Johannes Rehm, Wider eine „Theologie der gegebenen Tatsachen“. Pfarrer Karl Steinbauer (1906–1988). „Worauf setzt Kirche ihr Vertrauen und woran orientiert sie sich in ihrem Reden und Tun? Orientiert sie sich an sogenannten gegebenen Tatsachen oder vertraut sie auf Gottes Verheißungen? Diese Frage seiner Kirche in den verschiedenen geschichtlichen und politischen Herausforderungen des 20. Jahrhunderts immer neu zu stellen, wurde Karl Steinbauer nie müde. Weil diese Frage uns Christinnen und Christen heute genauso betrifft wie die Generationen vor uns, deshalb lohnt sich die Auseinandersetzung mit dem Glaubenszeugnis von Karl Steinbauer.“

Wider eine „Theologie der gegebenen Tatsachen“. Pfarrer Karl Steinbauer (1906–1988)

Von Johannes Rehm

Gerne komme ich als Leiter eines landeskirchlichen kda’s der freundlichen Aufforderung aus dem Herausgeberkreis nach, zur Festschrift für den hochgeschätzten Kollegen Günter Brakelmann beizutragen. Sein Name hat beim Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt einen sehr guten Klang, denn wir verdanken ihm für unseren Arbeitsbereich wegweisende Publikationen zum Ethos der Arbeit sowie zur Geschichte von Kirche und Arbeiterbewegung. Ich selbst weiß mich dem Jubilar darüber hinaus verbunden im wissenschaftlichen Interesse an der Erforschung des Widerstands im Dritten Reich sowie an der regionalen Kirchengeschichte. Insofern möchte ich die Aufmerksamkeit des verehrten Kollegen und seines Umfelds auf eine außerhalb Bayerns weniger bekannte widerständige Pfarrerspersönlichkeit aus dem Kontext meiner bayerischen Landeskirche lenken, indem ich die Geschichte Pfarrer Karl Steinbauers in groben Zügen nacherzähle. Mein Interesse dabei ist nicht nur historischer Natur, sondern theologisch motiviert. Nicht zuletzt verdankt mein Arbeitsbereich der arbeitsweltlichen Kirche dem Erbe der Bekennenden Kirche seine theologische Grundlage.

Obwohl Karl Steinbauer in seinem langen Pfarrersleben nie ein besonders hervorgehobenes Amt bekleidet hat[1], war und ist sein Name in der älteren und mittleren Generation der bayerischen Pfarrerschaft ein Begriff.[2] Viele haben Karl Steinbauer seine bewegte Lebensgeschichte noch selbst erzählen hören, im Kreis seiner Pfarrbruderschaft etwa, in den Evangelischen Studentengemeinden oder im theologischen Seminar in Erlangen. Wenn Steinbauer erzählte, dann war auch für seine oft sehr jungen Zuhörer die scheinbar ferne Geschichte der Bekennenden Kirche und ihres Widerstands plötzlich ganz nah und gegenwärtig. Denn aus der Erzählung ergab sich wie von selbst, dass die Konflikte und Entscheidungen von damals gar nicht so verschieden sind von denen, die die Kirche Jesu Christi in der Gegenwart bewegen. Und außerdem: Er hat sie alle gekannt und ist mit ihnen be­freundet gewesen, den großen Gestalten der B.K. – Niemöller[3], Barth, Immer, Bonhoeffer, Gollwitzer, Fischer und wie sie alle hießen[4]. Steinbauers Bedeutung beschränkte sich nicht nur auf den Raum seiner eigenen Landeskirche. „Der Löwe aus Bayern“ nannten ihn die norddeutschen Brüder der Bekennenden Kirche respektvoll. „Karl Steinbauer, das war für uns im Norden unseres Vaterlandes ein fester Begriff. Nicht nur, weil er lange auf der Fürbittenliste stand, sondern weil da eine seltsam eindringliche Stimme aus Bayern zu uns kam…. Eine Stimme von eindringlicher, beschwörender Art, wie sie der Kirche nur in apokalyptischen Zeiten geschenkt ist. Diese Stimme hat um uns geworben, hat unverwechselbar Menschen in Staat und Kirche aufs Korn genommen – so, dass noch bei heutiger Lektüre seiner Briefe einem der Atem stocken kann.“[5] So der langjährige Berliner Professor für Praktische Theologie Martin Fischer im Jahr 1981 zu Steinbauers 75. Geburtstag.

In eine andere Richtung zielt diese Geschichte: Ein Witzbold, dem Steinbauers Bekennermut zu weit ging, hatte in den 30er Jahren das geflügelte Wort geprägt, Daniel in der Löwengrube hätte die Löwen nicht am Schwanz gezogen, wie Niemöller und Steinbauer. Viele Geschichten und Geschichtchen rankten sich um Karl Steinbauer. Wer ihm selber zuhörte, der merkte rasch, dass es bei seiner Geschichte nicht in erster Linie um Historie, sondern um ein für die Gegenwart relevantes Zeugnis ging. Steinbauer erzählte seine Geschichte und dokumentierte diese ausführlich nicht zuletzt deshalb, weil er zeitlebens daran litt, dass seine eigene Landeskirche sich ihrer jüngsten Vergangenheit nicht wirklich stellte, die damals verantwortlichen Amtsträger ihre Schuld nicht öffentlich eingestanden und mit dem Erbe der Bekennenden Kirche nichts anzufangen wussten. Die meisten Personen, von denen Steinbauer erzählte und mit denen er sich ein Leben lang auseinandersetzte, sind lange tot und die junge, nachwachsende Pfarrersgeneration, auch in Bayern, kann mit seinem Namen zunehmend weniger anfan­gen. Die Geschichte, die Steinbauer zu erzählen nicht müde wurde, erscheint mir jedoch heute genauso wichtig zu sein, wie damals als er sie noch selbst erzählen konnte.

Diese seine Kirche hatte lebenslang ihre liebe Not mit ihm und er mit ihr, obwohl er ihr doch nur mit aller Hingabe und voller Ernsthaftigkeit dienen wollte. Vor allem die Amtsbrüder in den kirchenleitenden Ämtern fürchteten bis zuletzt seine emotionalen, eruptiven Ausbrüche auf Pfarrkonferenzen oder ähnlichen Veranstaltungen, wenn da irgendwo, was ja nicht gerade selten vorkommt, unbiblisch und also saudumm dahergeredet wurde. „Saudummer Jahrgang“ war bei ihm die milde Form der Zurechtweisung, die auch derbere Varianten kannte. Steinbauers fatale Neigung zum Zwischenruf – und er konnte laut rufen – schreckte lebenslang so manchen um Harmonie und Ausgleich bemühten braven bayerischen Dekan. Und Karl Steinbauer wusste dies auch und hatte es immer wieder an seinem Leib schmerzlich erfahren, dass nicht wenige herausragende Persönlichkeiten seiner Landeskirche sich seiner schämten. Denn bürgerliche Konvention war seine Sorge nicht, wenn es um die Sache des Evangeliums ging. Respektvoll respektlos war sein Umgang mit der kirchlichen Obrigkeit, der er als Ordinierter unter Ordinierten gegenübertrat. Es ging ihm mit seinen gellenden Zwischenrufen nicht darum irgendjemand zu verletzen, sondern er wollte auf den Ernst des biblischen Anspruchs hinweisen und die Kirche vor falschen Wegen bewahren. Steinbauer verstand es zu Lebzeiten sehr wohl, sich Gehör zu verschaffen. Doch er machte lebenslang die Erfahrung, dass man gerade in seiner Kirche ihn nicht hören wollte, sondern bei seinen Zwischenrufen schmerzlich aufstöhnte, „das ist halt der Karl Steinbauer“. Diese Neigung, ihn zu überhören und auszugrenzen, hängt mit der Sperrigkeit und Radikalität von Stein­bauers Lebens- und Glaubenszeugnis zusammen. Diese fällt auch heute noch sofort auf, wenn Steinbauers Botschaft mit gegenwärtigen Problemen kirchlicher Praxis konfrontiert wird. Was würde er wohl sagen zu einer Kirche, die nicht wenige als „religiöses Dienstleistungsunternehmen“ verstehen, in dem nicht Christus, sondern der „Kunde“ König ist und somit das „Angebot“ bestimmt? Es lohnt sich in einer Zeit zunehmender funktionaler Pfarrersbilder, sich von Karl Steinbauer erklären zu lassen, was „Ordination“ und „Installation“ für ihn theologisch bedeuten. Sich an Steinbauer erinnern, muss heißen, sich von ihm und seinem Zeugnis ernsthaft in Frage stellen zu lassen. Woran orientiert sich Kirche und worauf setzt sie ihre Hoffnung? so verstehe ich die Grundanfrage Karl Steinbauers. Vertritt sie eine angebliche „Theologie der gegebenen Tatsachen“ oder hält sie sich, in ihren konkreten Entscheidungen auf Gott vertrauend, an das erste Gebot?

„… die ägyptischen Fleischtöpfe staatlicher Bevorzugung (i.e. Bevormundung) …“ – Thron und Altar

Im Folgenden versuche ich, die Lebensgeschichte Karl Steinbauers in groben Zügen für diejenigen nachzuerzählen, die sie bisher nicht kannten. In meiner Nacherzählung orientiere ich mich an den von ihm noch im Selbstverlag herausgegebenen und heute vergriffenen autobiographischen Bänden „Einander das Zeugnis gönnen“. Damit mache ich mir natürlich Steinbauers Erzählperspektive zu eigen, weil mir seine spezifische Sicht des „Kirchenkampfes“ der Erinnerung wert zu sein scheint[6].

Die Lebensgeschichte Karl Steinbauers ist Teil der Geschichte der Bekennenden Kirche. Aus­drücklich beruft er sich bereits auf den ersten Seiten seiner Lebenserinnerungen auf Theologen wie Martin Niemöller, Kurt Scharf, Dietrich Bonhoeffer und Martin Fischer.[7] Damit stellt er sich von vorneherein auf die Seite derer, die die Zwei-Reiche-Lehre eben nicht unter Berufung auf Luther als Trennung von Staat und Kirche verstanden wissen wollen. Für Steinbauer liegt hier ein Missverstehen von Luthers Lehre vor, der doch Gottes Willen als für beide Bereiche gültig ansah. Steinbauer selbst lehnt die gängige Kontrastierung von ‘Staat’ und ‘Kirche’ ab, sucht vielmehr die fruchtbare Begegnung von Menschen. „Die Christenmenschen, die derzeit die Regierungsgeschäfte verwalten, und die Christenmenschen, denen die Verkündigung des Wortes Gottes in besonderer Weise aufgetragen ist, sollten redlich (das kommt von Reden), d. h. im offenen Gespräch ‘Aug’ in Aug’, vom Evangelium her, aufs Evangelium zu, einander das Zeugnis der Christusbotschaft gönnen. Selbst wenn es sich im Gegenüber, auf der anderen Seite um Nicht­christen handelt, bin ich gegebenenfalls als ‘Brüder auf Hoffnung’ das Christuszeugnis dennoch schuldig“.[8] Scharf grenzt Steinbauer sich ab von einer „…in ihrem rückwärtsschauenden Thron- und Altardenken befangenen Kirche, die königlich-bayerischen Dekane und Oberkonsistorialräte genauso wie die königlich-preußischen Superintendanten und Generalsuperintendenten samt Pfarrern und Gemeindegliedern, weithin dem Weimarer Staat gram war, weil er sie um ihre behütete, wohlgeordnete, gesellschaftlich hochan­gesehene Pfarrerexistenz, um die ägyptischen Fleischtöpfe staatlicher Bevorzugung (i.e. Bevormundung) gebracht hatte, die Kirchenleitungen und Gemeinden waren sozusagen rück­wärts gekehrt wie Lots Weib auf all das, was ihnen zerbrochen war“.[9]

