Heinrich Vogel, Wir glauben an den einen Gott. Auslegung des ersten Glaubensartikels (Das nicaenische Glaubensbekenntnis, 1963): „In dem Sätzlein: ‚ich glaube‘, bzw. ‚wir glauben an Gott‘, geht es nicht darum, dass wir so gut oder so klug wären, ihm eine Existenz zuzubilligen, die er von Gnaden unserer Beweiskünste hätte, sondern um eine Anerkenntnis und eine Anbetung, die von seinen Gnaden ist, und die seine ewige Priorität zur Voraussetzung hat. Wenn das ‚an Gott‘ ein Zu-Gott-hin besagt, so ist dieses ‚Zu-hin‘ gegründet in einem „Von-her“, von Gott her, der den Glauben ermöglicht und schafft, wie er die Wahrheit des Glaubens ist und bleibt. Der Glaube ist nicht seine eigene Wahrheit. Er kann die Wahrheit darum auch nicht in einer Selbstbesinnung und in einem Selbstverständnis erschließen. Gott ist Gott in der ewigen Priorität seines Gottseins vor allem unserem Glauben und Bekennen.“

Wir glauben an den einen Gott. Auslegung des ersten Glaubensartikels des nizänischen Glaubensbekenntnisses

Von Heinrich Vogel

Πιστεύομεν εις ενα θεόν
Credo in unum Deum
Ich gläube einen einigen … Gott.

Gleich das erste Wort muß uns zur Frage werden, wenn wir den Versuch machen, den Text des Bekenntnisses durchzubuchstabieren und Wort für Wort nachzusprechen. Wollen wir dem griechischen Original folgen und uns in das „Wir“ — „wir glauben“ — einbe­schlossen sein lassen, oder hören wir uns zu dem lateinischen „credo“ und seinem „ich glaube“ gerufen? — Schon eine geschicht­liche Besinnung möchte hier sehr nachdenklich machen. Das „Wir“ des christlichen Ostens dürfte ja, tiefer gesehen, nicht ohne Zusam­menhang sein mit der Vorliebe für jene christologische Formel, nach der Gott in dem Mensch gewordenen Gottessohn „Menschheit“, unsere Menschheit „annahm“. Das „Ich“ im abendländischen Credo könnte auf dem Hintergrund der Bevorzugung des Satzes von der Menschwerdung Gottes in der Geburt dieses Jesus von Nazareth, ge­rade in seiner konkret-einzigartigen Existenz, gesichtet werden. Und ohne hier in die Texte hineingeheimnissen zu wollen, was in ihnen ausgesprochener- und bewußtermaßen so nicht zur Stelle ist, könnte man in der Fluchtlinie jenes „Wir“ noch in den Verfälschungen die religiösen und säkularisierten „Kollektive“ des Ostens, in der Ver­kennung jenes „Ich“ noch den für das Abendland in zahllosen Va­riationen so charakteristischen „Individualismus“ sichten.

Wenn eine solche, natürlich nicht zu pressende Fragestellung un­absehbare Horizonte aufreißen und im nächsten Augenblick zu ge­schichtsphilosophischen Spekulationen führen könnte, so bleibt die eigentliche Frage doch die, wie wir es mit diesem Wir und jenem Ich zu halten haben, wofür wir uns entscheiden, — wenn wir hierin überhaupt vor einer Entscheidungsfrage ständen.

Da dürfte nun, gerade im Blick auf den biblischen Wurzelgrund des Bekenntnisses und auf die unlösliche Zusammengehörigkeit so­wohl des Ich wie des Wir mit dem Glauben an Gott, als erstes anzu­erkennen sein, daß dieses Ich und Wir, Wir und Ich in Einheit mit­einander zu hören und zu sprechen sind. Wer hier „ich glaube“ sagen darf, ist schon in das Wir der Kirche einbeschlossen. Wer hier mit der gesamten Christenheit sprechen darf: „wir glauben all an einen Gott“, wie es Martin Luther in der Nachdichtung des Apostolicums gesagt und gesungen hat, der ist als dieser Einzelne, der er vor Gott ist, zu der Entscheidung des „ich glaube“ bereits gerufen. So wie in den Psalmen das Ich und das Wir nicht nur wechseln, sondern auswechselbar sind, so in den Kirchenliedern der Refor­mation, und so in den Bekenntnissen der Kirche.1

Jener fatale Gegensatz, der zwischen einem individualistischen Ich und einem kollektivistischen Wir aufbricht, aber auch jene nicht weniger fatale Verwandtschaft, die beide als feindliche Brüder kenn­zeichnet, ist hier, im Glaubensbekenntnis der Kirche nicht in Kraft. So dürfen wir — wie im „Vater-unser“ – mit unserem „ich“ dabei sein, und das ist nicht etwa so zu verstehen, als ob aus der Häufung und Zusammenballung von soviel gläubigen Ich’s das Wir resultierte.

Aber dürfen, können wir hier wirklich mitsprechen, mitbeten, mit­loben? Wie bringe ich dieses „ich“ wahrhaftiger-, redlicherweise über die Lippen? Wie komme ich, ohne den verdächtigen Versuch, in einer „Masse“, wenn schon in einer „gläubigen“ Masse unterzu­tauchen, in dieses Wir hinein! Ob auch mein Nachbar meine Ich-Einsamkeit in ihrer Absonderung, Abgeschlossenheit und Verloren­heit nicht durchschaute, ob schon meine Flucht in die Anonymität eines gemeinsamen Bekenntnisses, meine flüsternde Stimme im lau­ten Chor nicht entdeckt würde, so soll ich hier doch einstimmen in das Bekenntnis des Glaubens an Gott: „Ich glaube“, „wir glauben“ an Gott! Das „coram Deo“, das „vor Gottes Angesicht“ bestimmt doch nicht nur die Situation, sondern die Existenz, die vor Gott bis in ihre, mir selbst undurchsichtigen und unergründlichen Tiefen auf­gedeckt ist! Es geht ja dabei nicht nur um die Schwierigkeit, „ich“ sagen zu können, eine Schwierigkeit, die dem Gewohnheitsbrauch, den die Masse Mensch in egoistischer Selbstverständlichkeit von diesem Pronomen macht, gar nicht erst aufstößt, und die der Gedan­kenlosigkeit geradezu absurd erscheint. Welche Philosophie wäre dieser „Schwierigkeit“ wirklich Herr geworden, etwa die Fichtes oder die Heideggers?! Klafft nicht durch das Selbst, das sich mit diesem „ich“ so sehnsüchtig und gierig, so trotzig und verzweifelt, so mas­siv und sublim, so unaufhörlich meldet, ein Widerspruch, mit dem ich selbst eben nicht fertig werde, eine Wunde, die ich selbst nicht zu heilen, eine Kluft, die ich selbst nicht zu versöhnen vermag?! Und werde ich dessen nicht in demselben Augenblick inne, in dem mir zugemutet wird zu sprechen, mitzusprechen: „ich glaube“, oder denn: „wir glauben“?

