Die Funktion der Kirche in Kriegszeiten (The Church’s Function in War-Time, 1939)
Von George Bell, Bischof von Chichester
Was soll die Kirche in Kriegszeiten tun und sagen? Es ist ein altes Problem, das die Menschen immer wieder beschäftigt hat. Es gibt einige, die als selbstverständlich ansehen, dass die Kirche dem Weg der Nation folgen muss, und die behaupten, es gebe darüber nichts zu diskutieren. Andere wiederum halten die Lehre der Kirche und die Durchführung von Kriegen für so grundlegend unvereinbar, dass sie fordern, alle Kirchen für die Dauer des Krieges zu schließen. Es gibt nicht viele, die so weit gehen. Aber wir dürfen das Urteil des Historikers Lecky in seiner History of European Morals nicht vergessen:
„Mit dem heutigen Erfahrungshintergrund müssen wir zu dem traurigen Schluss kommen, dass der kirchliche Einfluss die Zahl der Kriege nicht etwa verringert, sondern tatsächlich – und in erheblichem Maße – vermehrt hat. Wir suchen vergeblich nach einer Epoche seit Konstantin, in der sich der Klerus als Körperschaft ernsthaft bemüht hätte, den militärischen Geist zu zügeln oder einen bestimmten Krieg mit ähnlichem Eifer zu verhindern oder einzudämmen, wie sie ihn aufbrachten, um den Fanatismus der Kreuzfahrer anzuheizen, die grausamen Massaker an den Albigensern herbeizuführen oder die religiösen Auseinandersetzungen nach der Reformation zu verschärfen.“
Die Frage ist von besonderer Bedeutung. In der ersten Phase eines Krieges sind die Kirchen in der Regel deutlich voller. Doch es gibt zahlreiche Kritiker, die mit dem Finger auf die Geistlichen der kriegführenden Nationen zeigen, wenn diese behaupten, die Sache ihres Landes sei die gerechte Sache, und Gott bitten, sie zu segnen und ihrem Land den Sieg zu schenken. Und wenn der Krieg vorbei ist, herrscht oft große Ernüchterung. Viele der Menschen, die zuvor die Kirchen gefüllt haben, werden zu den ersten gehören, die die Kirche angreifen – insbesondere, wenn sie den Eindruck haben, die Kirche habe nur den allgemeinen Ruf nachgeplappert, wenn die kirchlichen Führer lediglich das wiederholt haben, was die Politiker sagten, und wenn die Predigten sich zu sehr mit der Gerechtigkeit der eigenen nationalen Sache beschäftigt haben.
Daher ist es wichtig, die Frage zu stellen: Was ist die Aufgabe der Kirche in Kriegszeiten? Und ich möchte in diesem Artikel nachdrücklich vertreten, dass es die Aufgabe der Kirche ist, um jeden Preis Kirche zu bleiben.
Der Krieg von 1914–1918 war eine große Bewährungsprobe für die Kirche. Ich kann aus erster Hand über die praktische Ausübung des kirchlichen Dienstes sprechen, denn ich war damals der Kaplan des verstorbenen Erzbischofs von Canterbury. Wenn ich zurückblicke, erinnere ich mich an die Kraft des nationalen Aufbruchs in jedem Land. Überall, bei allen Völkern, waren die nationalen Gefühle stark. Deutschland war groß und mächtig, und der deutsche Nationalgeist war ebenso kraftvoll. Die Betonung der Rechte der kleineren Nationen gegenüber Deutschland schürte den Nationalismus auch anderswo. Der nationalistische Geist wuchs im Verlauf des Krieges. Er wuchs in allen Ländern. Er wuchs auch in England. Es gab die Hetze gegen Menschen mit deutschen Namen, die Kampagne gegen Ausländer ab 1915, die Forderung nach Vergeltungsmaßnahmen. Es gab Menschen – darunter Kirchenführer in allen Ländern – die sich dem nationalistischen Fieber widersetzten. Aber das Fieber war heftig, und die Belastung der nationalen Kräfte groß. Es gab keine ausreichend starke Gegenkraft, die dem entschieden hätte entgegentreten können. Die Kirche selbst wurde in jedem Land mehr und mehr zur Kirche der jeweiligen Nation. Es gelang ihr nicht, einen universellen Ton anzuschlagen.
