Menschliche Wegbereitung passt nicht zu göttlicher Stärke. Warum der Wochenspruch für den 3. Sonntag im Advent Jesaja 40,3.10 aus der Lutherbibel 1912 geändert werden sollte
Wochensprüche sind ein relativ neues Element des evangelischen Gottesdienstes. Mit einem Bibelzitat soll in prägnanter Weise die Botschaft des Sonntagsevangeliums zusammengefasst werden. [Zur Geschichte der Wochensprüche siehe Irene Mildenberger: Eine kleine Geschichte des Wochenspruchs.]
Schon in der Lutherische Agende I von 1955 findet sich für den 3. Sonntag im Advent der Wochenspruch aus Jesaja 40: „Bereitet dem HERRN den Weg; denn siehe, der HERR kommt gewaltig.“ Neben dem Wochenspruch für den Sonntag Miserikordias Domini aus Johannes 10 (VV 11a.27-28a) ist Jesaja 40,3.10 eine Vers-Kompilation außerhalb des unmittelbaren Textzusammenhangs. Anders als bei Johannes 10 ist jedoch der Jesaja-Wochenspruch für den 3. Sonntag im Advent in seiner Botschaft eher missglückt und sollte daher geändert werden.
Anzunehmen ist, dass man Jesaja 40,3a aus der damaligen alttestamentlichen Perikope Jesaja 40,1-8 (nach der Luther-Bibel 1912) für den 3. Sonntag im Advent im Hinblick auf Johannes den Täufer zur Geltung bringen wollten, freilich in einer kontextfremden Anwendung: Der Ruf zur Wegbereitung, der ja technisch nicht zu bewerkstelligende Planierungsarbeiten von Bergen und Tälern umfasst, entstammt einer Stimme im himmlischen Hofstaat des HERRN (vgl. 1.Könige 22,19). Dienstbare himmlische Heerscharen werden aufgefordert, Wegbereiter für den Advent zu sein. Erst im Kontext der synoptischen Evangelien wird die Wegbereitung für den Messias nach Jesaja 40,3 mit dem Umkehrruf Johannes‘ des Täufers verbunden (vgl. Mk 1,2f; Mt 3,2f; Lk 3,3-6).
Offensichtlich wollte man bei einem Wochenspruch nach Jesaja 40,3 das Missverständnis vermeiden, dass menschliches Vermögen Wegbereiter und damit Bedingung für die Wiederkunft Jesu Christi sein könne. Zur Korrektur wurde aus der prophetischen Frohbotschaft an die Städte Judas in den Versen 9-11 der Halbvers 10a in der Fassung der Luther-Bibel 1912 hinzugefügt: „Denn siehe, der Herr [HERR] kommt gewaltig.“ Diese Kompilation hatte über die Jahre ihre eigene „kanonische“ Tradition ausgebildet, so dass sie bei der Revision des Wochensprüche nicht auf die revidierten Luther-Übersetzungen (1964, 1984, 2017) hin angepasst wurde.
Die vermeintlich erläuternde Ergänzung missglückt jedoch in der Verskompilation: Menschliche Wegbereitung findet nicht zu göttlicher Stärke bzw. Macht in Vers 10 (vgl. die Einheitsübersetzung bzw. die Zürcher Bibel). Wo einer mit Macht und Stärke auf uns zukommt, muss diesem eben keinen Weg geebnet werden. Vielmehr wäre der würdige Empfang im Sinne einer zuwendenden Umkehr adventlich zu bedenken. Straßenbauarbeiten sind jedenfalls im Advent nicht angebracht.
So ist also der Versuch, einen Bibelvers mit einer kontextwidrigen Verskompilation als Adventsbotschaft anwendbar zu machen, indem menschliche Wegbereitung durch den Verweis auf göttliche Stärke relativiert wird, sprachpragmatisch missglückt.