Werner Elert, Der Christ und der völkische Wehrwille (1937): „Dass der Christ die Gemeinschaft seines Volkes nicht verleugnen kann, dass sein Glaube ihn nötigt, die Grundbedingung seiner irdischen Existenz aus der Hand Gottes entgegenzunehmen und dass er in Bereitschaft, Dienst und Liebe die praktischen Folgerungen daraus zieht, haben wir erwiesen. Aber die Durchführung des Wehrwillens bedeutet ja nun nicht nur irgendeinen Dienst und irgendeine Bereitschaft, sondern Waffendienst und Kampfbereitschaft. Der Wehrwille eines ganzen Volkes kann ohne diesen persönlichen Dienst und diese persönliche Kampfbereitschaft nicht durchgesetzt werden.“

Wer die Theologie Werner Elerts beurteilen will, muss sich dem stellen, was Elert während des Nationalsozialismus vorzutragen wusste und was nicht von dessen Lehre über Gesetz und Evangelium zu trennen ist:

Theologia militans 15

Werner Elert

Der Christ und der völkische Wehrwille

A. Deichertsche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1937

Vorwort.

Dieses Heft gibt den Vortrag wieder, den ich am 13. Januar ds. Js. vor der theologischen Fachschaft der Universität Leipzig gehalten habe. Die Rede erging also an junge Männer, die fast ausnahmslos vor der konkreten Notwendigkeit des Heeresdienstes stehen. Sie verlangte daher eine andere Weise der Darlegung als die dogmatischer Lehrbücher. Der wohlwollende Leser wird hiernach für die Form Ver­ständnis haben.

Der Verfasser.

Inhalt.

1. Die Meinung der Literaten

2. Christsein ist für uns keine fremde Sache

3. Das Volksganze

4. Völkischer Wehrwille

5.— keine Privatangelegenheit

6. Das Betroffensein des einzelnen

7. Kämpfertum

1.

Die Frage nach dem Verhalten des Christen zum völkischen Wehr­willen ist durch die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht für uns alle erneut brennend geworden. Erneut — denn selbstverständlich war sie dem deutschen Volke seit mehr als tausend Jahren gestellt. Die christlichen Männer, von denen die Waffen des deutschen Volkes in diesen tausend Jahren geschmiedet, getragen, zum Siege geführt wurden, haben die Frage praktisch beantwortet, und man braucht nicht zu sagen wie. In unserer heutigen Lage dagegen, wo das deutsche Volk jeden Mann und jeden Christen braucht, halten es manche Leute für angezeigt, auf einmal die Unfähigkeit des Christen zum völkischen Wehrwillen zu behaupten. Man sieht nicht recht, ob damit nur die christliche Kirche denunziert oder auch der Wehrwille des deutschen Volkes untergraben werden soll.

Ein Christ ist, so heißt es da, ein Anhänger der Mitleidsmoral, der seine Feinde lieben soll und will, der die rechte Wange hinhält, wenn er auf die linke geschlagen wird. Also kann er nicht zugleich sich zur wehr setzen. Ein Christ ist also seiner Natur nach ein Gegner des Wehrwil­lens. Und zweitens: Christen gibt es nur als Glieder der christlichen Kirche. Die Kirche verneint aber die völkischen Unterschiede. Sie will ein überweltliches und folglich ein übervölkisches Reich reali­sieren. Folglich kann sie es nicht gutheißen, wenn die Völker unterein­ander in Konflikt geraten und ihre Sache mit Waffengewalt austragen. Also muß der Christ als Glied der Kirche insbesondere ein Gegner des völkischen Wehrwillens sein, wenn also einer Christ und Sol­dat zugleich sein will, so kann man ihm immer nur eins von beiden, aber nicht beides glauben.

Wir können den Zeitpunkt ziemlich genau bestimmen, an dem diese diktatorische Entscheidung unseres Themas zum ersten Mal kon­zipiert wurde, von einem Manne, unter dessen Einfluß — unmittelbar oder mittelbar — alle stehen, die uns vor dieses Dilemma stellen möchten. Das war an einem Tag des Jahres als der freiwillige Kranken­pfleger Friedrich Nietzsche in einer kleinen französischen Stadt ein deutsches Reiterregiment an sich vorübertraben sah, dem in Lärm und Donner die Feldartillerie folgte und dann das Fußvolk, dessen gleich­mäßiger Tritt wie wuchtiger Hammerschlag auf dem harten Boden klang. In diesem Augenblick packte ihn, wie er später seiner Schwester erzählte, zum ersten Mal der Rausch des Willens zum Kampf, des Willens zu Macht und Übermacht. Er haue den Krieg bis dahin als einer erlebt, dessen „mitfühlendes Herz“, wie seine Schwester sagt, unter dem Stöhnen und dem klagenden Jammergeschrei der Verwundeten entsetzlich litt, der noch lange nachher jedes Gespräch darüber abbrach, weil er die Erinnerung daran nicht aushalten konnte. Diese Entgegensetzung des Willens zum Kampf und zur Macht gegen die Mitleidsmoral, die „Wotan beim Feldherrn nicht duldet“, entsprang dem „mitfühlenden Herzen“. Sie entsprang einer Nervenkrisis. Sie gleicht dem Kopfsprung, den der Pazifist vollbringt, wenn ihn der Rausch der Militärmusik erfaßt. Alles, was Nietzsche nicht aushalten konnte, alles was den Rausch der Militärmusik störte, erklärte er später für den wesentlichen Inhalt des Christentums. Dazu gehörte für ihn die Mitleidsmoral und alles, was er unter Askese verstand. Die Mit­leidsmoral hatte er zwar am eindringlichsten oder aufdringlichsten bei Schopenhauer kennen gelernt, der seinerseits bekannte, er verdanke seine Philosophie asiatischen Studien. Aber wenn einer erst wie Nietzsche vom Haß gegen das Christentum verzehrt wird, so kennt er nur noch ein Ziel: es schwarz anzustreichen, weil er selbst sich vor jedem weißen Fleck darin fürchtet. Es ist ihm dann gleich, woher er die schwarze Farbe nimmt. Und es wundert uns nicht, daß Nietzsche dabei auch über den Teertopf des keineswegs germanischen Journalisten Heinrich Heine geriet, um dieser Apotheke die Pillen für eine „Rehabilitation des Fleisches“ zu entnehmen, die gegen den sinnenfeindlichen Nazarener und seinen Anhang gerichtet sein sollte.

