 3.

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