„… selbstverständlich national…“ – Kindheit und Jugend in Kaiserreich und Weimarer Republik

Karl Steinbauer wurde am 2. September 1906 in Windsbach/ Mittelfranken, dem evangelischen Herz der bayerischen Landeskirche, geboren.[10] Er ist das zehnte Kind seiner Eltern. Die Familie stammte von österreichischen Exulanten, also von Glaubensflüchtlingen ab. Der Großvater war Bauer, ein bibelfrommer Mann, den Karl später als seinen ersten `Kirchenvater` bezeichnete. In Steinbauers Predigten spielten ein Leben lang Beispiele und Vergleiche aus der Landwirtschaft eine besondere Rolle.[11] Seine Muttersprache war Fränkisch. Nicht das sogenannte Kanzelfränkisch mit dem feinen Schnörksel, die lingua franca der bayerischen Landeskirche, sondern ein bodenständiges, deftiges Fränkisch, mit dem er virtuos umzugehen wusste. Sein Vater war Pfarrer und zur Zeit der Geburt von Karl Rektor des Progymnasiums in Windsbach. Das erste bewusst wahrgenommene politische Ereignis stellte für Karl Steinbauer die Mobilmachung im Jahr 1914 dar. Seine älteren Brüder nahmen als Kriegsfrei­willige am Ersten Weltkrieg teil. Das Denken seiner Eltern war selbstverständlich national geprägt.[12] Auf dem Hintergrund des verlorenen Krieges und der hohen Arbeitslosigkeit verbanden sich in der Familie Steinbauers und auch bei ihm selbst mit dem sich aus der Völkischen Bewegung herausentwickelnden Nationalsozialismus große Erwartungen[13]. Steinbauer besuchte das Gymnasium zunächst in Ansbach, dann in Nürnberg und berichtet von der fast durchgängig anti­semitischen Einstellung unter den Gymnasiasten seiner Generation, die den Antisemitismus direkt „…als nationale Pflicht“ verstanden[14]. Karl Steinbauer erinnert sich, dass er trotz seiner eigenen nationalen Einstellung dem Nationalsozialismus und vor allem Hitler gegenüber „…große Hemmungen hatte“.[15] Schon in der Schulzeit begann er, intensiv in der Bibel zu lesen.[16] Nach dem Abitur im Jahr 1927 realisierte er den lang gehegten Studienwunsch: Er studierte Theologie. „Nach dem Gymnasium bezog ich die Universität Erlangen, an der ich die ersten vier Semester meiner Studienzeit verbrachte. In dieser Zeit war ich auch bei der Burschenschaft Germania aktiv, der schon mein Vater angehörte. Mein fünftes Semester studierte ich in Königsberg …. Das sechste und siebente Semester meines Studiums verbrachte ich in Tübingen und im laufenden Semester bin ich nun wieder in Erlangen immatrikuliert und will mich am Ende des Semesters der theologischen Aufnahmeprüfung unter­ziehen“, so steht es im selbstgefertigten Lebenslauf des cand. theol. K. Steinbauer, vermutlich aus dem Jahr 1931, dem Jahr seines ersten Examens.[17] Steinbauer gehörte zeitlebens zu der schlagenden Verbindung „Germania“. Diese Zugehörigkeit stand für ihn nie in Frage, auch nicht in den Zeiten, in denen er mit vielen seiner Bundesbrüder uneins war über die angemessene Haltung zum Nationalsozialismus. Dies blieb auch sehr viel später so als er im Gegensatz zu vielen Burschenschaftlern sich zur Friedensbewegung der 80er Jahre zugehörig fühlte.

Zunächst war Karl Steinbauer Pfarrvikar in Heiligenstadt. Das Predigen machte ihm große innere Mühe, da er seine Verantwortung gegenüber dem biblischen Wort ganz ernst nahm[18]. In dieser Zeit im Laufe des Jahres 1932 trat er der NSDAP bei, weil er sich auf parlamentarischem Wege eine Durchsetzung der seiner Meinung nach gefährdeten Unabhängigkeit der Justiz versprach[19]. Sehr schnell stellte sich heraus, dass er sich mit seinem Anliegen der Durchsetzung gesellschaftlicher Gerechtigkeit an die falsche politische Gruppierung gewandt hat. Im August 1932 ereignete sich der Mord von Potempa, bei dem SA-Leute einen im Bett liegenden Kommunisten zu Tode trampelten. Hitler nahm öffentlich für die Mörder Stellung, erklärte sich mit ihnen solidarisch und sprach von ‘Papen-Justiz’.[20] Daraufhin trat Steinbauer aus demselben Grund, aus dem er in die NSDAP eintreten zu sollen meinte, wieder aus der Partei aus, weil es ihm um einen Rechtsstaat und nicht um einen Ideologiestaat ging.[21]

„… status confessionis…“ – exponierter Vikar im ‚roten‘ Penzberg

Am 30. Januar 1933, Steinbauer war gerade im Nürnberger Predigerseminar, erfolgte die sogenannte Machtübernahme durch Hitler und seine Partei unter, wie Steinbauer in seinen Erinnerungen hervorhebt, dem Geläut aller Nürnberger Kirchenglocken.[22] Im Sommer 1933 trat Steinbauer seinen Dienst als exponierter Vikar in Penzberg/ Oberbayern an. Penzberg, eine Berg­arbeiterstadt mit hohem kommunistischen Stimmenanteil, genauer, die Diasporagemeinde Penz­berg-Kochel-Seeshaupt, die sich in den folgenden Jahren als eine Gemeinde der Bekennenden Kirche verstand, war der Schauplatz der entscheidenden Auseinandersetzungen Steinbauers mit dem Nationalsozialismus.[23] Die von Hitler angeordneten Kirchenwahlen stellten die erste Bewährungs­probe des 26- jährigen exponierten Vikars in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus im Juli 1933 dar.[24] Zunächst sah es so aus, als würde sich die Evang. Luth. Kirche in Bayern gegen diesen Eingriff des Staates durch kirchliche Zwangswahlen verwahren, in der Pfarrer­schaft war vom ‚status confessionis‘ die Rede.[25]

Da ordnete der Landeskirchenrat in einem Schreiben vom 15. Juli 1933 unter Berufung auf ein Reichsgesetz überraschend die Neuwahl der Kirchenvorstände innerhalb von nur neun Tagen an[26]. Für Steinbauer war klar, dass ein Reichsgesetz, also der politische Wille des ‘Führers’ den status confessionis nicht aufhebt und die Einzelgemeinde genötigt ist, ihren eigenen Weg zu suchen.[27] Der Penzberger Sonderweg sah so aus, dass die Neu­wahl auf die Weise durchgeführt wurde, dass anhand der Akten die vorhergehende Wahl mit dem­selben Wahlvorschlag lediglich wiederholt wurde. Bei einer dramatischen Gemeindever­sammlung gelang es den NSDAP-Mitgliedern nicht, ihre Kandidaten gegen die bisherigen alten Kirchenvor­steher, die zum Teil der SPD angehörten, durchzusetzen. Steinbauer verwies auf die Bestimmungen für Kirchenvorstandswahlen, nach denen nicht Parteizugehörigkeit, sondern Zuge­hörigkeit zu Gottesdienst und Sakrament für den Kirchenvorstand qualifizieren.[28]

Entgegen bisheriger obrigkeitlicher lutherischer Tradition versuchte die Gemeinde Penzberg, selbständig und eigenverant­wortlich in Kirchenvorstandssitzungen, Bibelstunden und anderen Gemeindezusammenkünften vom Wort Gottes her als Gemeinde zu handeln.[29] Steinbauer wollte anfänglich die Gemeinde schonen und alle notwendigen Entscheidungen allein tragen. Zunehmend jedoch entwickelte sich ein gemeinsames Bekenntnis von Pfarrer und Gemeinde. Der Pfarrer unterrichtete seine Gemeinde fortlaufend über den Kampf der Bekennenden Kirche, deren Vorläufige Kirchenleitung in Dahlem die Reichskirchenleitung für die Penzberger blieb, während Reichsbischof Ludwig Müller und der Reichskirchenausschuss Kerrls von den Penzbergern nicht anerkannt wurde.[30] Die Information der Gemeinde erfolgte in den Gottesdiensten, in denen jeweils die neueste Fürbittenliste bekanntgegeben wurde, wobei Stein­bauer auf größtmögliche Öffentlichkeit bis hin zu den überwachenden Polizisten wert legte.[31]

Die erste große Auseinandersetzung mit der Kirchenleitung in Bayern stellte die im Frühjahr 1933 erhobene Forderung nach einer Reichskirche dar[32]. Auf einer Pfarrvereinsversammlung in Nürn­berg am 18. Juli 1933 ging es um die Wahl zwischen Friedrich von Bodelschwingh oder Ludwig Müller zum Reichsbischof, wobei die Bayern zu Müller neigten, aus dem einfachen Grund, weil er Lutheraner war[33]. Der frisch gewählte Landesbischof Meiser fasste die taktischen Überlegungen so zusammen: „Es kommt jetzt nicht so sehr darauf an, den kirchlich geeignetsten Mann zu wählen, sondern es kommt alles darauf an, den Vertrauensmann des Führers zu wählen“.[34] Der schließlich gewählte Reichsbischof Müller erwies sich bekanntlich als völlig unfähig[35]. Deshalb wollte der bayerische Landesbischof zusammen mit anderen lutherischen Bischöfen anlässlich einer Audienz beim Führer im Januar 1934 sich gemeinsam offiziell von Ludwig Müller lossagen. Doch es kam ganz anders: Die Kirchenführer bekräftigten bei dieser Gelegenheit stattdessen ihre Treue zum Dritten Reich und ihrem Führer.[36] Bei einer großen Pfarrversammlung in Nürnberg am 1. Febr. 1934 erhob Steinbauer lautstark Einspruch gegen den, aus seiner Sicht, ‘Umfall’ der Landesbischöfe und sprach in einer erregten Diskussion in Anwesenheit des Landesbischofs von ‘Erpressung’.[37] Daraufhin lud ihn bei nächster Gelegenheit der Landeskirchenrat vor, um sich zu recht­fertigen. Steinbauer sprach mit dem Landesbischof noch einmal alle Fragen offen durch, worauf Meiser zu ihm sagte: „‘Was Sie hier sagen, ist theologisch alles sehr fein, aber wir müssen mit gegebenen Tatsachen rechnen‘. Die gegebenen Tatsachen waren eindeutig Adolf Hitler, seine Macht, sein Drohen, seine Staatsausschüsse usw. Ich hab darauf geantwortet: ‘Es fragt sich nur, ob der Herr Christus, dem gegeben ist alle Gewalt im Himmel und auf Erden, auch noch eine gegebene Tatsache ist, mit der wir in der Kirche rechnen dürfen‘.“[38] Im Anschluss an das Gespräch legte Steinbauer seine ‘Anklagepunkte’ gegen den Landesbischof Meiser, die er auf der Pfarrversammlung mündlich vorgetragen hatte, noch einmal schriftlich nieder.[39] Der Brief gipfelt in der Anklage: „Der Bischof hat mein Vertrauen verloren. Er hat das Bekenntnis, die Kirche, Christus, verleugnet und den Männern des Staates das Christuszeugnis nicht gegönnt. Diesen Schritt darf die Kirche nicht mitmachen, sonst wird die ganze Kirche der Häresie schuldig“.[40] Die Antwort des Landeskirchenrats ließ nicht lange auf sich warten. Am 9. Februar 1934 traf bei Steinbauer ein Schreiben des Landeskirchenrats ein, in dem ihm seine Amtsenthebung mitgeteilt wurde. Als Grund für diese Disziplinarmaßnahme wird Steinbauers Verhalten bei jener Pfarr­vereinsversammlung in Nürnberg angegeben. Allerdings nicht seine Kritik am Landesbischof, sondern die Tatsache, dass er das Verhalten Hitlers bei der Audienz der Bischöfe als ‘Erpressung’ gebrandmarkt hatte. „Allein um deswillen erfährt jene Äußerung unsere ernsteste Missbilligung, weil Steinbauer mit ihr sein Mandatsgebiet verlassen und die Würde des Reichskanzlers, in dem sich die Hoheit des neuen Staates verkörpert, verletzt hat“.[41] In einer Gemeindeversammlung informiert Steinbauer umgehend die ganze Gemeinde über die Vorgänge und ihre Hintergründe. Dabei beschließt die Gemeinde die Entsendung einer Abordnung nach München, die zum Versuch beauftragt ist, zu ver­suchen, die Amtsenthebung rückgängig zu machen.[42] Der daraufhin ausgehandelte Kompromiss beinhaltete den vorüber­gehenden Einsatz Steinbauers als Privatvikar eines Pfarrers in Schwandorf in der Oberpfalz.[43] Anschließend kehrt Steinbauer nach Penzberg zurück.