2.

In dieser Atmosphäre können wir uns nicht bewegen, wenn wir die ungeheuer ernste Frage nach dem Verhalten des Christen zum völ­kischen Wehrwillen beantworten müssen. Schopenhauer wußte nicht, was Wehrwille, Nietzsche nicht, was völkischer Wehrwille ist, und Heinrich Heine halten wir in beiden Fragen nicht für zuständig, wir können uns auch nicht durch diese Literaten und ihre Gemeinden da­rüber belehren lassen, was ein Christ ist oder sein soll. Ungeheuer ernst ist unsere Frage nicht nur in der privaten Sicht dieses oder jenes deutschen Soldaten. Sie ist es vielmehr ebenso und sogar in erster Linie, weil es eine Schicksalsfrage für das ganze deutsche Volk ist. Denn daß das deutsche Volk, seitdem es christianisiert wurde, an Wehrwillen nichts eingebüßt hat, daß es seitdem tausend Schlachten schlug, daß es Fremdherrschaften hinwegfegte, daß es sich bis zum äußersten zur Wehr setzte, wenn seine Existenz infrage gestellt war, das kann ja nie­mand bestreiten. Es kann auch niemand bestreiten, daß umgekehrt die gleichen dunklen Mächte, die Jahrzehntelang den deutschen Wehrwillen zu zermürben suchten, auch den christlichen Glauben und die christliche Kirche zu verhöhnen und zu zerstören versuchten. Die Frage aber, wie das deutsche Volk einem künftigen Angriff auf seine Existenz stand­hält, wenn ihm der christliche Glaube aus dem Herzen gerissen und wenn es daran gewöhnt würde, daß das Heilige, das die christliche Kirche in seiner Mitte zu hüten hat, verächtlich gemacht wird, diese Frage ist zwar im Augenblick nur eine theoretische Frage. Aber sie ist trotzdem ungeheuer ernst. Denn es ist ein Unterschied, ob ein Volk eine christliche Kirche noch nicht kennt oder ob es sie kennt und verbrennt. Das Verbrennen ist, welche Stellung der Einzelne auch zum christlichen Glauben einnehmen mag, unter allen Umständen Ausdruck einer inneren Haltung ohne Ehrfurcht. Ohne Ehrfurcht gibt es aber auch keine echte Gottesfurcht. Und wie sich etwa der russische Mensch, der von Kindesbeinen an zu Ehrfurchtslosigkeit und Gottlosigkeit erzogen wird, in Zukunft schlagen wird, das — kann man noch nicht wissen.

Wir sind genötigt unsere Frage schon anders zu stellen als jene Literaten und ihre Nachfahren, weil wir in beider Hinsicht, sowohl als Christen wie als Träger des völkischen Wehrwillens nicht von einer fremden Sache reden, wir stehen dabei vielmehr vor einer doppel­ten Notwendigkeit, der wir uns nach keiner von beiden Seiten hin entziehen können, wir können hier nicht für eine von beiden optieren, wie uns die einflößen möchten, die uns vor jene angebliche Alterna­tive stellen.

Denn — erstens — ob wir Christen sind oder nicht, daß steht keinesfalls in unserm Belieben. Das gilt selbstverständlich für alle, die wissen, warum sie es sind, wir sind es nicht deshalb, weil wir ver­mutungsweise glauben, daß Gott in Wäldern und an heiligen Quellen wohnt, wir wissen zwar, daß wir ihm überall begegnen, wo wir den Abdruck seiner Schöpferhand erblicken. Aber wir wissen es nur des­halb, weil es uns gesagt wurde. Es muß den Menschen gesagt werden, daß sie Gott ihrem Herrn im Leben und Sterben unterworfen verantwortlich sind. Eben deshalb braucht unser Volk die Kirche, weil sie gerade dies den Menschen zu sagen hat und zwar so deutlich, daß sich keiner damit entschuldigen kann, er habe von Gott noch nichts ge­hört. Als christliche Kirche hat sie aber noch mehr zu sagen. Christlich ist sie erst und redet sie erst, wenn sie die Menschwerdung Gottes nicht verschweigt, wenn sie mit der gleichen Deutlichkeit verkündigt, daß er nicht ein schicksalsgewaltiger Tyrann ist, sondern daß er seine Krea­turen persönlich sucht, sie aus ihrer Verlorenheit an sich selbst und an die vergänglichen Dinge erlösen, daß er sich mit ihnen versöhnen will, daß er sie durch die Erlösung und Versöhnung zur Freiheit beruft, daß sie, weil sie von Sünde, Tod und Teufel und allen Mächten der Finsternis erlöst sind, diese auch nicht mehr zu fürchten haben und daß den Erlösten und Versöhnten die Freiheit des ewigen Lebens verheißen ist. Wem dies einmal gesagt wurde, der kann nachher niemals so tun, als ob er es nicht wüßte. Er kann dies alles nur entweder auf sich selbst beziehen oder er kann das ablehnen. Wer es auf sich selbst be­zieht, wer also gewiß ist, daß Gott nicht nur die Bäume und Quellen, sondern auch ihn selbst geschaffen hat, wer sich ihm verantwortlich weiß, wer gewiß ist, daß die Erlösung und Versöhnung nicht nur andern gilt sondern ihm selbst, der ist ein Christ. Denn dieses Wissen darum, daß alles mir gilt, das ist der Glaube, wer glaubt oder wer ein Christ ist, kann sich und wird sich nie einbilden, daß er selbst damit über das, was er glaubt, verfügt. Er weiß vielmehr, daß damit über ihn verfügt ist und zwar von Gott selbst, der ihn zum Glauben, zur Freiheit und zum ewigen Leben berufen hat. Deshalb ist es, wie ge­sagt, jedem Christen selbstverständlich, daß es nicht in seinem Belieben steht, ob er Christ sein will oder nicht.

