Luthers Glaube an die Eine Heilige Kirche (1943)
Von Hermann Sasse
Fast drei Jahrhunderte lang hat die evangelische Kirche Augsburgs nun das Hohe Friedensfest feiern dürfen, in guten und in bösen Zeiten, in sorglosen Friedensjahren und in schwerer Kriegszeit. Fast drei Jahrhunderte lang ist das Recht, das damals dem evangelischen Glauben in dieser Stadt erkämpft worden ist, in selbstverständlicher Geltung gewesen. Wird es immer so bleiben? Was wäre denn heute nicht infrage gestellt. Es ist nicht selbstverständlich, sondern es ist ein Wunder des göttlichen Erbarmens und der göttlichen Geduld, daß die ragenden alten Gotteshäuser dieser Stadt noch nicht in Schutt und Asche gelegt sind wie die uralten Kirchen Westdeutschlands. Und genauso ist es ein Wunder Gottes, daß uns unsere evangelisch-lutherische Kirche noch nicht genommen ist. Es ist nicht selbstverständlich, daß sie besteht. Wir müssen uns darüber klar sein, daß ein großer Teil dessen, was wir im evangelischen Deutschland an kirchlichem Leben haben, auf der Treue und dem Opferwillen, auf dem Glauben und der Liebe der Väter beruht. Von dem Erbe der Väter allein aber kann man nicht leben. In den kommenden Geisteskämpfen, die diesem großen Kriege folgen werden, werden wir nur bestehen, wenn wir denselben Glauben, dieselbe Treue, dieselbe Opferwilligkeit aufbringen wie die Väter im 16. und 17. Jahrhundert.
In diesen Kämpfen, denen wir entgegengehen, wird eine große Frage die Frage nach der Kirche sein. Wie in allen Zeiten, in denen das Gemeinschaftsleben in den Grundfesten erschüttert wird, geht heute schon, jedem feineren Ohr vernehmbar, die Frage nach der Kirche Gottes durch die Welt, die Frage nach der Gemeinschaft, der die Verheißung gegeben ist, daß die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen werden. Gibt es diese Gemeinschaft? Was ist ihr Geheimnis? Was ist die Eine Heilige Kirche, von der das Bekenntnis des christlichen Glaubens spricht? Diese Frage richtet heute die Welt an uns. Diese Frage richten die anderen Konfessionen an das Luthertum. Laßt uns in dieser abendlichen Feierstunde des Hohen Friedensfestes darüber nachdenken, was wir als lutherische Christen darauf zu antworten haben. Wir wollen es tun, indem wir uns Luthers mächtigen Glauben an die Eine Heilige Kirche vergegenwärtigen.
Kein schwererer Vorwurf ist jemals gegen Martin Luther erhoben worden als der, daß er die Einheit der Kirche zerstört habe, ja noch mehr, daß er einer der ganz großen Zerstörer der Kirche gewesen sei. Und dieser Vorwurf richtet sich dann natürlich auch gegen uns, die wir uns zur lutherischen Reformation bekennen, und gegen unsere Kirche, die sich eine Evangelisch- Lutherische Kirche nennt. Weshalb haben denn die Evangelischen im alten Augsburg so viel leiden müssen, bis sie 1650 ihr erstes Hohes Friedensfest feiern durften. Es war doch nicht nur menschliche Bosheit, was ihre katholischen Mitbürger und die katholische Geistlichkeit zum Kampf gegen die evangelische Sache trieb, wenn auch die Leidenschaften und Sünden der Menschen eine ganz große Rolle gespielt haben gerade in diesem Kampf. Nein, selbst in dem Kampf, den die Jesuiten in Augsburg gegen die Reformation geführt haben, wird noch die große Sorge um die Kirche offenbar, um die Kirche, deren Einheit, ja, deren Existenz sie durch Luther und die Reformation bedroht sahen. Nur wer diese große Sorge gesehen hat, wer verstanden hat, wie man damals in der Christenheit auf beiden Seiten um die Erhaltung der Kirche hat kämpfen wollen, nur der kann jene Zeit, ihre Größe und ihren Jammer ganz verstehen.