Das Jahr 1934 war für den Kirchenkampf in Deutschland ein entscheidender Zeitraum, in dem im Mai die Barmer Erklärung und im Juni der Ansbacher Ratschlag verabschiedet wurden.[44] Die Evangelische Kirche ist zu diesem Zeitpunkt tief gespalten in DC-Pfarrer, die dem Reichsbischof anhängen und Bekennende Gemeinden[45]. In der sogenannten intakten bayerischen Landeskirche wird versucht, mit polizeilichen Mitteln den Landesbischof zu beseitigen, was aber am Widerstand der Bevölkerung scheitert.[46] Auch die Gemeinde Penzberg verwahrt sich gegen die Übergriffe der Reichskirchenregierung in den Raum der bayerischen Landeskirche.[47] Im Oktober 1934 trägt Steinbauer in München mündlich sein Heiratsgesuch im besetzten Dienstgebäude des Landeskirchenrats vor und heiratet am 1. November in Erlangen Eugenie Beckh[48], dem Tag, an dem Bischof Meiser seinen Pfarrern mitteilen kann, dass er und der Landeskirchenrat wieder die Führung der Amtsgeschäfte übernommen haben.[49]

„Gott mehr gehorchen“ – Gemeindeleben im Rahmen der Bekennenden Kirche

In dieser Zeit führte Karl Steinbauer in seiner Gemeinde eine regelrechte Schulungsarbeit durch, in dem er sich vom biblischen Gottesglauben her mit dem Mythos des 20. Jahrhunderts von Rosenberg auseinandersetzte. Dadurch erkannten viele Gemeindeglieder erst die evangeliums- und kirchen­feindliche Ideologie des Nationalsozialismus.[50] Im August 1935 erfolgte der erste Versuch, Stein­bauer zu verhaften, nachdem er aufgrund kritischer Äußerungen in der Predigt denunziert worden war.[51] Der Verhaftungsversuch scheiterte jedoch daran, dass Steinbauer auf einem ordnungsgemäßen Haftbefehl bestand, der nicht vorlag. Allerdings erhielt die Gemeinde eine Kündigung eines Gottesdienstraumes aufgrund solcher kritischer Predigtäußerungen ihres Pfarrers.[52]

Der erste offene Konflikt mit den neuen Machthabern entzündete sich an der N.S.-Auferstehungsfeier, bei der in einem Weiheakt der Bewegung die Gefallenen des 9. November 1923 exhumiert und in der Feldherrn­halle aufgebahrt werden sollten[53]. Aus Anlass dieser quasireligiösen Feier waren die Kirchengemeinden angewiesen, ihre Dienstgebäude zu beflaggen, was Steinbauer für Penzberg verweigerte. Er wurde angezeigt und ein Jahr darauf wegen Verstoßes gegen das Reichsflaggen­gesetz verurteilt.[54] Eine Gefängnisstrafe von zwei Wochen und die Übernahme der Kosten des Verfahrens, so lautet das Urteil für Steinbauer, weil er vorsätzlich die Anordnung des Reichsinnenministers über die Beflaggung der Kirchengebäude am 3. November 1935 unterlassen habe. Das Gerichtsurteil, das offensichtlich ausführlich Steinbauers Aussagen wiedergibt, liest sich wie eine Bekenntnisschrift unter umgekehrten Vorzeichen. Steinbauer nahm Anstoß an der ‘Liturgie’ der Auferstehungsfeier. „Hier war seiner Ansicht nach von einer Auferstehungsfeier die Rede in einer Art, wie nur von der Auferstehung Jesu Christi gesprochen werden darf; dies war deshalb, sei es gewollt oder unge­wollt, eine Lästerung der Auferstehung des Heilandes“, gab er zu Protokoll.[55] Zu einer solchen Auferstehungsfeier die Reichsflagge zu hissen, glaubte der Angeklagte nicht mit seinem Gewissen vereinbaren zu können.[56] „Als evangelischer Pfarrer habe er ein Amt inne, das auf dem Evangelium, der Botschaft von Gott und der Auferstehung Jesu Christi, stehe …. Dass er dem Staate Gehorsam schulde, wisse er; dass er hier auch ein Gebot des Staates verletzt habe, dessen sei er sich durchaus bewusst. Aber man müsse eben Gott mehr gehorchen als den Menschen“.[57]

Den zweiten offenen Konflikt Steinbauers stellt die Verweigerung des Geläuts und der Kirchenbe­flaggung dar im Zusammenhang der 99% ‘Ja-Wahl’ vom 29. 3. 1936.[58] Hinter seiner Opposition steht die theologisch begründete Ablehnung der Verkoppelung von Staat und Kirche nach dem Modell ‚Thron und Altar‘. Für ihn gilt: „Die Kirche, die Gemeinde Christi ist kein subalternes Staatsunternehmen“.[59] Steinbauer verbietet seinen Mesnern das Läuten, da er bezweifelt, dass es sich um eine freie und geheime Wahl handelt. Er erklärt seiner Mesnerin: „Wir dürfen Betrug nicht decken, schon gar nicht mit den Kirchenglocken. Damit würden wir sozusagen Gott zum Mit-Lügen zwingen. Die Männer des Staates müssen wissen: Lügen kann man nur ohne Gott“.[60] Stein­bauer wird angezeigt und auch vom Landeskirchenrat vorgeladen. Der Landesbischof hält ihm vor, welche Folgen es für das Verhältnis zum Staat gehabt hätte, wenn mehrere Pfarrer der bayerischen Landeskirche das Glockengeläut verweigert hätten. Für die Zukunft ermahnt ihn der Landesbischof: „Die Kirchenleitung allein trägt die Verantwortung und nicht Sie. Wir müssen darauf bestehen, dass Sie sich in Zukunft entsprechend verhalten und meinen Weisungen gehorchen“.[61] Darauf antwortet Steinbauer mit dem zum geflügelten Wort gewordenen Dictum: „Bischof der evangelischen Gemeinde in Penzberg bin ich und nicht Sie. Dazu bin ich installiert. Das ist zwar in mancher Hinsicht notvoll, aber ich kann und darf mir diese Verantwortung von niemandem abnehmen lassen“.[62]

Auch zum 1. Mai war den Kirchen die Beflaggung ihrer Gebäude angetragen worden, die Steinbauer wiederum verweigerte auf dem Hintergrund pseudoreligiöser Äußerungen staatlicher Stellen. Daraufhin wird er angezeigt und gibt eine umfangreiche theologische Begründung seiner Verweigerung von Beflaggung und Geläut zu Protokoll, die er auch dem Landeskirchenrat zukommen lässt. Dieser erklärt ihm, seine, Steinbauers, Begründung sei nicht mit Schrift und Bekenntnis zu vereinbaren.[63] Denn: „Durch die Nichtbeflaggung Ihrer Kirchen ver­weigern Sie den Gehorsam gegenüber Ihrer vorgesetzten Behörde“.[64] In einem ausführlichen Schreiben an den Landeskirchenrat verteidigt Steinbauer seine Verweigerung der Beflaggung von Kirchengebäuden von neuem und weist seinerseits darauf hin, dass die Schrift- und Bekenntniswidrigkeit seines Handelns von der Kirchenleitung lediglich behauptet, aber nicht begründet worden sei. „Wenn ich schon wider Schrift und Bekenntnis stehe, so ist das eine so ungeheuerlich ernste Sache, dass man mit mir wirk­lich von der Sache her darum ringen muss, mich wieder für Schrift und Bekenntnis zu gewinnen, oder wenn ich tatsächlich unbelehrbar bin, muss ich verlangen, mich aus der Vollmacht des heiligen Predigtamtes und Zeugenamtes, aus dem Dienst der Kirche zu ent­lassen. Was in meinem Falle ja umso leichter geht, weil ich noch Vikar bin“.[65] Steinbauer hebt in diesem Schreiben hervor, dass es ihm in seinem Handeln um wirklichen Glaubensgehorsam gehe und er sich auch weiterhin jeder Pseudotheologie der gegebenen Tatsachen zu widersetzen beabsichtige.[66]

