Das Recht des Predigtamtes nach der Confessio Augustana
Von Friedrich Mildenberger
Wir haben als lutherische Kirche im Jahr 1980 keinen Grund, uns selbst zu feiern, wenn wir der Augsburger Konfession gedenken. Unsere Kirche ist nicht die Kirche des durch das Evangelium bewegten Volkes, das sich um die Kanzeln scharte, so daß man sagen konnte: Bei uns in den zum Hören des Gotteswortes versammelten Gemeinden wird mit großer Übereinstimmung so gepredigt – Ecclesiae magno consensu apud nos docent (CA I) – so daß dann das formulierte Bekenntnis aus solchem übereinstimmend gepredigten und gehörten Gotteswort herauswuchs. Unsere Kirche ist auch nicht die um eine angemessene Gestalt ringende Kirche, in der die unerträglichen, weil die Gewissen beschwerenden Mißstände abgeschafft wurden, damit sich vom gehörten Gotteswort her die eine heilige christliche Kirche neu konstituieren konnte. Darum ist das angemessene theologische Gedenken nicht die Feier, in der wir uns mit der bekennenden Kirche der Väter zusammenschließen, sondern die kritische Prüfung, in der wir uns dem Anspruch dieser Väter und ihres Bekenntnisses stellen. Dabei greife ich nun mit der Frage nach dem Recht des Predigtamtes einen Sachverhalt auf, bei dein Predigt des Evangeliums und Lebensgestalt der Kirche unmittelbar zusammentreffen, der also in gleicher Weise im ersten wie im zweiten Teil der CA verhandelt wird. Indem wir uns mit unserer kirchlichen Wirklichkeit hier der Kritik vom Bekenntnis her stellen, kann zugleich deutlich werden, wie bei einer sachgemäßen, an der Hauptsache des Bekenntnisses orientierten Anwendung dieses unvermindert aktuell ist.
1. Grundzüge einer durch das Recht des Predigtamtes bestimmten Kirchenordnung
Der fünfte Artikel der CA „Vom Predigtamt“ (De ministerio ecclesiastico) führt den zentralen Artikel von der Rechtfertigung „aus Gnaden um Christus willen durch den Glauben“ (CA IV,1; 55. Seitenzahlen jeweils nach BSLK) so fort: „Solchen Glauben zu erlangen, hat Gott das Predigtamt eingesetzt, Evangelium und Sakrament geben, dadurch er als durch Mittel den Heiligen Geist gibt, welcher den Glauben, wo und wenn er will, in denen, so das Evangelium hören, wirket, welches da lehret, daß wir durch Christus Verdienst, nicht durch unser Verdienst, ein gnädigen Gott haben, so wir solchs glauben“ (CA V,1-3; 58). Die lateinische Fassung formuliert noch präziser: „Ut hanc fidem consequamur, institutum est ministerium docendi evangelii et porrigendi sacramenta“ (ebd). Es braucht diesen Dienst der Verkündigung, damit es den heilsamen Glauben geben kann. Die Wirksamkeit des Heiligen Geistes im Menschen geschieht ja nicht ohne das äußere Wort. Denn nur so ist der Glaube vor seiner Verkehrung in das fromme Werk des Menschen geschützt, der meint, wie es dann in der Verwerfung dieses Artikels heißt, „daß wir ohn das leiblich Wort des Evangelii den Heiligen Geist durch eigene Bereitung, Gedanken und Werk erlangen“ (CA V,4; 58). Der Heilswille des dreieinigen Gottes gewinnt also seine sichtbare Gestalt in dem Vorgang, in dem Menschen einander das Evangelium verkünden und die Sakramente spenden. So muß es sein. Wir reden hier vom „Recht des Predigtamtes“. Der Ausdruck selbst taucht allerdingst erst später im XXVIII. Artikel „Von der Bischofen Gewalt“ (De potestate ecclesiastica) auf: „Derhalben ist das bischoflich Amt nach gottlichen Rechten das Evangelium predigen, Sunde vergeben, Lehr urteilen … Proinde secundum evangelium seu, ut loquuntur, de iure divino haec iurisdictio competit episcopis ut episcopis, hoc est his, quibus est commissum ministerium verbi et sacramentorum“ (CA XXVIII, 20f; 123f).