Die Dichterin Gertrud von Le Fort hat in einer ergreifenden Erzählung die Zerstörung Magdeburgs im Jahre 1631 geschildert. Da wird am Schluß erzählt, wie der evangelische Domprediger Abschied nehmend zum letzten Male vor seiner lieben hohen Domkirche steht. „Drinnen feierten die Kaiserlichen ihre abgöttische Messe, und draußen breitete sich die verbrannte Wüste aus — die Stadt Magdeburg … wie das zerstörte Jerusalem im Evangelium vom 10. Sonntag nach Trinitatis. Ein nasser Wind trieb ihm den Geruch der verkohlten Trümmer ins Gesicht, und noch einen anderen, aus den verschütteten Kellern kommend, wo die vielen, vielen Toten lagen — die dort hinab Geflüchteten und dann elendiglich Erstickten.“ Da tritt er in den Eingang und hört vom Altar her das Glaubensbekenntnis: „Credo in unum Deum Patrem omnipotentem factorem coeli et terrae, visibilium omnium et invisibilium.“ Er lauscht. „Das war doch das alte Glaubensbekenntnis, das gleiche, was er selbst manches Mal in der hohen Domkirche in tiefster Ehrfurcht gesprochen hatte, das teure Bekenntnis aller seiner Väter und, so Gott wollte, aller seiner Kinder und Kindeskinder! Es ergriff ihn ganz wunderlich, daß er dieses Bekenntnis da im Augenblick des Scheidens noch einmal aus seiner lieben Domkirche vernahm … er vergaß einen Augenblick lang völlig, daß es die Papisten waren, die es angestimmt hatten …“ Und er lauscht weiter: „Und an einen einigen Herrn Jesum Christum, Gottes eingeborenen Sohn … Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrhaftigen Gott vom wahrhaftigen Gott…“, und dann weiter Satz für Satz bis zum Ende des zweiten Artikels: „Und wird wiederkommen mit Herrlichkeit zu richten die Lebendigen und die Toten.“ Da sieht er im Geist, wie die zerstörten Keller der Stadt abermals erbeben, jetzt von der Auferstehung ihrer zwanzigtausend Toten. „Und nun mußte sich ja wohl die Christenheit bereitmachen, über diese zwanzigtausend Toten Rechenschaft abzulegen, auf den Trümmern Magdeburgs zum Weltgericht versammelt, der Gnade zu Füßen gestürzt, der allumfassenden Gnade Jesu Christi — ‚Des Reich kein Ende haben wird‘: Das war die Begnadigung der Christenheit, die Lossprechung von der Schuld der zerrissenen Liebe — seines Reiches würde kein Ende sein — das Reich seiner Liebe würde alle Trennung überwinden.“ Und wie er im Geiste das Reich Christi in seiner Vollendung sieht, das neue Jerusalem, da dringt aus dem Innern des Domes die Stimme aufs neue an sein Ohr: „Et unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam. — Ich glaube eine heilige allgemeine und apostolische Kirche.“ Und da stimmt er in das Bekenntnis ein und spricht mit: „Ich bekenne eine einige Taufe zur Vergebung der Sünden.“
Diese Schilderung einer frommen Dichterin ist für mich der schönste Ausdruck der tiefen Tragik, die über dem Kampf der Konfessionen damals und über der konfessionellen Spaltung der Christenheit zu allen Zeiten liegt. Der Glaube an die Eine Heilige Kirche Gottes — das war die Voraussetzung für den tiefen Ernst jener Auseinandersetzungen. Weil unsere Väter sahen, daß die Eine Heilige Kirche Gottes in der Papstkirche im Untergang war, darum hielten sie mit so zäher Treue und unter unsagbaren Opfern am Evangelium, wie es die Reformation verstand, fest. Weil die Katholiken meinten, daß die Reformation die Einheit und die Existenz der Kirche bedrohte, darum bekämpften sie sie. Es ging beiden Seiten um die Kirche, um die Eine Heilige Kirche Gottes.
Nur wenn man das versteht, kann man den Vorwurf ernst nehmen, der gegen Luther und die lutherische Kirche erhoben wird. Auch heute, wo wenigstens im deutschen Katholizismus ein besseres, tieferes Verständnis Luthers aufwacht, wo man begreift, daß Luther wirklich aus innersten Gründen echten christlichen Glaubens den Protest erhob gegen eine verfallene Hierarchie und eine verweltlichte Kirche, auch heute bleibt doch dies der eine große Vorwurf, daß Luther zu weit gegangen sei, daß er das eigene Urteil über das Urteil der ganzen Kirche und ihres höchsten Lehramtes gestellt habe. Daß er der Begründer des modernen Subjektivismus und Individualismus geworden sei und damit — wider Willen — der Zerstörer der Kirche und ihrer Einheit.
Dieser Vorwurf aber scheint bestätigt zu werden durch das, was die Protestanten selbst gesagt haben. Hat nicht der moderne Protestantismus seit dem Beginn der Aufklärung Luther gefeiert als den Befreier des Individuums von den Fesseln der Kirche? „Das Alleinsein der Seele mit ihrem Gott“ — das ist Religion im Sinne des Protestantismus, so habe ich es als Student bei meinem Lehrer der Dogmatik gelernt, der dann allerdings Philosoph wurde. Von einer Kirche Christi, von einer Gemeinschaft der Heiligen war in diesem Protestantismus keine Rede mehr. „Der Protestantismus kann auch sein ohne Kirche“, so hat es uns als Studenten der große Kirchenhistoriker Harnack unermüdlich eingeprägt, und er hätte denn auch den irreführenden Sprachgebrauch ‚Kirche‘ am liebsten abgeschafft, ebenso wie der philosophische Führer des modernen Protestantismus, der große Sohn dieser Stadt, Ernst Troeltsch. Aber nicht nur bei den Gelehrten war es so, sondern auch bei den einfachen Gliedern der Gemeinde.