Was heißt das überhaupt: „glauben“? Jener vage und unverbind­liche Tagesgebrauch des Wortes in Bezug auf irgend etwas, das eine gewisse Wahrscheinlichkeit hat, aber eben keine Gewißheit gibt, ist ja hier von vornherein ausgeschlossen. Der Glaube an Gott als eine menschliche Meinung?! Das wäre die Selbstaufhebung des Glaubens, – von der Ehre Gottes ganz zu schweigen. Soll „Glaube“ nun ein Ausdruck sein für das Verhältnis, das der religiöse Mensch zum Göttlichen hat, nehme es ihm die Gestalt der Götter oder der einen Gottheit, des Göttlichen oder des persönlichen Gottes an? Sollen wir ihn als das Gottesbewußtsein des Menschen in seinem schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühl (Schleiermacher) interpretieren? Ist er bestimmt zu denken durch das Numinose als das mysterium tre­mendum et fascinosum, jenes abstoßende und anziehende, entset­zende und beseligende Geheimnis, das Rudolf Otto in den Chiffren aller Religionen von der Fetischstufe bis hin zu den Abgründen der doppelten Prädestination und der Trinitätslehre fand? Soll in diesem „ich glaube“ eine religiöse Uranlage sich melden, ein allgemein menschliches Vermögen im Sinne eines religiösen Apriori (R. Seeberg), von dem ich nun, vielleicht nun endlich, Gebrauch zu machen hätte? Oder darf ich mich auf das Phänomen des Vertrauens besin­nen, das die Voraussetzung aller menschlichen Gemeinschaft ist, und das, sowohl auf seinen Ursprung wie auf seine Grenzen hin be­dacht, mich zum absoluten Vertrauen auf eine absolute persönliche Macht ruft? In diesem Reflexions-Schema wird die Frage innerhalb der Ur-Offenbarungslehre von Althaus noch vor aller Heils-Offen­barung angegangen. Soll ich mich vielleicht sogar darauf besinnen, daß mein gesamtes Verhältnis zur Wirklichkeit, insbesondere zu aller historisch vermittelten Wirklichkeit, letztlich auf „Glauben“ ge­stellt ist.2

Die Väter haben unterschieden zwischen der fides als notitia, dem Glauben als Kenntnisnahme, insbesondere der Heilstatsachen, als assensus, als Zustimmung zu seiner Wahrheit, und als fiducia, als das Vertrauen zu Gott, in dem ihnen das eigentliche Herz des Glaubens schlug. So haben sie eine fides, qua creditur, einen Glau­ben, durch und in dem geglaubt wird, von der fides, quae creditur, dem, was als Inhalt des Glaubens geglaubt wird, unterschieden. Sol­len, wir, wie es in unseren Tagen G. Ebeling trotz und nach allem wie­der versucht hat, den Glaubensakt in seinem Wesen als in seiner existentialen Struktur zu erhellen versuchen, um von dort aus allen­falls zu dem vorzustoßen, auf den er sich bezieht? Ist das nicht aber gerade der Einsatz am falschen Ende, — trotz des Wahrheits­momentes, das der Protest gegen jede Verdinglichung und Objekti­vierung der Wahrheit geltend machen kann?

Wir wollen in dieser Weise nicht weiterfragen. Eines muß klar sein: Wenn es letzten Endes doch auf unser Verständnis vom Glau­ben, auf einen alten oder neuen „Pietismus“ des „gläubigen“ Selbst­verständnisses hinausläuft, dann ist das ganze Haus auf den Sand gebaut. Dann ist das Credo der Kirche im Fundament in Frage ge­stellt. Dann dürfte der Sinn des Sätzleins „ich glaube an Gott“ noch nicht verstanden sein. Dann dürfte es auch zu einer legitimen Mög­lichkeit jenes Ich- und Wir-sagen-dürfens begründetermaßen nicht kommen.

Wir werden uns den Weg gewiesen sein lassen durch jenes ,,an“ (ich glaube an … Gott, credo in Deum, πιστεύομεν εις θεόν), das uns ja sofort auf den Gott hinweist, an den der Glaube glaubt. Es möchte fast überflüssig erscheinen, ausdrücklich festzustellen, was freilich in blinden Angriffen und fast noch törichteren Verteidigungen immer wieder verkannt wird, daß es sich hier nicht um die These handelt: „es gibt einen Gott“, im Gegensatz zu der Be­hauptung: „es gibt keinen Gott“. Ganz abgesehen noch davon, daß die atheistische These, trotz aller darauf verwandten Kunst und Lei­denschaft, es niemals zu einer ontischen Begründung ihrer Behaup­tung gebracht hat, bringen kann und bringen wird, ist es, auch und gerade für den sich zum lebendigen Gott bekennenden Glauben, aus­geschlossen und verboten, nach Gott überhaupt so zu fragen und ihn sogar beweisen zu wollen, als ob er dinglich gedacht werden dürfte und könnte. „Es gibt“ dies und das in der unübersehbaren Fülle der kreatürlichen Wirklichkeit. Gott aber ist ein Er, nein, ein Ich, der sich nie und nimmer in ein Es und damit in ein Ding wie andere Dinge auch, in ein Objekt wie andere Objekte auch verwandeln läßt. Auch mit einem Gedankenobjekt unserer Spekulation, einem Vorstel­lungsobjekt als einem „Bild“ unserer Sehnsucht will er in seiner Göttlichkeit nicht verwechselt werden. Ihn beweisen wollen heißt ihn entgotten, bzw. einen Götzen an seine Stelle rücken. Der Gott, an den zu glauben wir im Bekenntnis der Kirche gerufen werden, ist und bleibt Subjekt, das Subjekt aller Subjekte. Selbst und gerade da, wo er kraft seiner unendlichen Herablassung sich in dem Fleisch- Gewordenen wie ein Objekt betasten und befühlen, behandeln, fol­tern und ans Kreuz schlagen läßt, hört er nicht auf, Subjekt zu sein, und er erweist sich in dem Auferstandenen als das souveräne, unver­gleichliche Subjekt in seiner göttlichen Einzigartigkeit.

In dem Sätzlein: „ich glaube“, bzw. „wir glauben an Gott“, geht es nicht darum, daß wir so gut oder so klug wären, ihm eine Existenz zuzubilligen, die er von Gnaden unserer Beweiskünste hätte, sondern um eine Anerkenntnis und eine Anbetung, die von seinen Gnaden ist, und die seine ewige Priorität zur Voraussetzung hat. Wenn das „an Gott“ ein Zu-Gott-hin besagt, so ist dieses „Zu-hin“ gegründet in einem „Von-her“, von Gott her, der den Glauben ermöglicht und schafft, wie er die Wahrheit des Glaubens ist und bleibt. Der Glaube ist nicht seine eigene Wahrheit. Er kann die Wahrheit darum auch nicht in einer Selbstbesinnung und in einem Selbstverständnis er­schließen. Gott ist Gott in der ewigen Priorität seines Gottseins vor allem unserem Glauben und Bekennen. Daß er als der Gott für uns Gott ist, das und das allein ermöglicht, begründet und wirkt unsern Glauben an Gott. Gott ist Gott, nicht in der sakralen Tautologie eines „Allah ist Allah“, sondern als der Gott für uns, der trinitarische Gott, der allem unserm Glauben ewig zuvor ist, kommt und bleibt.