Dieses Recht ist in zweifacher Hinsicht bedeutsam. Es ist einmal das Recht des Predigtamtes auf Gehorsam. „Hic necessario et iure divino debent eis ecclesiae [97] praestare oboedientiam, iuxta illud: Qui vos audit, me audit“ (hier müssen ihnen, nämlich den Bischöfen, die Gemeinden Gehorsam leisten nach jenem: Wer euch hört, hört mich. CA XXVIII,22; 124). Dieses Recht des Predigtamtes, Gehör und Gehorsam der Gemeinden zu finden, ist freilich wieder streng auf den Dienst an Wort und Sakrament bezogen. Nur für diesen Dienst kann das Amt Gehorsam fordern; nur dort hat es diese Autorität, wo es an Christi Statt dessen Wort verkündet. Die Apologie Melanchthons stellt das in der Auslegung von Luk 10,16 klar: „Non est enim mandatum cum libera, ut vocant, sed cautio de rato, de speciali mandato, hoc est, testimonium datum apostolis, ut eis de alieno verbo, non de proprio, credamus. Vult enim Christus nos confirmare, quemadmodum opus erat, ut sciremus verbum traditum per homines efficax esse, nec quaerendum esse aliud verbum de coelo“ (Es handelt sich hier nicht um einen freien Auftrag, wie sie sagen, sondern um die Verbürgung eines feststehenden, besonderen Auftrags, d.h. den Aposteln ist das Zeugnis gegeben, daß wir ihnen um des fremden, nicht des eigenen Wortes willen glauben. Denn Christus wollte uns bestärken, wie das auch nötig war, damit wir wüßten, das durch Menschen überlieferte Wort sei wirksam, und man brauche kein anderes Wort aus dem Himmel zu suchen. AC XXVIII,18; 401). Damit ist klargestellt, daß das Predigtamt nicht Herrschaft ausübt, sondern ministerium, Dienst im strengen Sinn des Wortes ist. Daß es so ist und das geistliche Amt nicht doch eine verkappte Herrschaft ausübt, das ist nicht Sache einer Sprachregelung, sondern es ist die ausgewiesene Bindung aller kirchlichen Amtsführung an das allein in der Schrift bezeugte Evangelium. Wo es dieses Evangelium zur Sprache bringt, da ist das Predigtamt in seinem ganz spezifischen Recht, jenem ius divinum, das notwendigen Gehorsam fordert. Denn wer hier nicht hört, verscherzt sein Heil. Dieser Gehorsam ist freilich nicht eine unkritische Zustimmung, die allem ihr Ja und Amen gibt, was aus dem geistlichen Habit und von der Kanzel herab tönt, je weiter von oben, desto gewisser. Weil vielmehr das Recht auf Gehorsam an dem speziellen Auftrag hängt, darum sind die Gemeinden zum Ungehorsam nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, wo dieser Auftrag verlassen wird: „At cum aliquid contra evangelium docent aut constituunt, tunc habent ecclesiae mandatum Dei, quod prohibet oboedire“ (Wenn sie aber etwas gegen das Evangelium predigen oder festsetzen, dann haben die Gemeinden den Befehl Gottes, der es verbietet, zu gehorchen. CA XXVIII,23; 124). Der Gehorsam gilt also dem Evangelium und dem Amt nur, insofern und insoweit es bei seinem Auftrag bleibt, diesem Evangelium und also Gottes Heilswillen unter den Menschen Gehör zu verschaffen.
Das Recht des Predigtamtes ist darum auch das Recht der Gemeinden auf das Predigtamt, auf die evangelische Predigt und die stiftungsgemäße Sakramentsverwaltung. Wollte man ihnen dieses Recht vorenthalten, dann wendete man sich ja gegen Gottes offenkundigen Heilswillen. „Wenn deshalb die ordentlichen Bischöfe zu Feinden des Evangeliums werden oder die Ordination nicht vollziehen wollen, fällt das Recht an die Gemeinden zurück. Denn wo die Gemeinde ist, da ist das Recht, dem Evangelium zu dienen. Darum ist es notwendig so, daß die Gemeinde wieder ihr Recht erhält, Geistliche zu berufen, zu wählen und zu ordinieren“, schreibt Melanchthon in seinem Tractatus de potestate papae (Itaque cum episcopi ordinarii fiunt hostes evangelii aut nolunt impertire ordinationem, ecclesiae retinent jus suum. Nam ubicunque est ecclesia, ibi est jus administrandi evangelii. Quare necesse est ecclesiam retinere jus vocandi, eligendi et ordinandi ministros. 66.67; 491). Das darf allerdings nicht im Sinne der aufgeklärten kirchenrechtlichen Theorie des Kollegialismus mißverstanden werden. Nach dieser Theorie leitet sich die Kirchengewalt aus dem gemeinsamen Willen aller Kirchengenossen ab; darum ist auch die ganze Gemeinde der eigentliche Inhaber des Amtes, das in ihrem Auftrag von einzelnen Gemeindegliedern öffentlich ausgeübt wird. Der Auftrag zum Predigtamt ist vielmehr mit der Sendung der Apostel durch Christus gegeben. Im Namen Christi, nicht im Namen der Gemeinde, wird das Amt geführt. Aber die Gemeinde [98] hat das Recht darauf, daß bei ihr dieses Predigtamt auch wirklich im Namen Christi und in seinem Sinn geführt wird. Sie nimmt dieses Recht so wahr, daß sie geeignete Leute in dieses Amt beruft.