Ja, waren sie überhaupt noch Gemeindeglieder im eigentlichen Sinne, diese einzelnen Menschen, die zur Kirche kamen, um ihre Privaterbauung zu haben, die zu dem Pfarrer gingen, der gerade ihre privaten Bedürfnisse befriedigte, heute hier und morgen da, Einzelne, Einsame, die nicht mehr wußten, was es heißt: „Ich glaube eine heilige Kirche, ich glaube eine Gemeinschaft der Heiligen!“ Seien wir doch ehrlich: an diesem Individualismus ist die evangelische Kirche in Deutschland in vielen Gegenden schon erstorben, in anderen liegt sie im Sterben, ergriffen von einer anscheinend unheilbaren Krankheit. Woher kommt diese Krankheit? Ist sie von außen in den Körper des evangelischen Kirchentums eingedrungen? Oder liegt sie ihm von Anfang an im Blut, wie unsere katholischen Mitchristen behaupten, als eine Folge der Reformation, die eben ihrem Wesen nach Auflösung der Kirche war?
Wenn wir auf diesen Vorwurf antworten, wollen wir uns die Sache nicht leicht machen. Wir könnten ja die Gegenfrage stellen: Wie stand es denn mit der Einheit der Kirche vor der Reformation? Ein halbes Jahrtausend zuvor hatte ein Papst auf den Hauptaltar der Hagia Sophia in Konstantinopel, des großen Heiligtums der griechischen Kirche, jene Bulle niederlegen lassen, in der in fürchterlichen Bannflüchen die Kirchengemeinschaft der Kirchen des Westens und des Ostens aufgehoben wurde. Diese Spaltung besteht noch heute. Daran kann Luther doch nicht schuld gewesen sein. Um 1400 war die abendländische Christenheit in zwei, zeitweise drei Papsttümer zerrissen, die sich gegenseitig in den Bann taten. Auch daran kann ja Luther nicht schuld gewesen sein. Aber damit ist jener Vorwurf nicht beantwortet. Man kann die eigene Schuld niemals dadurch loswerden, daß man die Schuld anderer aufdeckt. Es muß gefragt werden: was hat Luther von der Kirche geglaubt? Wie hat er die Kirche verstanden? Es könnte ja sein, daß er sie viel tiefer verstanden hat als seine Gegner. Daß er sie verstanden hat, weil er ihr tiefstes Wesen nicht aufgrund menschlicher Theorien verstand, vielleicht sehr ehrwürdiger, aber eben menschlicher Theorien, sondern weil er sie verstand aufgrund des göttlichen Wortes. Und es könnte sein, daß die Wahrheit über die Kirche, die Luther fand, auf den Tag wartet, da sie Gemeingut der ganzen Christenheit wird. Daß sie anpocht an die Tore auch der Römischen Kirche in unserer Zeit und wartet, ob man ihr Einlaß gewährt.
Das eine jedenfalls wird jeder zugeben müssen, der Luther kennt und seine Schriften studiert: Wenn es je einen Theologen gegeben hat, der sich in das tiefe Gottesgeheimnis der Kirche versenkt hat, dann war es Luther. Und noch mehr: wenn es je einen Christenmenschen gegeben hat, der in der Wirklichkeit der Kirche gelebt, der in der Gemeinschaft der Heiligen, wenn man so sagen darf, geatmet hat, dann war es unser Reformator. Er, der durch die tiefste Einsamkeit hat hindurchgehen müssen, hat wahrhaftig gewußt, was das Alleinsein der Seele mit ihrem Gott ist: Gott und die Seele, die Seele und ihr Gott. Aber er hat auch gewußt, daß keiner den Glauben für sich allein hat: „Ich glaube, daß ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesum Christum, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann, sondern der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiligt und erhalten, gleichwie er die ganze Christenheit auf Erden berufet, sammelt, erleuchtet, heiligt und bei Jesu Christo erhält im rechten einigen Glauben.“ Der Glaube des einzelnen Christen ist nie ohne den Glauben der ganzen Christenheit da. Es ist derselbe Heilige Geist, der den Glauben an Jesus Christus in jedem einzelnen weckt und sie alle sammelt zur Kirche als dem Volk Gottes. Und alle Güter und Gaben gibt er in dieser Gemeinschaft: „In welcher Christenheit er mir und allen Gläubigen täglich alle Sünden reichlich vergibt …“ Weil Luther in dieser Wirklichkeit der Kirche Gottes lebte, darum vermochte er über sie auch so einfach und schlicht zu reden, wie es ja überhaupt immer ein Merkmal der ganz großen Lehrer der Kirche gewesen ist, daß sie die größten Gottesgeheimnisse auch so aussprechen konnten, daß das schlichteste Glied der Gemeinde sie versteht.
