Martin Luther, Die Bedingungen des wahren Gebets (Orationis verae conditiones, 1520): „Das Gebet geschehe im Ernst, nicht in schwankendem Geist und nicht so, dass man die Sache, um die man bittet, nicht dringend ersehnt, wie bei einem Abenteuer, kommt’s, so kommt’s, wie wenn man nach einer Birne wirft. Dies wäre sogar eine Verhöhnung Gottes, als wollte er nicht ge­währen, was er zugesagt hat. Solche Abenteurer erreichen es nicht nur nicht, sondern reizen vielmehr Gott zu ihrem größten Übel.“

Die Bedingungen des wahren Gebets (Orationis verae conditiones, 1520)

Von Martin Luther

Jedes Gebet [oratio] wird aus fünf [Merkmalen] bestehen, andernfalls wird das Gebet vergeblich sein.

Das Erste sei die Zusage Gottes [promissio Dei], auf welche sich das ganze Gebet stützt: Wo keine Zusage wäre, wäre unser Gebet nichtig, der Erhörung unwürdig, weil es sich auf sich selbst stützte.

Das Zweite ist das Vorbringen der benötigten Sache [rei necessariae] oder die Sache, die durch die Bitte erlangt werden soll, damit die zerstreuten Gedanken in die göttliche Zusage gesammelt werden, weil ich das Notwendende zu erlangen hoffe; dies nennt man die Sammlung des Geistes [animi collectio]. Daher sind [selbst]erwählte Gebetlein, Rosenkränze und dergleichen keine priesterlichen Ge­bete, weil sie den Geist nicht sammeln noch die zu erlangende Sache dem Geist vorbilden.

Drittens: Es bedarf des Glaubens [fide opus est], durch den ich dem zusagenden Gott glaube, dass ich dies ohne jeden Zweifel erlangen kann. Gott wird es allerdings nicht deinetwegen und deines Gebetes wegen gewähren, sondern wegen seiner Zuverlässigkeit [veritas: Wahrheit, Treue], durch die er zugesagt hat, dass er [das Erbetene] geben wird. Und so erlangt dies nur das Vertrauen [fiducia], das die Treue [veritas] Gottes zwingt, es zu gewähren.

Viertens: [Das Gebet] geschehe im Ernst, nicht in schwankendem Geist und nicht so, dass man die Sache, um die man bittet, nicht dringend ersehnt [magnopere desiderante], wie bei einem Abenteuer, kommt’s, so kommt’s, wie wenn man nach einer Birne wirft. Dies wäre sogar eine Verhöhnung Gottes, als wollte er nicht ge­währen, was er zugesagt hat. Solche [Abenteurer] erreichen es nicht nur nicht, sondern reizen vielmehr Gott zu ihrem größten Übel.

Fünftens: Es geschehe im Namen Jesu, auf dessen Befehl [iussu] (›Wenn ihr etwas in meinem Namen bittet‹ [Joh 16,23], wiederum: ›Bittet, und ihr werdet empfangen‹ [Mt 7,7]) und Autorität hin wir zuversichtlich zum Vater aller Dinge hinzu­treten sollen. Und so kann es nicht sein, dass keine Erhörung geschieht [non potest non fieri exauditio]: Der Vater hat es durch den Sohn versprochen wie durch ein Werkzeug [instrumentum]. Und Christus schmerzen unsere Sünden; er betet ihr sie im Himmel, als wären es seine. Sag’ mir bitte: Was könnte hier für eine Verwei­gerung sein? Der Sohn betet in meinem Namen im Himmel, ich in seinem Namen auf der Erde. So ist die Gerechtigkeit Christi meine, meine Sünden sind Christi: ge­wiss ein ungleicher Tausch [inaequalis permutatio]. Und beide kommen so mitein­ander ins Reine: Meine Sünden vergehen in Christus, und seine Heiligkeit wäscht mich weiß, so dass ich des ewigen Lebens würdig werde.

Orationis verae conditiones.

Omnis oratio ex quinque constabit, alioqui futilis erit oratio.

Primum sit promissio Dei, in quam tota oratio innitatur: ubi promissio non esset, oratio nostra vana esset exauditione indigna, quia in se ipsa niteretur.

Secundum rei necessariae argumentum, aut res prece obtinenda, ut colli­gantur cogitationes dispersae in divinum promissum, ex eo quod rem neces­sariam obtinendam spero, quae dicitur animi collectio. Ex hoc electiciae preculae, rosaria et huiusmodi non sunt orationes presbyterales, quum non colligunt animum nec rem obtinendam animo praefigunt.

Tertium: fide opus est, qua credam Deo promittenti, me id posse obtinere citra omne dubium. Deus quidem non propter te tuamque orationem, sed propter veritatem suam, qua promisit se daturum, praestabit. Atque ita fiducia sola obtinet, quae Dei veritatem cogit ad praestandum.

Quartum: serio fiat, non animo vacil­lante ac rem, pro qua orat, non magnopere desiderante, als uff ein abentheuer, kompbscz ßo kombscz, wie man nach einer Pirn wurfft. Atque haec esset irrisio Dei, tanquam non velit praestare quod promisit. Ii non modo non impetrant, sed irritant potius Deum in suum maximum malum.

Quintum: fiat in nomine Ihesu, cuius iussu (‘si quid petieritis in nomine meo’, Item ‘petite et accipietis’) et auctoritate confidenter accedamus omnium rerum patrem. Atque ita non potest non fieri exauditio: pater promisit per filium utpote instrumentum. Et Christus dolet peccata nostra, orat pro eis in coelis tanquam essent sua. Dic, quaeso, quae potest hic esse negatio? filius orat nomine meo in coelis, ego nomine eius in terra. Itaque iustitia Christi mea est, peccata mea Christi: inaequalis certe permutatio. Et uterque sic pur­gatur: peccata mea in Christo pereunt, et eius sanctimonia excandefecit me, ut dignus sim vita aeterna.

WA 4, 624,8–32, übersetzt von Oswald Bayer.

Hier der Text als pdf.

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