Aus dem hier genannten Recht des Predigtamtes ziehe ich einige Folgerungen, die ich der Kürze halber nicht eigens mit Bekenntnistexten belege. In diesen Folgerungen werden Grundzüge einer bekenntnisgemäßen Kirchenordnung umrissen:
1. Amt und Gemeinde sind immer miteinander zu sehen. Ihr Miteinander regelt sich durch den je für das Amt und die Gemeinde spezifischen Gehorsam gegen das Evangelium. Dazu führe ich Wilhelm Löhe an: „Wenn die symbolischen Bücher sagen, daß die Schlüssel der Kirche gegeben seien …. so sind solche Stellen ganz richtig, aber nur dann, wenn die Gemeinde nicht mit Ausschluß, sondern mit Einschluß des ministerium gedacht wird. Das war immer der Fehler, wenn man bei der nicht wegzuleugnenden Unterscheidung zwischen ministerium und Volk, entweder dem einen oder dem andern seinen Anteil am Recht der ganzen Gemeinde nehmen wollte“ (Kirche und Amt. Neue Aphorismen, 1851. Ges.W. V,554).
2. Weil das Amt seine Vollmacht allein im Dienst am Evangelium hat, gibt es in der Ausübung dieses Amtes keine Über- oder Unterordnung. Die Verantwortung für die gehorsame Predigt des Evangeliums kann nicht delegiert oder für Dritte wahrgenommen werden. Bischöfe und Pfarrer sind in Hinsicht auf das Predigtamt grundsätzlich gleichgestellt (vgl. z.B. CA XXVIII,53; 129. Tract. 65; 490).
3. Weil das Predigtamt der viva vox evangelii dient, ist seine Ausübung an das leibhaft-gegenwärtige Gegenüber der Menschen gebundenen, für die das Amt ausgeübt wird. Das geht nur von Angesicht zu Angesicht, auch dort, wo das Amt nicht in der lokalen Gemeinde, sondern als kirchenleitendes Amt geführt wird. Man kann die Sakramente nicht in absentia spenden oder das Evangelium auf dem Dienstweg verkünden. Ich führe dazu Wilhelm Maurer an: „Ein Bischof besitzt geistliche Vollmacht nur, soweit er predigt“ (Hist. Kommentar zur Confessio Augustana Bd 1, 1976, 84).
4. Weil der Gehorsam, den das Predigtamt zu fordern hat, der Gehorsam gegen Gott selbst ist, kann dieser Gehorsam nicht mit Mitteln weltlicher Herrschaft erzwungen werden. Wo der schuldige Gehorsam gegen das Evangelium verweigert wird, kann darum das Amt nur seinerseits das Evangelium verweigern, indem es den offenkundigen Sünder, der sich nicht zurechtweisen läßt, von der Teilhabe am Sakrament und der Gemeinschaft des Evangeliums ausschließt – sine vi humana, sed verbo (CA XXVIII, 21;124).
Hier sind Grundzüge kirchlicher Ordnung genannt, die deshalb unverzichtbar sind, weil sie unmittelbar aus der Unverzichtbarkeit des verbum externum für die Wirksamkeit des Heiligen Geistes folgen. Es hat uferlose theologische und juristische Debatten über die Frage gegeben, ob man hier wirklich von „Recht“ reden könne und welche Geltung solchem Recht zukomme. Für die CA jedenfalls ist klar: Dem Evangelium, das sich so verwirklicht, widersprechende kirchliche Satzungen sind Unrecht, dem nicht gehorcht werden darf. Mindestens insofern eignet diesem Evangelium in der Kirche unmittelbarer Rechtscharakter. Es handelt sich dabei freilich um geistliches Recht im strengen Sinn. Seine Durchsetzung hängt daran, daß das gepredigte Evangelium auch Glauben findet, daß das verbum externum und die innere Wirksamkeit des Heiligen Geistes unmittelbar zusammengehören und daß sich in solcher Zusammengehörigkeit von Wort und Geist Kirche konstituiert.
Dagegen hat man mit der Unterscheidung von Geistkirche und Rechtskirche argumentiert. Die sichtbare Kirche sei nicht einfach mit der Versammlung der [99] Glaubenden identisch, vielmehr wie jede andere Gemeinschaft in dieser Welt auch rechtlich zu ordnen. Solche Ordnung sei menschlichen Rechtes; aber auch so eigne ihr die sittliche Autorität jeder Rechtsordnung. Theodosius Harnack, mit dessen Schrift „Die Kirche, ihr Amt, ihr Regiment“ von 1862 die Debatte um die Verfassungsgrundsätze der lutherischen Kirche um die Mitte des 19. Jahrhunderts einen gewissen Abschluß erreichte, formuliert das so: „Es ist ja überhaupt nicht der Willkür der Kirche anheimgegeben, ob sie sich verfassen und ein Regiment um der Ordnung willen aufstellen wolle oder nicht. Ebenso wenig ist es in das Belieben der Gemeinden und der Träger des Amtes gestellt, ob sie dem gegebenen Kirchenregiment Gehorsam beweisen wollen oder nicht, noch gehorchen sie bloß sich selbst, indem sie ihm gehorchen; sondern sie unterwerfen sich frei der durch den Schöpferwillen Gottes gesetzten und im vierten Gebot des Dekalogs legitimierten und geheiligten objectiven Autorität der Ordnung“ (80).