Wie es sich mit denen verhält, denen das ebenfalls gesagt wurde, die es aber nicht auf sich beziehen, das alles gehe sie nichts an oder es sacke oder es sei Unsinn, diese Frage unserm Thema. Nur soviel sei dazu die vielmehr der Meinung und, sei nicht wahr oder es sei Nebensache oder es sei Unsinn, diese Frage gehört jetzt nicht unmittelbar zu unserm Thema. Nur soviel sei bemerkt, daß sie im Irrtum sind, wenn sie glauben, sie könnten sich auf diese Weise der Wirksamkeit der christlichen Botschaft entziehen. Auch ihre Ablehnung ist eine Wirkung da-von, und zwar eine sehr kräftige, die sich meistens schon darin zeigt, daß sie die Christen nicht in Rube lassen können, sondern bei jeder Gelegenheit mit ihnen Streit anfangen. Unser Thema heißt aber „der Christ und der völkische Wehrwille“ und ich darf also nun voraussetzen, daß die Christen unter meinen Zuhörern mit mir der Überzeugung sind, daß das Christsein nicht in unser Belieben gestellt ist, weil wir von Gott selbst dazu berufen sind.

3.

Ebenso verhält es sich aber — zweitens — mit der andern Re­alität, von der in unserm Thema die Rede ist. Vom völkischen Wehr- willen kann man allerdings nur reden, wenn man klar gestellt hat, was völkisch und also auch was Volk heißt. Mit irgendeiner ab­strakten Definition ist hier selbstverständlich nicht gedient. Denn auch das könnte uns wieder in Versuchung führen, vom Volk und vom Völkischen wie von einer fremden Sache zu reden. Es ist aber unsere eigene Sache. Die Sache dieses, unseres, des deutschen Volkes — und das ist das einzige Volk, das uns vor Entscheidungsfragen stellen kann — die Sache dieses Volkes ist mit unserer eigenen menschlichen Existenz identisch. Es ist ebenso wenig in unser Belieben gestellt, ob wir Deutsche sind oder sein wollen, wie, ob wir Christen sind oder sein wollen. Zwar kann sich ebenfalls wieder einer gegen die darin liegende Forderung ablehnend verhalten wie gegenüber der christlichen Botschaft und gegenüber dem christlichen Glauben. Aber auch hier macht die Ablehnung die Forderung selbst nicht unwirksam. Das eine ist verrat am christlichen Glauben, das andere verrat am deutschen Volke. So oder so müssen wir Stellung nehmen, weil wir über beide Realitäten nicht verfügen können, weil beidemal über uns verfügt ist.

Selbstverständlich ist das Verfügtsein, durch das wir an das deutsche Volk gebunden sind, anderer Art als unsere Bindung an den christlichen Glauben. Aber es ist deshalb nicht weniger unentrinnbar. Deutsch sind wir, weil eine deutsche Mutter uns geboren hat, weil das deutsche Blut in unsern Adern fließt, weil wir durch unser Blut den Charakter unseres Volkes an uns tragen, wir können das deutsche Blut in uns vergiften, wir können den deutschen Charakter in uns verderben, aber die Tatsache der schicksalsmäßigen Bindung an unser Volk können wir damit nicht rückgängig machen. Durch diese Bindung war über uns bereits verfügt, bevor wir geboren wurden. Aber auch über den Vater, die Mutter, durch die das deutsche Blut unmittelbar auf uns vererbt wurde, war schon vor ihrer Geburt verfügt, und über deren Eltern, Voreltern und Urahnen ebenfalls. Der blutmäßige Zusammenhang, dem wir unentrinnbar eingefügt sind, reicht also über alle individuellen Bezüge hinaus. Wenn wir vom Volk und vom Völkischen reden, so ist das nicht etwa nur eine private Angelegenheit einzelner Personen, die zu unserm Volk gehören, sondern es ist ein überpersönliches Ganzes da, mit eigener Lebendigkeit, eigener innerer Art, eigenem Charakter und eigenem Schicksal. Ein Ganzes, über das nicht wir verfügen, sondern das über uns verfügt. Es lebte längst, ehe wir da waren und es wird leben, wenn wir längst tot sind.

Daraus folgt ferner, daß man über das deutsche Volk nicht wie über eine Eintagsfliege reden kann, die heute erst aus dem Ei geschlüpft ist. Über Wert, Leistung, Schicksal eines Einzelnen kann man erst abschließend urteilen, wenn sein Leben vollendet ist. Dann blickt man aber nicht auf einen einzelnen Moment, sondern auf seinen ganzen Lebenslauf. Ebenso erschöpft sich der Sinn, der Charakter, das Schicksal eines Volkes nicht in einem einzelnen Augenblick. Was das englische Volk ist, kann man nicht sagen, wenn man es nur im Querschnitt seiner gegenwärtigen Existenz betrachtet. Es wäre eine Unterschlagung, wollte man dabei verschweigen, daß es Shakespeare und Cromwell, Nelson und Wellington, Ritchener und Cecil Rhodes hervorgebracht hat und von ihnen geformt wurde. Wer Preußen charakterisieren will, kann nicht von Friedrich dem Großen schweigen. Ebenso besteht das deutsche Volk nicht nur aus unsern Zeitgenossen. Auch die vergangenen Geschlechter gehören dazu. Und es wäre eine Gemeinheit, wollte man sich über das, was unsere Toten waren und wollten, hinwegsetzen, weil sie nicht mehr selber reden können.

Der blutmäßige Zusammenhang ist also nicht das einzige, was uns an unser Volk bindet, wir stehen mit dem Ganzen nicht nur physisch in Verbindung wie ein Bienenschwarm nur physisch in sich verwandt ist, weil alle von derselben Königin abstammen. Schon wenn wir vom völkischen Charakter reden, meinen wir mehr, wir meinen damit das Ethos des Volkes, das zwar blutmäßig bedingt ist, aber mit rein biologischen Maßstäben nicht mehr gemessen und be­urteilt werden kann. Vollends die Ehre, die Treue, die Leistung, die Freiheit eines Volkes sind unbiologische Realitäten, weil bei alledem Geist und Wille des ganzen Volkes tätig sein müssen, über die der Bienenschwarm trotz gemeinsamer Abstammung nicht verfügt.