Hat nicht dies gerade den vielberufenen Umbruch der zwanziger Jahre wie den Kirchenkampf der dreißiger Jahre unseres Jahrhun­derts in der Fragestellung, ja in dem Umdenken und der Buße, zu der wir nach so viel frommem und gottlosem Anthropozentrismus gerufen wurden, bestimmt? Ist der unüberhörbare Ruf Karl Barths heute schon verhallt, um morgen bereits „historisiert“ und ehrenvoll begraben zu werden?! In dem Satz: „ich glaube an Gott“ liegt die Priorität, nicht nur ontisch, sondern auch noetisch, nicht nur seins-, sondern auch erkenntnismäßig bei Gott. Diese Priorität ist das eigent­liche Geheimnis des „an“. Sie sollte uns in der Theologie nicht wie­der zurückfallen lassen in Fragestellungen, die durch den Menschen und sein Selbstverständnis, sei es denn schon durch das darin in­tendierte neue Selbstverständnis bestimmt sind. Die theozentrische, durch die Trinität Gottes, seines Sprechens und Handelns bestimmte Fragestellung leidet eben nicht die Umkehrung, die unseren theologischen Existentialisten das kerygmatisch gemeinte Konzept im Grundansatz verdirbt, indem sie zuerst nach der existentialen Struktur des Menschen fragen und von dem so gewonnenen Vorverständnis her, sei es schon durch eine Krisis hindurch, die Gottesfrage an­gehen.3

Wenn wir in dem Satz: „ich glaube“, bzw. „wir glauben an Gott“, eben dieses „an“ allein von Gott her ermöglicht sehen, so verobjektivieren wir damit Gott nicht etwa, sondern wir respektieren ihn als das schöpferische Subjekt aller Subjekte! Keine Kantische Erkenntnis­theorie und auch keine unserer Erkenntnis vorgegebenen Existentialien als die Wahrheit über die Struktur unserer Existenz können und dürfen uns dazu bringen, den Glauben nicht mehr unter dem Vor­zeichen der ewigen Priorität des göttlichen Subjektes zu verstehen, und der Wahrheit, zu der sich der Glaube bekennt, als die Hö­rer des Wortes Gottes nach-zu-sinnen. Das Er-denken und das Nach­denken sind hinsichtlich ihrer Wurzel so scharf geschieden wie Men­schenwerk und Gottes Gnade.

Unter dieser Voraussetzung werden wir den Glauben im Gegensatz zu allen Verdinglichungen, Versachlichungen und Verobjektivierungen, in dem personalen Bezug des Glaubenden zur personalen Wahr­heit, als Entscheidung in der Dankbarkeit, als Gehorsam im Vertrauen, als Gehören im Hören verstehen dürfen. Der Bekenntnissatz: „ich glaube“, bzw. „wir glauben“ besagt die den Glaubenden total bestim­mende Entscheidung in der Bejahung der von dem Gott der Gnade her über ihn schon gefallenen Entscheidung. Die Entscheidung des Glaubens kann darum ihrem Ursprung nach nur als Dank, niemals als Gabe oder Opfer gesehen werden. Wenn der Mensch, der gerade als der „religiöse“ Mensch immer von neuem die Richtung verfehlte, immer wieder, anstatt bei Gott, bei dem nach seinem Bild gedachten Abgott endete, als der im Gericht Gerettete zu der Entscheidung für Gott befreit wird, so geht sein „ich glaube“ in eins mit dem „ich danke“. Eben die Entscheidung, in der der Glaubende die dem Men­schen als dem Menschen Gottes geschenkte und verheißene Frei­heit für Gott praktiziert, ist dann, ihrem Ursprung und Wesen nach, ein Akt des Dankens dessen, über den Gott in unbegreiflicher Gnade vorentschieden hat. Dann ist das Vertrauen, das der wahre Gehorsam des Kindes gegenüber dem Vater ist, nicht eine Leistung, nicht ein religiös-heroisches Wagnis, sondern der Gehorsam dessen, der trotz und nach allem Gott gehören darf. Als Hörender des Wortes Gottes, dessen menschlicher Name im Zentrum des Bekenntnisses leuchtet, wird er als ein Gott Gehörender so behaftet, daß unser Bekenntnis­satz „ich glaube an Gott“, bzw. „wir glauben an Gott“ identisch ist mit dem „ich gehöre Gott“ bzw. „wir gehören Gott“.

Es ist klar, daß das mit diesem „an“ von Gott her gesetzte Vorzeichen durch alle Aussagen des Bekenntnisses durchgehalten werden will. Es begegnet nicht nur dreifältig bestimmt: „ich glaube an … Gott den Vater“ und „ich glaube an … Jesum Christum“, und „ich glaube an den Heiligen Geist“, sondern bestimmt auch die Wahrheit der Anerkenntnis und des Lobpreises der Werke Gottes als des Schöpfers, des Versöhners und des Heiligers. Es handelt sich nicht einfach um eine Reihe feststellbarer und referierbarer Tatsachen, sondern um jene Taten, die als Gottes große Taten nur dem Glauben erkennbar werden, wie sie keinen Augenblick von dem Täter, von dem schaf­fenden, versöhnenden und heiligenden göttlichen Subjekt gelöst wer­den können. In der Isolierung würden die Taten der Geschichte Got­tes mit seiner Welt und seinem Menschen sich in etwas anderes ver­wandeln, in höchst seltsame supranaturale Fakten, die sofort in einem fatalen Konkurrenzverhältnis zu naturalen, der Geschichte der Menschheit immanenten Fakten erschienen. Dann würde der Glaube es mit einem Haufen von Aussagen zu tun bekommen, die er, möglichst hundertprozentig, „für wahr zu halten“ hätte. Dann wären wir in jenen Fatalitäten und Aporien, die da aufbrechen, wo der jeweilig „moderne“ Mensch es mit seiner vielberufenen intellektuellen Redlichkeit einfach nicht vereinbaren kann, dies und auch das noch, ja „das alles“ zu „glauben“. Dann stände der Glaube im Zeichen eines intellektuellen Werkes und Opfers, das sich wohl gar als ein Harakiri des religiösen Menschen darstellte.

