Von Helmut Gollwitzer
„Wir wissen aber, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach dem Vorsatz berufen sind. Denn welche er zuvor ersehen hat, die hat er auch verordnet, daß sie gleich sein sollten dem Ebenbilde seines Sohnes, auf daß derselbe der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Welche er aber verordnet hat, die hat er auch berufen; welche er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; welche er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch herrlich gemacht.“ (Röm. 8,28-30)
Liebe Gemeinde!
Der eingeborene Sohn will zum Erstgeborenen werden; der Erstgeborene will Brüder haben. Das ist der geheime Hintergrund unseres Lebens. Von daher kommt alles her, was geschieht. Von da kommt dieser Gottesdienst her, alles, was wir in ihm betend, singend, redend und hörend tun und was ihn ermöglicht: Israel und die Kirche, das Evangelium, die Propheten und die Apostel, der Schrei Christi am Kreuz, die blutigen Schweißtropfen in Gethsemane und das aufgesprengte Grab am Ostermorgen. Von daher aber auch schon die Schöpfung der Welt, unser eigenes Dasein, Gottes Gerichte in der Weltgeschichte und in unserem Leben, die geduldige Erhaltung der Welt, der wir jeden Morgen das Aufstehen verdanken, das Große und das Kleine — alles göttliche Sich- kümmern um die Welt und um jeden einzelnen von uns hat dies zum Grund und Ziel, daß der Erstgeborene Brüder haben will und soll. Darum heißt es im Neuen Testament immer wieder, daß alle Dinge, schlechthin alle Dinge in Christus und um Christi willen geschaffen sind, darum ist er das A und das O. Ob uns die Frage nach dem Sinn unseres Lebens quält oder nicht, ob wir sie für eine sinnvolle oder sinnlose Frage halten — hier jedenfalls wird sie zugleich gestellt und beantwortet —, nicht von unseren Wünschen und Bedürfnissen her, nicht von dem her, was wir selbst uns als Sinn ausdenken, was bei Betrachtung unserer menschlichen Art uns als Sinn einleuchten könnte, sondern von einem ganz anderen Wunsche her. Wollen wir über uns selbst etwas wissen, so werden wir hier angeleitet, nicht bei unserer Existenz selbst zu suchen, sondern weit weg von ihr. In Jesus Christus wird kund, was der Sinn unserer Existenz ist. Er ist der Erstgeborene, der Brüder haben will, er ist die Öffnung des göttlichen Herzens. Nirgends anders, nicht niedriger und zeitbedingter, hoch oben im Herzen des dreieinigen Gottes, im innersten der göttlichen Ewigkeit entspringt der Sinn unseres Lebens und aller Welt: der Erstgeborene will Brüder haben. Der Sohn will sie haben, der Vater will sie ihm geben, der Heilige Geist gewinnt sie ihm — und wir, wir sollen und dürfen es sein: Brüder des Erstgeborenen.
„Der Erstgeborene will Brüder haben“ heißt nicht: er braucht Brüder. Er ist nicht einsam, er ist nicht unbefriedigt und unglücklich, er braucht sich nicht zu sehnen nach anderen, er ist in der Gemeinschaft des Vaters und des Heiligen Geistes, hat ewige göttliche Fülle und Seligkeit, keines anderen bedürftig, durch keinen anderen reich zu machen. Ihm fehlen nicht Brüder, er kann nicht erst lieben, wenn er sie hat. Nicht Sehnsucht nach Liebe bringt ihn dazu, daß er Brüder haben will, sondern aus freiem Entschluß, aus überströmender Liebe will er noch anderen, die er nicht braucht, seine Liebe zuwenden. So ist seine Liebe ungeschuldete Herablassung in die Tiefe, zu solchen, deren er sich erbarmt, noch ehe sie da sind, denen er sich schon selbst zum Bruder macht, noch bevor sie in der Lage sind ihm Bruder zu sein. Seine Liebe wird zum Opfer seiner selbst, zum Heraustreten aus der eigenen Seligkeit nicht erst, wenn er sich aufmacht, um unser Elendsgenosse zu werden und durch, sein eigenes Sterben uns vor dem Zugrundegehen zu retten, sondern seine Liebe ist Herabsteigen in die Tiefe, ist Sich-Opfern schon, wenn er in seiner ewigen Herrlichkeit und Selbstgenügsamkeit beschließt, nicht bei sich selbst zu bleiben, den Reichtum seiner Gottheit nicht für sich selbst zu haben, sondern sich anderen zu verschenken, andere an seinem Reichtum teilnehmen zu lassen. Andere, — wo wären sie? Wohin kann er blicken als in die Tiefe des Nichtseins unter sich? Es können nur solche sein, die tief unter uns stehen, die ihm nichts zu bieten haben, die er erst schaffen muß, um für sie da zu sein, die er nun aber zu nichts anderem schafft als um sie zu Brüdern zu gewinnen, um ihnen das zu schenken, daß sie seine Brüder sein dürfen.