Weil hier die rechtliche Ordnung der Kirche dem Anspruch des Evangeliums entzogen wird, gewinnt Ordnung ein Eigenrecht. Die berühmte These Rudolph Sohms ist hier vorbereitet. Als Antithese wird sie sogar verständlich und gewinnt so ihre Wahrheit, daß bestritten wird, eine solche ordnungstheologisch begründete Rechtsordnung könne im Ernst kirchliche Rechtsordnung sein. „Das Wesen der Kirche ist geistlich, das Wesen des Rechtes ist weltlich. Das Wesen des Kirchenrechtes steht mit dem Wesen der Kirche im Widerspruch“ (Kirchenrecht 1, 1892, 700). Die Unterscheidung von Geistkirche und Rechtskirche macht eine eigenständige kirchliche Ordnung unmöglich. Die Wirksamkeit des Evangeliums verschwindet dann in der Innerlichkeit der Glaubenden. Die Rechtskirche dagegen folgt der Eigengesetzlichkeit weltlicher Ordnung und lehnt sich darum in ihrer Rechtsordnung faktisch an die jeweils herrschenden staatlichen Ordnungen an. Hier hat der Kirchenkampf zur Neubesinnung genötigt, indem er die unlösbare Verbindung von Bekenntnis und Kirchenordnung zeigte. Diese Neubesinnung droht freilich in theoretischen Diskussionen zu versanden, während die Verfassungswirklichkeit der Kirchen weithin eben doch von der Eigengesetzlichkeit der bestehenden Ordnungen und ihrer traditionellen Handhabung bestimmt ist.
2. Ein historischer Konfliktsfall
So wichtig unsere Bemühung um eine Auslegung der Bekenntnistexte ist, so sehr muß doch zugleich die Anwendung in der Konkretion kirchlicher Lebensvollzüge mit bedacht werden. Die Bekenntnistexte bestimmen, was sein soll. Über die Geltung und Reichweite der so gewonnenen Normen läßt sich dann ausführlich debattieren. In der Lebenswirklichkeit, wo Konflikte mit Hilfe dieser Normen bewältigt werden sollen, sieht die Sache freilich noch einmal anders aus. Das will ich an einem historischen Fall verdeutlichen.
Am 17. Juli 1860 wurde der Pfarrer Wilhelm Löhe in Neuendettelsau vorn Amt suspendiert. Er hatte sich auch auf die wiederholte Aufforderung des Königlichen protestantischen Oberkonsistoriums hin geweigert, die Trauung eines geschiedenen Mannes aus seiner Gemeinde zu vollziehen oder ein Dimissoriale auszustellen, das eine auswärtige Trauung durch einen anderen Pfarrer ermöglicht hätte. Ich versuche die für unseren Problemzusammenhang wichtigen Aspekte des Falles hervorzuheben. Dabei beziehe ich mich insbesondere auf Wilhelm Löhes Bericht „Meine Suspension im Jahre 1860. Acht Wochen aus dem Leben eines landeskirchlichen Pfarrers“ (Ges.W. hrsg. Klaus Ganzert, 1954, V, 805-839) sowie auf die Darstellung des Falles in der Zeitschrift für Protestantismus und Kirche (40,1860,263-283) „Die Amtssuspension des Pfarrers Löhe in Neuendettelsau“, die das Vorgehen der Kirchenleitung aus deren Sicht darstellt und begründet. [100]
Der Vorgang selbst ist rasch erzählt. Im März halte der Böttchermeister B. bei Löhe vorgesprochen und mit einer Heiratslizenz des Landgerichtes Heilsbronn die Proklamation und Trauung durch den zuständigen Pfarrer verlangt. Das war nach damals geltendem Recht für ihn die einzige Möglichkeit einer rechtlich gültigen Eheschließung. Löhe vollzog die rechtlichen Schritte der Proklamation – diese freilich ohne kirchliches Votum und Fürbitte – und erhob auch im Armenpflegschaftsrat der bürgerlichen Gemeinde keine Einrede gegen die Verehelichung. Zugleich aber wandte er sich an das zuständige Dekanat in Windsbach und begründete, warum er in diesem Fall weder eine Trauung vollziehen noch ein Dimissoriale ausstellen könne. Dazu führte er unterschiedliche Gründe an. Einmal bezweifelte er, daß die böswillige Verlassung, aufgrund deren die Scheidung geschehen war, abgesehen von dem besonderen, in 1.Kor 7,15 angeführten Fall überhaupt ein zulässiger Scheidungsgrund sei. Weiter beurteilte er die Scheidung nicht nur juristisch, sondern wußte, daß der Mann es seiner ersten Ehefrau unmöglich gemacht hatte, bei ihm zu bleiben. Schließlich hatte dieser während seines jahrelangen Scheidungsverfahrens mit einem Mädchen aus einem Nachbardorf zwei uneheliche Kinder erzeugt. Wenn er sich schon wieder verheirate, müsse er doch diese nehmen, wobei sich Löhe auf 2.Mose 22,16 berief: „Wenn jemand eine Jungfrau beredet, die noch nicht vertraut ist, und beschläft sie, der soll ihr geben ihre Morgengabe und sie zum Weibe haben“. Der Spruch sei in Neuendettelsau bekannt und sein seelsorgerliches Handeln in vielen Fällen nach demselben geregelt; der Böttcher aber weigerte sich, das Mädchen zu nehmen, da sie kein Geld habe, während die andere ihm 250 fl. zubringe. Endlich weist Löhe auf den schlechten Leumund des Mannes und seine offenkundige Verachtung von Wort und Sakrament hin (Ges.W. V,781ff).