Noch aber ist der für unsere Auslegung des Glaubens entschei­dende Grund doch mehr angedeutet als aufgewiesen worden. Wir haben bisher, streng genommen, uns beschränkt auf das „ich glaube“, bzw. „wir glauben an Gott“. Der ganze Wortlaut meldet sich gebieterisch zur Stelle:

Πιστεύομεν εις ενα θεόν πατέρα παντοκράτορα …
Credo in unum Deum, patrem omnipotentem …
Ich gläube an einen einigen, allmächtigen Gott den Vater …

Wir wehrten bereits die Verwechslung des Gottes, durch dessen Wort der Glaube lebt, mit unseren Gottesgedanken und Gottesbildern ab. An eine Gottes-Idee kann niemand „glauben“. Das Verhältnis zu einer Idee – welche es sei – ist eben als das Verhältnis zu einer Idee unseres Geistes durch ein Wissen gesetzt und bestimmt. Man mag dieses Wissen im Unterschied zu einem auf äußere Tatbe­stände gerichteten Wissen im Sinne etwa der Platonischen άνάμνησις, jener „Erinnerung“ verstehen, die zu den verschütteten Tiefen der ver­borgenen Wahrheit hinuntersteigt, um sie als erkannte Wahrheit in das Licht der αλήθεια, der Un-verborgenheit heraufzuholen. Aber wie es um wißbare Wahrheit ging, so nun um eine im Erkenntnisakt gewußte Wahrheit.4

Einer solchen erkennbaren und wißbaren Wahrheit kann ich nicht begegnen, so wahr echte Begegnung das Gegenüber von Person und Person voraussetzt, wie es in der Gottesbegegnung des Incarnatus als des Menschgewordenen mit uns seinen Wahrheits- und Wirklichkeitsgrund hat. Wenn ich einer Idee – welche es auch sei – „begegne“, begegne ich mir selbst, nein, löst sich der Schein der „Begegnung“ auf, indem ich mit der von mir erkannten Idee – bei Platon der des Wahren, Guten und Schönen, und darin des Göttlichen – ver­schmelze. Der Gedanke — sei es denn ein Gottesgedanke – mag mir durch einen Menschen vermittelt worden sein. Aber im Augenblick5 der Erkenntnis schwindet der Mensch, dem nach dem Sokratischen Verständnis des Vorgangs nur eine mäeutische Bedeutung, nur ein Hebammendienst zukam, und ich bleibe in mir selbst mit der er­kannten Wahrheit begegnungslos allein.

Wollten wir an dieser Stelle kritisch an die Väter der Trinitätslehre erinnern, so müßten wir feststellen, daß sie sich von einer gewissen Vermischung der durch die Schrift sich uns kundtuenden Wahrheit des Gottes der Selbstoffenbarung, des Vaters in dem Sohn durch den Geist, mit einer Gottesidee, eben der Platonischen, aber auch dem Gottesverständnis der Stoa, nicht streng genug fern gehalten haben. Das gilt nicht nur im Blick auf Athanasius, sondern auch auf den dem Plotin so tief verhafteten Augustinus. Aber nicht daran fällt die Entscheidung. Vielmehr gilt es, im Mit-Vollzug ihres Bekennt­nisses zu erkennen, daß der Glaube es nicht mit irgendeiner Idee Gottes oder des Göttlichen zu tun hat, nicht auf irgendeine, sei es denn in unermeßlicher und vergleichloser Größe gedachte Wesen­heit gerichtet ist, sondern auf den Gott, der Gott ist, indem er der Vater, der Sohn und der Geist ist. „Ich glaube an Gott“, das besagt: Ich glaube an den Gott, der als der Vater in dem Sohn durch den) Geist sich uns offenbart, schenkt und erschließt, wie er von Ewig­keit zu Ewigkeit Vater, Sohn und Geist in der Einheit seines gött­lichen Wesens ist. Er wurde nicht erst Vater, Sohn und Geist, son­dern er ist, der er war, und der er sein wird. Er heißt nicht nur so als der Gott, der diese Namen, wohl gar als Anthropomorphismen von unseren Gnaden, nur als der in seiner Offenbarung uns zuge­wandte Gott angenommen hätte, sondern er ist, der er heißt.

Aber konzentrieren wir uns zunächst auf die Aussage, die uns zu dem Glauben an Gott den Vater ruft. Gerade hier meldet sich in al­ler Aufdringlichkeit die uns nur zu nahe liegende Versuchung, die­ses Wort „Vater“ doch als eine den menschlichen Verhältnissen entnommene, auf einen Gott der Liebe übertragene Bezeichnung zu verstehen, als einen menschlich-kindlichen Ausdruck dafür, daß Gott Liebe ist, und wir die Vater-Anrede in unserem Verhältnis zu Gott anwenden dürfen. In Wahrheit ist Gott aber der Vater vor und über all unserem Vater- und Kindeswesen (Eph. 3, 14f). Seine Selbst­offenbarung als des Vaters ermöglicht und legitimiert in unbegreif­lichem Erbarmen die Vater-Anrede aus dem Munde des Kindes. Wenn wir es umkehren, so lassen wir eigentlich nicht diesen Vater in sei­ner Einheit mit dem Sohn und dem Geist die Liebe sein, sondern verleihen unserer Idee der Liebe das Gottesprädikat. Ja, dann wird der Mensch in seiner leidenschaftlichen Sehnsucht dichten und po­stulieren: „Brüder, überm Sternenzelt muß ein lieber Vater wohnen“ (Schiller)! Wir müssen uns aber darüber klar sein, daß solch ein Vater-Gott auch in der Götterwelt der Heiden seinen, ihm von den Menschen eingeräumten Thron hat, wie etwa der Zeus des griechi­schen Olymps. Hier, im Bekenntnis geht es nicht um das „muß“, nicht um ein Postulat unserer Sehnsucht, sondern um Gottes „Ich bin“ und „Ich will“ als des Gottes, der sich uns als der Liebende of­fenbart und manifestiert, wie er in sich selbst ewig die Liebe ist.

Dieser Gott, also der Gott, der Vater ist, wie er Sohn und wie er Geist ist, Er allein ist Gott. Wir glauben an einen, an den einen Gott. Das besagt nicht nur den Gegensatz gegen die Vielzahl von Göttern im polytheistischen Heidentum, sondern gegen jede vom Menschen nach dem Bild des Menschen gebildete und gedichtete Gottheit, sei sie denn monotheistisch gedacht. Der Glaube an den trinitarischen Gott, an den Gott, der Gott ist, indem er Vater, Sohn und Geist ist, steht nicht nur zu jedem Polytheismus, sondern auch zu allem huma­nen Monotheismus im ausschließlichen Gegensatz. Wir werden uns nicht verhehlen können, daß im Gottesverständnis der altkirchlichen Theologen — es sei wieder an Athanasius und Augustin er­innert! — dieser Gegensatz gegenüber dem Monotheismus, etwa der Gottesidee eines Platon, nicht in der ganzen Schärfe der Ausschließ­lichkeit Kontur gewinnt. Auf das Wesen aber der von ihnen be­kannten Wahrheit gesehen, steht die Entscheidung zwischen dem Glauben an den trinitarischen Gott und dem Glauben an alles, was sonst als Gott oder göttlich verehrt werden mag, im Zeichen des Entweder-Oder. Entgegen dem tritheistischen Zerrbild, in dem sich das Geheimnis des dreieinigen Gottes dem blinden Unglauben dar­stellt, ist die Wiederholung der Unität Gottes im Bekenntnis zu der Unität, das heißt: der Einzigkeit Jesu Christi als des Herrn unüberhör­bar, wie sie dann im Bekenntnis zu dem Herren-Geist, dem πνεῦμα κυριακόν, wieder zur Stelle ist. Als der in und mit sich einige, wesenseine Gott ist er, er allein Gott, der seine Ehre keinen Göt­tern und keiner Gottheit läßt.