„Weg hat allerwegen, an Mitteln fehlts ihm nicht.“ Der Erstgeborene will Brüder haben, also kann er Brüder haben, also kann er das Unmögliche möglich machen. Denn wenn etwas unmöglich ist, dann ist es dies: daß dieser Erstgeborene als der Eingeborene Brüder hat. Es kann ein König einen Bettler zu seinem Bruder erheben; es können Christen und Atheisten, Konservative und Revolutionäre Brüder werden. Das ist möglich, denn sie haben das gemeinsam, daß sie beide Menschen sind, daß sie beide einander deshalb etwas sein können und zu geben haben-, die Kluft zwischen ihnen ist groß, aber nicht unüberbrückbar. Dies aber ist unerhört und unmöglich bei allem, was Menschen je unter „Gott“ sich gedacht haben, ja dies ist erst recht unmöglich bei dem wahren und lebendigen Gott, von dem die Bibel zeugt. Nirgends ist es dem Menschen so streng verwehrt, sich in irgend einer Weise mit Gott zu identifizieren, sich von sich aus eine Harmonie mit dem Unendlichen zu erträumen, wie in der Bibel. Gott wohnt in einem Lichte, da niemand zukommen kann. Wer Gott sieht, der stirbt in verzehrendem Feuer. Der Erstgeborene kann Brüder haben, nicht weil der Weg von seiner Höhe zu unserer Niedrigkeit weniger weit wäre, als bei den Göttern der Philosophen und Religionen. Der Weg des wahren, lebendigen Gottes zur Bruderschaft mit den Menschen ist um eine Ewigkeit weiter als bei jedem Gott der Philosophen, bei jedem Gott unserer Phantasie. Er muß nichts Geringeres sein als eben der wahre, lebendige Gott selbst, um das Unmögliche möglich zu machen, um diesen unüberbrückbaren Abgrund zu überbrücken, um als Schöpfer Bruder seiner Geschöpfe zu sein. Siehe da, seine Gottheit hindert ihn nicht, sondern die allmächtige Kraft seiner Gottheit beweist er gerade darin, daß er Menschenbruder werden und Menschen zu seinen Brüdern machen kann.
„Was er sich vorgenommen und was er haben will, das muß doch endlich kommen zu seinem Zweck und Ziel.“ Er kann und er wird es. Er läßt sich sein Konzept nicht verderben; der das Nichts rufen kann, daß es sei, der schafft sich, was er haben will. Was seinem Willen entgegensteht, wird nicht über ihn, sondern er wird über alles Entgegenstehende triumphieren. Nicht nur: das wird sich zeigen, sondern: das hat sich jetzt gezeigt. Auch unser Nichtwollen, auch unser Sträuben, auch unsere Sünde und unser Unglauben konnten und können es nicht verhindern. Daß der Erstgeborene von Brüdern umgeben ist, das ist das Ende aller Wege Gottes. Darum sagt das Neue Testament, daß nun die Endzeit, die letzten Tage angebrochen sind. Jesus Christus — das ist: die Brüderlichkeit Gottes mit den Menschen, nicht nur erklärt und gewollt, sondern durchgeführt in Jesus Christus. Darum sieht das Neue Testament in dem Kommen, Sterben und Auferstehen Jesu Christi das Ende der Zeit gekommen, weil es damit sichergestellt, unter Brechung und Durchstreichung alles Widerstandes, unter Aufhebung aller entgegenstehenden Ansprüche und Einwände sichergestellt und schon erreicht ist, daß der Erstgeborene Brüder hat. Das ganze Neue Testament ist ein einziger Lobpreis der allmächtigen Gnade und der gnädigen Allmacht, die dafür gesorgt hat, daß Gottes Wille zu seinem. Ziel kommt; das Neue Testament ruft jubelnd: nicht einmal wir selbst haben es fertiggebracht, ihn daran zu hindern uns zu seinen Brüdern zu machen. Es ist der menschliche Lobpreis der menschlichen Niederlage, der Niederlage unseres menschlichen Willens und des Sieges des göttlichen Willens: Gott sei Dank, er hat uns nicht unseren Willen durchsetzen lassen, sondern seinen Willen durchgesetzt. Gott sei Dank, wir haben verloren, und er hat gewonnen — und das ist das Ergebnis unserer Niederlage und seines Sieges, das Ergebnis unserer Ohnmacht und seiner Macht, der Ohnmacht unser Sünde und der Macht seiner Gnade: daß wir uns nun, selber am meisten darüber staunend, als seine Brüder vorfinden, daß er uns so herrlich gemacht hat.
