Rezension zu Hans Joachim Iwands Predigtmeditationen
Von Rudolf Landau
Hans Joachim Iwand: Predigt-Meditationen 1, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 4. Aufl., 1977. 700 S., DM 68,—.
Das Buch, das ich hier anzeigen möchte, halte ich für einen der größten Schätze, die der Gemeinde Christi und ihren Predigern in der neueren Zeit anvertraut wurden. In Anwendung eines Wortes von L. Börne öffne ich diese Schatzkammer: „Die Schätze, die er hinterlassen, sind nicht alle gemünztes Gold, das man nur einzurollen braucht. Wir finden Barren von Gold und Silber, Kleinodien, nackte Edelsteine, Schaumünzen, die der Gewürzkrämer als Bezahlung abweist, aufgespeicherte, ungemahlne Brotfrucht und Äcker genug, worauf noch die spätesten Enkel ernten werden. Solcher Reichtum hat manches Urteil arm gemacht.“
H. J. Iwand (1899—1960) war ein begnadeter Theologe und Prediger, der, um die Verantwortung des Predigers wissend, der Gemeinde in ihrer Zeit die Zeit Gottes als das barmherzige Heute ansagte, das Gott als seine Gerechtigkeit in Jesus Christus ein für allemal gesetzt hat.
Er weiß darum, wie die Kirche das ihr anvertraute Pfand der Botschaft von der Vergebung verscherzen kann: seine Meditationen, nach dem II. Weltkrieg geschrieben, geben Kunde von dem für uns heute oft schon „märchenhaften“ Kirchenkampf, an der kein Kundiger vorbeigehen darf. Sie deuten diese Zeit der Kirche prophetisch, ebenso wie sie in vollmächtiger Schärfe die Auseinandersetzungen in der im Aufbau befindlichen Bundesrepublik Deutschland an der Schrift messen. Eine Auseinandersetzung im sogenannten „Wiederaufbau“ und „Wirtschaftswunder“, welche Iwand immer gesehen hat unter der Frage, ob die hier beteiligte Kirche die Predigt der Vergebung allein aus Gnade auch in der Politik — jawohl, bei Strafe des Gerichtes Gottes auch da! — auszurichten wisse oder sich den Mächten der Welt anpasse und so ihren Herrn verrate.
Daran, wie auch an der sich in fast allen Meditationen findenden Auseinandersetzung und souveräner Aufnahme der Exegese der fünfziger Jahre, geht man nur mit großem Schaden vorbei. Die Ernte kann heute in die Scheuer gefahren werden, wenn wir als Söhne und Enkel nur Ohren hätten, zu hören.
Aber diese theologie- und kirchengeschichtlichen Edelsteine sind noch nicht der Schatz insgesamt. Die Kleinodien fangen erst an zu glänzen, wenn der Leser der Sonne ansichtig wird, die hier alles bescheint: das große Licht der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes, in das Iwand von der Schrift her seine Zeitgenossen hineinstellt, in dem er aber auch die biblischen Texte Alten und Neuen Testaments zum Strahlen bringt, indem er sie hineinhält in die Gegenwart dieses Gottes, der richtet und rechtfertigt in seiner Gnade. Die Ostersonne strahlt auf auch in der Strenge und Gewißheit, in der Iwand redet.
Nur so kommen auch die Väter, allen voran die Reformatoren, die er immer wieder in Fülle zitiert und als Zeugen der Treue Gottes aufruft, ins rechte Licht. Iwand, der Verfasser, tritt hinter die Schrift und die Väter zurück, ihnen den ersten Platz einräumend im Zeugnis für die wahre Kirche und ihren Herrn. So sammelt er Schätze für unseren Umgang mit der langen Reihe der Zeugen.
Die leidenschaftliche Frage nach der wahren Kirche ist es aber, die einen durch dieses ganze Buch hin in Atem hält und deutlich werden läßt, wie weit wir Theologen und Gemeindeglieder heute weithin von den zentralen, entscheidenden Fragen uns entfernt haben.
Wer hier hört, wird mit dieser Frage nicht mehr zur Ruhe kommen. Darum Meditationen, darum Predigt: „Das Wort ist hier immer das laufende, lebendige, seine Boten hinter sich herzwingende Wort, es ist Subjekt seiner Botschaft … Diese Kirche … predigt nicht nebenbei, die Predigt ist für sie nicht eine der mancherlei ‚liturgischen‘ Funktionen, die zu dem .Eigenleben‘ der Kir- ehe gehören, sondern diese Kirche existiert um der Predigt willen und durch die Predigt; mit der Verkündigung fällt für sie jeweils die Entscheidung über ihr Sein und Nicht-Sein. Sie exponiert sich, indem sie predigt. Sie setzt immer aufs neue in ihrer Verkündigung ihre irdische, ihre rechtliche, ihre ‚kirchliche‘ Existenz aufs Spiel, um sie dank der ihre Verkündigung begleitenden Zeichen und Wunder Gottes neu geschenkt zu erhalten“ (S. 396/97, Meditation zu Apg 13, 44 bis 52).
Der Band ist nicht nur ein Buch für Prediger, nicht eine der — heute so gebräuchlichen — Gebrauchsanweisungen, die doch häufig nur ins Gerede auf der Kanzel führen: man muß dem Gesagten standhalten, dem Glanz der hier verkündigten Gnade sich aussetzen, um neu, wirklich neu predigen zu lernen.
Für die Gemeinde ist das Buch geeignet als eine Art „Bibellese“, in der sie allein oder in Anleitung durch ihren Pfarrer und Prediger in eine Schatzkammer eintreten kann, die Gott seiner Kirche gebaut hat im Chor seiner Zeugen von Anfang an.
Darauf möchte ich aufmerksam machen: wer hier vorbeigeht, bringt sich um eine wunderbare Fülle von geistlichen, theologischen Erkenntnissen, die nur ein Ziel haben: die Tore weit zu machen für Gott, denn: „So gewiß Jesus Christus unter uns erschienen ist, so gewiß ist die Gottesherrschaft keine Möglichkeit, sondern eine Wirklichkeit, nein mehr, die Wirklichkeit — die eine, bleibende, in allem Vergehn aufgehende Wirklichkeit, die allein diesen Namen verdient“ (S. 134).
Quelle: Theologische Beiträge 10 (1979), S. 184f.