Aller gelehrten Spekulation über die Kirche stellt Luther den Satz entgegen: „Es weiß gottlob ein Kind von sieben Jahren, was die Kirche sei, nämlich die heiligen Gläubigen und die Schäflein, die ihres Hirten Stimme hören.“ Um kein falsches Verständnis der Kirche aufkommen zu lassen, hat er das von ihm noch als undeutsch empfundene Lehnwort ‚Kirche‘ auch nach Möglichkeit vermieden. Bei dem Wort Kirche denkt das Volk, so meint er, an das Gebäude aus Holz und Stein. In Wirklichkeit aber bedeutet Kirche „das heilig christlich Volk, in welchem Christus lebet, wirket und regiert.“ Dies Volk Gottes, diese Christenheit, wie er sie nennt, ist „das fürnehmste Werk Gottes, um welches willen alles geschaffen ist, darinnen täglich die großen Wunder geschehen, als Sünde vergeben, Tod wegnehmen, Gerechtigkeit und ewiges Leben geben, welches niemand siehet denn der Glaube“.
Niemand denn der Glaube sieht das, was an Wundern Gottes täglich in der Kirche geschieht. Der Glaube allein sieht die Wirklichkeit der Kirche. An diesem Punkt beginnt der Gegensatz gegen das, was Rom unter Kirche versteht. Was Luther seinen römischen Gegnern vorwirft, ist dies, daß sie nicht ernst machen mit dem Glaubenssatz: „Ich glaube eine heilige, katholische und apostolische Kirche.“ Die Kirche ist für ihn kein Sehartikel, die Kirche ist ein Glaubensartikel. Wäre die Kirche, wie es der große jesuitische Theologe Bellarmin den Reformatoren gegenüber behauptet hat, so sichtbar wie das Königreich Frankreich und die Republik Venedig, dann gehörte sie nicht ins Glaubensbekenntnis. Die Kirche, das Volk Gottes, den Leib Christi, den Tempel des Heiligen Geistes kann ich nicht sehen, wie ich die Wirklichkeiten dieser Welt sehe. Wenn ich vor der Peterskirche in Rom stehe und sehe und höre, wie der Papst im Angesicht der Volksmenge urbi et orbi feierlich den Segen erteilt, dann habe ich die Kirche noch nicht gesehen.
Also weiß Luther nur von einer unsichtbaren Kirche? Von einem Ideal, das hier auf Erden noch nicht verwirklicht ist, einem platonischen Staat, wie die Gegner spotteten? Also ist er ein Vertreter der Lehre, daß es zwei Kirchen gibt, eine sichtbare und eine unsichtbare, die sichtbare, zu der alle Getauften gehören, und die unsichtbare, zu der alle Erwählten gehören? Nein, diese Lehre, wie sie etwa von den reformierten Kirchen vertreten wurde, ist nicht Luthers Lehre. Er hat zwar gelegentlich von der unsichtbaren Kirche gesprochen. Er kann auch gelegentlich von einer zweifachen Christenheit reden: „Die erste wollen wir heissen eine geistliche, innerliche Christenheit, die andere eine leibliche, äußerliche Christenheit.“ Aber er fügt sofort hinzu: „Nicht daß wir sie voneinander scheiden wollen, sondern zugleich als wenn ich von einem Menschen rede und ihn nach der Seelen einen geistlichen, nach dem Leib einen leiblichen Menschen nenne.“ Es gibt für Luther nicht zwei Kirchen, eine sichtbare und eine unsichtbare, sondern nur eine Kirche mit einer sichtbaren und einer unsichtbaren Seite.