Dieser ungeheuerste Brief in der Briefliteratur der Weltgeschichte, der Römerbrief, ist nichts als ein immer neues Ansetzen zu diesem Lob, ein An-die-Schulter-packen und Rütteln: wißt ihr denn, bedenkt ihr denn, was geschehen ist, — ermeßt ihr denn, was aus euch geworden ist, was an euch geschehen ist, indem ihr zu Christus-Leuten geworden seid. Wo eine solche Gemeinde ist, die allen Götzen absagt, ihren Blick auf das Kreuz Christi richtet, ihre Ungerechtigkeit bekennt und Gottes Gnade preist, da bedeutet das: Gott hat’s geschafft, der Erstgeborene hat Brüder, hier sind welche, die hat er „herrlich gemacht“, — er hat sie nämlich dazu bestimmt, „gleich zu sein dem Ebenbild seines Sohnes.“ Er hat sich uns gleich gemacht, daß wir ihm gleich würden. Als er sich uns gleichmachte, da lag er als obdachloses Kind im Stall, da hatte er im Unterschied zu Füchsen und Vögeln nicht, wo er sein Haupt hinlegte, da hing er, von Kirche und Staat ausgestoßen, zwischen zwei Verbrechern, da rief er, daß Gott ihn verlassen habe: „Seht, welch ein Mensch“, nein, seht, der Mensch, seht, wie es mit uns in Wirklichkeit bestellt ist. Damit aber macht er uns ihm gleich: „Er wechselt mit uns wunderlich: Fleisch und Blut nimmt er an und gibt uns in seins Vaters Reich die klare Gottheit dran.“ So tauscht er mit uns: „Das ich möchte trostreich prangen, bist du sonder Trost gehangen.“ Nun verteilt er „Macht, Gottes Kinder zu werden“, nun sind wir zu seinen Brüdern ernannt und haben „den Zugang in einem Geiste zum Vater“; wie er in allen Dingen den Brüdern gleich werden mußte, so müssen die Brüder nun ihm gleich werden, so sind sie ihm nun gleich, gerecht und rein und nahe mit dem Zugang zu dem, der im unzugänglichen Licht wohnt, ihnen aber zugänglicher Vater ist. Auch zu ihnen wird nun gesagt: „Du bist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe.“ Damit sind wir auf einen Weg gesetzt, an dessen Ende das Offenbarwerden dessen steht, was wir jetzt schon sind, was wir aber jetzt noch in tief verborgener Weise sind. Daß wir seine Brüder sind, daß wir Zugang zum Vater haben, daß das Alte vergangen ist, daß alles neu geworden ist, daß unsere Sünde nichts mehr zu sagen hat, daß Gott Wohlgefallen an uns hat, daß uns kein Tod töten kann, daß wir das ewige Leben haben, daß es also herrlich um uns steht, das können wir im Blick auf uns selber sicher nicht feststellen, davon können wir im Blick selbst sicher nur das klare und direkte Gegenteil feststellen, das können wir nur im Blick auf ihn behaupten, das behauptet das Neue Testament im Blick auf ihn mit klaren Worten von allen, die seinen Namen bekennen. Der Weg, auf den wir damit gefolgt sind, hat aber sein Ende darin, daß dieses Verborgene offenbar wird, d. h., daß das, was wir im Blick auf ihn als unseren Bruder von uns als seinen Brüdern sagen müssen, auch beim Blick auf uns selbst sichtbar wird, daß wir ihm also nicht nur verborgen, sondern offenbar gleichen. Das meint Paulus, wenn er den Philippern schreibt, daß Christus unseren nichtigen Leib verklären wird, daß er ähnlich werde seinem verklärten Leibe, — das meint Johannes, wenn er sagt: „Wir sind nun Gottes Kinder; und es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden. Wir wissen aber, wenn es erscheinen wird, daß wir ihm gleich sein werden“ (1. Joh. 3, 2). Seht, welche Liebe hat uns der Vater im Himmel erzeigt, daß wir Brüder des Erstgeborenen sein sollen, daß wir gleich sein sollen dem Ebenbild des Sohnes!