Am 20. Januar 1936 wird Karl Steinbauer dann erstmals verhaftet und in die Zelle 20 des Weilheimer Gefängnisses gebracht.[67] In einem Verhör mit dem Amtsrichter nimmt er noch einmal zu seiner Verweigerung der Beflaggung Stellung. Gegen die Verhaftung von Steinbauer erhebt der Kirchen­vorstand der ev.- luth. Gemeinde Penzberg-Seeshaupt-Kochel umgehend Einspruch. „Der Gemeinde ist es unverständlich, dass sein Zeugnis für Wahrheit und Recht als politische Hetze missverstanden werden könnte“.[68] Am 25. Juni ist Steinbauer wieder frei.[69] Einige Tage später am 2. Juli über­bringt ein Polizeikommissar Steinbauer den Ausweisungsbefehl des Bezirksamtes Weilheim. Über Steinbauer wird „… wegen seiner ständigen staatsabträglichen Hetze… für das gesamte Reichsgebiet ein allgemeines Redeverbot und für Oberbayern ein Aufenthaltsverbot verhängt“.[70] Auf Anraten des Kirchenvorstands stimmt Steinbauer das weitere Vorgehen mit dem Landes­bischof ab. In einem Gespräch in München am nächsten Tag wird vereinbart, dass der Inhalt des Ausweisungsbefehls als nicht tragbar zurückgewiesen und eine Rücknahme verlangt werde. Steinbauer erklärt sich bereit, einen Urlaub anzutreten, um danach sein Amt wieder unein­ge­schränkt in Penzberg aufzunehmen. Für den Fall, dass die staatlichen Stellen eine Rücknahme ver­weigern, soll er außerhalb Oberbayerns in ein Predigtamt eingesetzt werden, um bezüglich des Predigtbefehls keinen Präzedenzfall zu schaffen.[71] In seiner Haltung findet Steinbauer die Unterstützung der Pfarrer seines Pfarrkapitels, die sich in einer Erklärung mit ihm solidarisieren. „Das Handeln des Herrn Vikar Steinbauer entspringt nicht dem bösen Willen, der staatlichen Obrigkeit auf jede Weise Abbruch zu tun; sein Handeln in dieser Angelegenheit ist ausschließlich durch den von einem Diener der Evangelisch-lutherischen Kirche bei seiner Ordination gelobten Gehorsam gegen das Wort Gottes bestimmt…. Wir alle wissen uns mit Herrn Vikar Steinbauer unbedingt an das Wort Gottes gebunden; wir alle müssen und werden Gott mehr gehorchen als den Menschen; wir alle können uns weder einem Predigtverbot, das eine staatliche Stelle gegen uns ausspricht, fügen, noch können wir uns an der Verkündigung des Wortes Gottes innerhalb der Gemeinde, an die wir in der Installation gewiesen worden sind, hindern lassen“.[72] Zwischenzeitlich stellte sich heraus, dass das Reichskirchenministerium hinter den Maßnahmen gegen Stein­bauer steht. Als Steinbauer Ende Juli 1936 aus seinem Urlaub zurückkehrt, muss er feststellen, dass die Verhandlungen des Landeskirchenrats mit den zuständigen staatlichen Stellen zur Aufhebung des über ihn verhängten Predigt- und Aufenthaltsverbots ohne Ergebnis geblieben waren. Nun drängt ihn die Kirchenleitung, Ausweisung und Predigtkontrolle anzunehmen. Steinbauer schreibt. „Mir wollte einfach nicht eingehen, dass wir als im Hirten- und Wächteramt stehende Pfarrer unsere Entscheidungen am Reagieren des Staates orientieren sollten, anstatt beharrlich daran, wie wir der immer weiter um sich greifenden Staats- und Volksnot steuern könnten“.[73] Im Landeskirchenrat wird er einen ganzen Tag intensivst bedrängt, die neuen Bedingungen zu akzeptieren und Penzberg zu verlassen. „Aber ich hab es nicht gewagt, mein ‘Ja’ zu geben“.[74] Auch vor der Vollsitzung des Landeskirchenrats erklärt er „… ich könne es unter keinen Umständen auf mein Gewissen nehmen, in solcher Sache den Präzedenzfall zu machen. Ich getraue mir nicht, dem Beschluss des Landeskirchenrats Folge zu leisten“.[75] Steinbauer fürchtete sein Fall könnte die Ernsthaftigkeit des kirchlichen Protests in Frage stellen. „Ich würde damit der Gestapo den Weg freimachen, eine neue Methode einzuführen, Versetzungen vorzunehmen und unliebsame Pfarrer abzuschieben und mundtot zu machen. Außerdem werde ich den Männern des Staates beim Unrechttun nicht meinem Auftrag gemäß hilf­reich widerstehen. Es darf das Zeugnis gegen das Unrecht nicht nur in Schriftstücke gefasst werden…. Wir müssen den Männern des Staates auf ihren bösen Wegen entgegentreten mit Dar­bietung unseres Leibes. Nur so können wir ihnen glaubhaft bezeugen, dass ihr Leben uns genau so wichtig und wert ist wie unser eigenes“.[76] Es gelingt Steinbauer, den Landeskirchenrat von seiner Haltung zu überzeugen. Er nimmt die Ausweisung an unter der Bedingung, dass er außerhalb Oberbayerns eine Kanzel zur Verfügung gestellt bekommt, gleichzeitig werden erneut Verhandlungen mit dem Staat aufgenommen, um eine Rücknahme der Ausweisung zu erreichen.[77] Später bedauerte er es sehr, dass er sich zu einer Predigtzensur durch die Kirchenleitung hatte überreden lassen.[78] Am 25. Juli tauschen er und der Pfarrverweser von Augsburg-Lechhausen, Christoph Simon, die Einsatzorte, doch die Zeit in Augsburg wird für Steinbauer gewissensmäßig zur Qual.[79] Auch der Kirchenvorstand von Penzberg erklärt erneut, dass er unter gar keinen Umständen in die endgültige Versetzung seines Pfarrers Steinbauer willigen wird.

„Der Kirchenvorstand erwartet, dass der Landeskirchenrat nichts unterlässt, um die Aufhebung des entgegenstehenden Ausweisungsbefehls zu erreichen. Sollten diese Bemühungen nicht zum Ziele führen, so muss der Kirchenvorstand von dem Landeskirchenrat erwarten, dass er Herrn Vikar Steinbauer auch gegen das Aufenthaltsverbot wieder an seinen Amtssitz Penzberg zurück­ruft als an den Ort, dem er durch seine Ordination die Ausübung des geistlichen Amtes schuldet. Der Kirchenvorstand fühlt sich verpflichtet, dieses allgemeine dringende Anliegen der Gemeinde mit allem Ernst und Nachdruck zu Gehör zu bringen und schon heute zu erklären, dass die Gemeinde selbst ihren Pfarrer zurückrufen würde, wenn ihr die Landeskirche ihren Vikar länger als durch die Verhandlungslage geboten ist, vorenthält“.[80]

Die Erklärung des Penzberger Kirchenvorstands löst im Landeskirchenrat Empörung aus und wird als Anmaßung kirchenregimentlicher Befugnisse durch den Kirchenvorstand verstanden.[81] Stein­bauer versucht mittlerweile, sich von der als Fessel empfundenen Predigtzensur zu befreien und der Kirchenvorstand erklärt in einem weiteren Schreiben an den Landeskirchenrat, dass er nicht bereit ist, der Kirchenleitung die alleinige Verantwortung zuzugestehen.[82]

Ende September 1936 wird Steinbauer durch ein Schreiben der Bayerischen Politischen Polizei davon in Kenntnis gesetzt, dass das gegen ihn verhängte Aufenthaltsverbot für Oberbayern aufgehoben ist und er seinen Dienst dort wieder ungehindert aufnehmen kann.[83]

„… ständige staatsabträgliche Hetze …“ – Verantwortung für die Jugend

Am 10. Februar 1937 kam ein weiteres Konfliktfeld hinzu. Im ‘Schaukasten-Dienst‘ der Hitler­jugend war ein Plakat aufgehängt, in dem das Bibellesen verunglimpft wurde.[84] Steinbauer nahm das Plakat ab und schrieb einen Protestbrief an die Presse- und Propagandaabteilung der H.J. mit Durchschlag an den Reichsjugendführer und den Reichskanzler, in dem er sein Vorgehen rechtfertigte und sich gegen eine Verunglimpfung des Bibellesens verwahrte.[85] Steinbauers Protest hatte Erfolg: Einige Tage später teilte ihm der Reichsjugendführer tatsächlich mit, dass die entsprechende Folge des Schaukastendienstes eingezogen werde.[86] Ein weiterer Schaukasten-Dienst in dem Hitlers Buch ‘Mein Kampf` als Bibel bezeichnet und der `Glaube an uns selbst` gefordert wird, veranlasst Stein­bauer erneut zu einem scharfen Protestschreiben an die Hitler-Jugend, in dem er auf seine Verant­wortung für die Konfirmanden und die Schuljugend hinwies.[87] Etwa vier Wochen später wird ihm der Ausweisungsbefehl der Geheimen Staatspolizei aus Bayern ins Haus gebracht.[88] Steinbauer legt gegen das Aufenthaltsverbot umgehend Einspruch bei der Geheimen Staatspolizei München ein. „Auf Grund meiner Ordination und Installation und der dabei vor der Gemeinde und dem Herrn der Kirche übernommenen Verpflichtung ist es mir nicht möglich, Ihrer Anordnung Folge zu leisten und meine Gemeinde zu verlassen… Ich bin mir nicht bewusst, ‘ständige staatsabträgliche Hetze’ betrieben zu haben“.[89] Der Evang. Luth. Landes­kirchenrat und insbesondere der Münchner Kreisdekan Daumiller unterstützen zunächst Steinbauers Einspruch und decken seinen Protest gegen die Angriffe auf die Bibel.[90] Steinbauer unternimmt auf Anraten des Landeskirchenrats eine Fahrt nach Berlin, um mit den zuständigen Gestapo-Beamten ein Gespräch über das Aufenthaltsverbot zu führen.[91] Bei die­ser Gelegenheit wird er auch beim Lutherrat, dem Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschland vorstellig, der den Kontakt zur Gestapo herstellen soll. Der zuständige Gestapo-Beamte lehnt ein Gespräch mit Steinbauer ab. Daraufhin sendet der Rat der Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands ein Schreiben an Landesbischof Meiser, den Stein­bauer als ‘Uriasbrief’ empfindet. In ihm nämlich fordert der Rat die bayerische Landeskirche auf, Steinbauer nahezulegen, dem Ausweisungsbefehl Folge zu leisten, da Stein­bauers Schreiben in einer Sprache abgefasst sind, die vom Staat als Herabsetzung seiner Würde verstanden werden kann.[92] Der Landeskirchenrat lädt Steinbauer vor. Die Kirchenleitung hatte das Schreiben aus Berlin zustimmend zur Kenntnis genommen und sich der Kritik des Lutherrats am Stil von Steinbauers Vorgehen angeschlossen. Bei dieser Anhörung stellt nun Vizepräsident Dr. Meinzolt einen Antrag: „Ich stelle den Antrag, Pfarrer Steinbauer mit sofortiger Wirkung auf eine andere Stelle zu versetzen, denn wir können der Politischen Polizei den Prestigeverlust nicht zumuten, den sie auf sich nehmen müsste, wenn sie es stillschweigend hinnehmen sollte, dass Pfarrer Stein­bauer wieder nach Penzberg zurückkehrt“.[93] Steinbauer berichtet über diese charakteristische Szene in seinen Erinnerungen.

„Alle Beteiligten atmeten hörbar auf über die Lösung des Knotens. ‘Darf ich ums Wort bitten’, unterbrach ich das erlöste Aufatmen. ‘Ich kann es nicht hindern, wenn Sie diesen Antrag zum Beschluss erheben. Ich muss Ihnen aber vorher erklären, dass ich nicht in der Lage bin, solch unkirchlicher Versetzung Folge zu leisten. ‘Es ist unerhört! Ich weise den Ausdruck ‘Unkirchliche Versetzung’ entschieden zurück!’ ‘Leider bin ich nicht in der Lage, ihn zurückzu­nehmen. Herr Vizepräsident, Sie haben eben festgestellt, wir können der Politischen Polizei den Prestigverlust nicht zumuten. Damit haben Sie nach Ihren eigenen Worten eindeutig zu erkennen gegeben, wonach Sie Ihr Handeln orientieren wollen, nämlich nach der Rücksicht auf’s Prestige der Politischen Polizei. Uns ist als Männern der Kirche nicht die Obsorge ums Prestige der Politischen Polizei aufgetragen, sondern, um töricht zu reden, höchstens die Obsorge ums Prestige der Kirche Jesu Christi. Das Handeln einer Evangelischen Kirchenleitung muss in allem und in jedem der Angst und Sorge ums Predigtamt, um die rechte Verkündigung entfließen, nicht der Angst vor der Politischen Polizei. Solche Angst und Sorge ist unkirchlich“.[94]

Dieser Dialog zeigt, was Steinbauer unter `Dogma in actu` versteht. Seine Argumentation zielt darauf ab, im Vertrauen auf Gott das erste Gebot auf die konkrete Situation anzuwenden. Er beruft sich in diesem Zusammenhang außerdem auf ein entsprechendes Schreiben des Landeskirchenrats, in dem man sich mit ihm solidarisch erklärt hatte und kann so die Kirchenleitung für die Unterstützung seiner Rückkehr nach Penzberg gewinnen.[95] Steinbauer kehrt trotz Aufenthaltsverbot sofort nach Penz­berg zurück, um dort sogleich einen Gottesdienst zu halten, zu dem die Gemeinde zusammengerufen worden war. Am nächsten Tag meldet er sich bei der Gendarmerie, die von der Gestapo in Berlin überraschenderweise benachrichtigt worden ist, nichts gegen Steinbauer zu unternehmen.[96]

