Netti Boleslav (1923-1981), Mein Traum von Auschwitz: „Vater, / sage mir vor deinem Tod / ein einziges Wort: / Glaubst du noch immer an den einzigen guten Gott? / „Höre Jisrael“, / vernehme ich ein Röcheln aus der Glut.“

MEIN TRAUM VON AUSCHWITZ

Für meinen Vater

Vater, Vater,
was hüllt dich solch ein Nebel ein?

Vater, Vater,
ist es dein Gebetsmantel, der dich in Flammen hüllt?

Vater,
du nimmst die heiligen Bücher,
den Talmud mit dir in den Tod?

Vater, Vater,
die Hand, um die du Riemen bei deinem Gebete schlangest,
sie ist als erste zu Asche geworden.

Vater,
sage mir vor deinem Tod
ein einziges Wort:
Glaubst du noch immer an den einzigen guten Gott?
„Höre Jisrael“,
vernehme ich ein Röcheln aus der Glut.

Netti Boleslav (1923-1981)

Quelle: Netti Boleslav, Der Weg ist tausend Schlangen weit, Rothenburg ob d. Tauber: J. P. Peter, Gebr. Holstein, 1965, S. 39.