Noch einmal: das ist nicht eine vage Hoffnung, kein „vielleicht“ und „unmöglicherweise“ und „hoffentlich“ darf sich hier einschleichen, keine falsch-fromme Bescheidenheit ist hier am Platze, sondern nur der Triumph: Gott hat’s geschafft, wir kennen uns nicht mehr anders denn als seine angenommenen Kinder, als die Brüder seines Erstgeborenen, und nichts kann uns mehr aus seiner Hand reißen, weder.Tod noch Leben, weder Mächte noch Dämonen, weder das, was hinter uns liegt, noch das, was noch vor uns liegt, kann uns davon scheiden. Ist Gott so für uns, wer mag dann wider uns sein? Ihr Christen in Rom, wir Christen alle sind dem, was an uns geschah, untreu, wenn wir weniger sagen als genau dies Ungeheure: er hat uns herrlich gemacht. Von daher schaut Paulus rückwärts, gibt er hier Schritt für Schritt an, wie es dazu kam: daran, daß er uns herrlich gemacht hat, wird deutlich, daß er uns gerecht gemacht hat, d. h. daß er abgetan hat alles, was uns durch uns selbst von ihm trennte; daran, daß er das Trennende abgetan und uns gerecht gemacht hat, wird deutlich, daß sein Ruf uns gemeint hat, dich und mich und nicht nur irgendwelche anderen, — daran, daß er uns zu Brüdern gerufen hat, wird deutlich, daß er uns dazu bestimmt hat, daß dies die Bestimmung unseres Daseins war, als er uns ins Leben rief, — daran, daß er uns mit dieser Bestimmung geschaffen hat, wird deutlich, daß er uns mit gnädigen Augen ansah, noch bevor wir geschaffen waren, als er noch mit sich und seinem Erstgeborenen allein war, aber in so freier Liebe beschloß, daß er Brüder haben solle. Als er dies beschloß, da hat er schon beschlossen, daß wir unter seinen Brüdern sein sollten, du und ich; so ist das nicht irgend ein Einfall von ihm, flüchtig und unsicher, sondern ewige Erwählung, im Innersten Gottes verankert. „Da ich noch nicht geboren war / da warst du mir geboren / und hast mich dir zu eigen gar / ehe ich dich kannt erkoren.“
„Wie wohl ist mir, wenn mein Gemüte / hinauf zu dieser Quelle steigt / von welcher sich ein Strom der Güte / zu mir durch alle Zeiten neigt / daß jeder Tag sein Zeugnis gibt: Gott hat mich je und je geliebt.“
So sind wir dran, so sind wir wirklich dran. So wahr wir, wie wir nicht leugnen können, getauft sind, so wahr Jesus Christus durch sein Evangelium in unser Leben getreten ist, so wahr sich unserem Mund und unserem Herzen trotz aller Trägheit, Undankbarkeit, Kleingläubigkeit immer wieder Gebet und Bekenntnis im Namen Jesu entringt, so wahr wir zu seiner Gemeinde gehören, — so wahr ist diese Geschichte des ewigen Gotteswillens und seine Durchsetzung in der Zeit, so wahr ist diese Geschichte Jesu Christi, der sich aufmacht vom Throne des Vaters, um seinen Brüdern gleich zu werden und seine Brüder sich gleich zu machen, die eine, wahre, wirkliche Geschichte unseres Lebens. Wie aber verhält sich dazu dann noch alles einzelne, was wir leben und erleben? Wird dann nicht alles sinnlos und gleichgültig, was wir erleiden und was wir tun? Daß wir Menschen des 20. Jahrhunderts sind, überlebende des zweiten Weltkriegs, daß uns allerlei schon zugestoßen ist und noch schlimmeres uns zustoßen kann in dieser gefährlichen Welt, — die Krankheiten und die Aufgaben, die Kämpfe und die Begegnungen mit allerlei Menschen, die Sünden auch und die Bosheiten und Versäumnisse, in die wir geraten, — wozu das noch alles, was hat es damit noch auf sich? Paulus enträtselt