Dieser Gott ist, und zwar als der allmächtige Vater, wie er der all­mächtige Sohn und der allmächtige Geist ist, der Schöpfer Himmels und der Erde. Er ist der Allmächtige, er wird es nicht etwa erst im Verhältnis zu der von ihm geschaffenen Welt! Er, der in und aus sich selber Mächtige, dessen innergöttliches Leben Macht ist, mani­festiert seine Macht, indem er Nichtseiendes in das Sein und Wesen ruft. Radikale theologische Existentialisten unserer Tage meinen es als unerlaubte Objektivierung perhorreszieren zu können, wenn die Aussage: Gott ist allmächtig, getan wird. Das würde, nicht aus Grün­den einer existentialen Interpretation des menschlichen Verhältnis­ses zur Welt und zu Gott, sondern von der Göttlichkeit Gottes her in der Tat geltend zu machen sein, wenn diese Aussage eine Aus­sage von unseren Gnaden wäre. Würde es sich nämlich darum han­deln, daß wir unser Verständnis von Macht überhöhten, verabsolu­tierten und vergöttlichten, so verfielen wir in unserem Anthropo­morphismus der „Objektivierung“, mitsamt unserer existentialen In­terpretation biblischer Texte. Bei dem Bekenntnis zu Gott dem All­mächtigen geht es aber nicht um unsere Aussage über die Relation zwischen dem Schöpfer und seiner Welt, sondern um unser Ja zu der Selbstaussage des sich in seinen Werken manifestierenden und offenbarenden Gottes. Sollen und dürfen wir wirklich irgendeiner Erkenntnistheorie – sei es die Kants oder die Heideggers – das Recht geben, ein Veto einlegen zu dürfen da, wo es um die Aner­kenntnis dessen geht, der im Selbsterweis seiner Macht uns als die durch sein Wort überführten antworten läßt: Du bist der Allmäch­tige. „Einmal hat Gott geredet, zweimal habe ich dieses gehört, daß die Stärke Gottes sei“ (Ps. 62, 11 in der Elberfelder Übersetzung), des Gottes, dessen auch die Güte ist, (V. 12) – ja, des allmächtigen Vaters. In dem personalen Bezug, den der Vater in dem Sohn durch den Heiligen Geist zu uns als den von ihm Geschaffenen, Versöhn­ten, Geheiligten herstellt, gibt er uns die Möglichkeit zu diesem: Du bist der allein Mächtige. Sein „Ich bin, der ich bin“ (2. Mose 3, 14) läßt uns antworten: Du bist, der Du bist. Darin ist ein ewiges Ist“zur Stelle, das sich keineswegs unserer Objektivierung verdankt und auch all unseres Subjektivismus spottet. Nun aber sind wir so weit, daß gewisse Theologen schon bei dem Sätzlein „Gott ist allmächtig“ antimetaphysische Hemmungen kriegen und ihren existentialistischen Komplex meinen so abreagieren zu dürfen, daß sie „ontologische“ Aussagen über Gott hören, wo es die theologische Anerkennung Gottes in der ewigen Priorität seines Allmächtig-Seins gilt. Nicht als der Inhaber einer — von uns ihm beigelegten! – „Eigenschaft“, sondern als der Allmächtige ist er allmächtig.

Das findet im griechischen Text des Nicaenums einen noch viel prägnanteren Ausdruck als im lateinischen und deutschen. Der παντοκράτορ, der Allherrscher, das ist personal bestimmt, während der Ausdruck omnipotens, bzw. allmächtig hier als ein Eigenschafts­wort begegnet. Das Allmächtig-Sein bezeichnet aber nicht eine Eigen­schaft Gottes, sondern ihn selbst als den Allmächtigen, der als der Allherrscher seine Macht manifestiert und offenbart. Die Auferweckung des an letzte Ohnmacht für uns Dahingegebenen ist der zen­trale Herrschaftsakt des Pantokrator, in dessen Licht alle Taten Got­tes leuchten, bis hin zu jener Thronbesteigung und „Hochzeit“ des Lammes (Offenb. 19, 6-7), in der die Allherrschaft des Pantokrator zur letzten, endgültigen Evidenz kommt. Die Unmöglichkeit, das sin­guläre Ich des Pantokrator in unserem menschlichen Person- oder Persönlichkeits-Schema denken zu können, darf uns doch keinen Augenblick dazu verführen, das Subjektgeheimnis Gottes in seiner ewigen Majestät auf pantheistische, bzw. mystische Weise in der Idee eines All-Einen auf- und untergehen zu lassen. Vielmehr wer­den wir unter dem Auge des Pantokrator6 die Anerkenntnis des Allmächtigen in der Anbetung zu vollziehen haben, in der wir alle unsere Erkenntnis unter das „Deus semper major“ gedemütigt sein lassen.

Dieser Pantokrator ist also der Schöpfer! An ihn, den allmäch­tigen Vater, glauben wir als an den:

ποιητήν ουρανού και γής,
ορατών τε πάντων καί αοράτων
factorem coeli et terrae, visibilium et invisibilium
Schöpfer Himmels und der Erden, alles, das sichtbar und un­sichtbar ist.

Es geht also um den Glauben an den Schöpfer, nicht um unser Verständnis der Schöpfung. Die Kosmogonien, wie sie in den „My­then der Heiden“7 begegnen, stellen sich in all ihren Variationen als Welterklärungsversuche dar, als gedichtete Geschichte von der Entstehung der Welt, zumeist im Zeichen des Dualismus zwischen Licht und Finsternis, zwischen einem göttlichen und antigöttlichen Urprinzip, aus dessen Kampf durch den Sieg des Göttlichen dann so etwas wie eine Weltschöpfung resultiert.

Gerade um solch einen Mythos geht es hier nicht! So wahr die Schöpfungsurkunde als die Kundmachung des Geschehens, das kei­nen menschlichen Zeugen hat und haben kann, kein „historischer“, kein naturwissenschaftlicher Bericht ist, so eben auch kein Mythos, dessen Wesen ja gerade die vom Menschen gesichtete Synthese von Gott und Welt, sei es denn in der überwindenden Vermittlung ihres Gegensatzes ist. Wenn es hier im Bekenntnis um die Anerkenntnis der Welt als Gottes Welt, des Menschen als Gottes Menschen geht, dann eben in der Anerkenntnis des Schöpfers. An ihm entscheidet sich das Verständnis seiner Schöpfung. Jede Loslösung der Schöp­fung von dem Schöpfer, jede „Verobjektivierung“, verdirbt hier alles. Es geht hier, streng genommen, eben nicht um einen „Schöpfungs-,sondern um den Schöpfer-Glauben, den Glauben an Gott den Vater als den Schöpfer.