Mit Schreiben vom 4. Mai 1937 an die Gendarmerie-Station Penzberg erhebt Steinbauer Anzeige gegen sich selbst wegen Nichtbeflaggung am 1. Mai.[97] Am 16. Juni 1937 wird Steinbauer im Murnauer Pfarrhaus anlässlich einer kleinen kollegialen Zusammenkunft verhaftet und nach einer Haussuchung, wichtiges Material konnte vorher noch beseitigt werden, ins Weil­heimer Gefängnis eingeliefert. Steinbauer berichtet: „Schon am 17. Juni erhebt der Kirchenvorstand Einspruch. Ich war dankbar beschämt, wie diese Männer sich hinstellten, ja im wahrsten Sinn des Wortes ihren Leib mit darboten (cf. Daniel 3,28), wenn wir die gefährliche Situation von damals vor Augen haben“.[98]

Steinbauer kam wieder in Zelle 20 des Weilheimer Gefängnisses. Die folgenden sechs Monate waren eine Zeit intensiven Bibelstudiums, es entstanden Graphiken und Gedichte. Zudem schrieb er zahlreiche Briefe, z. T. im Stil biblischer Besinnungen an die eigene Frau, aber auch an Gemeindeglieder.[99] Steinbauer erhielt häufig Besuche, auch von Mitgliedern der Kirchenleitung und er bekam viele Briefe, die ihn ermutigen und stärken sollten.[100] Sein eigener Vater hatte die Vertretung der Pfarrstelle übernommen, auch die Vertreter der Vorläufigen Kirchenleitung der Bekennenden Kirche kümmerten sich um Stein­bauer. „Sie waren sorgsam dahinter her, dass ich auf der Fürbitten-Liste stand, die in der B. K. von Ost bis West treulich und namentlich geübt wurde, nur nicht in Bayern“.[101] Aber auch Steinbauer war das Gebet gerade in seiner Zeit im Gefängnis ein wichtiges Anliegen, insbesondere auch die Fürbitte für die Obrigkeit. „Im Gefängnis ist wohl kein Tag vergangen, an dem ich nicht Fürbitte getan habe für die Regierenden“.[102] In diese Zeit fällt die Verhaftung und Anklageerhebung gegen Martin Niemöller.[103] Landesbischof Meiser hatte eine mehrstündige turbulente Aussprache mit Innenminister Wagner über den Fall Steinbauer.[104] Immer wieder besuchen Gemeindeglieder in dieser Zeit ihren Pfarrer, indem sie vor dem Zellenfenster Kirchenlieder pfeifen, ihm zuwinken oder durch Flöten- oder Posaunenchöre, die vor dem Gefängnis spielen, den Gefangenen zu ermutigen versuchen.[105] Und der Pfarrer greift auch aktiv aus dem Gefängnis in die Gemeindearbeit ein, indem er z.B. Kirchenvorsteher zu sich ins Gefängnis bittet und mit ihnen eine Bausitzung durch­führt. Dabei wird ein Gemeindesaalbau beschlossen.[106] Landeskirchenrat und Gemeinde sind inzwischen unablässig um seine Freilassung bemüht.[107] Anfang November haben die Bemühungen Erfolg und Steinbauer wird entlassen. Die Gemeinde, die Sonntag für Sonntag für seine Freilassung gebetet hatte, versammelt sich in den verschiedenen Kirchen der weitverzweigten Diasporakirchengemeinde, um mit ihrem Pfarrer gemeinsam Gott für die Freilassung zu danken.[108] Zwischen Landeskirchenrat und Gestapo war abgesprochen, dass Steinbauer, solange sein Verfahren noch nicht abgeschlossen ist, sich jedes Dienstes zu enthalten habe – ein für Steinbauer unbefriedigender Schwebezustand, der bis Neujahr 1938 anhielt[109].

In dieser Zeit bemühte sich Steinbauer um andere Predigtgelegenheiten, um so deutlich zu machen, dass ein Predigtverbot von ihm nicht anerkannt werde[110]. Um einen befreundeten Kollegen im Predigtdienst zu unterstützen, bezog Steinbauer Quartier im Dorfwirtshaus von Wonsees in Ober­franken. Im Anschluss an eine Predigt wandte sich ein auswärtiger Lehrer an jenen Kollegen, damit dieser ein Gespräch mit Steinbauer über „… die schwebenden Fragen der Gegenwart… vermitteln sollte, das dann im Wonseeser Pfarrhaus stattfand.“[111] Der Lehrer vereinbarte Vertraulichkeit zu Beginn der Unterhaltung, auf die Steinbauer gar keinen Wert legte. Steinbauers Grundsatz war. „Ich bin kein Schwätzer und bemühe mich grundsätzlich, auch hinter vier Wänden nichts zu sagen, was ich mich nicht genauso vor letzten Instanzen zu vertreten getraue. Sonst würde sich mir das achte Gebot als Riegel vorschieben“.[112] An dem Gespräch über die damals brennenden politischen Fragen nahmen neben Steinbauer, der Lehrer, seine Frau und das Pfarrersehepaar aus Wonsees teil. Am 7. April 1938 hält Steinbauer einen Vortrag vor der Kulmbacher Pfarrkonfe­renz. Mitten im Vortrag wird Steinbauer herausgerufen und verhaftet auf Grund einer Anzeige jenes Lehrers, der 19 Punkte aus diesem Gespräch an seinen Kreisleiter weitergemeldet hatte.[113] Steinbauer wird zunächst ins Kulmbacher Amtsgerichtsgefängnis eingeliefert, nach einem ergebnislosen Verhör durch die Gestapo wird er nach Bamberg ins dortige Gerichtsgefängnis gebracht.[114] Das Amtsgericht Bamberg lehnt die Erlassung eines Haftbefehls ab, gleichzeitig wird aber vom Sondergericht Bamberg ein Haftbefehl mit der Anklage auf Grund des Heimtückegesetzes erlassen.[115] Das Sondergericht Bamberg veranlasst eine Gegen­überstellung von Steinbauer und dem Lehrer, bei der es Steinbauer gelingt, Anklagepunkte zu widerlegen und sich selbst überzeugend zu verteidigen.[116] Bis zum 2. Mai 1938 sitzt Steinbauer noch im Bamberger Gefängnis ein, wiederum eine Zeit intensiver theologischer Studien, wovon eine ganze Reihe von Briefen an Freunde und Gemeindeglieder zeugen.[117]

Wider eine „Theologie der gegebenen Tatsachen“ – Pfarrverweser in Senden

Mit seiner Entlassung aus dem Bamberger Gefängnis ging die Penzberger Zeit für Steinbauer und seine Familie endgültig dem Ende entgegen. Ab dem 10. Mai 1938 war Steinbauer Pfarrverweser in Ay-Senden, wohin ihm die Familie Ende des Monat folgte.[118]

In dieser Zeit war die Eidesfrage vorrangiges, innerhalb der bayerischen Landeskirche heftig umstrittenes Thema.[119] Steinbauer hatte sich bereits früher in einer Predigt über die Perikope vom Kämmerer aus dem Mohrenland (Apg. 8, 26 – 40) gegen die Rassenideologie des Nationalsozialismus ausgesprochen.[120] In einem Schreiben vom 17. Mai 1938 wandte Steinbauer sich an Landesbischof Meiser, in dem er ihn beschwor, in der Behandlung der Eidesfrage nichts zu entscheiden, bevor im Kreis der ordinierten Pfarrer darüber geredet und darum gerungen worden ist.[121] Mit Datum vom 18. Mai 1938 erlässt Meiser ein Kirchengesetz über den Treueeid auf Adolf Hitler der bayerischen evangelischen Geist­lichen, das darauf abzielt, das gegenseitige Vertrauensverhältnis zwischen Staat und Kirche erneut zu festigen[122]. Meiser schreibt an seine Pfarrer. „Es bewegte mich, den Landeskirchenrat und den Landessynodalausschuss dabei der Gedanke, dass es gut sei, wenn die Geistlichen unserer Kirche auch öffentlich bezeugten, dass an ihrer Treue zu Führer und Volk kein Zweifel bestehen kann“.[123] Das Deutsche Beamtengesetz sah zwar die Vereidigung von Geistlichen in ihrer Eigen­schaft als Träger eines öffentlichen Amtes vor, allerdings ohne dies verpflichtend vorzuschreiben.[124] Bei einer Pfarrbruderschaftssitzung am 9. Juni 1938 kam es zu einem heftigen Zusammenstoß zwischen Steinbauer und dem Landesbischof, bei dem Steinbauer Meiser tiefen Ungehorsam vor­warf.[125] In einem langen Brief vom 12. Juni 1938 an den Landeskirchenrat ver­gleicht Steinbauer das Verhalten der Kirchenleitung in der Eidesfrage mit dem bei der Wahl Ludwig Müllers zum Reichsbischof.[126] In beiden Fällen habe man von den Wünschen und den Erwartungen des Staates gesprochen und um Vertrauen in die Kirchenleitung geworben, während die Frage des Gehorsams gegen Schrift und Bekenntnis keine Rolle gespielt habe. Dieses diplomatische und damit schriftvergessene Verhalten hatte bereits böse Folgen. „Es hat der Lauterkeit und Glaubwürdigkeit des kirchlichen Kampfes unabsehbaren Schaden getan…“.[127] „Wenn wir uns sogar respektvoll vor Menschen beugen und so tun, als verdanke die Kirche ihnen ihr Leben, dann schicken wir faktisch in der Zwischenzeit den lebendigen Herrn der Kirche in Pension, und er wird uns praktisch darüber belehren, wie die Kirche blüht, wächst und gedeiht und erhalten wird, wenn sie meint, von Menschengnaden leben und an Menschen Ungnaden zugrunde gehen zu müssen. Wir tun immer, als sähe der Herr im Himmel, der offenbar in höheren und in allzu hohen Sphären schwebt, nicht die ‘gegebenen Tatsachen’, das ‘Drohen’ und sei er nur zuständig für sterile und sterilisierte Weckglas-Dogmatik, die man ab und zu am Sonntag zum Nachtisch vorsetzt, und als müssten wir die konkreten Fragen und Aufgaben selber in die Hand nehmen. Da hat Luther eine andere Kirchenpolitik getrieben und seine Dogmatik war dogma in actu“.[128] Die Kirchenpolitik, die man bei Luther lernen kann, folgt dem Grundsatz. „Alles dem Herrn in die Hände geben und nicht in menschlicher Verantwortlichkeitstuerei töricht und anmaßend unverantwortlich zu werden und Gott ins Handwerk pfuschen zu wollen“.[129] Steinbauer konnte sich in seiner Ablehnung des Treueeids einig wissen u.a. mit der Ev. Bekenntnissynode im Rheinland, die in dem Verlangen einer Kirchenleitung nach einer Ablegung eines staatlichen Treueeids durch Pfarrer eine unerlaubte Vermengung der Regimenter sah.[130]