Wenn ich von der Empore dieser Kirche am Sonntag auf die zum Gottesdienst versammelte Gemeinde blicke, dann kann mein Auge diese Versammlung von einer weltlichen Versammlung oder von der Versammlung irgendeiner anderen religiösen Genossenschaft der Welt nicht unterscheiden. Und doch weiß ich: in, mit und unter der äußeren Versammlung ist die Kirche Gottes da. Ich weiß es ganz genau, weil die Gnadenmittel da sind: das heilige Evangelium, die heilige Taufe, das Sakrament des Altars. Wo das Evangelium von der Gnade Gottes verkündigt wird, die den Sünder rechtfertigt, ganz umsonst, ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben, da ist Christus in seinem Wort gegenwärtig. Da vergibt er die Sünden. Wo ein Menschenkind getauft wird, da ist Christus gegenwärtig. Da spricht der, der der rechte Vater ist über alles, was da Kinder heißt im Himmel und auf Erden, sein großes Gnadenwort: „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.“ Was immer aus diesem Menschenkinde werden mag, ob es bei dem Herrn Christus bleibt oder von ihm fortgeht, ob sein Weg zum ewigen Leben oder zu ewigen Tode führt – was da in der Stunde der Taufe zu ihm gesagt wurde, das bleibt in Geltung als göttliches Angebot und ist ernst gemeint. So tief ein Getaufter auch falle, so weit er von Gott fortgehen mag: die Vaterarme Gottes bleiben ihm geöffnet, solange dies Leben währt. Und die Vergebung, die der Herr Christus ihm erworben hat, ist ihm gewiß, wenn er in aufrichtiger Buße zu seiner Taufe zurückkehrt. Und wo in einer Gemeinde das Abendmahl des Herrn gefeiert wird nach seiner Stiftung, da ist Jesus Christus nach seiner Gottheit und Menschheit wahrhaftig gegenwärtig. Er speist und tränkt die Sünder mit dem, was er auf Golgatha für sie dahingegeben und vergossen hat: mit seinem wahren Leibe und Blute; und indem er sich ihnen einverleibt, verleibt er sie sich aufs neue ein als Glieder seines Leibes.
Wo die Gnadenmittel des Evangeliums, der Taufe und des Abendmahls sind, da ist Jesus Christus wirklich gegenwärtig — unsere Augen sehen ihn nicht. Und doch ist er da, so wirklich, so nahe, wie er nur je bei den Seinen gewesen ist. Und in den unscheinbaren Mitteln des Wortes, der Taufe, des Abendmahls tut er die großen Wunder seines Heilandserbarmens. Ein Wunder war nicht nur die Auferweckung von Jairi Töchterlein und die Stillung des Sturms. Ein Wunder ist die Vergebung der Sünden, die er uns zuspricht. Ein Wunder ist die Wiedergeburt in der Taufe. Ein Wunder ist die Speisung mit seinem Leibe und Blute im Sakrament des Altars. Verborgen sind diese großen Taten unter den unscheinbaren Mitteln der Gnade. Die Welt sieht das nicht und kann es nicht sehen. Unser natürliches Auge nimmt nichts davon wahr – und doch ist diese wirkliche Gegenwart des Herrn da, die Wirklichkeit seiner Wunder, die Wirklichkeit seiner Kirche.
Das ist das tiefste Wesen der Kirche, wie Luther sie verstand. Die Kirche, die Luther glaubte, war die Kirche der Realpräsenz. Er glaubte an die Kirche, weil er an die Realpräsenz glaubte. Vielleicht ist mancher unter uns, der sich darüber gewundert und daran Anstoß genommen hat, daß Luther so hartnäckig im Streit um das Abendmahl auf der wörtlichen Bedeutung der Einsetzungsworte bestanden hat: „Das ist mein Leib.“ Das ist nicht Eigensinn gewesen, sondern die große Sorge, daß der Kirche der Reformation das verloren gehen könnte, wovon die Kirche aller Zeiten lebt, der Glaube an die wirkliche Gegenwart Christi. Wenn Christus fern ist in einem Himmel jenseits dieser Welt, wenn er nur Kräfte, Aufträge, Befehle hinterlassen hat, wenn wir ihn uns mit unserer Phantasie, mit unserem Glauben vergegenwärtigen müssen, wenn er nur nach seiner göttlichen Natur gegenwärtig ist und nicht auch nach der menschlichen Natur als der Gottmensch, der unser armes Fleisch und Blut angenommen hat und nach seiner Menschheit wesenseins ist mit uns, wie er nach seiner Gottheit wesenseins ist mit dem Vater, dann sind wir ein verlorenes Häuflein in dieser Welt. Denn, das müssen wir zugeben — ohne ihn sind wir nichts, ohne ihn und seine Gegenwart wäre die Kirche ein hilfloses, armes, verzweifeltes Häuflein von Menschen.
Ich glaube eine heilige Kirche — das heißt: ich glaube an den in seinen Gnadenmitteln gegenwärtigen Christus. Weil es so steht, weil die Kirche um den lebendigen und gegenwärtigen Christus sich sammelt, darum ist sie eine Kirche der Armut, des Elends, der Niedrigkeit. Denn das regnum Christi, das Reich Christi ist, wie Luther und ihm folgend das Bekenntnis unserer Kirche sagt, cruce tectum, unter dem Kreuz verborgen. Daß Christus der Herr ist — das wird einmal die Welt sehen, dann nämlich, wenn er am Ende aller Dinge die Herrschaft über das All sichtbar ergriffen hat und alle Kniee sich vor ihm beugen sollen, derer die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, und alle Zungen bekennen sollen, daß Jesus Christus der Herr sei zur Ehre Gottes des Vaters. Bis dahin aber ist seine Herrlichkeit den Augen der Welt verborgen, cruce tectum. Und darum gehört Armut, Not, Verfolgung, die Verkennung und Schmähung der Kirche durch die Welt zum notwendigen Schicksal der Kirche.