Das von Adolf von Harleß unterzeichnete Antwortschreiben des Oberkonsistoriums weist die Begründungen zurück. Das Königliche Protestantische Oberkonsistorium könne „sich nicht für berechtigt erachten, zu gestatten, daß dem von Anfang an in der lutherischen Kirche als giltig anerkannten, aus 1.Kor. 7,15 per analogiam abgeleiteten Scheidungsgrunde der böslichen Verlassung von einzelnen Geistlichen, die ihre subjektive Anschauung der gemeinen Praxis und dem bestehenden Rechte der Kirche entgegensetzen, in ihrem amtlichen Handeln … die Anerkennung versagt werde. Es kann dies in dem vorliegenden Falle um so weniger geschehen, als der Geltendmachung der eigenen subjektiven Überzeugung von der Schuld oder Unschuld der wegen böslicher Verlassung Geschiedenen, dem richterlichen Ausspruch gegenüber, eine tatsächliche Folge nicht zugestanden werden kann und die angezogene Stelle 2.Mose 22,16 auf den vorliegenden Fall durchaus keine Anwendung findet“ (Löhe, G.W. V,1324). Da Löhe diesem Erlaß nicht folgen konnte, mußte der Zusammenstoß kommen. Der Fall sollte möglichst ohne viel Aufhebens so erledigt werden, daß Löhe vom Amt suspendiert würde, der bestellte Amtsverweser das Dimissoriale ausstellte und daraufhin Löhe wieder ins Amt gesetzt würde.
Dabei ergab sich nun freilich eine doppelte Komplikation. Einmal verlangte der Böttcher, in Neuendettelsau getraut zu werden, wogegen die Kirchenvorsteher und die Gemeinde protestierten. Vor allem aber weigerte sich Löhe, ohne weiteres nach Erledigung des Falles wieder in sein Amt zurückzukehren. Er verlangte vielmehr einmal, daß die „hohen Kirchenbehörden den Böttchermeister B. beim Wiederzurücktritt seines Pfarrers in die Amtsführung auf eine klare und faßliche Weise zum Gehorsam gegen seinen Seelsorger anweisen“, und weiter, daß die Behörden „auf eine unmißverständliche Weise vor allen Gliedern der Gemeinde zum mindesten den treuen Willen und im ganzen die Richtigkeit des amtlichen Verhaltens des Unterzeichneten anerkennen möchten“ (G.W. V,794). Der Grund für dieses Verlangen ist verständlich. Löhe war damals schon 23 Jahre in seiner Gemeinde. Er hatte sich intensiv um ein evangelisches Leben dieser Gemeinde bemüht, hatte u.a. eine mit der Zulassung zum Abendmahl verbundene Zuchtordnung eingeführt, die übrigens auch die Kirchenvorsteher mit beteiligte. Dabei war er freilich auch bei einem [101] kleinen Teil der Gemeinde auf Widerstand gestoßen. Dieser Teil der Gemeinde scharte sich nun um den Böttcher und verstand die Suspension Löhes und die Erteilung des Dimissoriale als Niederlage des Pfarrers und als Anerkennung der eigenen Haltung durch die Kirchenbehörden. Löhe selbst bemerkt dazu in seinem Rückblick: „Da nun gerade landeskirchliche Behörden auf dem bureaukratischen Wege so oft in den Fall kommen, von Leuten als Schutzherren angesehen und gelobt zu werden, deren Lob keine Ehre ist, so war es nicht weniger im Interesse der Behörden als in dem des Pfarrers, am meisten aber im Interesse des Seelenheils der Partei selber, wenn die Behörden deren Gesellschaft desavouierten, sich auf die Seite des doch immerhin treuen Hirten stellten und die Widerstrebenden auf irgendeine Weise zum Gehorsam gegen denselben mahnten. Waren sie durch die Verhältnisse in die Lage gekommen, die Schmach der Suspension auf mich zu bringen und mich in den Kerker derselben zu werfen, so schien es mir bei Aufhebung der Suspension ganz billig, wenn ich mit einiger Anerkennung aus meinem Kerker geführt würde und auch die königliche Behörde merken ließe, daß es allerdings in der Landeskirche und ihren Ordnungen nicht allewege stehe, wie es sollte“ (V,830). Es gab hierzu einen mehrfachen Schriftwechsel, ehe Löhe nach 2 Monaten wieder ins Amt zurückkehrte. Während dieser Zeit hatte sich seine Gemeinde in vielfacher Weise mit ihm solidarisiert. Das sei der eigentliche Grund gewesen, der ihm eine Rückkehr ins Amt ermöglicht habe, während er sich sonst zur Separation genötigt gesehen hätte, schreibt Löhe (V,831). Wie weit die Behörde seiner Bitte nachkam, das läßt sich unterschiedlich beurteilen. Die offiziöse Darstellung des Falles in der Zeitschrift für Protestantismus und Kirche bestreitet jedenfalls ein Nachgeben der kirchlichen Behörden gegenüber Löhe energisch.