Erst wenn man das begriffen hat, wird man verstehen, daß es keine bloße Redensart ist, wenn wir Christen bekennen, daß uns Gott an dieses unser Volk gebunden, daß er uns in diesen völkischen Ge­samtzusammenhang hineingebunden hat. Daß wir es bekennen müssen, hat einen doppelten Grund. Einmal verdanken wir unsere persönliche Existenz seinem Schöpferwillen, und das heißt nun nicht nur, daß wir überhaupt existieren, sondern daß er unser konkretes Schicksal, also auch diesen unsern Leib, dieses unser Blut, und also unsere deutsche Existenz gewollt und bestimmt hat. was wir daraus gemacht haben, ist freilich unser eigenes Werk und darum mit Verschuldung aller Art verknüpft. Ebenso ist das, was der Schöpfer wollte, auch durch ver­gangene Geschlechter mannigfach nicht zur Erfüllung gebracht und verdorben worden, wir müssen also ungefragt auch die Verschuldungen der Ahnen mit uns herumschleppen. Aber daß wir das tragen müssen, das können wir ebenso wenig ohne Gottes Willen denken wie die Tatsache, daß wir das deutsche Blut geerbt haben. Es braucht kaum hinzugefügt zu werden, daß der Christ gerade aus diesem Grunde, gerade weil er sich hier dem Schöpfer verpflichtet weiß, mit entschlossenem Ernst auch für die biologische Reinerhaltung des deutschen Blutes einzusetzen hat, die heute durch unsere Gesetzgebung gefordert und gefördert wird.

Indessen unser Bekenntnis, daß wir unsere völkische Bindung vor Gott verantworten müssen, hat, wie gesagt, noch einen andern Grund, weist der blutmäßige Zusammenhang auf ein überpersönliches Ganzes hin, mit eigener Lebendigkeit, eigenem Charakter, eigenem Schicksal, das sich aus dem Schicksal der Einzelnen nicht ohne weiteres ablesen läßt, so können wir uns nicht von dem Bekenntnis entbinden, daß der Schöpfer auch dieses überpersönliche Leben und dieses überpersön­liche Schicksal des volksganzen wollte und daß er selbst es ist, der dieses Leben und dieses Schicksal überwacht und seinen eigenen gött­lichen Absichten dienstbar macht. Denn wie wir kein Leben ohne den Schöpfer denken können, so auch nicht das Leben der ganzen Volks­körper, die den Lebenslauf ihrer einzelnen Mitglieder überdauern.

Dann wird aber durch die völkische Existenz gerade für den Christen der Rahmen persönlicher Verfügbarkeit vollkommen und endgültig gesprengt, welche Folgerungen ich Einzelner aus meiner blutmäßigen Bindung ziehe, das könnte noch als meinem Belieben überlassen erscheinen — obgleich auch das in Wirklichkeit eine Täuschung ist. Über die Existenz, das Leben, das Ethos eines Volksganzen kann aber ein Einzelner unter keinen Um­ständen verfügen. Denn das Volksganze umfaßt, wie gesagt, den ge­samten Lebenslauf des Volkes. Kein Heutiger kann aber mehr ändern, was das Volk war, wollte und erreicht hat — das ist vielmehr In­halt seiner Geschichte, an der nicht mehr zu rütteln ist. Und auch der mächtigste Fürst kann nicht darüber verfügen, ob und wie sein Volk in einem Jahrhundert existieren wird, Er kann alles tun, und wenn das Leben seines Volkes den Inhalt seines Wollens und Herrschens bildet, so wird er alles tun, alle Kräfte des Volkes mobilisieren, um es am Leben, um es gesund und rein zu erhalten, um es gottes­fürchtig, ehrliebend und mächtig zu machen. Aber was tatsächlich nach seinem eigenen Tode daraus wird, das bat er nicht mehr in der Hand. Das Volksganze steht allen seinen Gliedern, auch den mächtigsten unter ihnen, als eine über unsern Lebensraum hinausgreifende Realität gegenüber, das zwar, weil alles Lebendige ein Gebilde Gottes ist, seine einzelnen Glieder für sich beansprucht und in seine Pflicht nimmt, aber zu­gleich sein Leben für sich lebt, ohne nach dem Einzelnen zu fragen.

4.

Fragen wir jetzt weiter nach dem Sinn, dem Träger, der Er­füllung des völkischen Wehrwillens, so heißt dieser Wille selbstverständlich deshalb völkisch, weil er der Wille des Volkes ist. Es ist also nicht der Wille Einzelner, auch nicht der Wille eines einzelnen Mächtigen, auch nicht der Wille der Summe aller Einzelnen, sondern der Wille jenes Volksganzen, das den Lebensraum jedes Einzelnen überdauert, über das kein Einzelner verfügt, sondern von dem über alle Einzelnen verfügt wird. Daß wir diesem Volksganzen einen Willen zuschreiben, ist formell darin begründet, daß es Eigenleben besitzt, daß es wie jedes Leben, das vom Schöpfer stammt, leben will und eben weil es vom Schöpfer gewollt ist, auch leben soll. Wir sprechen hier weiter vom Willen und nicht nur von Instinkten, weil sich der Lebenswille eines Volkes von dem dunklen Trieb zum Leben, den wir bei niedrig siebenden Organismen wahrnehmen, dadurch unter­scheidet, daß er bewußt ist oder doch bewußt sein soll und kann.

Das Wollen eines Volkes kann aber, weil es etwas andres ist als das Wollen Einzelner, nur erfüllt, nur zur Tat werden, wenn das Volksganze als solches auch aktionsfähig ist. Aktionsfähig wird ein Volk aber nur im Staat. Das Verhältnis von Volk und Staat läßt sich — zwar nicht erschöpfend, aber für unsern Zusammenhang ausreichend — so ausdrücken: Der Staat ordnet die Masse der Volks­glieder so, daß eine Führung des Ganzen durch bestimmte Organe möglich wird und zweitens so, daß diese Organe imstande sind, den Willen des Ganzen durchzusetzen. Der Staat ist also, wenn er wirklich um des Volkes, nicht um einzelner Nutznießer willen da ist, immer zugleich völkische Staatsordnung und völkische Staatsgewalt oder Staats­macht, das zweite deshalb, weil ohne Macht kein Wille durchgesetzt werden kann.

