KRIPPE: PRAKTISCH UND WIRKLICH – UND LEGTE IHN IN EINE KRIPPE [LK 2, 7C]
Von Rolf Wischnath
Mutter Maria hatte Sinn fürs Praktische. Und auf der Reise muss man sich schon mal behelfen. Also legte sie ihren Erstgeborenen in eine Krippe. Da, wo sie war und entbunden hatte, bot sich das an. Schließlich war er schon gewickelt. Der erste Schrei war getan. Nun konnte Maria ihn zum ersten Mal von ihrem Körper loslassen – und hinlegen. Die Verhältnisse waren nicht hygienisch. Aber Schafe, Ochsen und Esel mussten zu jener Zeit [Lk 2,1] noch kein Tiermehl futtern und hatten darum auch keinen Rinderwahnsinn. Da konnte der Kleine sich auch nicht anstecken im Futtertrog…. und legte ihn in eine Krippe. Praktisch.
Nun im Ernst: Es hat sie gegeben – die Krippe. Sie ist ein Glaubenssymbol. Aber sie hat ein Faktum. An diesem Faktum ist der Glaube leidenschaftlich interessiert. Denn alles ist davon abhängig, dass die Krippe einen faktischen, d.h. einen wirklichen Ort hat in der Welt – einen Ort, wo der Erstgeborene, der ganz und gar zu Gott und ganz und gar zu den Menschen gehört, zur Welt kommt. Dass Gott Mensch wird, wirklich und nicht zum Schein, das hängt daran, dass er sich erdet. Er darf nicht zwischen Himmel und Erde schweben. Sonst bliebe zweifelhaft, ob er die Welt gerettet hat. Gottes Liebe zur Welt ist nicht weltlos, nicht ortlos, nicht zeitlos, nicht menschenlos. Dafür steht als Symbol die Krippe:
Wie sah die Krippe aus? Eine Krippe war damals eine muldenförmige, in Stein gehauene Einbuchtung. Genauer beschrieben: Die eine Hälfte der Krippe war in der Wand einer Steinhöhle hineingehauen – ein Loch in der Wand. Und die andere Hälfte war aus Lehm gemacht und hing an der Ausbuchtung. So ist das in Felsenhöhlen der Gegend um Bethlehem noch heute zu sehen. Die Bethlehem-Krippe hatte nichts Kunstfertiges. Alles unromantisch, unfeierlich. Ein Provisorium für das Kind. Schon hier bestätigt sich, was JESUS später von sich sagt: Die Füchse haben Höhlen, und die Vögel des Himmels haben Nester, der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann [Mt 8, 20], In diesem Sinn war die Krippe ein unbehauster Ort.
An diese Krippe treten wir zu Weihnachten. An ihr legen wir alles Feierliche ab. Wir brauchen uns nicht zu verkleiden, schminken und schmücken. Denn der Erstgeborene berührt die Welt schmucklos und unbekleidet. So fängt das irdische Leben an, in dem Gott sich aussagt. Die Bühne dieses göttlichen Dramas auf Erden scheint erbärmlich zu sein, eine enge Bühne, auf der von vornherein nicht viel gezeigt werden kann. Es ist so wie in unserem eigenen Erdendasein. Auch wir haben einmal in einer engen Wiege die Erde berührt. Und in einem engen Sarg wird sie uns einmal umschließen.
Wiege und Sarg sind für uns jedoch nicht so eng wie Krippe und Grabtuch Jesu. Gott bringt es fertig, seine Unendlichkeit dort hinein zu zwängen, in ein so kleines Ding wie die Krippe, in ein so kaltes Tuch wie das Grabtuch des Joseph von Arimathia, in das er am Karfreitag den Toten vom Kreuz wickelt und windelt, um ihn wieder in ein in Stein gehauenes Loch zu legen: ins Felsengrab, heißt es doch am Ende der Kreuzigungsgeschichte:
Und Pilatus schenkte dem Joseph von Arimathia die Leiche Jesu. Dieser kaufte Leinwand [also „Windeln“] nahm ihn vom Kreuz herab, hüllte ihn in die Leinwand, legte ihn [wie in die Krippe aus Stein] in eine ausgehauene Gruft, worin noch niemand je gelegen hatte, und wälzte einen Stein vor die Tür der Gruft [Mk 15, 46 / Lk 23, 53]. Dort war er dann eingebunden und eingeschlossen wie in eine große Krippe aus Stein.
Gott kann und will um unsertwillen bis in eine Gruft aus Stein hinabgehen und niedrig sein. Dass Gott überall ganz sein könne, das mag dem religiösen Geist noch verhältnismäßig selbstverständlich erscheinen. Dass er aber sich mit seiner Unendlichkeit selber in den kleinen Daseinsraum, den der Mensch anfänglich und letztlich braucht, begeben kann, das ist das Wunder, für das die Krippe steht.
Unser Dasein mag uns gewiss so eng vorkommen wie eine Krippe, Steinhart, löcherig, langweilig, eingezwängt, nicht sonderlich gut riechend, erstickend. Aber gerade darin und darüber offenbart Gott seine Herrlichkeit. Und dieses Felsengrab kann ihn nicht halten. Es ist der Sieger von Ostern, der hindurchbricht durch alle Engigkeiten: Welt ging verloren, Christ ward geboren … Weil es so war, weil es so ist, können wir es an der Krippe aushalten. Über ihr scheint schon das Licht des Ostermorgens. Es wird auch über uns scheinen: über unseren Engigkeiten, über unserem Tod – das Leben.
Quelle: Rolf Wischnath, Stückwerk ist unser Erkennen. Elementares, Gütersloh 2024, S. 88f.