Zweierlei ist beklemmend, wenn man sich in diesen Fall hineindenkt. Da ist einmal die Aussichtslosigkeit, zu einer für alle Beteiligten tragbaren Lösung des Konfliktes zu kommen. Das liegt nicht nur an der Verquickung von kirchlicher Trauung und rechtsgültiger Eheschließung. Die ist ja ein paar Jahre später durch die Einführung der Ziviltrauung aufgehoben worden. Viel schmerzlicher ist der anscheinend unlösbare Konflikt zwischen der allgemeinen landeskirchlichen Ordnung und dem geistlichen Leben dieser Gemeinde in Neuendettelsau. Über Einzelheiten dieses Lebens urteilen wir nicht; selbstverständlich kann man über dieses und, jenes, was damals in Neuendettelsau geschah, höchst unterschiedlicher Meinung sein. Aber soviel ist deutlich: Nicht nur der eigenwillige Hirte, sondern das geistliche Leben dieser Gemeinde mit ihrem Hirten paßte nicht zusammen mit der landeskirchlichen Ordnung. Diesen Gegensatz hat man dort durchlebt und durchlitten. „Ich, der ich in drei Jahrzehnten die Ungunst der landeskirchlichen Verhältnisse für eine dem Worte Gottes treue Amtsführung vielfach und oft recht schmerzlich erfahren hatte, und zwar bei mehrfachem Wechsel in dem kirchenregimentlichen Personale, so daß ich mit Händen greifen konnte, wie wenig Verbesserung der Lage durch den Wechsel der Personen herbeigebracht werden konnte, – ich hatte wieder recht auffallend dasselbe erfahren, was früherhin“ (V,829). „Ich konnte nicht anders, ich mußte mich bei der Suspension auf den Erzhirten und Bischof der Seelen berufen, durch dessen Geist ich das Hirtenamt überkam und nach dessen Sinne es mir in meinem Falle nicht genommen werden konnte. Ich fühlte den vollen Gegensatz der Kirche, wie sie war und wie sie sein sollte. Ungefähr ebenso war Gefühl und Urteil der hervorragenden Glieder der Gemeinde, denen nach fast die ganze Gemeinde fühlte. Jedermann fühlte, so sollte es nicht sein“ (V,826). Man hat bemerkt und erlitten, wie hier die landeskirchliche Ordnung sich mit diesem Gemeindeleben nicht vertragen konnte und ins Unrecht geriet, indem sie sich so durchsetzte, wie das geschah.
Beklemmend ist freilich nicht nur, wie hier der Konflikt durch die starre Ordnung vorprogrammiert ist. Beklemmend ist erst recht, wie diese Ordnung als notwendig und zwingend gehandhabt wird; wie man ihre selbstverständliche und ausnahmslose Geltung behauptet, ohne an ein ursprünglicheres Recht der lebendigen Gemeinde [102] auch nur zu denken. So entrüstet sich der Berichterstatter in der Zeitschrift für Protestantismus und Kirche darüber, daß im Correspondenzblatt der Gesellschaft für innere Mission von 1857 ein Statut zu lesen gewesen sei, ‚wie es mit der Kirchenzucht in der Pfarrei Neuendettelsau gehalten wird und gehalten werden soll‘. Die hier abgedruckte Ordnung war weder genehmigt noch auch nur zur Genehmigung vorgelegt worden und überschritt vielfach die durch allgemeine Vorschriften vorgezeichneten Normen. Gleichwohl durften die Kirchenbehörden hier einem öffentlichen Blatt entnehmen, was Pfr. Löhe ohne alle Ermächtigung einzuführen gut befunden hatte“ (278). Eine andere Ermächtigung zum Führen des Predigtamtes in der Gemeinde als die durch die vorgesetzten Kirchenbehörden im Rahmen der vorgezeichneten Normen ist hier schlechterdings undenkbar. Darum das Fazit der amtlichen Darstellung des Falles. „Das letzte Wort hat demnach allerdings Pfr. Löhe sich nicht nehmen lassen. Aber nachgegeben haben oder zurückgewichen sind die kirchlichen Behörden nicht, sondern haben die Aufhebung seiner Suspension und den Wiedereintritt in sein Amt nur verfügt, nachdem dem Rechte genug gethan war, und diese Maßregel seinen Erklärungen gegenüber mit allen erforderlichen Vorbehalten und voller Wahrung der bestehenden Ordnungen umgeben“ (282).