In einem Schreiben an die Pfarrer versichert Meiser, dass der Eid nichts fordere, was dem Ordinationsgelübde entgegenstünde und umgekehrt. Er gibt zu, dass in Bayern keine explizite Aufforderung zur Vereidigung der Pfarrer vorliege. „Es darf aber aus dem Sinn des Gesetzes heraus, wie aus mancherlei Besprechungen mit staatlichen Stellen als erwiesen angesehen werden, dass eine bestimmte Erwartung des Staates in dieser Hinsicht vorhanden ist. Auf jeden Fall würde der Staat aus der Unterlassung seine bestimmten Folgerungen ziehen“.[131] Unmittelbar auf dieses Schreiben griff Steinbauer erneut zur Feder, um an den Landesbischof zu schreiben und eine Orientierung des Handelns an Christus in den täglichen, praktischen Entscheidungen zu fordern. Steinbauer erinnert daran, dass der Landesbischof einmal gesagt habe „`den richtigen Weg wissen wir auch, aber der ist nicht gangbar’ -. Herr Landesbischof, solches Reden ist mir absolut unbe­greiflich und tut mir geradezu körperlich weh, weil es an meine Existenz greift. Wenn ich in concreto und in actu geradezu absehen muss vom Auferstandenen und Theologie unverbindliches, theoretisches, spiritualistisches Spekulieren und Philosophieren wird, dann fahre ich lieber wieder Mist wie mein Großvater und baue Korn und Kartoffeln an, denn ich weiß mir nichts Unproduktiveres und geradezu Widerlicheres als Spekulieren…. Es geht mir um den Glaubens=Gehorsam gegen den erhöhten Herrn und um Seine Ehre, der wahrhaftig! auferstanden ist und lebt und regiert und von uns nicht pensioniert und nicht zu einem dogmatischen Numinosum gemacht werden will in unseren praktischen Entscheidungen“.[132] Die leidenschaftliche Intervention Steinbauers hatte keinen Erfolg. Meiser leistete dem Präsidenten der Synode den Eid, um dann selbst die Dekane zu vereidigen und diese dann die Pfarrer. Für den 1. Juli war die Vereidigung des Dekanats Neu-Ulm angesetzt, dem Steinbauer angehörte, an welcher Steinbauer natürlich nicht teilnahm.[133] In Meisers schriftlicher Antwort auf Steinbauers Brief wird noch einmal die sogenannte Zwei-Reiche-Lehre als hermeneutischer Schlüssel zu Meisers Verhalten im Kirchenkampf deutlich. „Dass eine Sache theologisch richtig sein kann und doch nicht vollziehbar ist, hat auch Luther erfahren, auf den Sie mich in Ihrem Schreiben so nachdrücklich verweisen“.[134]

In Senden stellt sich relativ rasch heraus, dass Steinbauers Post und auch seine Predigten über­wacht wird.[135] In seinen `Erinnerungen` ist eine solche Mitschrift von einer Predigt Steinbauers abge­druckt, die zeigt, dass Steinbauers Predigten von den staatlichen Stellen sehr wohl verstanden wurden.[136] Im Herbst dieses Jahres schreibt die Regierung von Schwaben an den Landeskirchenrat, um sich darüber zu beschweren, dass Pfarrer Steinbauer den Hitler- Gruß nicht erwidere und „…ein unverbesserlicher, gehässiger Gegner des heutigen Staates und der Partei…“ sei.[137] Ende des Jahres 1938 wird Steinbauer durch das Bezirksschulamt Neu-Ulm wegen Verweigerung des Arier-Nachweises von der Erteilung des Religionsunterrichts ausgeschlossen[138]. In einer schriftlichen Erklärung an das Bezirksamt in Neu-Ulm erläutert er seine Verweigerung der Erbringung des Arier-Nachweises.

„Ich bin als Christ und Pfarrer nicht in der Lage, ihn in vorliegender Sache vorzulegen, weil ich durch die Bindung meines Gewissens an Gottes Wort daran gehindert bin. …Innerhalb der Gemeinde und Kirche Jesu Christi ist die Einführung des Arierparagraphen unmöglich, weil wider Gott und Gottes Wort…. Nun sagt man auch innerhalb der Kirche. Gewiss, für die Kirche d.h. innerhalb der Kirche kann und darf der Arierparagraph (etwa auf die Pfarrer oder auch auf die Gemeindeglieder) nicht angewandt werden…. Aber, so sagt man, das geschehe hier ja gar nicht. Denn nicht die Kirche verlangt ja von dir als Pfarrer diesen Nachweis, sondern der Staat ver­langt ihn von dir in deiner ‚Eigenschaft als staatlicher Religionslehrer.‘ – Wer glaubt, solche Gedankengänge in Lauterkeit denken zu können und zu dürfen, wer solche Existenzwandlungen zwischen ordiniertem Prediger Jesu Christi und ‘staatlichem Religionslehrer’ oder besser Existenzaufteilung glaubt vollziehen zu können ohne Verletzung seines ans Wort Gottes gebundenen Gewissens, der möge es tun. Ich habe den Mut nicht dazu. Ich war bisher nicht ‘staatlicher Religionslehrer’, sondern habe im Einverständnis des Staates an staatlichen, noch dazu evang. luth. bzw. kath. Bekenntnisschulen als ordinierter Prediger Jesu Christi die Bibl. Botschaft alten und neuen Testaments verkündigt und werde dies auch weiter tun, wenn ich es tun kann und darf, eben als ordinierter Prediger Jesu Christi, oder ich werde es eben in den staatlichen Schulen nicht mehr tun können“.[139]

Auch in einem weiteren deutlichen Schreiben weist Steinbauer den Landesbischof noch einmal darauf hin, dass es nicht reicht, den Sühnetod und die Auferstehung Christi als steriles Theologumenon theoretisch zu glauben, sondern diesen Glauben im konkreten Handeln zu bezeugen.[140] Am 8. Januar 1939 nimmt Steinbauer in einer Predigt zu Matthäus 2, 13-23 noch einmal zum Ariernachweis Stellung. „Ich sollte mir im vorliegenden Fall das Recht zur Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus alten und neuen Testaments erwerben durch Erbringung des Ariernachweises. Das ist mir als Christ und ordinierter Prediger Jesu Christi unmöglich. Nach diesem Rassegesetz wäre der Herr Christus unfähig und untüchtig seine eigene Botschaft zu verkündigen und dürfte keine Schule betreten und ebenso auch seine Apostel; denn sie waren dem Fleische, der Rasse nach Juden. Muss der Herr Christus mit seiner Botschaft vor der Schultüre stehen bleiben und seine Apostel, so will ich mit ihnen vor der Türe stehen“.[141]

Eine Woche später ereignete sich ein Über­fall von etwa 20 angetrunkenen, uniformierten SA-Leuten auf das Sendener Pfarrhaus. Sie warfen Scheiben ein und bedrohten Steinbauer bis die Polizei am Pfarrhaus eintraf. Steinbauer wurde festgenommen und ins Neu-Ulmer Gefängnis gebracht.[142] Der Penzberger und der Sendener Kirchenvorstand versuchten gemeinsam, in Berlin bei höchster Stelle zu intervenieren. Frau Steinbauer führte Gespräche mit Landesbischof Meiser und dem obersten Gestapo-Chef in München, denn sie hatte erfahren, dass die Gefängnishaft in einen Konzentrationslageraufenthalt umgeändert werden sollte. „Auch Verhandlungen von Vizepräsident Dr. Meinzolt mit anderen Organen der Hitlerpartei hatten als Resultat nur zur Folge: entweder ‘Rücktritt aus dem Pfarramt’ oder Abtransport in das KZ Sachsenhausen“.[143] Das war ein Preis, auf den Steinbauer keinesfalls eingehen wollte. Bei einem Gefängnisbesuch hatte Steinbauer seiner Frau die ‘Reiseroute’ nach Sachsenhausen in die Tasche gesteckt, so dass Steinbauers Dekan alle Pfarrer entlang der Route verständigen konnte. Zahlreiche Briefe und Grußkarten erreichten Steinbauer in seiner Zelle im Neu-Ulmer Gefängnis.[144] Dort verfasste er auch eine Konfirmationspredigt, die bei der Konfirmation seiner Konfirmanden verlesen wurde.[145] Am 2. März 1939 erging ein von Heydrich unterzeichneter Schutzhaftbefehl gegen Steinbauer mit der Begründung. „Er gefährdet nach dem Ergebnis der staatspolizeilichen Feststellungen durch sein Verhalten den Bestand und die Sicherheit des Volkes und des Staates, indem er sich in zersetzender Weise über Partei und Staat äußert. Sein Verhalten ist geeignet, Unruhe in die Bevölkerung zu tragen und das Vertrauen zur Staatsführung zu erschüttern“.[146] Am 28.3. erhielt Eugenie Steinbauer vom Landrat Neu-Ulm die Mitteilung von der Überstellung Steinbauers auf Weisung der Geheimen Staatspolizei Augsburg ins Konzentrationslager Sachsen­hausen.[147] Entlang des Schubwegs nach Sachsenhausen hatten sich auf verschiedenen Bahnhöfen Amtsbrüder und Angehörige eingefunden, um Steinbauer noch einmal zu sehen.[148] Versuche der Kirchenleitung bei den staatlichen Stellen, insbesondere beim Reichsführer SS Himmler, Steinbauer vor dem Konzentrationslager zu bewahren, blieben ohne Erfolg.[149] Die Bekennende Kirche Norddeutschlands gedachte daraufhin allsonntäglich in der Fürbitte Stein­bauers, nicht so die bayerische Landeskirche.[150]

„… ange­gebener Grund: staatsabträgliches Verhalten“ – vom Schutzhäftling zum Soldat

Über Nürnberg, Hof und Halle führte Steinbauers Weg ins Konzentrationslager Sachsenhausen, wo er am 5. April 1939 eintraf als „Schutzhäftling Karl Steinbauer, laufende Nummer 297, Schutzhaft, ange­gebener Grund: staatsabträgliches Verhalten“[151]. Er belegte Zelle 9, einige Zellen weiter war Martin Niemöller inhaftiert, den Steinbauer täglich sah, ohne mit ihm sprechen zu können.[152] Aus Sachsenhausen sind einige Graphiken und zahlreiche Briefe erhalten.[153] Kurz vor Weihnachten am 22. Dezember 1939 bekam er die Nachricht von seiner Entlassung.[154] Nach seiner Entlassung wurde er zunächst im Polizeipräsidium in Augsburg verhört, bevor er von seiner Frau und seinen Kindern in Empfang genommen wurde und zu seinen Schwiegereltern auf den Rathsberg bei Erlangen weiterreisen konnte.[155] Von der Geheimen Staatspolizei war der Landeskirchenrat benachrichtigt, dass Pfarrer Steinbauer das Betreten seines damaligen Wirkungskreises Senden untersagt sei und er außerhalb des Regierungsbezirks Schwaben versetzt werden müsse.[156] Insofern war eine Rückkehr in die alte Pfarrstelle unmöglich. Gleichzeitig wurde für die Familie ein Haus und ein Gehalt für den Lebensunterhalt gebraucht.[157] So übertrug ihm der Landeskirchenrat mit Schreiben vom 29. Januar 1940 die erledigte Pfarrstelle in Illenschwang. Damit war für die Familie gesorgt, ohne dass Steinbauer die Pfarrstelle wirklich antreten musste. Außerdem wurde er nun zum Heeresdienst beurlaubt.[158] Denn am 20. Januar 1940 war bereits Steinbauers Einberufung zu den Pionieren erfolgt, da das Verfahren gegen ihn aufgrund eines ‘Gnadenerlasses des Führers’ eingestellt worden war.[159] Steinbauer nahm am Russlandfeldzug teil und wurde mehrfach verwundet und ausgezeichnet.[160] Während seiner Urlaubs- und Heimataufenthalte predigte er regelmäßig in Illenschwang.[161] In diesem Zusammen­hang erfolgte eine erneute Anklage gegen Steinbauer wegen einer Weihnachtspredigt im Jahr 1943. Die Anklage lautete auf Wehrkraftzersetzung, die zu einer Verhandlung vor dem Kriegsgericht im September 1944 führte.[162] Bei dieser Verhandlung – Steinbauer wurde von Vize­präsident Dr. Meinzolt verteidigt – wurde der Angeklagte freigesprochen.[163]

„… die Versuchung, weitreichende Kirchenpolitik zu treiben …“ – Lebensstationen Karl Steinbauers

