Hermann Sasses persönliche Erklärung zur Barmer Theologischen Erklärung vom 31. Mai 1934: „Indem die Synode die bei einer Beschlussfassung über Bekenntnisfragen gebotene itio in partes vermieden, vielmehr als ganze eine Lehrerklärung angenommen hat, hat sie sich faktisch als Lehrinstanz für Lutheraner und Reformierte erklärt. Als solche kann sie von der Kirche Augsburgischen Bekenntnisses niemals anerkannt werden, da die lutherischen Bekennt­nisse eine über den Konfessionen stehende evangelische Kirche und ein Lehramt einer solchen Kirche nicht kennen.“

Persönliche Erklärung zur Barmer Theologischen Erklärung vom 31. Mai 1934

Von Hermann Sasse

Zu dem der Bekenntnissynode von ihrem Theologischen Aus­schuss vorgelegten und von der Synode angenommenen Text habe ich als Mitglied der Synode folgendes zu erklären:

1.) Die in den Sätzen 1-6 dargelegten biblischen Wahrheiten und die in diesen Sätzen ebenfalls ausgesprochene Verwerfung von Irrlehren finden meine Zustimmung, obwohl ich der Meinung bin, dass der Text hier und da von lutherischen Theologen anders ausgelegt werden kann als von Theologen reformierten Bekenntnisses. Diese Sätze hätten von der Synode als ein theologisches Gutachten entgegenge­nommen werden können als Grundlage für die weitere Arbeit von Theo­logenkonventen an der Klärung der Frage, welche Irrlehren heute in den evangelischen Kirchen lutherischen und reformierten Bekenntnis­ses zu verwerfen sind.

2.) Diese Sätze durften jedoch unter keinen Umständen von der Synode als ganze angenommen werden, weil die Synode mit dieser Annahme das Lehramt über lutherische und reformierte Gemeinden in Anspruch nahm. Was reine Lehre und was Irrlehre ist, das kann zwar auch von einer freien Synode beim Versagen der kirchenordnungsmässig dazu berufenen Stellen gesagt werden, aber es kann nur von ei­ner lutherischen Synode für die Lutheraner und von einer reformier­ten Synode für die Reformierten gesagt werden. Indem die Synode die bei einer Beschlussfassung über Bekenntnisfragen gebotene itio in partes vermieden, vielmehr als ganze eine Lehrerklärung angenommen hat, hat sie sich faktisch als Lehrinstanz für Lutheraner und Reformierte erklärt. Als solche kann sie von der Kirche Augsburgischen Bekenntnisses niemals anerkannt werden, da die lutherischen Bekennt­nisse eine über den Konfessionen stehende evangelische Kirche und ein Lehramt einer solchen Kirche nicht kennen. Die Beschlüsse, die auf dieser Synode hinsichtlich der Lehre gefasst worden sind, kön­nen also, gleichgültig, ob sie sachlich richtig sind oder nicht, nie den Anspruch auf verpflichtende Geltung erheben.

3.) Den sechs Sätzen ist eine Präambel vorausgeschickt, in der die „Deutsche Evangelische Kirche“ nicht nur als eine vorhande­ne rechtliche Grösse anerkannt, sondern auch die dem lutherischen Bekenntnis widersprechenden und darum kirchenrechtlich ungültigen Bestimmungen und Behauptungen ihrer Verfassung ohne Protest hinge­nommen werden. So wird Art. 1 der Verfassung zitiert, in dem es heisst: „Die unantastbare Grundlage der DEK ist das Evan­gelium von Jesus Christus, wie es uns in der Hl. Schrift bezeugt und in den Be­kenntnissen der Reformation neu ans Licht getreten ist.“ Dieser Artikel hat nur einen Sinn, wenn man annimmt, dass die Unterschiede im Verständnis des Evangeliums, die im Zeitalter der Reformation ans Licht getreten sind, nicht mehr kirchenspaltende Unterschiede seien, dass es ein einheitliches, über den evangelischen Konfessio­nen stehendes Verständnis des Evangeliums schon heute gebe, dass die Verwerfung von Lehren Zwinglis und Calvins als Irrlehren in den sym­bolischen Büchern der evangelisch-lutherischen Kirche unberechtigt und dass die Lehre des 7. Artikels der Augustana über die Einheit der Kirche falsch sei. Diese Anschauungen ohne Protest hinnehmen, heisst die Lehre der evangelisch-lutherischen Kirche der Union op­fern, heisst die Wahrheitsfrage der Nützlichkeitsfrage unterordnen.

So bin ich genötigt, gegen die Beschlüsse der Freien Sy­node in Barmen als gegen eine Vergewaltigung der evangelisch-luthe­rischen Kirche feierlich zu protestieren. Ich bin nicht mehr in der Lage, in der sog. Bekenntnisfront eine wirkliche und wirksame Ver­tretung des Bekenntnisses der lutherischen und der reformierten Kirche zu erblicken, und bedaure es aufs tiefste, dass die grosse Stunde einer Konföderation der echten Bekenntniskirchen in Deutsch­land versäumt und dafür der Weg einer neuen, das Bekenntnis der Re­formation verwischenden und auflösenden Union beschritten worden ist.

Barmen, den 31. Mai 1934.                                                                 D. Hermann Sasse.

Hier der Text als pdf.

2 Kommentare

  1. leuenberg war fast die selbstaufgabe der lutheraner.

    sasse hatte auch hier zu recht widersprochen.

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