3. Ein aktuelles Nachwort
Eine ausführliche theologische Kommentierung des erzählten Falles erübrigt sich. Die als Recht des Predigtamtes aus der CA erhobenen Grundzüge kirchlicher Ordnung genügen zur Beurteilung. Wohl aber ist noch ein aktuelles Nachwort angebracht. Zunächst dies: Die meisten unter uns werden die Erfahrung Löhes bestätigen können, daß die kirchlichen Ordnungen ihr Eigengewicht haben. Darum hängt nicht viel an den unterschiedlichen kirchenleitenden Personen. Daß dabei gerade die Kirchenleitungen mit einer Verantwortung belastet sind, die sie gar nicht tragen können, das gehört mit zu diesem Eigengewicht der gegenwärtigen Ordnung. Unter ihr leiden oft genug nicht nur Pfarrer und Gemeinden, sondern die, die sich für Durchführung und Durchsetzung dieser Ordnungen verantwortlich halten. Bleiben wir dabei bei der Frage der Wiedertrauung Geschiedener. Hier ist ja das einzige von der Zahl der vorkommenden Fälle her ins Gewicht fallende Rudiment einer evangelischen Kirchenzucht. Die gegenwärtig geltende Regelung sieht vor, daß für jede Wiedertrauung Geschiedener der zuständige Pfarrer die Genehmigung des Landeskirchenrats einzuholen hat. Die betreffende Bekanntmachung bemerkt freilich in ihrem Schlußsatz: „Trotz dieses Verfahrens, das eine Genehmigung durch den Landeskirchenrat vorsieht und das für den zuständigen Seelsorger eine persönliche Entlastung darstellen will, trägt dieser doch die letzte Verantwortung“ (Bekanntmachung vom 4.5.1977, KABl (Bay) 1977, 5.139-143). Derzeit sind dem Vernehmen nach täglich fünf Fälle durch den zuständigen Oberkirchenrat und seine Mitarbeiter zu bearbeiten und zu entscheiden, und das, obwohl die Bestimmung häufig von Pfarrern nicht beachtet wird. Hier beispielsweise hat die Kirchenleitung eine untragbare Verantwortung an sich gezogen.
Da der gegenwärtige Zustand nicht nur wegen der Überlastung der kirchenleitenden Behörde unhaltbar ist, wurde auf der Tagung der Landessynode im April dieses Jahres in Schweinfurt ein „Änderungsgesetz zum Kirchengesetz zur Anwendung der Ordnung des kirchlichen Lebens“ beschlossen. Dieses sieht nun folgendes Verfahren vor (ich zitiere die wesentlichen Bestimmungen der Vorlage):
„(1) Die Entscheidung über die Gewährung oder die Versagung der kirchlichen Trauung (§5) trifft der Pfarrer, der die Trauung vornehmen soll. Er kann vor seiner Entscheidung Kirchenvorsteher dazu hören …
(3) Der Pfarrer legt seine schriftlich begründete Entscheidung dem Dekan vor …
(5) Kommen der Pfarrer und der Dekan zu der Entscheidung, daß die Trauung [103] abgelehnt werden muß, so hat der Pfarrer bei der Eröffnung der Entscheidung das Brautpaar darauf hinzuweisen, daß es beim Landeskirchenrat Einspruch erheben kann.
(6) Kommt der Dekan zu einer von der Entscheidung des Pfarrers abweichenden Stellungnahme, so legt der Dekan den Antrag dem Landeskirchenrat zur Entscheidung vor.
(7) Hat der Pfarrer den Antrag auf Trauung eines Geschiedenen abgelehnt und genehmigt der Landeskirchenrat die Trauung, so kann der Kreisdekan einen anderen Pfarrer zum Vollzug ermächtigen.“
Es braucht also – nebenbei bemerkt – bei dieser Neuregelung das umständliche Verfahren einer zeitweiligen Amtsenthebung wie seinerzeit bei Löhe nicht mehr.