Es ist nicht schwer, Beispiele dafür zu finden. Im September 1914 veröffentlichten einige der bekanntesten deutschen Theologen einen „Aufruf an die evangelischen Christen im Ausland“, der nichts anderes war als eine Parteinahme der deutschen protestantischen Kirche für den deutschen Staat im Krieg gegen England und Frankreich. Darin heißt es unter anderem:
„Wir wissen, dass wir eins sind mit allen Christen in unserem Volk, dass wir in ihrem Namen und im Namen ihrer Regierung die Verantwortung für das furchtbare Verbrechen dieses Krieges und all seine Folgen für die Entwicklung des Gottesreiches auf Erden ablehnen können und müssen. Mit tiefster Überzeugung müssen wir diese Verantwortung jenen zuschreiben, die seit Langem heimlich und listig ein Netz der Verschwörung gegen Deutschland gesponnen haben, das sie nun über uns geworfen haben, um uns darin zu erdrosseln.“
Unmittelbar darauf folgte eine Antwort bedeutender britischer Kirchenführer, angeführt von den Erzbischöfen von Canterbury und York, die de facto die britischen Kirchen geschlossen hinter die britische Regierung stellte:
„Es ist uns nicht leichtgefallen, dem Handeln unserer Regierung in dieser Angelegenheit zuzustimmen. Aber die Fakten, wie wir sie kennen, machten es uns unmöglich, anders zu handeln. … Wir haben Stellung bezogen für internationale Rechtschaffenheit, für den Schutz kleinerer Nationen und für die Bewahrung der grundlegenden Voraussetzungen für Brüderlichkeit unter den Völkern der Welt.“
Mit diesem starken nationalen Hintergrund in jedem Land wurden dann 1919 die Friedensverhandlungen geführt. Die Stimmung der Siegermächte war schlecht. Es gab keine starke Gegenkraft in der öffentlichen Meinung, die dieser Haltung hätte entgegentreten können. So kam es zum Vertrag von Versailles. In keinem der kriegführenden Länder hatte die Kirche einen übernationalen Ton angeschlagen. Hätte sie das getan, sähe unsere Welt heute anders aus.
Im gegenwärtigen Krieg stellt sich dieselbe Frage: Wird die Kirche in den kriegführenden Ländern einen universellen Ton anschlagen – oder wird sie dem Staat einfach nachreden? Wenn die Kirche rein national denkt, wird sie scheitern. Wenn sie im Krieg versagt, wird sie beim Frieden nichts bewirken können. Wenn die Kirche jetzt ihre Aufgabe nicht erfüllt, wie will sie die Menschheit je davon überzeugen, dass sie überhaupt eine Aufgabe hat?
Diese Frage der Aufgabenverteilung ist von zentraler Bedeutung. Der Staat hat eine Aufgabe, und die Kirche hat eine Aufgabe. Diese sind voneinander verschieden. Der Staat ist Garant für Ordnung, Gerechtigkeit und bürgerliche Freiheit. Er handelt mit Macht – rechtlicher und physischer. Die Kirche hingegen ist Trägerin einer Botschaft von Gottes erlösender Liebe. Sie bezeugt eine Offenbarung in der Geschichte. Sie spricht von den Wirklichkeiten, die den Wandel überdauern. Sie strebt danach, eine Gemeinschaft zu schaffen, die auf Liebe gegründet ist. Wenn also zum Beispiel alle Mittel des Staates darauf ausgerichtet sind, einen Krieg zu gewinnen, gehört die Kirche nicht zu diesen Mitteln. Sie steht für etwas anderes. Sie besitzt eine Autorität, die unabhängig vom Staat ist. Und gerade wegen dieser Autorität ist sie verpflichtet, die bleibenden Wahrheiten zu verkünden. Sie muss das Evangelium der Erlösung predigen.
Ich stelle dies an den Anfang, damit meine weiteren Überlegungen als auf einem festen Prinzip fußend verstanden werden. Die Menschen verdanken dem Staat sehr viel – das steht außer Frage. Aber der Staat deckt keineswegs das ganze Spektrum menschlicher Erfahrung oder Bedürfnisse ab. Er beschäftigt sich mit dem Wandelbaren und mit dem, was praktisch umsetzbar ist. Die Kirche hingegen berührt das Unsichtbare, das Unveränderliche, das Übernatürliche und das Übernationale. Sie ist nicht die Nation. Sie ist nicht das geistliche Hilfsorgan des Staates mit denselben Zielen wie dieser. Den Eindruck zu erwecken, dass sie es sei, wäre ein schwerwiegender Dienst an der Nation – im negativen Sinne – und ein Verrat an den eigenen Prinzipien.