Wie nur der Christus der rechte ist, der die Wunden des Kreuzesleidens trägt, so ist nur die Kirche rechte Kirche Christi, die nicht eine Kirche der Glorie, sondern eine Kirche des Kreuzes ist. Wo die Kirche in Glanz und Glorie auftritt, von den Mächten dieser Welt geehrt und anerkannt, da stimmt etwas nicht. Eine Kirche, die die Welt regiert, eine Kirche, vor der die Weltmächte sich beugen, ist sicher eine falsche Kirche. Eine Kirche, der die Mächte der Welt ihre Huldigung, ihre Sympathien, ihre Unterwerfung bezeugen, ist nicht mehr die Kirche dessen, den die Mächte dieser Welt ans Kreuz geschlagen haben. In seiner großen Schrift von den Conciliis und Kirchen hat Luther 1539 einmal die Merkmale genannt, an denen man die wahre Kirche von der falschen, ruhmredigen unterscheiden könne. „Zum siebenten“, sagt er da, „erkennet man äußerlich das heilige christliche Volk bei dem Heiligtum des heiligen Kreuzes, daß es muß leiden alles Unglück und Verfolgung, allerlei Anfechtung und Übel … vom Teufel, Welt und Fleisch, inwendig trauern, blöde sein, erschrecken, auswendig arm, veracht, krank, schwach sein, leiden, damit es seinem Haupt Christo ähnlich werde … Kein Volk auf Erden muß solchen bittern Haß leiden… Sie müssen Ketzer, Buben, Teufel, verflucht und die schädlichsten Leute sein, daß auch die einen Gottesdienst tun, von welchen sie ertränkt, ermordet, gemartert … werden… Wo du solches siehest und hörest, da wisse, daß die heilige Kirche sei, wie er spricht (Matth. 5,11.12): Selig seid ihr, so euch die Leute fluchen und euren Namen verwerfen … um meinetwillen. Seid fröhlich und freuet euch, euer Lohn ist im Himmel groß. Denn mit diesem Heiligtum macht der Heilige Geist dies Volk nicht allein heilig, sondern auch selig.“
Ubi Christus, ibi ecclesia. Wo Christus ist, da ist die Kirche. In diesem Wort hat einer der ältesten Kirchenväter das Geheimnis der Kirche ausgesprochen. Man kann es auch über Luthers Glauben an die Kirche setzen. Ubi Christus, ibi ecclesia. Nicht wir Menschen bilden die Kirche. Nicht die Kraft unseres Glaubens, nicht die Heiligkeit unseres Lebens. Denn wenn die Kirche ein heiliges Volk, eine Gemeinde der Heiligen heißt, dann ist das nicht so zu verstehen, wie man es immer wieder in der Kirchengeschichte verstanden hat: ein heiliges Volk soll die Kirche sein, also sorgen wir dafür, daß nur Heilige ihr angehören; hinaus mit allen, die nicht heilig sind. Die Ehre Christi fordert das. Also laßt uns wenigstens die schlimmsten Sünder hinaustun! Und nun fängt man an, die Klassen von Sünden aufzustellen, die zum Ausschluß aus der Kirche führen müssen. Wie oft hat man das versucht in alter und neuer Zeit. Wie imponierend ist die Sittenstrenge der Alten Kirche oder neuerer Gemeinschaften, die eine heilige, eine reine Kirche herstellt. Oder die, wie die Donatisten des Altertums wenigstens forderten, daß der Klerus von Todsündern frei sei. Aber so oft man es versucht hat, dies Ideal zu verwirklichen, so oft hat man eine schwere Enttäuschung erlebt. Die Gemeinde der Heiligen wurde zu einer Gemeinde von Pharisäern.
