Karl Barths offener Brief in Sachen kirchlicher Treueeid auf Adolf Hitler vom August 1938: „Die Sache des Bekenntnisses, zu dem wir uns 1934 gemeinsam berufen wußten, wird jetzt nur von denen vertreten wer­den, die sich Ihrer Anweisung nicht fügen werden. Sei es darum, weil sie ihre eigenen vier Forderun­gen ernster genommen hatten als Sie selbst, sei es, weil sie darüber hinaus der Mei­nung sind, daß dieser Eid allerdings nicht geschworen werden dürfte, weil er unter allen Um­ständen gegen das erste Gebot verstößt.“

Offener Brief zur Ableistung des Treueides auf Adolf Hitler durch Pfarrer

Von Karl Barth

An die 6. Bekenntnissynode der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union

Liebe Brüder!

Mir ist Ihr Beschluß zur Ableistung des Treueides durch die Pfarrer zur Kenntnis gekom­men, laut dessen Sie die Pfarrer anweisen, bis zum 10. August der eidfordernden Stelle zu erklären, daß sie nunmehr bereit seien, den Treueid zu leisten, nachdem eine Fristverlänge­rung zugun­sten derjenigen, „die im gegenwärtigen Augenblick die dafür erforderliche Klar­heit noch nicht gewonnen haben“, zugestanden sein wird.

Dieser Beschluß ist zu schwerwiegend, als daß ich dazu schweigen könnte, und die Zeiten sind auch zu ernst, als daß Sie mir nicht erlauben müßten, um der Kürze und Klarheit willen in größter Unverhohlenheit zu Ihnen zu reden.

Ich bin über diesen Beschluß und seine Begründung, nachdem ich sie wieder und wieder gele­sen habe, aufs tiefste erschrocken. Nach meiner Einsicht in den Sinn und die Entwicklung des deutschen Kirchenkampfes haben Sie jetzt etwas gesagt und getan, was vor Gott und seiner Kirche in Deutschland und in den anderen Ländern so wenig zu verantworten ist wie einst die unseligen Beschlüsse des Novembers 1934. Und es muß Ihnen laut gesagt wer­den, daß das gute Bekenntnis, in welchem die Bekennende Kirche in Deutschland ihre Sub­stanz hat, heute nur im Streit gegen die von der Bekenntnissynode selbst ausgehende Irre­führung und Versu­chung und also in der Nichtbeachtung der von ihr ausgegebenen Weisung aufrechterhalten werden kann. Weil es jetzt, wenn nicht – menschlich geredet – alles verloren sein soll, an jedem einzelnen hängt, der der Treue und des Widerstandes immer noch – und diesmal gegen Sie, gegen die Bekenntnissynode! – fähig sein möchte, darum möchte ich Ihnen dies in einem offenen Brief mitteilen.

Sie erinnern sich an mein Consilium vom 18. 5. d. J. Sie haben sich dessen Thesen nicht zuei­gen machen können. Das hat mir leid getan, weil ich – nachdem mir eine Widerlegung meiner Gesichtspunkte nicht bekannt geworden ist – nach wie vor der Überzeugung bin, daß die Bekennende Kirche grundsätzlich und praktisch den besseren Weg gegangen wäre, wenn sie sich auf den damals bezeichneten Boden zu stellen gewagt hätte. Und es hat mir noch mehr leid getan, daß Sie, selbst wenn Sie mir im Ergebnis nicht zustimmen konnten, auch an dem von mir vorgetragenen und entwickelten Problem als solchem offenbar so leicht vorbeikom­men zu können meinten.

Aber ich will die damals geltend gemachten Gesichtspunkte zurückstellen und mit Ihnen von der Voraussetzung ausgehen, daß es richtig war – was ich für unrecht halte – dem Präsidenten des EOK die Ableistung des Eides unter der Bedingung der Erfüllung Ihrer vier „Forderun­gen“ anzubieten. Mein tiefes Erschrecken gilt heute den Fiktionen, auf Grund derer Sie erklä­ren zu können meinen, daß die diesen Ihren „Forderungen“ zugrunde lie­genden Bedenken jetzt von anderer Seite her „ausgeräumt“ worden seien. Und es gilt Ihrem Vorgehen den Pfar­rern gegenüber, zu dem Sie sich auf Grund dieser Fiktionen entschlossen haben.