Wenn ein Krieg ausbricht, kommt es stets zu einer umfassenden Mobilisierung der Kräfte der Nation. Von der Kirche, die innerhalb der Nation steht, wird erwartet, ihre Solidarität mit der Nation auszudrücken. Tatsächlich wäre es selbst dann, wenn man es wollte, unmöglich, einen klaren Schnitt zwischen Kirchengliedern und Bürgern zu machen. Es kann kein Sich-Herausziehen aus dem Schicksal der Nation. Die Kirche ist die Kirche von Menschen – und es gibt keine Menschen, die nicht einem Volk angehören. Die Kirche hat Anteil an allem, was das jeweilige Volk betrifft. Sie freut sich über die guten Gaben, die Gott der Nation gibt. Sie leidet unter allen Lasten, die das Volk zu tragen hat. Was soll die Kirche tun, wenn es Krieg gibt?
Wir müssen auf der Unterscheidung der Aufgaben bestehen. Die Kirche hat zu allen Zeiten eine spezifische Aufgabe. Sie schuldet es der Nation ebenso wie sich selbst, diese Aufgabe so gut wie möglich zu erfüllen. Wenn die Kirche eine Aufgabe hat, dann ist der Krieg nicht die Zeit, sie aufzugeben.
Aber wir müssen es weiter auslegen. Da ist zunächst die Frage von Recht und Unrecht – das Sittengesetz. Die Kirche vertritt in der Person ihrer Geistlichen (clergy) in erster Linie das Evangelium, das Vergebung und Erlösung bringt. Aber sie bezeugt auch ewige Wahrheiten; und das Sittengesetz ist ebenso übernational und übernatürlich wie das Evangelium. Die Kirche sollte daher sowohl in Friedenszeiten als auch in Kriegszeiten verkünden, dass es bestimmte grundlegende Prinzipien gibt, die als Maßstab für internationale und soziale Ordnung und Verhalten dienen können und sollen. Solche Prinzipien sind die gleiche Würde aller Menschen, der Respekt vor dem menschlichen Leben, die Anerkennung der Solidarität im Guten wie im Bösen aller Nationen und Rassen der Erde, die Treue zum gegebenen Wort und die Einsicht, dass jede Art von Macht, ob politisch oder wirtschaftlich, in gleichem Maße mit Verantwortung verbunden sein muss. Die Kirche sollte daher aussprechen, was gerecht ist. Sie hat das Recht zu weissagen, die Hintergründe eines bestimmten Konflikts zu analysieren und den Angreifer zu tadeln. Doch zwei Bedingungen sind entscheidend. Die Kirche muss demütig sein. Sie muss ihren eigenen Anteil an der Schuld an der allgemeinen Ungerechtigkeit und Lieblosigkeit anerkennen. Außerdem muss ihr Zeugnis uneigennützig und unabhängig sein. Sie sollte nur das sagen, wozu das Sittengesetz sie zwingt – ob das nun ihrem Land günstig oder ungünstig ist. Darüber hinaus muss die Kirche auch im Krieg selbst jene moralischen Prinzipien wahren und verteidigen. Sie darf nicht zögern, wenn es nötig ist, die Ausübung von Vergeltungsmaßnahmen oder die Bombardierung ziviler Bevölkerungen durch die Streitkräfte der eigenen Nation zu verurteilen. Sie sollte sich gegen Propaganda aus Lügen und Hass wenden. Sie sollte bereit sein, die Wiederaufnahme freundschaftlicher Beziehungen mit der feindlichen Nation zu fördern. Sie sollte sich entschieden gegen jeden Vernichtungs- oder Versklavungskrieg und gegen alle Maßnahmen wenden, die direkt auf die Zerstörung der Moral einer Bevölkerung abzielen.
Aber obwohl sie jederzeit frei sein muss, von grundlegenden moralischen Prinzipien sowohl in der gesellschaftlichen als auch in der internationalen Ordnung zu zeugen, ist die eigentliche Aufgabe der Kirche anderer Art. Und deshalb ist auch ihr charakteristischer Ausdruck der Solidarität mit der Nation ein anderer. Die Kirche steht für das Kreuz, das Evangelium der Erlösung. Sie kann daher von keinem irdischen Krieg als einem „Kreuzzug“ sprechen, denn das eine, wofür es unmöglich ist, mit irdischen Waffen zu kämpfen, ist das Kreuz. Ihr oberstes Anliegen ist nicht der Sieg der nationalen Sache. Es ist schwer zu sagen, aber es ist entscheidend: Ihr oberstes Anliegen ist das Tun des Willens Gottes – wer auch immer siegt – und die Verkündigung der Barmherzigkeit Gottes gegenüber allen Menschen und Nationen. Die Geistlichen, insbesondere die Führer der Kirche, tragen eine große Verantwortung dafür, dies klarzustellen. Es geht nicht nur darum, dass die Kirche – wenn ihre Geistlichen das Evangelium predigen – eine ausgleichende Kraft von unbestreitbarer Autorität gegenüber den Wellen nationaler Emotionen bietet und so hilft, die geistige Integrität zu bewahren. Das ist wichtig. Aber noch wichtiger ist die Tatsache, dass die Kirche Treuhänderin des Evangeliums der Erlösung ist; und wenn das Evangelium nicht gepredigt wird, ist die Kirche nicht die Kirche.