Politik ist das dementsprechende Handeln der Staatsführung. Ihr Weg erscheint verhältnismäßig einfach, wenn ein klarer Wille des Volksganzen erkennbar ist. Aber wo und wie ist er erkennbar? Man kann es verstehen, wenn in den europäischen Völkern unter der Herr­schaft des Absolutismus die Meinung aufkam und sich schließlich durchsetzte, daß der Wille des Volkes durch Befragung aller einzelnen Glieder des Volkes festzustellen sei. Aber praktisch hat sich inzwischen gezeigt, daß Abstimmungen fast immer widerstreitende Willensäußerungen ergeben und daß alsdann eine Mehrheit bloß auf Grund des Zahlen­verhältnisses von vielleicht 51 : 49 die Minderheit terrorisiert. Die Abstimmungsmethode bei der Feststellung des Volkswillens ist aber nicht nur unzulänglich, weil dabei das Wertvolle, das immer in der Minder­heit ist, unterdrückt wird. Sie ist auch immer lebensgefährlich für das Ganze, weil dabei keine Gewähr geboten ist, daß sich die Einzelnen vom Gedanken an das Volksganze und nicht vielmehr von ihren Privat­interessen, Privatwünschen, Privatgefühlen leiten lassen. Das ganze System hat wenigstens bei uns die völkische Willensbildung nicht ge­fördert, sondern im Gegenteil zerstört, es hat dazu geführt, daß große Teile unseres Volkes dem Stimmenfang von einzelnen Gruppen mit Sonderinteressen zum Opfer fielen und daß alsdann diese Gruppen im Falle des Erfolges die Führung des Staates übernahmen. Des­halb liegt das wahrhaft Epochemachende und Befreiende der national­sozialistischen Staatsordnung darin, daß sie aus diesen Erfahrungen die Folgerungen zog und daran gegangen ist, eine einheitliche Willensbildung des deutschen Volkes überhaupt erst wiederherzustellen. Denn wie kein Wille ohne Macht durchgesetzt werden kann, so ist der Macht­gebrauch ohne Sinn, wenn er nicht von einem zielbewußten Willen geleitet wird.

Unter den möglichen Inhalten der Willensbildung eines Volkes nimmt aber einer einen besonderen Rang ein. Das ist der Wille zur Lebenserhaltung überhaupt, der Wille zur Behauptung der Existenz. Dieser Wille eignet jedem Volk, solange es noch so ge­nannt zu werden verdient, d. h. solange es überhaupt noch ein alle Einzelleben transzendierendes Gesamtleben führt. Das Ganze steht hier aber immer gewissermaßen im Wettbewerb mit seinen einzelnen Gliedern. Auch die Einzelnen müssen auf Erhaltung ihrer Existenz bedacht sein. Und die Erfahrung lehrt, daß sie ohne Staatsführung, die das Volksganze bewußt und entschlossen im Auge behält, sehr bald der Versuchung unterliegen, ihren privaten Lebenswillen zum einzigen Motiv alles Denkens, Handelns und Genießens zu machen. Wir Christen wissen, warum das so ist. Denn die eigensüchtige Selbst­behauptung unseres Ich ist ein wesentliches Merkmal der Erbsünde. In diesem Wettbewerb der privaten Eigensucht und den Lebensnot­wendigkeiten des Volksganzen muß sich die Staatsgewalt notwendig nach innen wenden. Sie tut es durch Aufstellung und Handhabung der Rechtsordnung, die den Lebensnotwendigkeiten aller Einzelnen Rechnung trägt, zugleich aber darüber wacht, daß der Lebenswille des Ganzen dadurch nicht gefährdet, sondern im Gegenteil geschützt, gestärkt und gegen alle inneren Konkurrenten durchgesetzt wird.

Und nun braucht kaum noch gesagt zu werden, welchen Sinn der völkische Wehrwille hat. Er ist der Wille des Volksganzen, sich zur Wehr zu setzen, wenn die Existenz des Volkes durch Dritte in Frage gestellt wird. Wohlgemerkt: des Volksganzen, also des Volkes, das als Ganzes nur im Staat aktionsfähig ist. Dieser Wehrwille ist für jede Staatsführung, die nicht einer bestimmten Gruppe oder Einzel­personen und Privatinteressen dient, die primitivste Voraussetzung ihrer eigenen Existenz. Sie kann über diesen Willen nicht frei verfügen, weil sie vielmehr umgekehrt selbst nur das aktionsfähige Organ dieses willens ist. Auf der anderen Seite muß sie aber frei verfügen über die Mittel, d. h. selbstverständlich in erster Linie über die Machtmittel, mit denen allein sie diesen willen durchsetzen kann. Diese Mittel stehen ihr in den menschlichen und materiellen Kräften des eigenen Volkes zur Verfügung und, da die irdische Welt unter den verschiedenen Völkern und Staatsgewalten aufgeteilt ist, nur in diesen. Geht es wirklich um die Existenz des Volksganzen, so darf sie auch nicht da­vor zurückschrecken, den Einzelnen für das Leben des Ganzen zu opfern. Hier wird das entsetzliche Verhängnis deutlich, das sich einstellen muß, wenn hinter einer Staatsführung nicht ein einheitlicher Volkswille steht und vor allem, wenn sie nicht mit allen Staats­angehörigen durch das gleiche Blut verbunden ist. Denn wie soll man es rechtfertigen, daß eine Staatsgewalt Glieder eines fremden Volkes für ihre Zwecke opfert? Und welche Einsatzbereitschaft kann man von Männern erwarten, die einem an sich staatsfähigen Volkstum angehören, die sich aber für eine ihnen volksfremde Staatsgewalt opfern lassen sollen? An diesem Verhängnis ist die österreichisch-ungarische Monarchie zugrunde gegangen.

5.