Nun handelt es sich aber nicht nur um den Gegensatz zu allen Kosmogonien, antiken oder modernen, dichterischen oder wissenschaft­lichen Versuchen, die Entstehungsgeschichte der Welt und sonder­lich des Menschen mit den zugehörigen Weltbildern zu begreifen, sondern um die Wahrheit, daß Gott, der Vater, der Schöpfer Him­mels und der Erde ist. Gerade dem religiösen Menschen möchte an­gesichts des grauenhaften Widerspruchs, der durch die Welt im Zeichen von Widersinn und Wahnsinn klafft, die mythisch-duali­stische Konfrontation eines bösen Demiurgen als des Schöpfers die­ser Welt mit dem guten Gott und Vater Jesu Christi (Marcion!) viel eher annehmbar sein als der Glaube an den Vater als den Schöp­fer. Diese, nicht nur dem Todesgesetz verfallene, sondern dem Mord­gesetz verhaftete Welt, in der alles, was lebt, auf Kosten anderen Le­bens lebt, die Schöpfung eines guten Gottes, eines Gottes der Güte?! Der Glaube, daß wirklich der allein gute Gott im Akt seiner freien Güte allem, was außer ihm ist, das Sein und Wesen geschenkt hat, steht und fällt damit, daß eben dieser Schöpfer der Versöhner und Erlöser ist. Wenn Athanasius leidenschaftlich um die Anerkennung der vollen und ganzen Gottheit des Sohnes stritt, dann eben in dem Bekenntnis zu dem Schöpfer-Gott, der in der Einheit und Selbigkeit Gottes der Erlöser-Gott ist.8

Der Versöhnergott, er und kein anderer, er in seiner göttlichen Selbigkeit, ist der Schöpfergott. Das, – nein, Er will geglaubt sein. Keine Interpretation der Welt, kein Selbstverständnis des Menschen und seiner Existenz bringt den Artikel von der Schöpfung zur Evi­denz. Er ist in der Tat ein „hoher Artikel“, eben als Glaubens-Artikel. Er widerstreitet der Vernunft, die sich an das Sichtbare und Begreifbare hält.9

Ein Schöpfungsglaube, der nicht mehr als ein spekulatives Postu­lat wäre, oder wohl gar sich als Ergebnis eines beweiskräftigen Räsonnements darböte, hätte die Wirklichkeit der vom Fluch des Widerspruchs gezeichneten Welt ebenso ignoriert wie die Gottheit des Schöpfers, der gerade als der Versöhner und Erlöser sich als der Allmächtige wie als der Barmherzige und als der Heilige manifestiert und offenbart.

Wir werden von vornherein nicht übersehen dürfen, daß der zweite Artikel des Nicaenums den einen Herrn Jesus Christus, ihn, den eingeborenen Sohn Gottes, als den bekennt, „durch welchen alles geschaffen ist“, und also in der göttlichen Einheit mit dem Schöpfer. Wenn dann der Heilige Geist als der vivificans, „der da lebendig macht“, bekannt wird, so eben als der, zu dem die Gemeinde betet: „veni, creator Spiritus“, „komm, Schöpfer Geist!“

Was heißt denn „schaffen“? Gewiß nicht ein Formen und Gestal­ten, wie es dem menschlichen Handwerker und Künstler zukommt, der von einem vorgegebenen Stoff, aus dem er gestaltet, ebenso ab­hängig ist wie von der ihm vorgegebenen Kraft, durch die er ge­staltet. „Schaffen“, dessen Subjekt Gott ist, ist dann, mit der alt­kirchlichen Formel zu reden, in der Tat erschaffen „aus nichts“ (bara Gen. 1,1)10

Im Gegensatz zum Hylozoismus, dessen nach dem Bild des Menschen geschaffener Schöpfergott von einem vorfindlichen Stoff (ῦλη) ab­hängig ist, im Gegensatz aber auch zu jedem Emanationismus, der die Welt als permanente Ausströmung Gottes versteht, erschafft der Gott, zu dem sich der Glaube bekennt, indem er spricht. Daß Gott, von nichts und niemand abhängig, in seiner freien Güte durch das Wort schafft, das gerade wird durch die Formel „aus nichts“ unterstrichen. Sie findet sich zwar in unserem Text nicht ausdrück­lich, ist aber schon in dem Bekenntnis zu dem Allmächtigen zur Stelle, wie sie die Voraussetzung dafür ist, daß Gott der Schöpfer nicht nur der Erde, sondern auch des Himmels, der unsichtbaren, nicht nur der sichtbaren Kreatur ist. — Damit ist unser Blick — es ist der des Glaubens! — bereits auf die Welt, auf die Welt als die von Gott geschaffene und erhaltene Welt, auf die Welt als creatura, als Gottes Welt gerichtet.

Alles („πάντων“, „omnium“, „alles“), was außer Gott Sein und Wesen hat, hat und behält es nur durch Gott. Nichts hat sein Sein und Wesen durch und aus sich selbst. „Aseität“ (Aus-sich-sein) ist allein von Gott auszusagen. Der Materialismus, der die Welt aus und in sich bestehend behauptet, ist eine, die ontische Voraus-setzung alles Daseienden bestreitende Unsinnigkeit. Grotesk vollends ist der dem radikalen Existentialismus (Sartre) eignende Versuch, die Exi­stenz des Menschen in einer anthropologischen Aseität11 zu inter­pretieren.

Indem alles, was nicht Gott ist – und außer Gott ist nichts Gött­liches – als creatura, als Geschöpf erkannt wird, ist die Entgötterung, die Entdämonisierung und Entmythologisierung der Welt schon erfolgt! Die wahre „Entmythologisierung“ ist bereits im ersten Satz der Bibel bezeugt! Das findet im Bekenntnis seine scharfe, der Schöpfungs- Urkunde nachgesprochene Unterstreichung darin, daß die Kreatürlichkeit von Himmel und Erde, alles Sichtbaren und Unsichtbaren bezeugt wird. Dabei geht es nicht nur um den Gegensatz gegen die antike Vergötzung der Gestirne, sondern auch gegen die, in der Re­ligionsphilosophie immer wieder begegnende Vergöttlichung der „Welt des Geistes“, der Ideen „und Ideale“ in der ihnen eignenden „Unsichtbarkeit“. Auch die Ideen des Guten, Wahren und Schönen, um nur an Platons Verständnis des „Göttlichen“ zu erinnern, sind „Kreatur“! Ideen und Ideale, der „Geist“, im Sinne des mensch­lichen, philosophischen und denn religionsphilosophischen Selbst­verständnisses, ist nicht „unsichtbar“ im Sinne unseres Bekennt­nisses. Die „Welt des Geistes“, bzw. das, was der Mensch in seinem Selbst-, Welt- und Gottesverständnis darunter versteht, ist dem Geist des Menschen „evident“, sichtbar, oder kann es ihm doch werden.