Durch all diese Bestrebungen hat Luther einen dicken Strich gemacht. Er hat – und das ist eine der großen Leistungen seines Denkens über die Kirche — gezeigt, daß hier ein ganz falscher Begriff von der Ehre Christi vorliegt. Denn wenn das eigentliche Amt Christi sein Heilandsamt ist, dann ist es nicht seine Ehre, daß er unter lauter Reinen wohnt, sondern unter Sündern. In einem seelsorgerlichen Brief an seinen Ordensbruder Georg Spenlein hat der junge Luther am 8. April 1516 einmal die Worte geschrieben, die befreiendsten, die der Seelsorger Luther geschrieben hat: „Lerne Christum, und zwar den gekreuzigten. Ihm lerne lobsingen und an dir selbst verzweifeln. Und dann sprich zu ihm: lieber Herr Jesu, du bist meine Gerechtigkeit, ich aber bin deine Sünde. Du hast angenommen, was mein ist, und hast mir gegeben, was dein ist… Darum hüte dich, jemals solche Reinheit anzustreben, daß du vor dir nicht mehr als ein Sünder erscheinen, ja überhaupt keiner mehr sein willst. Christus nämlich wohnt nur unter Sündern. Er ist ja vom Himmel, wo er unter Gerechten wohnte, herabgekommen, um auch unter Sündern Wohnung zu machen.“
Es war ein Wendepunkt der Kirchengeschichte, als diese Worte geschrieben wurden. Denn nun wurde zum ersten Male erkannt, was die Kirche als die Gemeinde der Heiligen ist: nicht eine Gemeinde der mehr oder minder Sündlosen, sondern die Gemeinde der gläubigen Sünder. Die Gemeinde derer, die wissen: Es ist doch unser Tun umsonst auch in dem besten Leben! Die Gemeinde derer, die da wissen: ich bin nichts, ich weiß nichts, ich kann nichts, ich habe nichts vor Gott zu bringen als ein zermartert und zerschlagen Herz. Ich habe keine eigene Heiligkeit und Gerechtigkeit und werde sie nie haben. Aber ich habe den, der uns von Gott gemacht ist zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Rechtfertigung und Erlösung. Jetzt konnte Luther mit gutem Gewissen bekennen: „Ich glaube eine heilige Kirche. Denn diese Kirche ist dein Volk. Und heilig bist nur du.“ Die Gerechtigkeit und Heiligkeit der Kirche ist nicht eine Gerechtigkeit und Heiligkeit der Menschen. Sie ist die Gerechtigkeit und Heiligkeit Christi. Die Kirche, die Luther glaubt, ist die Kirche der Rechtfertigung und darum die Kirche nicht des Gesetzes, sondern des Evangeliums.
Ich glaube eine heilige Kirche. Eine heilige Kirche. Wenn Luther über einen Friedhof ging, dann hatte er das tröstliche Gefühl der Nähe der seligen Ewigkeit. Denn er wußte: hier auf diesem Friedhof werden am Jüngsten Tage Heilige auferstehen. Ich weiß nicht, wer diese Heiligen sind. Aber ich weiß, hier liegen die Toten, die einst in ihrem Leben das Evangelium gehört haben, die ihm geglaubt haben und die im Glauben an ihren Erlöser heilig sind.
Und wie Luther an die Heiligkeit der Kirche glaubte, so glaubte er auch an ihre Einheit und er sah diese Einheit in Zeit und Raum. Die Kirche geht durch die Jahrhunderte von den Erdentagen Jesu Christi bis an den Tag seiner Wiederkunft, von den Tagen der Apostel bis an den lieben Jüngsten Tag. Denn zur Kirche Gottes gehören nicht nur die jetzt Lebenden. In der Kirche Gottes sind wir mit denen verbunden, die vor uns an Christus geglaubt haben, und mit den noch Ungeborenen, die in diesem Glauben einst selig sterben werden. Diese Kirche war immer da, auch in den dunkelsten Zeiten des kirchlichen Verfalls. Die Kirchengeschichte hat nicht am Ende des Neuen Testaments aufgehört, um dann 1517 oder 1530 wieder zu beginnen. Nein, auch in den Jahrhunderten der Papstkirche des Mittelalters haben unsere Väter zur Kirche Gottes gehört: „Denn da hat Gott mit Macht und Wunder erhalten, das dennoch unter dem Papst blieben ist: erstlich die heilige Taufe, danach auf der Kanzel das Evangelium in eines jeglichen Landes Sprache, zum dritten die heilige Vergebung der Sünden, beide: in der Beicht und öffentlich, zum vierten das heilige Sakrament des Altars, das man zu Ostern und sonst im Jahr den Christen gereicht hat, wie wohl sie geraubt haben die eine Gestalt. Zum fünften, das Berufen oder Ordinieren zum Pfarramt, Predigtamt oder Seelsorge, die Sünden zu binden und lösen und im Sterben und auch sonst zu trösten. Denn bei vielen der Brauch ist blieben, daß man den Sterbenden das Kruzifix vorgehalten und sie erinnert des Leidens Christi, darauf sie sich verlassen sollten… Wo nun solche Stücke noch blieben sind, da ist gewißlich die Kirche und etliche Heilige blieben … darum ist gewißlich Christus bei den Seinen gewesen mit seinem Heiligen Geist und hat in ihnen den christlichen Glauben erhalten.“