Nun endlich zurück zum Verhalten des Christen zum völkischen Wehrwillen. Es wird nun deutlich geworden sein, worin der Grund­irrtum jener Literaten besteht, die das, was sie für christliche Moral halten, für unvereinbar mit dem völkischen Wehrwillen erklären und die daraus die Alternative zwischen beiden konstruieren möchten. Er betteln darin, daß sie den Christen eine politische Anwendung einiger Sätze der Bergpredigt zuschreiben, ja man kann fast sagen, aufnötigen wollen, um dann die christliche Lehre überhaupt für staatsfeindlich erklären zu können. Das sind dieselben Leute, die der christlichen Kirche Abhängigkeit vom Alten Testament vorwerfen, obwohl, wenn das richtig wäre, die Christen gerade aus dem Alten Testament die Unvermeidlichkeit kriegerischer Auseinandersetzung lernen könnten. Denn es gibt kein Buck der Welt, das den Krieg so eindeutig als Mittel göttlicher Weltregierung erkennen läßt wie dieses. Das Bild ist auch im Neuen Testament nicht anders geworden. Und daß es sich in der christlichen Kirche nicht gewandelt hat, dafür braucht nur an Männer wie Augustin, Luther, Cromwell erinnert zu werden.

Die Frage nach Sinn und Recht des völkischen Wehrwillens kann in der Sicht des einzelnen Christen überhaupt nicht beantwortet werden, was ihn zum Christen macht, ist keine völki­sche Angelegenheit. Es ist sein christlicher Glaube an seinen Schöpfer, an seinen Erlöser, an die Vergebung und an das ewige Leben. Dieser Glaube stammt nicht aus dieser Welt und kann auch nicht durch diese Welt erhalten werden. Dieser Glaube macht aber deshalb den Christen noch nicht zu einem unirdischen Geistwesen. Er wandelt ihn zwar von Grund aus. Er löst ihn heraus aus seiner Verlorenheit an sich selbst, er löst ihn von der Sorge um die eigene Existenz, er macht ihn bereit und fähig zu jedem Opfer, jeder Hingabe, jedem Verzicht. Er öffnet ihm das Auge dafür, daß er seine gesamte Existenz, daß er alles, was er ist und hat, wirklich alles, also auch seine völkische Existenz von seinem Schöpfer und Herrn erhalten hat, und daß es gerade, weil es von Gott verliehen wurde, von ihm bejaht und erfüllt werden muß. Er lehrt das Kind, daß es das, wozu es von Gott bestimmt wurde, nämlich Kind zu sein, nur sein kann in Liebe und Gehorsam gegen den Vater und umgekehrt. Ebenso das Weib im Verhältnis zum Mann und umgekehrt. Er treibt uns auch in das Volksganze hinein wie das Kind zur Mutter.

Aber gerade weil sich der Christ dabei von Gott selbst getrieben weiß, so daß er sich nicht aus dem Volksganzen befreien kann, ohne in sein ungöttliches Eigenleben zurückzufallen, gerade deshalb kann kein anderer auch die Lebensnotwendigkeit des Ganzen so klar er­kennen und so rückhaltlos bejahen wie er. Er weiß, daß das Volks­ganze, vom Schöpfer gewollt, länger lebt und länger leben muß als er selbst und daß das Ganze über alle seine Glieder und also auch über ihn selber verfügen muß, wenn die Existenz des Ganzen auf dem Spiel steht. Er weiß endlich, daß die Entscheidung über das, was dem Ganzen lebensnotwendig ist, nicht in sein privates Ermessen gestellt ist.

Und daraus folgt, daß jene Sätze der Bergpredigt, deren poli­tische Deutung uns immer wieder suggeriert werden soll, auf ganze Volkskörper gar nicht anwendbar sind. Kein ehrlicher Leser der Bergpredigt kann auf den Gedanken kommen, daß Jesus darin Forderungen an das staatliche Handeln ganzer Völker richten wollte. Auch Tolstoi, der bekanntlich den Satz Matth. 5, 39 — „wider­strebet nicht dem Bösen“ — für den Kernpunkt der gesamten Ver­kündigung Jesu erklärt hat, konnte das ehrlicherweise nicht behaupten. Er folgerte vielmehr durchaus logisch, daß diese Deutung jede staat­liche Ordnung überhaupt auflösen müsse. Denn zum Wesen des Staates gehört es, daß er dem Bösen widerstrebt, wenn Jesus dies verbietet, meinte Tolstoi, so verbietet er damit auch den Staat. Das war folge­richtig gedacht. Aber es steht im Widerspruch zum gesamten übrigen Neuen Testament. Es sei nur an Paulus erinnert, der die Strafe der Bösen und den Schutz der andern für eine wesentliche Aufgabe der Staatsgewalt erklärt und der die Staatsgewalt gerade in ihrem Schwertgebrauch für Gottes Dienerin erklärt. Deshalb ist die antipolitische Deutung der Bergpredigt durch Tolstoi dem Christen ebenso unan­nehmbar wie seine in der Kreuzersonate vertretene Meinung, daß dem Christen aus ähnlichen Erwägungen die Ehe nicht möglich sei. Ich brauche kaum hinzuzufügen, daß Tolstois Deutung jenes Wortes Jesu auch durch die Tatsachen widerlegt ist. Er war der Meinung, das Böse werde, wenn man ihm nach seinem Verständnis jenes Wortes Jesu auch in der Staatsordnung nicht mehr widerstrebe, von selbst aufhören. Die russischen Christen, die als Anhänger Tolstois so handelten, sind heute ausgerottet. Aber das Böse ist in Rußland geblieben, wir können nicht glauben, daß es im Sinne Christi gelegen war, dem Bösen in der Welt in dieser Weise Raum zu gewähren.

Das Recht des völkischen Wehrwillens kann durch die Tolstoischen Gedanken nicht bestritten werden. Es kann aber auch nicht durch eine andere Deutung der Bergpredigt erhärtet werden. Es ist vielmehr ein Attribut ganzer Volkskörper, die als solche von Jesus gar nicht an­geredet werden, weil ihre staatliche Existenz, ihre staatliche Ordnung und ihr Machtgebrauch — theologisch gesprochen — in den Bereich des Gesetzes gehört, das Jesus Christus zwar nicht aufheben wollte, dessen Verkündigung und Durchführung aber auch nicht zu seiner Sendung gehörte.

6.

Handelt es sich also bei unserm Thema um eine völkische An­gelegenheit im strengen Sinne des Wortes, d. h. um eine Angelegen­heit der Staatsführung eines ganzen Volkes, die nicht in das Er­messen Einzelner, auch nicht in das private Ermessen eines Monarchen gestellt ist, so bleibt noch die Frage übrig, ob dann dies alles den Christen persönlich überhaupt noch etwas angeht. Das ist allerdings der Fall. Erstens nämlich, wenn Christen die staatliche Leitung eines Volkes in der Hand haben. Und das war in tausendjähriger Geschichte des deutschen Volkes die Regel. Zweitens aber ist gerade die Frage des völkischen Wehrwillens auch eine Angelegenheit jedes männlichen Christen, der die Waffen tragen kann.