In unserem Text hat das Bekenntnis zu Gott als dem Schöpfer nicht nur aller „sichtbaren“, unseren Sinnen und unserer Vernunft zugänglichen, sondern auch aller unsichtbaren12, uns verborgenen Kreatur freilich noch einen besonderen, dem modernen Weltver­ständnis fremden Sinn.

Die „unsichtbare“ Kreatur, das sind die Engel, die „himmlischen Heerscharen“, die in ihrer hymnischen (Gott zugewandten) wie in ihrer diakonischen (den Menschen zugewandten) Funktion dem Offenbarungszeugnis zugehören, ohne daß damit die Möglichkeit ge­geben wäre, so etwas wie eine Angelologie in Parallele zur Anthropolo­gie oder Zoologie zu entfalten. Kein Zweifel, daß nicht erst das Mit­telalter, sondern bereits die alte Kirche die mit der Unsichtbarkeit der „unsichtbaren“ Kreatur gesetzte Grenze überschritten hat. Welch ein Kurzschluß freilich, wenn der moderne Rationalismus aus der „Unsichtbarkeit“ die Unwirklichkeit herleiten zu können meint. Mit welchem Recht wollen wir Eintagsfliegen sinnlicher Erfahrung und verstandesmäßiger Erfassung immanenter Wirklichkeit hier eigent­lich dekretieren, daß „nicht sein kann, was nicht sein darf“, – näm­lich nach den Axiomen unserer Vernunft?! Die Wirklichkeit der von Gott geschaffenen Welt hat noch andere Dimensionen als die sich ontologisch uns erschließenden. Wir tun gut, wenn wir uns in die Immanenz unseres Weltanschauungsbildes nicht wie in ein selbst­gewähltes Gefängnis einsperren lassen. Wir tun gut, mit einem Lob­preis der Herrlichkeit des Schöpfers zu rechnen, der eben nicht nur aus der Tiefe aufsteigt, sondern auch in der „Höhe“ erklingt, — so wahr das Evangelium die Engel im Himmel gerade dem Lob­preis aus der Tiefe zugeneigt sein läßt.

Dabei ist der „Himmel“, der in manchen Schriftstellen (z. B. im Vaterunser) nur den reinen Ort der Gegenwart Gottes zu bezeichnen scheint, des Gottes, der über allen Himmeln „thront“, hier streng kreatürlich verstanden. Die Tatsache, daß der Mensch des naiven Weltbildes (des der „drei Stockwerke“) den Himmel sich in räum­licher Erhabenheit vorstellte, wird uns ebensowenig einem antiken Weltbild verhaften, wie in die Gefangenschaft moderner Weltan­schauung ausliefern, deren relatives Recht keiner Verabsolutie­rung überantwortet werden darf. So wahr wir Menschen des moder­nen, wissenschaftlich bestimmten Weltbildes sind, so wenig brauchte uns dies daran zu hindern, den Satz von Gott als dem Schöpfer auch des „Himmels“ und der „unsichtbaren Kreatur“ mitzubekennen.

So sind wir denn in einen universalen Lobpreis Gottes des Schöp­fers mit hineingenommen, der nicht nur alle Zeiten und Geschlech­ter, sondern auch alle Bereiche des Sichtbaren und Unsichtbaren um­greift. In diesem Chor ist ein „Wir“ in Kraft, das wir nicht in unse­rem Verständnis menschlicher Gemeinschaft werden aufgehen las­sen können. Daß „ich“ dabei sein, an der Verherrlichung des Schöp­fers beteiligt sein, mitloben und mitsingen darf, ist nicht weniger Wunder als die Erschaffung Himmels und der Erden. Aber eben inner­halb dieses Chores ist mir die Gnaden-Möglichkeit gegeben, zu spre­chen: „ich danke“, „ich glaube“, „ich liebe“, „ich hoffe“, „ich bete“, und „ich bete an“. Allein von der freien Güte des Vaters her, der der Schöpfer ist, wird das Unfaßbare in seiner ganzen Unbegreiflich­keit begreifbar, daß Ich-sein und Ich-sagen-dürfen die Antwort auf die Zuwendung des Allmächtigen zu seinem Geschöpf sein kann. Keine Vernunft vermag aus ihren Ideen zu begreifen, daß ein mensch­liches Ich mit dem singulären, ewigen Ich Gottes gleichzeitig sein könnte, daß menschliches Ich nicht – so töricht zu reden – schon im Nu und Augenblick der Schöpfung von Gottes Ich aufgesogen und ver­nichtet werden müßte. Gott aber ruft das außer ihm Seiende aus dem Nichts so in sein Sein und Wesen, daß es kraft der allmächtigen Güte des Schöpfers sein ihm geschenktes, je eigenes Dasein haben und be­halten darf, solange Gott es ihm läßt. So dürfen „wir“ sprechen: „ich glaube, daß mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen …“ (Luther), und so darf „ich“ mitsprechen: „wir glauben all’ an einen Gott“ (derselbe Luther) … So weist der Glaube an den Schöpfer nicht nur auf einen einmaligen, den Anfang der Welt und ihrer Zeit set­zenden Schöpfungsakt, sondern auf das währende schöpferische Wirken Gottes des Erhalters, der der Schöpfer nicht nur war, son­dern bleibt.

Auch in dem Satz: „ich glaube, daß mich Gott geschaffen hat“ ist die creatio ex nihilo zur Stelle; denn der Ursprung meiner Ek-sistenz aus dem Nicht-sein in das Sein liegt in nichts anderem als in Gottes, des Schöpfers, freier Güte. Die instrumentale Bedeutung des mensch­lichen Vaters und der menschlichen Mutter mindert nicht im ge­ringsten die Schöpfertat dessen, bei dem allein es steht, aus dem Nicht-sein in das Sein zu rufen. Das aber wird in der alles begründen­den und durchwaltenden Wahrheit des göttlichen Erbarmens erst da erkannt, wo Gott, der Versöhner und Erlöser, die nova creatura, „die neue Kreatur“, abermals erschafft „aus nichts“. Aus und in die­sem Glauben an den Schöpfer der neuen Kreatur, den Vater, den Sohn, den Heiligen Geist, ist jene „kurze Form des Glaubens“ zu verstehen, in der Luther den ersten Artikel (des Apostolicums) fol­gendermaßen erklärt:

„Das ist. Ich entsage dem bösen Geist, aller Abgötterei, aller Zau­berei und Mißglauben.

Ich setze mein Vertrauen auf keine Kreatur, sie sei im Himmel oder auf Erden.

Ich wage („erwege“) und setze mein Vertrauen („trew“) allein auf den bloßen unsichtlichen und unbegreiflichen einigen Gott, der Him­mel und Erde geschaffen hat und allein über alle Kreatur ist.