Das Kriegsende erlebte Steinbauer beim Volkssturm in der Nähe von Aschaffenburg, wo er von den Amerikanern gefangen genommen und in das amerikanische Kriegsgefangenenlager Camp 404 bei Marseille transportiert wurde.[164] Dort betreute er als ‘Lagerpfarrer’ die evangelische Gemeinde.[165] Ende September 1945 kehrte er aus der Kriegsgefangenschaft zurück, um dann die schmerzliche Erfahrung zu machen, dass er nicht Pfarrstelleninhaber, sondern lediglich Pfarrhausbewohner in Illenschwang war.[166] Deshalb meldete er sich auf die Pfarrstelle Lehengütingen, wo er beim Amts­antritt 1946 von der Kirchenleitung ausdrücklich ermahnt wurde, auf weitreichende kirchenpolitische Aktivitäten zu verzichten.[167] Zusätzlich erhielt Steinbauer vom Landeskirchenrat den Auftrag zur Seelsorge in den Internierten- und Arbeitslagern. Zur ehemaligen Interniertengemeinde in Moosburg hatte Steinbauer bis an sein Lebensende Kontakt.[168]

1951 wird ihm die Pfarrstelle Wolfratshausen übertragen. Der Personalreferent, der ihm die Ernennung mitteilt, versäumt nicht, ihn zu ermahnen: „Im Übrigen bitte ich Sie um eines: Konzentrieren sie sich recht mit Ihrem Dienst auf die Gemeinde. Lassen sie sich nicht zu viel abrufen, auch nicht von der vielleicht etwas versuchlichen Nähe Tutzings und seiner Akademie“.[169] Die kirchenamtliche Mahnung hindert Steinbauer nicht, zusätzlich zu der umfangreichen Arbeit in einer ausgedehnten Diaspora-Gemeinde, teilweise während seines Urlaubs, in verschiedenen Orten Bibelwochen abzu­halten.[170]

Von 1962 bis 1967 war Steinbauer Gemeindepfarrer in Pettendorf, seine letzte Stelle war die 1. Pfarrstelle an der Paulanerkirche in Amberg.[171]

Die theologisch kritische Auseinandersetzung mit dem Landeskirchenrat war Steinbauer in seiner ganzen Dienstzeit und darüber hinaus selbstverständliche Pflicht. Er wollte sich seine auf das Wort Gottes begründete Unabhängigkeit gegenüber der Kirchenleitung erhalten. Deshalb gab er 1966 den ihm verliehenen Kirchenrats-Titel unter Protest zurück. Er war bei der Kandidatenaufstellung für die Landessynode der bayerischen Landeskirche ausmanövriert worden.[172] Seinen Ruhestand verbrachte Stein­bauer ab 1971 in Erlangen-Buckenhof, dort verstarb er am 6. Februar 1988.[173]

„Ich glaube, darum rede ich“ – zur Aktualität von Steinbauers Glaubenszeugnis

„Ich kann kei Ruh` geben“, so Karl Steinbauer wörtlich zu mir und einem Kollegen Mitte der 80er Jahre im Auto auf dem Weg zu einer Podiumsdiskussion in Nürnberg. Seine Frau hatte ihn wegen der Folgen seines erlittenen Schlaganfalls damals dringend gebeten, nicht mehr öffentlich aufzutreten, da sie sich ernsthaft um seine Gesundheit sorgte. „Meine Frau will, daß ich a Ruh` geb“ erklärte er uns, „aber ich kann net. Ich kann kei Ruh` geben“.

So wie der Ruhestandspfarrer Karl Steinbauer keine Ruh geben konnte, so hatte bereits der Vikar und Pfarrer Steinbauer, wie sein Lebensbericht eindrücklich zeigt, seine ganze Dienstzeit über nie Ruhe geben können, wenn ihm vom Wort Gottes her ein deutliches Wort geboten zu sein schien.[174] Diese Ausbrüche Steinbauers waren echte Ruhestörungen, in des Wortes doppelter Bedeutung. Steinbauer konnte sich diese Zwischenrufe leisten, weil sich in seinem Leben erwiesen hatte, dass da nicht einer nur aus sich selber so daherredet, sondern dass für ihn gilt: „Ich glaube, darum rede ich“(2.Kor.4,13). Das vom Zuspruch und Anspruch des Evangeliums beunruhigte Gewissen war es, was Steinbauer lebenslang nicht ruhen und schweigen ließ. Insofern war es eine heilsame Unruhe, die er in den Gemeinden, in denen er lebte und unter seinen Schwestern und Brüdern, auf diese Bezeichnung legte er wert, verbreitete.

Worauf setzt Kirche ihr Vertrauen und woran orientiert sie sich in ihrem Reden und Tun? Orientiert sie sich an sogenannten gegebenen Tatsachen oder vertraut sie auf Gottes Verheißungen? Diese Frage seiner Kirche in den verschiedenen geschichtlichen und politischen Herausforderungen des 20. Jahrhunderts immer neu zu stellen, wurde Karl Steinbauer nie müde. Weil diese Frage uns Christinnen und Christen heute genauso betrifft wie die Generationen vor uns, deshalb lohnt sich die Auseinandersetzung mit dem Glaubenszeugnis von Karl Steinbauer. Es ist keine harmlose Erinnerung, die wir da pflegen, weil sie uns zeigt, in welch` unüberbrückbare Zwiespälte und Konflikte einer zwangsläufig gerät, wenn für ihn Jesus Christus die gegebene Tatsache schlechthin darstellt. Die Konflikte Steinbauers waren ja auch mit dem Zusammenbruch des Dritten Reiches eben nicht zu Ende. Steinbauers Frage gilt uns heute ganz genauso: Worauf setzen wir als Christinnen und Christen unser Vertrauen, woran orientieren sich insbesondere Kirchenleitungen und Kirchenvorstände: An den wirklichen oder vermuteten Bedürfnissen ihrer Mitglieder, an Erwartungen des Staates oder der Gesellschaft, an den `gegebenen Tatsachen` halt? Oder erwarten wir uns Orientierung und Hilfe vom Hören auf das Wort des lebendigen Gottes, wie das Steinbauer ein Leben lang zu tun versucht hat? In einer Zeit zunehmend funktional-pragmatischer Pfarrerbilder scheint mir Karl Steinbauers in schwierigster Zeit bewährtes Verständnis von Ordination und Installation als Beauftragung, Befähigung und Ermächtigung zum Dienst am Evangelium von wegweisender Bedeutung zu sein.[175] Gegenwärtig wird sehr viel, vielleicht zu viel über innerkirchliche Struktur- und Organisationsreformen gesprochen. Steinbauers Geschichte spricht sicher weder für eine innerkirchliche, machtpolitische Stärkung der „mittleren Ebene“ der Dekanate und Superintendenten, noch für eine Konzentration auf eine episkopal verstandene Kirchenleitung, sondern dafür, die Pfarrerinnen und Pfarrer, reformatorischem Amts- oder besser Dienstverständnis entsprechend, als Bischöfe ihrer Gemeinden und diese als christliche Kirche im Sinne der 3. These von Barmen zu verstehen. Die Evangelische Kirche in Deutschland tut gut daran, die Geschichte und die Geschichten von Bekennender Kirche und ihren mehr oder weniger prominenten Vertretern lebendig zu halten und sich von diesem theologischen Erbe im gegenwärtigen praktischen Handeln kritisch in Frage stellen zu lassen.

Quelle: Clemens Illian, Traugott Jähnichen, Sigrid Reihs (Hg.), Anstöße. Festschrift Günter Brakelmann zum 80. Geburtstag, Berlin: LIT, 2011, S. 233-264.


[1] Vgl. Greif, T., Der Flaggenstreit zum „Frankentag“ auf dem Hesselberg, in: Hamm, B., Oelke, H., Schneider-Ludorf, G. (Hg.), Spielräume des Handelns und der Erinnerung. Die Evangelisch- Lutherische Kirche in Bayern und der Nationalsozialismus, Göttingen 2010, S. 176.

[2] Vgl. Nicolaisen, C., Nationalsozialistische Herrschaft, in: Müller, G., Weigelt, H., Zorn, W. (Hg.), Handbuch der Geschichte der Evangelischen Kirche in Bayern, Bd. 2, S. 297ff.

[3] Vgl. Niemöller, M., Briefe aus der Gefangenschaft Moabit (Hg. W. Niemöller), Frankfurt 1975, S. 116,118,255,258.

[4] Vgl. z.B. Busch, E., Karl Barths Lebenslauf, München 1978 3, S. 289, 444, 506.

[5] abgedruckt in Steinbauer, K., Einander das Zeugnis gönnen, Bd. II, Erlangen 1984 2, S. 263; Vgl. ferner Steinbauer, K., Die Fahne deckt die Lüge wie ein Leichentuch, in: Beckmann, J. u.a. (Hg.), Dann werden die Steine schreien, Bielefeld 1984 2, S. 84ff.; Vgl. Bethge, E., Dietrich Bonhoeffer, München 1986 6, S. 653.

[6] Vgl. Scholder, K., Die Kirchen zwischen Republik und Gewaltherrschaft, Frankfurt-Berlin 1991, S. 131ff.; Mildenberger, F., Geschichte der deutschen evangelischen Theologie im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart u.a. 1981, S. 11-15.

[7] Steinbauer, K., Einander das Zeugnis gönnen, Bd. I, Erlangen 1984 3, Vorwort.

[8] Zeugnis I, S. 6. Steinbauer kann von Hitler, Himmler, Goebbels und Bormann als von Brüdern sprechen, ihm geht es darum, „Gegner als Brüder, Feinde wenigstens als Brüder auf Hoffnung sehen lernen.“ ebd. S. 15, Vgl. hierzu S. 14 – 18. „.. Lieblosigkeit“ ist es, die „..dem Bruder das schuldige Zeugnis nicht gönnt.“ Ebd. S. 17. Steinbauer beruft sich dabei auf die Schrift, insbesondere auf Hebr. 2, 11. In der Festschrift der Erlanger theologischen Fakultät zu Steinbauers 80. Geburtstag stellt Hans G. Ulrich Steinbauer in seiner Auslegung der Zwei- Reiche- Lehre Karl Barth, Harald Diem, Paul Schempp und Hans-Joachim Iwand an die Seite, deren einschlägige theologische Schriften Steinbauer zeitlich noch nicht zur Verfügung haben konnte, so „..bleibt Steinbauers Beitrag in seiner Aussage und seiner Auslegung der Bibel (insbesondere von Röm 13) und der Theologie Luthers eine unüberhörbar eigene Stimme.“ Ulrich, H.-G., Das Zeugnis des Christen und die Politik – Zum Verständnis von Röm 13 bei Karl Steinbauer, in: Mildenberger, F., Seitz, M. (Hg.), Gott mehr gehorchen, München 1986, S. 32.

[9] Zeugnis I. S. 9; zur Geschichte der bayerischen Landeskirche Vgl. Schindler-Joppien, U., Das Neuluthertum und die Macht: ideologiekritische Analysen zur Entstehungsgeschichte des lutherischen Konfessionalismus in Bayern (1825-1838), Stuttgart 1998.

[10] Zeugnis I, Zur Person des Autors.

[11] Vgl. Rehm, J. (Hg.), „Ich glaube, darum rede ich!“ Karl Steinbauer: Texte und Predigten im Widerstand, Tübingen 20012.

[12] Zeugnis I, S. 19.

[13] ebd. S. 20.

[14] ebd. S. 34.

[15] ebd. S. 37.

[16] ebd. S. 38.

[17] „Selbstgefertigter Lebenslauf des cand. theol. K. Steinbauer“ und „Lebenslauf des expon. Vikars Karl Steinbauer z. Z. Penzberg (unveröffentlichtes Material, freundlicherweise zur Verfügung gestellt vom Landeskirchenamt in München).

[18] Vgl. die Bezugnahme auf diese Erfahrung Steinbauers in Mildenberger, F., Biblische Dogmatik, Bd. 2, Stuttgart 1992, S. 69 u. 263.

[19] Mensing, B., Pfarrer und Nationalsozialismus. Geschichte einer Verstrickung am Beispiel der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Göttingen 1998, S. 107.