Es ist in dem, was ich geschrieben habe, impliziert, dass die Kirche universal ist. Ihre Botschaft gilt allen Nationen. Die Kirche in einem Land hört auf, Kirche zu sein, wenn sie vergisst, dass ihre Mitglieder in einer Nation Gemeinschaft haben mit ihren Mitgliedern in jeder anderen Nation. Die Kirche steht auch für ein übernatürliches Ereignis als Zentrum des Lebens. Dieses Ereignis ist die Menschwerdung, das Kreuz und die Auferstehung. Die Kirche hört auf, Kirche zu sein, wenn sie das nicht zum Zentrum ihrer Lehre macht. Es ist eine von Gott gegebene Wirklichkeit. Sie ist keine Gesellschaft, die Menschen oder Völker zu guten Zielen ermahnt. Sie ist nicht einmal eine Gesellschaft zur Verbesserung der internationalen Moral. Sie sieht die Welt in dem Bösen liegen, das Christus durch sein Kreuz überwunden hat. Sie erklärt, dass das grundlegende Problem ein geistliches ist, dass das tiefste Bedürfnis der gesellschaftlichen und internationalen Lage geistlicher Natur ist. Ihr Zeugnis lautet, dass das Leben, solange es auf säkularer Grundlage geführt wird, in die Irre gehen wird. Sie behauptet, dass Idealismus und Humanität nicht ausreichen; dass keine nationale oder internationale Organisation ohne Gott wirksam sein kann. Die Kirche bietet der Welt das Evangelium des Mensch gewordenen, gekreuzigten und auferstandenen Christus. Dies ist kein besonderes Evangelium für Kriegszeiten. Es ist das Evangelium für menschliche Bedürfnisse in allen Zeiten und Ländern. Wenn es für uns gilt, dann gilt es auch für unsere Feinde. Es gilt gleichermaßen zu jeder Zeit und an jedem Ort.
Die Kirche mag es in Kriegszeiten schwer haben. Aber sie hat eine außergewöhnliche Gelegenheit. Dem menschlichen Eigennutz und den nationalen Spaltungen stellt sie das Evangelium von der Liebe Gottes und die Gemeinschaft der Christen entgegen. Und die Kirche ist kein Hirngespinst des Menschen, sondern eine lebendige geistliche Wirklichkeit, die von Gott geschaffen ist.
Die Kirche ist gegenwärtig nicht sichtbar geeint. Christen sind dennoch durch Glauben und Gebet eins in Christus. Die Möglichkeiten, diese Einheit auszudrücken und zu betonen, sind größer als früher. Die römisch-katholische Kirche war immer eine internationale Kirche, obwohl sie die durch den Krieg entstandenen nationalen Spaltungen nicht überwunden hat. In der nicht-römischen Welt wurde in den letzten Jahren ein gewaltiger Schritt hin zu tatsächlicher Gemeinschaft von Christ mit Christ, Kirche mit Kirche, über konfessionelle und nationale Grenzen hinweg getan. Eine Bewegung, die „Ökumenische Bewegung“ genannt wird, hat stetig an Kraft gewonnen. Es gibt einen grundlegenden Unterschied zwischen „ökumenisch“ und „international“. Der Begriff „international“ akzeptiert notwendigerweise die Einteilung der Menschheit in einzelne Nationen als einen natürlichen, wenn auch nicht endgültigen Zustand. Der Begriff „ökumenisch“ hingegen bezieht sich auf die geschichtliche Ausdrucksform der gegebenen Einheit der Kirche. Der eine Begriff geht von der Spaltung aus, der andere von der Einheit in Christus. Es gibt eine ganze Literatur im Zusammenhang mit der Konferenz von Oxford 1937, mit ihrem Bericht unter dem Titel „Die Kirchen prüfen ihre Aufgaben“. In diesem Moment besteht bereits eine vorläufige Organisation eines Ökumenischen Rates der Kirchen. Darüber hinaus haben gerade die Qualen einer von Verfolgung und Krieg gezeichneten Welt römisch-katholische, orthodoxe und protestantische Christen in neuer Weise zusammengeführt – außerhalb des dogmatischen Bereichs.