Wiederum entsetze ich mich nicht ob aller Bosheit des Teufels und seiner Gesellschaft, denn mein Gott über sie alle ist.

Ich glaube nichts desto weniger an Gott, ob ich von allen Menschen verlassen oder verfolget wäre.

Ich glaube nichts desto weniger, ob ich ein Sünder bin. Denn die­ser mein Glaube soll und muß schweben über alles, was da ist und nicht ist, über Sünde und Tugend, und über alles, auf daß er in Gott lauter und rein sich halte, wie mich das erste Gebot dringt.

Ich begehre auch kein Zeichen von ihm, ihn zu versuchen.

Ich traue beständig auf ihn, wie lange er verzieht, und setze ihm kein Ziel, Zeit, Maß oder Weise, sondern stelle es alles heim seinem göttlichen Willen in einem freien richtigen Glauben.

So er denn allmächtig ist, was mag mir gebrechen, das er mir nicht geben und tun möge?

So er Schöpfer Himmels und der Erden ist, und aller Ding ein Herr, wer will mir etwas nehmen oder schaden? Ja, wie wollen mir nicht alle Dinge zugute kommen und dienen, wenn der mir Gutes gönnt („wan der mir gutt gan“), dem sie alle gehorsam und untertan sind?

Dieweil er denn Gott ist, so mag er und weiß, wie er’s machen mit mir soll auf’s beste.

Dieweil er Vater ist, so will er’s auch tun und tut es herzlich gern.

Dieweil ich daran nicht zweifle und setze mein Vertrauen also auf („in“) ihn, so bin ich gewiß sein Kind, Diener und Erbe ewiglich, und mir wird geschehen wie ich glaube.“13

1 Man denke an Psalmen wie den 46. und den 130., und bedenke unter unserer Fragestellung Luthers Nachdichtungen dieser Psalmen: „Ein feste Burg ist unser Gott“, und: „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“. Das erste will an keinen religiösen Kollektivismus, das zweite an keinen religiösen Individualismus preisgegeben sein, sooft ein sol­ches Mißverständnis sich dessen auch bemächtigt haben mag. Es ist übrigens kennzeichnend, daß eine spätere „Erlebnis“-Dichtung im Baum der Kirche unmerklich, aber verhängnisvoll, einem indi­vidualistischen „Ich“ und einem kollektivistischen „Wir“ verfiel.

2 In diesem Sinne hat der von Kierkegaard gedichtete Denker hu­maner Religiosität, Johannes Climacus, in dem „Denkprojekt“ seiner „Philosophischen Brocken“ den Glauben in einem allgemeinen Sinne vom Glauben sensu strictiore, nämlich dem Glauben an den in Jesus Christus geschichtlich gewordenen Gott unterschieden.

3 Einen Gipfel dürfte es darstellen, wenn wir bei Herbert Braun zu erfahren bekommen, daß Gott „das Woher meines Umgetriebenseins“ sei. Braun beortet dieses Umgetrieben-sein in der zwischen­menschlichen Relation, und zwar unter dem „ich darf“ und „ich soll“. Die Gottes-Relation erscheint dann als in dieser Relation ge­geben. Wenn aber Gott zum Postulat einer Relation — zu so etwas wie der Relation einer Relation — wird, so ist das im Grundansatz jene Umkehrung der Fragestellung, gegen die wir aus der Wurzel protestierten.

4 Man lese hierzu den Introitus, den Kierkegaards Climacus den „Philosophischen Brocken“ gibt.

5 Noch einmal sei hier an das Denkprojekt des von Kierkegaard gedichteten Climacus erinnert, der von dem Standort humaner Religiosität danach fragt, welche Bedeutung der „Augenblick“ gewinnen müsse, wenn das Verhältnis des Menschen zur Wahrheit nicht „sokratisch“ verstanden werden soll.

6 Wir denken an die zeichenhafte Bedeutung, die das Auge des Pantokrator in den Kathedralen der russischen Orthodoxie hat. Un­ter diesem Auge, das in der Höhe der Kuppel strahlt, vollzieht sich die Liturgie in der Anbetung des All-Heilandes und All-Herrschers.

7 An den mythischen Gegensatz mag hier im Blick auf den im 4. Jahrhundert so mächtigen und für eine untergehende Kultur so versuchlichen Manichäismus mit seinem Dualismus zwischen zwei Urprinzipien des Guten und des Bösen erinnert werden.

8 Gerade der Zusammenhang seiner Schrift „über die Menschwer­dung des Logos“ mit der „Gegen die Heiden“ (κατά Ελλήνων — contra gentes) innerhalb der Einheit einer großen Apologie läßt die Einheit des Schöpfergottes und des Erlösergottes als einen Grund­gedanken des Ganzen erkennen.

9 „Der Glaube entsteht also im Widerstreit mit dem Widerstand, den ihm die Welt als Objekt – d. h. als „Wider-wurf“ – entgegen­setzt … Er glaubt „dennoch“ (Ps. 73, 23), „gegen den Augenschein“ und im Gegensatz zu allem durch menschliche Vernunft Erkenn­baren.“ Gerhard Gloege, „Schöpfungsglaube und Weltbild“ in dem Sammelband „Herrengeheimnis der Wahrheit“, S. 160.

10 Die griechische Sprachform unseres Textes („ποιητήν“) und die lateinische Übersetzung („factorem“) geben das hier Gemeinte nicht so gut wieder wie unser deutsches „Schöpfer“.

11 Sartre läß in den „Fliegen“ seinen Orest sprechen: „Ich bin meine Freiheit“, und meint damit den Selbstentwurf der Existenz je im Akte meiner Freiheit.

12 Das Unsichtbare will hier nicht verwechselt werden mit dem Noch-nicht-bekannten. Noch nicht bekannt ist uns vieles, unendlich vieles im Mikrokosmos und im Makrokosmos. Wir, die wir als Men­schen des wissenschaftlichen Zeitalters der Menschheit das „Gefühl“ haben, als ob die letzten Geheimnisse dicht vor ihrer Entschleierung ständen, sollten vielmehr damit rechnen, daß wir doch immer noch eher an der Oberfläche herumkratzen, als daß wir wirklich zu dem vorgestossen wären, „was die Welt im Innersten zusammen hält“ (Goethe). — Humores halber sei es auch ausdrücklich gesagt, daß noch nicht bekannte — möglicherweise also noch bekannt werdende! — Lebewesen auf anderen Gestirnen keineswegs „unsichtbare“ Krea­tur sind, so wahr sie, wenn sie denn sind, Kreatur sind.

13 Zitiert nach der Clemen-Ausgabe, 2. Bd., S. 48-49, in moderner Orthographie und Lautumschreibung. Vgl. den Zusammenhang, in dem das Zitat bei Gloege, „Schöpfungsglaube und Weltbild“ in „Herrengeheimnis der Wahrheit“, S. 161 begegnet.

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