Von den Grundzügen evangelischer Kirchenordnung aus, die sich aus dem Recht des Predigtamtes ergeben, sind im wesentlichen zwei Einwände gegen dieses Gesetz zu erheben, die selbstverständlich die gegenwärtig geltende Regelung genauso treffen. Einmal wird hier das Predigtamt zum Richteramt gemacht. Die seelsorgerliche Situation ist verfälscht, wenn der Pfarrer zugleich nach den Normen einer kirchlichen Lebensordnung beurteilen soll, ob er die Trauung gewähren darf oder nicht. Daß es sich hier um ein richterliches Urteil und nicht um die verkündigende Anwendung des Wortes handelt, zeigt sich eindeutig daran, daß das kirchliche Gesetz eine Einspruchsmöglichkeit vorsieht. Gegen den seelsorgerlichen Zuspruch des Gotteswortes erhebt man nicht Einspruch. Ihm gehorcht man, oder man verschließt sich ihm. Die im Bekenntnis vorgesehene Zucht des offenkundigen Sünders dient dazu, ihn durch Ausschluß von der Gemeinschaft zur Umkehr zu bewegen. Das kann dann aber nicht bloß mit der Versagung der kirchlichen Trauung geschehen. Ist das Predigtamt im Recht, so kann und muß es den freiwilligen Gehorsam verlangen, der den offenkundigen Skandal beseitigt. Ist die neue Ehe des Geschiedenen dieser Skandal, kann sie nicht als Ehe anerkannt werden. Der Satz der Ordnung des kirchlichen Lebens „Eheleute, denen die Trauung versagt wurde, leben in einer gültigen Ehe“ zeigt die Widersprüchlichkeit an. Hier wäre doch zu fragen, wie eine Gehorsamsforderung und Gehorsamspflicht in der für das Predigtamt konstitutiven Bindung an das Evangelium auszusehen hat.
Weiter wird in der gesetzlich vorgesehenen Regelung die Einheit des Amtes und damit verbunden die Unmittelbarkeit der Verkündigung nicht gewahrt. Zwar bestimmt das Gesetz: „Die Entscheidungen nach § 10 und § 11 sind den Betroffenen im seelsorgerlichen Gespräch zu eröffnen“. Doch das geht ja nicht an. Man kann solche Entscheidungen zwar schonend und mündlich mitteilen. Ist aber das seelsorgerliche Gespräch als eine Möglichkeit ernst genommen, das Predigtamt zu führen, dann werden hier nicht Entscheidungen eröffnet. Noch nicht einmal die vom Pfarrer im Einvernehmen mit dem Dekan getroffene Entscheidung kann er den Betroffenen „im seelsorgerlichen Gespräch“ eröffnen, erst recht nicht die Entscheidung kirchenleitender Instanzen. Die Entscheidung liegt dort, wo das Predigtamt geführt wird, bei dem, dem das Evangelium verkündigt wird, sei es auch in der Form des Gesetzes. Er ist gefragt, ob er dem Zuspruch gehorchen will oder das Wort verachtet. Kommt es im seelsorgerlichen Gespräch nicht zu dieser Einmütigkeit, in der das Predigtamt Gehorsam findet, muß weiter gesprochen werden, u.U. so, daß weitere Personen beigezogen werden. Das braucht sicher viel Zeit. Aber der Hirte, der dem verirrten Schaf nachgeht, wird sich solche Zeit nehmen. Die Rede vorn Hirtenamt ist ja ernst gemeint und darf nicht dazu dienen, Herrschaft – das wäre hier eine einseitige Entscheidungsbefugnis – zu kaschieren.
Bei der Lesung des Änderungsgesetzes haben zwei Synodale folgenden Antrag eingebracht: „Alle rechtlichen Regelungen betreffend die Wiedertrauung Geschiedener werden bis auf weiteres ausgesetzt. Die notwendige Zucht in dieser Frage wird den Gemeinden und der seelsorgerlichen Verantwortung ihrer Pfarrer anbefohlen.“ Der Antrag wurde nicht abgestimmt, da seine Behandlung in den verschiedenen [104] Ausschüssen aus Zeitgründen nicht mehr möglich war. Die Antragsteller haben ihn mit der Begründung zurückgezogen, die Synode sei derzeit mit einer Entscheidung überfordert, die Grundfragen des Verhältnisses von kirchlicher Rechtsordnung und dem lebendigen Gotteswort betreffe. Ich bin freilich der Meinung, daß wir es dabei als lutherische Kirche nicht belassen können. Die Frage nach einer bekenntnisgemäßen Kirchenordnung darf nicht ständig durch bloß pragmatische Argumente abgewiesen werden. Daß die Kirche aus dem Evangelium lebt, ist unsere gemeinsame Überzeugung. Darf diese Überzeugung dort, wo es dann um die rechte Ordnung der Kirche geht, ausgesetzt werden, weil die scheinbar bewährten rechtlichen Regelungen nun einmal unumgänglich seien? Ist der Konflikt, zwischen Wilhelm Löhe beispielsweise und seinem persönlichen Freund, dem Präsidenten des Königlichen protestantischen Oberkonsistoriums Adolf Harleß, unvermeidlich? Wenn es zu einer Kirchenordnung kommen soll, die diesen Konflikt nicht vorprogrammiert, dann wird das Recht des Predigtamtes, wie es in der CA festgelegt ist, den Kern einer solchen Kirchenordnung bilden müssen.
Vorlesung beim Dies academicus der theologischen Fakultät Erlangen anläßlich des Augustana-Jubiläums am 14. Mai 1980.
Abgedruckt in: Friedrich Mildenberger, Zeitgemäßes zur Unzeit. Texte zum Frieden, zum Verstehen des Evangeliums und zur Erfahrung Gottes, Essen: Verlag Die Blaue Eule, 1987, S. 96-104.