Daß der Christ die Gemeinschaft seines Volkes nicht verleugnen kann, daß sein Glaube ihn nötigt, die Grundbedingung seiner irdischen Existenz aus der Hand Gottes entgegenzunehmen und daß er in Be­reitschaft, Dienst und Liebe die praktischen Folgerungen daraus zieht, haben wir erwiesen. Aber die Durchführung des Wehrwillens bedeutet ja nun nicht nur irgendeinen Dienst und irgendeine Bereitschaft, son­dern Waffendienst und Kampfbereitschaft. Das sind aber wirklich auch ganz persönliche Angelegenheiten, wobei der Einzelne in keiner Weise durch das, was ein anderer tut, entlastet werden kann. Der Wehrwille eines ganzen Volkes kann ohne diesen persönlichen Dienst und diese persönliche Kampfbereitschaft nicht durchgesetzt werden.

Und dabei kommt es in der Tat auch auf jeden Einzelnen als solchen an. Schon aus militärischen Gründen. Heute mehr als je. In den Gevierthaufen der sogen. Spießer des 15. Jahrhunderts be­deutete rein waffentechnisch der Einzelne nichts, der Haufe alles. Kaiser Maximilian verlängerte damals den Spieß auf fünf Meter. Es ist klar, daß der Einzelne mit einer solchen Waffe im Nahkampf so gut wie wehrlos ist. Die geschlossene, von Spießen starrende Front war hier alles. Und der Einzelne fühlte sich naturgemäß am sichersten, wenn er um keinen Fußbreit aus dieser Linie ausbrach. Ähnlich war es in der Zeit der großen Reiterangriffe, also im Dreißigjährigen Kriege und im 18. Jahrhundert. Und noch stärker war die Taktik der Tuchfühlung im Gefecht in den friederizianischen Pelotons ausgebildet. Hier haue der Einzelne genau genommen immer nur in zweifacher Hinsicht praktische Bedeutung. Einmal selbstverständlich als Führer und zweitens als möglicher Urheber einer Panik wie bei Kolin, wo beim Rückenangriff der sächsischen Reiter infolge des Angstrufes einiger Grenadiere die ganze starre Front von dreizehn preußischen Bataillonen zusammenbrach.

Aber dieses ganze System ist unmöglich geworden, seitdem es die Niederlage des preußischen Heeres im Jahre jedenfalls mitverursacht hat. Napoleon hat den Schützenschwarm eingeführt, also die aufgelöste Gefechtsordnung, bei der jeder seiner Tirailleurs auf sich selbst gestellt war. Er konnte das, weil jeder seiner Soldaten von der gleichen Idee besessen, von der gleichen Kampfgesinnung erfüllt war. Das wäre im Heer Friedrichs d. Gr. unmöglich gewesen, weil die Mehrzahl seiner Soldaten zum Dienst gepreßt war. Die Neubildung der preußischen Armee nach den Grundsätzen von 1809 hat das Wagnis unternommen, die neue Taktik auch in Preußen einzuführen. Es war ein Wagnis, denn es konnte nur gelingen, wenn alle Einzelnen von einem neuen Ethos erfüllt waren. Und nichts beweist so sehr die ge­waltige ethische Wandlung unseres Volkes in jenen Jahren wie die Tatsache, daß es geglückt ist. Am 19. Juli wurde die sogen. „leichte Infanterie“, die im aufgelösten Schützenschwarm focht, im Ge­fecht bei Eckau zum ersten Male eingesetzt — das preußische Hilfskorps mußte ja damals noch auf Napoleons Seite in Kurland gegen die Russen kämpfen. Am Abend konnte ihr Führer, der Hauptmann v. Hugo strahlend berichten: „Es in auch nicht ein einziger der Tirailleurs, welcher nicht an diesem Tage seine Schuldigkeit in vollstem Maße getan bat“.

Immerhin war damals und noch bis in die ersten Jahre des Weltkrieges hinein der Einzelne niemals allein auf dem Schlachtfeld. Er sah die andern und die andern sahen ihn. Es sahen ihn seine Führer. Noch in der Durchbruchsschlacht bei Gorlice, am 2. Mai 1915, konnte der Angriff ganzer Armeekorps vom Armeeführer per­sönlich beobachtet werden. Das ist heute vorbei. Heute beginnt der Ein­satz der Truppe mit der Tarnung, die sich zwar nicht gegen den Vorgesetzten sondern gegen den Feind richtet, aber dock praktisch zur Folge hat, daß es eine Masse, die durch ein einziges Kommando einheitlich in Bewegung gesetzt wird, praktisch kaum mehr gibt. Der Einzelne liegt in seinem Schützenloch oder hinter seinem Busch und muß über soviel Verstand und Entschlußkraft verfügen, um Waffe und Person im richtigen Augenblick selbständig einzusetzen.

7.

Und damit lenken wir zur letzten Frage zurück. Denn der Einzelne muß heute auch mehr als je über das notwendige Ethos ver­fügen. Der verstand allein kann ihm auch im kritischen Augenblick einflüstern: Das Liegenbleiben ist gemütlicher als das Aufstehen, und die Entschlußkraft allein kann ihn ebenso nach hinten wie nach vorne treiben. Es ist deshalb zweifellos richtig, daß, wo völkischer Wehrwille vorhanden ist oder geweckt und gepflegt werden soll, auch kämpferische Gesinnung den Einzelnen anerzogen werden muß. Denn das Kämpfertum ist ein notwendiges Moment in jenem Ethos des Einzelnen, der auf dem Schlachtfelde so gut wie allein ist. Es ist ferner richtig, daß die kämpferische Gesinnung sich in erster Linie im Angriff bewährt. Allein sie kann sich unmöglich darin erschöpfen. Der Angriffswille der Artillerie äußert sich bei dem einzelnen Kanonier im Laden, Richten und Abziehen, vom Gegner sieht er nichts. Und auch der Schütze zielt und drückt ab auf einen unsichtbaren Anonymus. Es fehlt größtenteils das Auge in Auge des früheren Nahkampfes. Schon im letzten Kriege konnte daher jener Musketier auf die briefliche Anfrage seiner Mutter, wie es ihm denn im Felde gefalle, antworten: „Das Hinschießen ist ganz schön, wenn nur das Herschießen nicht wäre“.

