Søren Kierkegaard über Hiob: „Nur der Leichtsinnige könn­te wünschen, dass Hiob nicht mit wäre, dass sein ehrwürdiger Name ihn nicht daran erinnern sollte, was er zu vergessen sucht: dass es Schrecken gibt im Leben und Angst; nur der Selbstsüchtige könnte wünschen, dass Hiob nicht da wäre, da­mit die Vorstellung von seinen Leiden mit ihrem strengen Ernst seine gebrechliche Freude nicht stören sollte, ihn aufschrecken aus seiner in Verhärtung und Verlorenheit berauschten Sicher­heit.“

Über Hiob

Von Søren Kierkegaard

Wenn das eine Geschlecht ausgedient, sein Werk vollbracht, seinen Streit ausgekämpft hat, so hat Hiob es begleitet; wenn das neue Geschlecht mit seinen unüberschaubaren Reihen und jeder Einzelne in diesen auf seinem Platze fertig steht, um die Wanderung zu beginnen, so ist Hiob wieder zur Stelle, nimmt seinen Platz ein, welcher ein Außenposten der Mensch­heit ist. Sieht das Geschlecht nur frohe Tage in glücklichen Zei­ten, so folgt Hiob getreu mit, und wenn der Einzelne doch im Gedanken das Furchtbare erlebt, geängstigt wird durch die Vorstellung, was das Leben an Entsetzen und Not bergen kann, daß niemand weiß, wann die Stunde der Verzweiflung für ihn schlägt, so sucht sein bekümmerter Gedanke hin zu Hiob, ruht in ihm, beruhigt sich durch ihn; denn er folgt getreulich mit und tröstet wohl nicht so, als hätte er ein für allemal gelitten, was nie wieder erlitten werden sollte, aber tröstet wie der, der zeugt, daß das Furchtbare erlitten worden ist, daß der Schrecken erlebt worden ist, daß der Kampf der Verzweiflung gekämpft worden ist, Gott zur Ehre, ihm zur Rettung, anderen zu Nutz und Freude. In frohen Tagen, in glücklichen Zeiten geht Hiob an der Seite des Geschlechts und sichert ihm seine Freude, be­kämpft den angstvollen Traum, daß ein plötzlicher Schrecken einen Menschen überfallen sollte und Macht haben, seine Seele zu morden als seine gewisse Beute. Nur der Leichtsinnige könn­te wünschen, daß Hiob nicht mit wäre, daß sein ehrwürdiger Name ihn nicht daran erinnern sollte, was er zu vergessen sucht: daß es Schrecken gibt im Leben und Angst; nur der Selbstsüchtige könnte wünschen, daß Hiob nicht da wäre, da­mit die Vorstellung von seinen Leiden mit ihrem strengen Ernst seine gebrechliche Freude nicht stören sollte, ihn aufschrecken aus seiner in Verhärtung und Verlorenheit berauschten Sicher­heit. In sturmvollen Zeiten, wenn der Grund des Daseins wankt, wenn der Augenblick bebt in angstvoller Erwartung dessen, was kommen soll, wenn jede Erklärung verstummt beim Anblick des wilden Aufruhrs, wenn das Innerste des Menschen sich windet in Verzweiflung und in der Seele Bitter­keit zum Himmel schreit, so geht Hiob noch zur Seite des Ge­schlechts und bürgt dafür, daß ein Sieg ist, bürgt dafür, daß, wenn auch der Einzelne im Streit verliert, doch ein Gott ist, der, wie Er jede Versuchung menschlich macht, selbst wenn ein Mensch in der Versuchung nicht bestände, doch ihren Ausgang so machen wird, daß wir ihn ertragen können, ja, herrlicher als irgendeine menschliche Erwartung.

Quelle: Søren Kierkegaard, Religiöse Reden.

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