Aus Ihren eigenen Darlegungen ergibt sich zunächst unzweideutig, daß die Behauptung, daß Ihre „Bedenken“ jetzt „ausgeräumt“ seien, objektiv nicht wahr ist:

ad 1) Sie hatten das Vorliegen einer staatlichen Forderung des Eides verlangt. Tatsäch­lich hat keine staatliche Stelle ausdrücklich und verbindlich den Eid gefordert, sondern Ihre Behaup­tung, daß dies geschehen sei, begründet sich teils auf eine ganz unübersichtliche „Überein­stimmung“ des EOK mit dem Kirchenministerium, teils auf die Aussagen eines provinzialen Konsistorialpräsidenten, teils und offenbar vor allem auf die völlig unkontrol­lierbar gewon­nene „Überzeugung“ des Herrn Präses D. Koch. Ich frage: War Ihre erste Forderung nicht ernster gemeint, als es nach dieser „Ausräumung“ Ihres Bedenkens den Anschein hat?

ad 2) Ihre Forderung hatte ausdrücklich von den Pfarrern geredet, von denen die eid­fordernde Stelle die von der Kirchenleitung gegebene Auslegung des Treueides entgegenneh­men müsse. Ist diese Forderung etwa dadurch sinngemäß erfüllt, daß der Präsident des EOK eine Eideser­klärung des Bruderrates „angenommen“ hat? War Ihre Forderung nicht ernster gemeint als so?

ad 3) Sie forderten „öffentliche Anerkennung“ der Bindung der Pfarrer an ihr Ordi­nationsge­lübde und Sicherung gegen die Verkoppelung der Eidesforderung mit der Ein­führung des deutschen Beamtengesetzes in die Kirche. Die Erfüllung dieser Forderung be­steht in Abma­chungen zwischen dem EOK und dem Bruderrat. Wo bleibt da die Öffent­lichkeit? Glauben Sie ernstlich, daß sich die staatlichen Stellen, auf deren Auslegung des Eides in der künftigen Praxis den Pfarrern gegenüber alles ankommen wird, an jene Abmachun­gen halten werden? War Ihre Forderung wirklich nicht ernster gemeint?

ad 4) Sie forderten „öffentliche Zurücknahme“ der vom EOK gegebenen Auslegung des Eid­es. Die Erfüllung besteht in der Streichung des Wortes „Eidesbelehrung“ im Gesetz­blatt, in der ,,Anordnung(!)“ einer öffentlichen Erklärung und wiederum in der Aussage eines provin­zialen Konsistorialpräsidenten. Zweifeln Sie daran, daß jede staatliche Stelle und mit ihr die von der Monopolpresse belehrte öffentliche Meinung in Deutschland den Eid trotzdem jener „Eidesbelehrung“ entsprechend auslegen wird? Haben Sie wirklich nichts Ernsthafteres als dies gefordert?

Liebe Brüder: Daß Sie sich mit dieser „Ausräumung“ Ihrer Bedenken zufrieden geben konn­ten, wäre mir auch dann nicht verständlich, wenn ich annehmen müßte, das heißeste Begehren der heute unter Ihnen Führenden in den letzten Monaten sei schließlich das ge­wesen, den Treueid doch nur ja schwören zu können und zu dürfen und zu diesem Zweck wenigstens ein Minimum von Entgegenkommen auf der anderen Seite zu finden. Ich nehme das nicht an. Ich stelle aber fest, daß Sie auch ein solches Minimum von Entgegenkommen auf der anderen Seite nicht gefunden haben. Man hat sich dort wohl gehütet, Ihnen auch nur das Kleinste aus­drücklich und verbindlich in die Hand zu geben, auf das Sie sich, nach­dem der Eid geleistet ist, bei künftigen Konflikten würden berufen können. Sie haben sich auf Grund einiger in allen möglichen Nebeln verborgenen Erklärungen und Zusicherungen bewegen lassen, in eine Falle sondergleichen zu gehen.

