In keinem anderen Namen – das Erste Gebot (Wie Geschöpfe leben)
Von Hans G. Ulrich
Die theologische Ethik setzt ein »im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes …«, und somit in keinem anderen Namen, keinem anderen Auftrag, mit keiner anderen Begebenheit oder Geschichte. Sie tritt in das Zeugnis von diesem Namen ein. Diese Ethik rückt in den Blick, dass sich Menschen nicht selbst zum Projekt machen können. So verlieren sie sich, ihr fortwährendes zielloses Tun wird ihnen zur Geschichte. Sie bleiben sich selbst konfrontiert. Dies sind die Perspektiven einer Menschheit, die sich ihrer Geschichte und deren Grammatik vergewissern muss (Gattungsethik), dies aber nicht anders kann als entweder durch eine rationale Rekonstruktion dessen, was zum Überleben nötig ist oder durch die Einforderung, dass es – irgendwie – die Menschheit als Mensch-heit geben soll.
Die Logik und Ausrichtung einer demgegenüber kritischen Reflexion und Artikulation kann sich nicht fixieren auf die ortlose Frage der Legitimation menschlichen Tuns und seiner Grenzen, sie kann die Aufgabe ethischer Besinnung und Aufmerksamkeit nicht verwechseln mit dem Versuch einer Rechtfertigung oder Legitimation, auch nicht einer solchen, die scheinbar tiefer greift als ethische Begründungen. Der Name Gottes kann für Legitimationszwecke nicht benutzt werden, es sei denn er ist leer, Schall und Rauch. In Gottes Namen ist Gottes ganzes Werk beschlossen, und diesen Namen zu nennen, kann nicht heißen, ihn als Autorität für Begründungen aufzurufen. So geschieht es auch in den biblischen Texten nicht. »Im Namen …« ist nicht metaphorisch zu wenden, um etwa in gleicher Logik zu sagen »im Namen des Gesetzes…«. In keinem anderen Namen können Geschöpfe leben und handeln. Sie würden zu Dienern von anderen, vielleicht benannten, vielleicht auch anonymen Mächten. Sie würden versucht sein, wie die Erbauer des babylonischen Turms, sich selbst einen Namen zu machen, weil vergessen ist, wessen Namen »man« anrufen kann. Sie würden jener »Onomatologie« erliegen, die immer neue Namen präsentiert, die für sich Achtung verlangen, weil es keine andere Zugehörigkeit gibt. Jeder Name steht für sich.
Theologische Ethik setzt ein mit dem Ersten Gebot, das uns Menschen zu Gehör gebracht ist, um uns davor bewahren, dass wir uns in die Logik und den Sog konkurrierender fundamentaler Legitimationen begeben, die uns etwa an den abstrakten Ort der Frage stellen, was uns letztlich bindet oder frei sein lässt, oder auch an den abstrakten Ort der Frage »warum – überhaupt – moralisch sein?«.
Im Namen Gottes beginnen heißt nicht, auf fundamentale Legitimationsprobleme zu antworten. Dies würde bedeuten, diesen Namen zu zitieren, sich vielleicht auch auf ihn zu berufen, aber eben nicht dort zu beginnen, wo wir uns als Gottes Geschöpfe finden, in Gottes Geschichte mit uns, die ihren bestimmten Anfang dort genommen hat, wo uns dieser Gott in seinen gütigen Werken begegnet ist. Mit seinem Namen bleibt Gott uns gegenüber. Wir können seinen Namen nicht für uns reklamieren wollen. Mit seinem Namen bleibt Gott uns als der gegenüber, der in seinem Handeln die Anonymität durchbrochen hat, die uns dazu dienen könnte, Gott verantwortlich zu machen. Gott hat sich damit zugleich in seiner Güte exponiert. Diese Güte Gottes ist – wie die biblische Tradition zu sagen weiß – allem Guten voraus, sie kann nicht durch einen Begriff vom Guten überholt oder eingeholt werden, durch den wir der Güte Gottes habhaft würden. Dies ist nicht die (platonische) Logik eines permanenten Revisionismus, der fragt, wie wir an dem Guten Anteil bekommen, sondern die messianische Logik der Hoffnung darauf, dass die Güte Gottes erscheint und uns Menschen ergreift und verwandelt.
Für eine theologische Ethik ist entscheidend, ob sie sich in dieser Logik bewegt und wo sie in Gefahr ist, zu einer anderen Logik überzugehen. Sie würde die Spur des geschöpflichen Werdens verlassen und andere Wege suchen, vielleicht um »den Menschen« in seiner moralischen oder sittlichen Existenz – als humanum – zu präsentieren. Die Aufgabe der theologischen Ethik kann es nicht sein, ein humanum ins Bild zu rücken, durch welche Präsentation auch immer, sondern ihre Aufgabe wird es sein, erscheinen zu lassen, wo und wie Menschen mit Gottes Ökonomie gelebt haben. Diese sind es, die weitertragen, was Menschen sein dürfen. Daher hat theologische Ethik den Charakter der Mitteilung und des Zeugnisses. Sie hat nichts zu erweisen oder zur Geltung zu bringen. Sie hat von dem Guten zu reden, das im Namen Gottes beschlossen ist. So steht diese Ethik derjenigen Prophetie entgegen, die voraussagt, dass mit dem Aufgehen der Geschichten in »der großen Geschichte« die Namen verschwinden, und die dem Christentum in seiner »modernen« Gestalt diesen Vorgang anlastet. So sieht es Jean Francois Lyotard:
»Die große Geschichte bezweckt die Auslöschung der Namen (Partikularismen). Am Ende der großen Geschichte wird es bloß noch die Menschheit geben. Ihre einzelnen Namen werden überflüssig geworden sein, wie werden höchstens die Stationen eines Kreuzwegs bezeichnet haben … Dieser Universalismus und diese reine Teleologie sind nicht klassisch im Sinne der Antike, sondern modern im Sinne des Christentums. Die ›Geschichtsphilosophien‹ werden im Banne einer erlösenden Zukunft erfunden. (Der Kapitalismus selbst, der keine Geschichtsphilosophie besitzt, verhüllt seinen ›Realismus‹ unter der Idee einer Emanzipation von der Armut.)«1
Christliche Theologie kann keine große Geschichte erzählen, in der die Namen verschwinden, wenn sie denn Gottes Wirken mit-erzählt und so seinen Namen nennt, der dann wiederum auf andere Namen bezogen ist, wie auf den Namen Israel, auf den Namen Jesu Christi und mit ihm auf die Namen aller derer, die in diese Geschichte gehören.
Quelle: Hans G. Ulrich, Wie Geschöpfe leben. Konturen evangelischer Ethik, Münster: Lit, 2005, S. 122-124.
1 J.-F. Lyotard: Der Widerstreit, 1989, 257, Aph. 221.