es uns nicht, aber mit einer unbeschreiblich großartigen Uneingeschränktheit umfaßt er das alles und sagt: wie rätselhaft es uns auch im einzelnen sein mag, sicher ist auf alle Fälle, daß es dienen muß — es muß dienen, und zwar nicht für irgendwelche andere Zwecke, sondern uns muß es dienen, unserem Besten muß es dienen, nämlich diesem Brüdersein, das ja unser Bestes ist. Damit erscheint ein helles Licht auch über dem Dunkelsten, was uns zustoßen kann; damit wird alles, was sich aufbläht, als sei es ein Selbstzweck, auf die dienende Stufe heruntergestellt; damit wird uns für alles, was uns feindlich und schädlich, was uns eher als Gegenwirkung erscheint, verheißen, daß es Gottes Vorhaben mit uns gar nicht durchkreuzen kann: „es muß mitwirken“, sagt Paulus; wir möchten oft ängstlich schreien bei vielem, was wir auf uns zukommen sehen: „Lieber Gott, laß das nicht eintreten. Siehst du denn nicht, daß das deinem Willen mit uns entgegenwirkt, daß uns das von Christus wegtreiben, unseren Glauben schaden wird!“ Aber Paulus spricht quer durch unsere ängstlichen Befürchtungen hindurch: Sorget nichts; wenn es auch entgegenwirken will, es kann nicht entgegenwirken, es muß dienen und mitwirken, es kann uns nichts schaden.
Uns? Sind wir es denn, die mit den Gottliebenden gemeint sind? Wir kennen uns als die uns selbst Liebenden, — aber kennen wir uns auch als die Gott Liebenden? Wieder sieht alles verzweiflungsvoll und aussichtslos aus, wenn wir den Blick von Jesus Christus weg auf uns selbst richten; dann finden wir keine Liebe zu Gott, dann können wir auch keineswegs sagen, daß uns alles zum Besten dient, sondern dann müssen wir eher sagen, daß alles, Glück wie Leid, unserer Gotteskindschaft schaden kann. Schauen wir aber von uns weg auf ihn, auf Jesus Christus, dann wird alles anders: Er ist ja auf alle Fälle der, der Gott liebt; er ist zuerst der, der nach dem Vorsatz berufen ist, der Auserwählte Gottes; ihm muß alles dienen, er kann alles so benützen, daß es seinem Willen dient. Sind wir aber seine Brüder, dann zwingt er alles, unserem Besten zu dienen-, dann heißt es wahrhaft: „Sorget nichts!“
Wir sind gemeint. Aber nicht nur wir sind gemeint. Wir sind ja nur wenige, hier aber stellt von vielen. So läßt er uns nicht beim Genuß, sondern stellt uns sofort in die Sendung. Dazu sind wir heute ja hier zusammengekommen, um miteinander uns zu beraten über die Sendung im großen und im kleinen, in der wir stehen. Sobald wir uns beruhigen wollen dabei, daß wir dazugehören dürfen, fährt er selbst uns dazwischen: nicht nur ihr seid es, sondern noch viele andere, da draußen auf den Straßen und in den Betrieben, hinter den Hecken und Zäunen. Der Erstgeborene soll nicht nur ein paar Fromme zu Brüdern haben, sondern „viele Brüder“. Es ist noch Raum und es sind ihm immer noch längst nicht genug. Er sieht sie da draußen auf ihren Wegen in der Bruderlosigkeit, der Gottlosigkeit, — sie wissen noch nichts von seinem Willen, sie weigern sich noch, es ist ihnen noch wohl oder wehe in der Bruderlosigkeit, aber er sieht sie längst, so wie er auch uns längst voher gesehen hat, bevor wir seinen Namen mit unseren Lippen bekannten, — er sieht sie längst und er will, daß wir sie auch sehen, so sehen, wie er sie sieht.
Gehalten am 20. September 1953 bei der Tagung der Gesellschaft für evangelische Theologie in Bielefeld.
Quelle: Junge Kirche 14 (1953), S. 505-509.