Auf Grund dieser Fiktionen haben Sie nun die Pfarrer „angewiesen“, sich zur Leistung des Eides zu melden. 2000 Pfarrer in Altpreußen, wenn wir hier recht berichtet sind, waren ordentlich genug, auf Ihre frühere „Anweisung“ hin, zunächst nicht zu schwören. Wissen Sie, für welche verheißungsvolle Zeichen man diese Tatsache in den Kirchen der ganzen Welt meinte halten zu sollen? Und wissen Sie, was diese Tatsache für Deutschland selbst zu bedeu­ten schien? Und nun kommt die Bekenntnissynode selbst und ruft ihre 2000 aus dem angetre­tenen Kampf zurück mit einer Begründung, deren sachliche Nichtigkeit innerhalb und außer­halb Deutschlands jedem Kinde einsichtig sein muß! Es muß Ihnen ganz verborgen sein, wel­cher furchtbaren Kompromittierung der Sache der Bekennenden Kirche Sie sich da­mit schul­dig gemacht haben, sonst hätten Sie diese Anweisung nicht ausgehen lassen können. Sie haben aber noch mehr getan. Sie reden von den für Ihre Fiktionen noch nicht zugängli­chen Pfarrern als von Leuten, die die „hierfür erforderliche Klarheit“ noch nicht, sondern an Stelle dieser Klarheit „ernste, vom Bekenntnis her begründete Bedenken“ gegen Ihre Anweisung haben. Sie erachten es als Ihre „kirchenleitende Aufgabe“ und brüderliche Pflicht, diese Leute „in ihrem Gewissen zu lösen“. Und zur Erfüllung dieser Pflicht und Aufgabe haben Sie beim Präsidenten des EOK eine Fristverlängerung verlangt und, wie es scheint, unterdessen bereits erwirkt. Ich bitte Sie, liebe Brüder, wohin sind wir eigentlich gekommen? Ernste, vom Be­kenntnis her begründete Bedenken müßten offenbar von einer Bekenntnis­synode ernst genom­men und vom Bekenntnis her beseitigt werden. Sie aber stellen diesen Bedenken eine „Klar­heit“ gegenüber, in der kein ruhiges Auge etwas anderes als die Dunkelheiten einer grundsatz­losen und darum schlechten Diplomatie erkennen wird. Und mit diesen Dunkelheiten glauben Sie, „die Brüder in ihrem Gewissen lösen“ zu sollen und zu können? Hüten Sie sich: Was Sie mit diesem Ihrem Beschluß in der Hand Ihrem Wunsche gemäß ausrichten werden bei den Pfarrern, das wird kein Lösen, sondern ein regelrechtes Binden sein, eine Bestärkung der Menschen in ihrer Schwachheit, eine Vermehrung ihres Mangels an Erkenntnis, eine Bestäti­gung ihrer Neigung, notwendigsten Entscheidungen auszuweichen und immer wieder auszu­weichen. So kann man weder die Kirche leiten, noch seine brüder­liche Pflicht erfüllen. So handelt keine Bekenntnissynode.

Ich kann Ihnen die harte Entgegenstellung nicht ersparen: Die Sache des Bekenntnisses, zu dem wir uns 1934 gemeinsam berufen wußten, wird jetzt nur von denen vertreten wer­den, die sich Ihrer Anweisung nicht fügen werden. Sei es darum, weil sie ihre eigenen vier Forderun­gen ernster genommen hatten als Sie selbst, sei es, weil sie darüber hinaus der Mei­nung sind, daß dieser Eid allerdings nicht geschworen werden dürfte, weil er unter allen Um­ständen gegen das erste Gebot verstößt. Ich weiß nicht, ob ihrer eine große oder kleine Zahl sein wird. Aber ich freue mich mit jedem und für jeden einzelnen, der es wagen wird, die­sen Weg zu gehen. Die Kirche Jesu Christi wird nach meiner Einsicht dort sein, wo diese Einzelnen sind. Und ich weiß Einen, der Ihnen, wenn er könnte, heute dasselbe sagen würde. Er sitzt im Kon­zentrationslager auf besonderen Befehl des Mannes, dem die preußi­schen Pfarrer heute auf „Anweisung“ ihrer Bekenntnissynode Treue und Gehorsam schwören sollen.