Die Kirche ist, wo immer sie sich befindet, die Universalkirche. Die römisch-katholische Kirche ist universal. Ebenso (in diesem Sinne) sind die evangelischen und orthodoxen sowie andere katholische Kirchen universal. Es ist die Aufgabe der einzelnen Kirche, insbesondere in den kriegführenden Ländern, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um brüderliche Beziehungen zu allen erreichbaren Kirchen im Rahmen der Universalkirche aufrechtzuerhalten. Die Verbindungen zwischen den Kirchen in kriegführenden Ländern auf beiden Seiten sollten mit Hilfe der Kirchen in neutralen Ländern nach Möglichkeit gestärkt werden. Es sollte jede Anstrengung unternommen werden – ebenfalls mit deren Hilfe –, frühere Kontakte zwischen Kirchenvertretern, deren Nationen durch Krieg getrennt sind, zu bewahren – nicht zur Verschwörung, sondern zur geistlichen Gemeinschaft. Darüber hinaus sollten die Kirchen bestrebt sein, Kriegsgefangene und „feindliche Ausländer“ geistlich und materiell zu betreuen. Durch ihren eigenen energischen guten Willen und ihren Geist tätiger Liebe sollten sie Rachsucht, Hass, Machtgier und Vergeltungsdrang entgegentreten und diese überwinden. Insbesondere sollten die Kirchen auf ihnen zugängliche Weise für einen gerechten Frieden wirken und versuchen, durch die Ökumenische Bewegung selbst zu ermitteln, welche Friedensbedingungen aus Sicht von Kirchenvertretern in feindlichen und neutralen Ländern als richtig und dauerhaft erscheinen könnten.
Die Kirche, wie ich sie oben beschrieben habe, ist eine predigende und anbetende Kirche. In jedem kleinsten Dorf ebenso wie im Zentrum des nationalen Lebens hat die Kirche an ihrem Ort ihre eigene Gabe zum Zeugnis und zur Anbetung beizutragen. Der Pfarrer jener örtlichen Kirche wird die Gemeinde versammeln, um ihren Teil am gemeinsamen Gebet und Opfer zu leisten. Die Kirche, für die er speziell verantwortlich ist, wird er als Teil der Universalkirche betrachten; als Zeugin dafür, dass Gott der höchste Herr über Menschen und Nationen ist, und dass in Christus allein, und in seiner Kirche, selbst die tiefsten Spaltungen überwunden sind. Er kann und soll seine eigene Gemeinde, insbesondere die Angehörigen der im Einsatz stehenden, aufrufen, das Evangelium zu hören, ihren Glauben an den lebendigen Gott und an die Auferstehung zu bekennen, und Woche für Woche, oft Tag für Tag, an Lobpreis, Gebet und Sakramenten teilzunehmen. Die schlichte Kapelle im Dorf und die große Kathedrale in der Stadt sind beide Gebetsquellen – ob sich die Kapelle in Bayern oder Sussex befindet, oder die Kathedrale in Paris oder Köln. Der Pfarrer wird sein Volk im Gebet zu ihrem Vater führen. Er wird als Fürbitter für sie und ihre Angehörigen eintreten und für alle, die im Krieg dienen. Doch er soll nie die anderen Fürbitter in anderen Ländern vergessen, mit denselben Gebeten auf den Lippen; und er wie sie sollten beten, dass Gottes Wille geschehe, jeder für das Volk des anderen, und für alle Nationen, die in den Konflikt verwickelt sind. Er soll das nicht nur tun, weil Christus gesagt hat: „Liebt eure Feinde“, sondern weil jene anderen Mitglieder derselben Universalkirche sind. Es ist die Aufgabe der Kirche in Kriegszeiten, das Evangelium Christi zu predigen. Es ist auch ihre Aufgabe, Zeugnis für die universale Gemeinschaft abzulegen und die Gemeinschaft des Gebets ungebrochen zu erhalten. Mit einem Wort: Es ist die Aufgabe der Kirche in Kriegszeiten, weiterhin Kirche zu sein.
Ursprünglich erschienen in The Fortnightly Review, Band 146, Heft vom November 1939, S. 638-645.
Quelle: George K.A. Bell, The Church and Humanity (1939-1946), London: Longmans-Green 1946, S. 22-31.