[20] Zeugnis I, S. 39 – 46.

[21] ebd. S. 44.

[22] Lebenslauf des expon. Vikars Karl Steinbauer z. Z. Penzberg (unveröffentlich) und Zeugnis I, S. 46 ff.

[23] Vgl. Broszat, M. u.a. (Hg.), Bayern in der NS-Zeit IV, München-Wien 1981, S. 348ff.; Zeugnis I, S. 54 ff.

[24] Zeugnis I, S. 55 ff.

[25] ebd. S. 56. Steinbauers theologische Klarsicht und Bekenntnistreue wird 50 Jahre später in einer Buchwidmung hervorgehoben: „Ich widme diese Theologie der Lutherischen Bekenntnisschriften Karl Steinbauer. Sein Name soll für alle die stehen, die vor fünfzig Jahren wußten, was an der Zeit war, und dem Bekenntnis ihrer Kirche die Treue hielten.“ Mildenberger, F., Theologie der Lutherischen Bekenntnisschriften, Stuttgart 1983, S. 9.

[26] Zeugnis I, S. 56 f.

[27] ebd. S. 57.

[28] ebd. S. 58.

[29] ebd. S. 60 f.

[30] ebd. S. 73.

[31] ebd. S. 74.

[32] ebd. S. 75 ff. Vgl. Roepke, C.-J., Die Protestanten in Bayern, München 1972, S. 404f.

[33] Zeugnis I, S. 94 f. Vgl. hierzu auch Meiser, H., Verantwortung für die Kirche. Stenographische Aufzeichnungen und Mitschriften von Landesbischof Hans Meiser 1933-1955, bearb. von H. Braun u. C. Nicolaisen, Bd. 1, Göttingen 1985, S. 3ff.

[34] Zeugnis I, S. 95.

[35] Vgl. Scholder, K., Die Kirchen und das Dritte Reich, Bd. I, Frankfurt u.a. 1977, S. 663ff.

[36] Zeugnis I, S. 107.

[37] ebd. S. 118. Vgl. hierzu Baier, H., Henn, E., Chronologie des bayerischen Kirchenkampfes 1933-1945, Nürnberg 1969, S. 56; Vgl. dieses grundlegende Werk auch zum folgenden. Vgl. ferner Baier, H., Die Deutschen Christen Bayerns im Rahmen des bayerischen Kirchenkampfes, Nürnberg 1968, S. 88f. u. S. 372 – 378. Vgl. Haberer, J. (Hg.), Er liebte seine Kirche. Bischof Hans Meiser und die bayerische Landeskirche im Nationalsozialismus, München 1996, S. 32.

[38] Zeugnis I, S. 121.

[39] ebd. S. 123 ff.

[40] ebd. S. 134.

[41] ebd. S. 139.

[42] ebd. S. 152.

[43] ebd. S. 152 ff.

[44] Vgl. Scholder, K., Die Kirchen und das Dritte Reich, Bd. II, Berlin 1985. Zeugnis I, S. 155 – 190.

[45] Vgl. Schäberle-Koenigs, G., Und sie waren täglich einmütig beieinander: der Weg der Bekennenden Gemeinde Berlin/Dahlem 1937-1943 mit Helmut Gollwitzer, Gütersloh 1998.

[46] Vgl. Haberer, J. (Hg.), Er liebte seine Kirche. Bischof Hans Meiser und die bayerische Landeskirche im Nationalsozialismus, a.a.O., S. 36f.; Zeugnis I, S. 194.

[47] Zeugnis I, S. 200 f.

[48] ebd. S. 211 ff.

[49] ebd. S. 217 ff.

[50] ebd. S. 227 ff.

[51] ebd. S. 234 ff.

[52] ebd. S. 234 – 239.

[53] ebd. S. 244 ff.

[54] ebd. S. 247.

[55] ebd. S. 249.

[56] ebd. S. 249.

[57] ebd. S. 250.

[58] Zeugnis II, S. 3; Vgl. Mildenberger, F., Damit die Kette des Gehorsams nicht abreißt! Fragen der kirchlichen Rechtsordnung, an einem konkreten Fall erläutert, in: Mildenberger, F., Seitz, M. (Hg.), Gott mehr gehorchen, a.a.O., S. 53ff.

[59] Zeugnis II. S. 3.

[60] ebd. S. 3.

[61] ebd. S. 5.

[62] ebd. S. 6.

[63] ebd. S. 20.

[64] ebd. S. 20.

[65] ebd. S. 29.

[66] ebd. S. 31.

[67] ebd. S. 35 ff.

[68] ebd. S. 40.

[69] ebd. S. 41.

[70] ebd. S. 43.

[71] ebd. S. 47.

[72] ebd. S. 49.

[73] ebd. S. 52.

[74] ebd. S. 52.

[75] ebd. S. 52.

[76] ebd. S. 56.

[77] ebd. S. 56 f.

[78] ebd. S. 57.

[79] ebd. S. 59.

[80] ebd. S. 60 f.

[81] ebd. S. 66.

[82] ebd. S. 73 – 77.

[83] ebd. S. 84 f.

[84] ebd. S. 113 f.

[85] ebd. S.115 ff.

[86] ebd. S. 118 ff.

[87] ebd. S. 120 ff.

[88] ebd. S. 123.

[89] ebd. S. 124.

[90] ebd. S. 129 – 135.

[91] ebd. S. 130 f.

[92] ebd. S. 139 f.

[93] ebd. S. 137.

[94] ebd. S. 138.

[95] ebd. S. 138.

[96] ebd. S. 147.

[97] ebd. S. 156 ff.

[98] ebd. S. 168 u. S. 169.

[99] ebd. S. 174 – 195.

[100] ebd. S. 196 ff.

[101] ebd. S. 197.

[102] ebd. S. 203.

[103] ebd. S. 205 ff.

[104] ebd. S. 205.

[105] ebd. S. 211 ff.

[106] ebd. S. 219.

[107] ebd. S. 221.

[108] ebd. S. 222 – 225.

[109] ebd. S. 226 und 227a.

[110] ebd. S. 228.

[111] ebd. S. 228.

[112] ebd. S. 228.

[113] ebd. S. 231.

[114] ebd. S. 231-234.

[115] ebd. S. 236.

[116] ebd. S. 241.

[117] ebd. S. 242 – 262.

[118] Zeugnis III, S. 79.

[119] ebd. S. 81.

[120] ebd. S. 82 ff.; Vgl. hierzu Rößler, H., „Es hat sich Unerhörtes ereignet“ Penzberger Kirchenvorsteher verhindern 1938 die Verhaftung von Juden, ZbKG 60/1991, S. 137-142; Simon, C., Penzberg, in: Harder, G., Niemöller, W. (Hg.), Die Stunde der Versuchung. Gemeinden im Kampf 1933-1945, Selbstzeugnisse, München 1963, S. 406ff.; Töllner, A., Eine Frage der Rasse? Die Evangelisch – Lutherische Kirche in Bayern, der Arierparagraf und die bayerischen Pfarrfamilien mit jüdischen Vorfahren im „Dritten Reich“, Stuttgart 2007.

[121] Steinbauer, K., Einander das Zeugnis gönnen, Bd. III, Erlangen 1985, S. 108 f.; Vgl. hierzu: Weigelt, H., Karl Steinbauer und die Eidesfrage im Jahre 1938 – Aspekte zum Kirchenkampf in Bayern -, in: Mildenberger, F., Seitz, M. (Hg.), Gott mehr gehorchen, a.a.O., S. 12ff.

[122] Zeugnis III, S. 112.

[123] ebd. S. 113.

[124] ebd. S. 115.

[125] ebd. S. 123 f.

[126] Vgl. auch zum folgenden S. 125 – 143.

[127] ebd. S. 129.

[128] ebd. S. 130 f.

[129] ebd. S. 132.

[130] ebd. S. 144 – 146.

[131] ebd. S. 148 f.

[132] ebd. S. 156 f. Vgl. hierzu Schoberth, I., Erinnerung als Praxis des Glaubens, München 1992, S. 184ff.

[133] Zeugnis III, S. 160 f.

[134] ebd. S. 168.

[135] ebd. S. 181.

[136] ebd. S. 187 ff.

[137] ebd. S. 190.

[138] ebd. S. 191.

[139] ebd. S. 201 – 204.

[140] ebd. S. 206 ff.

[141] ebd. S. 242.

[142] ebd. S. 245 f.

[143] ebd. S. 247 f.

[144] ebd. S. 261 ff.

[145] ebd. S. 280 – 284.

[146] ebd. S. 290.

[147] ebd. S. 291.

[148] ebd. S. 292 f. u. S. 296 ff.

[149] ebd. S. 294 f. u. S. 302.

[150] ebd. S. 305 f.

[151] Steinbauer, K., Einander das Zeugnis gönnen, Bd. IV, hg. von Giesen, E. u. M., Erlangen/ Mülheim 1987, S. 8 ff.

[152] ebd. S. 7 – 9.

[153] ebd. S. 21 – 73.

[154] ebd. S. 73.

[155] ebd. S. 76 f.

[156] Zeugnis III, S. 315.

[157] Zeugnis IV, S. 81.

[158] ebd. S. 82 ff.

[159] ebd. S. 85 f.

[160] ebd. S. 85.

[161] ebd. S. 95 f.

[162] ebd. S. 131 – 138.

[163] ebd. S. 148. Vgl. Baier, H., Kirche in Not. Die bayerische Landeskirche im Zweiten Weltkrieg, Neustadt 1979, S. 457.

[164] Zeugnis IV, S. 157 – 161.

[165] ebd. S. 161.

[166] ebd. S. 81 ff. und Zeugnis I, 15 f.

[167] „Nun erfüllen Sie uns id est dem Landeskirchenrat den Wunsch und widmen sich dieser Gemeinde mit ganzer Hingabe, die Zeit nützend für seelsorgerliche Besuche und Nachgehen der immerhin weitverzweigten Gemeinde, die in Dürrwangen und Umgebung sogar ein Stücklein Diaspora hat, und die Stille des Ortes auswertend für fleißige Vertiefung in Schrift und Bekenntnis und andere theologische Arbeit. Ich bitte Sie darum, uns diesen Wunsch zu erfüllen und die Versuchung, weitreichende Kirchenpolitik zu treiben, die infolge Ihres ganzen vorigen Erlebens auf Sie zukommen wird, als solche zu erkennen“. Brief von OKR Georg Kern an Karl Steinbauer vom 31.1.46, Zeugnis IV S. 194 f.

[168] ebd. S. 208 – 219.

[169] Brief von OKR Otto Bezzel an Steinbauer vom 18.7. 51.

[170] Zeugnis IV, S. 260 – 281.

[171] ebd. S. 289 – 314.

[172] ebd. S. 292 ff.

[173] Vgl. Blendinger, H., Aufbruch der Kirche in die Moderne. Die Evangelisch–Lutherische Kirche in Bayern 1945 – 1990, Stuttgart 2000.

[174] Vgl. Blendinger, C., Nur Gott und dem Gewissen verpflichtet. Karl Steinbauer – Zeuge in finsterer Zeit, München 2001; Öder, T., Aber Gottes Wort ist nicht gebunden. Der bayerische Pfarrer Karl Steinbauer: Zeuge Jesu Christi im ‘Dritten Reich’, Nürnberg 2006.

[175] Vgl. Rehm, J., Gemeinsam die Schrift „abhorchen“- Karl Steinbauer als Gemeindepfarrer, in: Krug, M., Lödel, R., Rehm, J. (Hg.), Beim Wort nehmen – die Schrift als Zentrum für Kirchliches Reden und Gestalten, FS Friedrich Mildenberger, Stuttgart 2004, S. 365ff.

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