Liebe Brüder, glauben Sie mir, daß es mir unsagbar schwer fällt, Ihnen dies alles zu schreiben. Ich tue es unter dem Eindruck, daß die Ratlosigkeit und Müdigkeit gerade der bisher in der deutschen Bekennenden Kirche selbst Führenden nachgerade so groß geworden ist, daß, weil niemand anderes es tut, Euer, wie ich wohl weiß, nicht immer angenehmer, schweizerischer und demokratischer Freund vergangener Jahre rufen und schreiben muß: So nicht weiter! Konnte, durfte, mußte es zu dieser Niederlage kommen? War und ist denn wirklich gar nie­mand unter Ihnen, um Sie zu der Einfalt des graden Weges zurückzufüh­ren, der sich der Bekennenden Kirche noch immer als verheißungsvoll gezeigt hat, was man von allen anderen versuchten Wegen wirklich nicht sagen kann? Niemand, der Sie anflehte, die künftige Glaub­würdigkeit der Bekennenden Kirche nicht in dieser furchtbaren Weise aufs Spiel zu setzen? Niemand, der mit Ihnen darum betete, daß Gott der Bekennenden Kirche das Denken und die Sprache, mit denen sie geboren wurde, nicht nehmen, sie nicht mit dem Einzug der Argumen­tationen und der Terminologie der „intakten“ Bischöfe und des „Bundes der Mitte“ strafen möchte? Oder wenn solche da waren, die alles getan haben, warum ist nicht auf sie gehört worden? Wie ist es möglich, daß ich in einem ebenfalls in der Eidesfrage nach Württemberg gerichteten Brief vom 24. Juni meines alten Freundes Asmus­sen den gräßlichen Satz lesen muß: „Daß Gott und der Vater unseres Herrn Jesu Christi uns die Klarheit der Antwort ver­sagt hat, die er uns zu anderen Zeiten in der Bekennenden Kirche gab“ samt der schwarmgei­sterischen Folgerung, daß dies „die Situation“ sei, aus der heraus zu reden heute von jeder­mann verlangt werden müsse. Barmen I, lieber Bruder Asmussen?! Sehen Sie, liebe Brüder, alle, wenn die Dinge in Deutschland so stehen, dann müssen Sie es mir schon erlauben, daß ich nicht trotz, sondern wegen meines gesicherten Ortes jenseits der deutschen Grenze nicht aufhöre, mich Ihnen vernehmbar zu machen, ob Sie es wünschen oder nicht wünschen. Das wäre noch schöner, wenn ich von meiner Sicherheit nicht wenigstens diesen Gebrauch ma­chen würde, Ihnen von Zeit zu Zeit das zu sagen, was man sich im heutigen Deutschland offenbar selbst nicht mehr sagen kann. Und rechnen Sie bitte auch mit dem Umstand, daß die Sache der Bekennenden Kirche in Deutschland schon lange nicht mehr Ihre, der Deutschen alleinige Sache ist. Rechnen Sie mit der Gemeinschaft der vielen in der ganzen Welt, die diese Sache mit Ihnen auf dem Herzen tragen und denen ein gutes Zeugnis zu geben Sie sich nicht ersparen können. Aus und in dieser Gemeinschaft ist dieser Brief geschrieben. Ich brauche Ihnen also nicht erst zu versichern, daß seine Klagen und Anklagen keine Verurteilungen und keine Scheidungen sind. Sie bedeuten aber die ernst­liche Bitte, daß Sie alle durch Gottes Gnade „bleiben“ möchten in dem, was wir gelernt ha­ben und in dessen Erkenntnis wir uns allein auch in Zukunft lieben können.

Basel, den 6. August 1938                                                        Karl Barth

Quelle: Joachim Beckmann (Hrsg.), Kirchliches Jahrbuch für die evangelische Kirche in Deutschland 1933-1944, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, 21976, S. 252-255.

Hier der Text als pdf.

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