Dieser Mann hatte den Kernpunkt des ganzen kämpferischen Ethos erfaßt. Zum Kampf gehören immer zwei, und deshalb ist auch alles sogenannte Kämpfertum so lange bloße Artistik, als es nicht auf Kreu­zen der Klinge mit einem ebenbürtigen Gegner abzweckt. Nur Literaten wie Nietzsche und sein Anhang können glauben, die schwerste Frage für den Soldaten sei, ob er andere umbringen darf. Diese Frage ist für ihn nicht mehr diskutabel, sobald er weiß, daß ein anderes Volk aufsteht, um das seine zu vernichten. Nur jene können glauben, daß ihm dazu ein persönlicher Haß des einzelnen Gegners anerzogen werden muß, der mit der Bergpredigt allerdings im Widerspruch stünde. Es war der jüdische Dichterling Ernst Lissauer, der im letzten Kriege seinen sogenannten „Haßgesang“ unter die Leute brachte. Ich kann nicht finden, daß der Haß dadurch als Eigentümlichkeit des deutschen Cha­rakters ausgewiesen wäre. Ich sehe nicht ein, inwiefern es undeutsch gehandelt war, wenn man die Russen, die wie auf Kommando beim Anblick der deutschen Bajonette die Hände hockhoben, am Leben ließ. Ich bin sogar so altmodisch zu glauben, daß zum echten Kämpfertum die Ritterlichkeit gehört, auch wenn sie im Wortschatz mancher Kämpfertumstheoretiker nicht mehr vorkommt, jene Ritterlichkeit, mit der das 11. bayerische Regiment am 25. September 1914 vor der nach tapferer Gegenwehr erlegenen Besatzung des Forts Camps des Romains das Gewehr präsentierte.

Schwerer als das Umbringen ist immer, das haue jener Musketier richtig erfaßt, das Sichumbringenlassen. Es ist der Sinn jedes Kampfes, dem Gegner das Schicksal zu bereiten, das er einem selbst zugedacht hat. Und jeder Kämpfer sucht den Sieg, der ebenso die eigene Er­haltung wie den Untergang des Gegners bedeutet. Aber dazu gehört der Einsatz, nicht nur der eigenen Kampfmittel sondern auch des eigenen Lebens. Hier erst liegt das eigentliche ethische Problem des einzelnen Kämpfers und zugleich seine Lösung. Der Sieg, der zur Sicherung des Lebens unseres ganzen Volkes erstritten werden soll, ist immer ein hohes Ziel. Aber ihn durch Vernichtung des Gegners anzustreben, ist nur gerechtfertigt, wenn man den ebenbürtigen Preis dafür zu zahlen bereit ist, das eigene Leben.

Und das ist zuletzt eine ganz persönliche Angelegenheit, wir wollen die Kunst der Massenpsychologie, die Möglichkeiten einer Be­einflussung aller Kämpfer wie auch des Hinterlandes durch die Presse nicht gering einschätzen. Wir kennen auch wie Nietzsche den Rausch der Militärmusik. Und im Gegensatz zu dem Bericht Nietzsches über das Jammergeschrei der Verwundeten erinnern wir uns daran, wie der Anruf an den im Todeskampf ringenden Fahnenjunker auf dem blutigen Feld von St. Privat: „Junker hier wird still gestorben“ Gehorsam fand. Aber das alles kann nichts daran ändern, daß das Sterben und die Bereitschaft dazu eine ganz persönliche Angelegen­heit ist.

Wir sprechen die Fähigkeit dazu niemand ab. Wir nehmen sie aber auch für den Christen in Anspruch. Denn er hat, was jeder echte Kämpfer am nötigsten braucht: er hat Frieden im Herzen. Wer mit seinem Gott im reinen ist, der kann auch mit der Welt abschließen. Denn wer nicht nur im Rausch des großen Augenblicks sondern stundenlang, tage- und nächtelang, monatelang bereit sein will, den letzten Preis für den Sieg zu zahlen, der muß mit der Welt abgeschlossen haben. Der Christ weiß so gut wie jeder andere, wie schwer das ist. Aber wer an seinen Erlöser glaubt, wer sich mit Gott versöhnt weiß, der fürchtet sich vor keinem Menschen mehr. Er fürchtet die Hölle nicht. Er fürchtet auch den Tod nicht. Er weiß, daß der Sieg vom Herrn kommt. Er weiß, daß sein Leben in Gottes Hand steht und daß er, wenn er fällt, vom Arm des barmherzigen Gottes aufgefangen wird.

Kämpfertum, das sich seinen Gegner in der christlichen Kirche sucht, imponiert uns nicht, weil der dabei zu zahlende Preis zu niedrig ist. wenn hier und da Theologen für unerwünscht erklärt werden, so läßt uns das persönlich kalt. Die Theologen haben wie die Christen ihr Kämpfertum und ihre Todesbereitschaft erwiesen. Ich erinnere hier nur an einen Einzigen, an den Leipziger Neutestamentler Gregory, zu dessen Füßen wir einst in diesem Raume saßen. Er meldete sich 1914 im Alter von 70 Jahren, obwohl er nie Soldat gewesen war, als Kriegsfreiwilliger, nahm die Rekrutenausbildung auf sich und ist als ein Held gestorben. Wir wissen, daß unser Volk in der schwersten Stunde auch die Christen, auch die Theologen brauchen wird. Und — wir sind bereit. Denn wir kennen das Geheimnis des christlichen Kämpfers, das die Wotansgläubigen nie verstehen werden, das Ge­heimnis, das einst der alte Veit Ludwig v. Seckendorf mit den Worten umschrieb, er habe — es war im Dreißigjährigen Kriege — viel Männer gekannt, die „daheim fromm wie die Lämmer und mehr als ein Priester gebetet, aber im Gefecht als die Löwen gefochten“.

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