Und wie diese Kirche durch die Zeiten geht, wie sie da ist, auch wenn man meint, sie sei verschwunden, so ist sie auch überall auf Erden, wo immer Menschen den Namen Christi anrufen. Wir alle wissen, wie ernst es die evangelisch-lutherische Kirche stets genommen hat mit den Kirchengrenzen, mit den Grenzen des Bekenntnisses. Sie hat sich geweigert und weigert sich heute, ein falsches Verständnis des Evangeliums, eine unbiblische Taufe, ein dem Evangelium Jesu nicht entsprechendes Altarsakrament anzuerkennen. Aber sie weiß, daß heilige Kirche Gottes nicht nur innerhalb der Kirche Augsburgischer Konfession ist, sondern überall in der Welt, genauso wie ja auch die Römische Kirche sich nicht weigert, etwas von der Kirche Gottes anzuerkennen, auch in den Kirchengemeinschaften, die von Rom getrennt sind. Die Ökumenizität und Katholizität der Kirche Christi spricht in Luthers Sinne unser Bekenntnis in den schönen Worten aus: „Und der Artikel von der katholick oder allgemeinen Kirche, welche von allen Nationen unter der Sonnen zusammen sich schicket, ist gar tröstlich und hochnötig. Denn der Hauf der Gottlosen ist viel größer, gar nahe unzählig, welche das Wort bitter hassen und aufs äußerste verfolgen, als da sein Türken, Mahometisten, andere Tyrannen, Ketzer usw. Darüber wird die rechte Lehre und Kirche oft so gar unterdrückt und verloren, wie unterm Papsttum geschehen, als sei keine Kirche und läßt sich oft ansehen, als sei sie gar untergegangen. Dagegen, daß wir gewiß sein mögen, nicht zweifeln, daß … eine christliche Kirche bis an das Ende der Welt auf Erden sein und bleiben werde, daß wir auch gar nicht zweifeln, daß eine christliche Kirche auf Erden lebe und sei, welche Christi Braut sei, obwohl der gottlos Hauf mehr und größer ist, daß auch der Herr Christus hier auf Erden in dem Haufen, welcher Kirche heißt, täglich wirke, Sünden vergebe, täglich das Gebet erhöre, täglich in Anfechtungen mit reichem starkem Trost die Seinen erquicke, so ist der tröstliche Artikel im Glauben gesetzt: Ich glaube ein katholick, gemeine, christliche Kirche, damit niemand denken möchte, die Kirche sei wie ein ander äußerlich Polizei, an dieses oder jenes Land gebunden, wie von Rom der Papst sagen will, sondern daß gewiß wahr bleibt, daß der Hauf und die Menschen die rechte Kirche sei, welche hin und wieder in der Welt an Christum wahrlich glauben, welche denn ein Evangelium, einen Christum, einerlei Tauf und Sakrament haben, durch einen Heiligen Geist regiert werden, ob sie wohl ungleiche Zeremonien haben.“
Das ist Luthers Glaube an die Eine Heilige Kirche. Das ist der Glaube, den unsere Evangelisch-Lutherische Kirche bekennt, seit den Tagen der Reformation. Das ist der Glaube an die Kirche, den eure Väter bekannt haben, wenn sie hier in Augsburg sich jahrelang im Hof des St. Anna-Kollegiums versammelt haben zum Gottesdienst, weil man ihnen das Kirchengebäude genommen hatte. Das ist der Glaube, den sie bekannt haben, als sie in unendlicher Freude und mit dankbarem Herzen das erste Hohe Friedensfest begehen durften.
Das ist der Glaube an die Eine Heilige Kirche, den wir bekennen, heute am 8. August 1943 im vierten Jahre des großen Krieges. Wissen wir, was dieser Glaube bedeutet? An die Eine Heilige Kirche glauben, das heißt glauben an einen Sinn der Weltgeschichte. Denn daß Gott der Herr sich sein Volk sammelt aus den Völkern der Welt aus allen Generationen der Geschichte — das ist der Sinn aller Geschichte. Daß Gott sein Volk sich sammelt auch aus dem deutschen Volk, daß er mit seinem allmächtigen Wort und mit den unscheinbaren Sakramenten in unserem Volk lebt, daß er nicht nur richtend und strafend, sondern auch heilend und rettend durch diese Zeit hindurchgeht — das glauben wir, weil wir seine heilige Kirche glauben. An die Kirche Gottes glauben, das verborgene Reich Christi in dieser Welt, das heißt glauben an den, der inmitten einer von dem größten Kriege aller Zeiten von Wut und Haß zerrissenen Menschheit aller Menschen, aller Völker Friede ist — er allein ist es, denn er allein hat die Vollmacht zu sprechen: „Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.“
Wie die Welt gibt, das wissen wir jetzt. Wie die Welt gibt, das sehen wir an den zerstörten Städten Deutschlands, an den zertrümmerten Domen am Rhein, den tausendjährigen Gotteshäusern, an den rauchgeschwärzten Ruinen der alten Kirchen von Hamburg, Lübeck und Rostock. Aber durch den namenlosen Jammer dieser Zeit, durch Sterbensnot und tiefste menschliche Verzweiflung hören wir die Stimme dessen, der da zu seiner Gemeinde spricht: „Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch.“ Und wir sprechen mit dem Apostel: Ja, er ist unser Friede. Und wir beten mit der Kirche aller Zeiten: Amen, ja komm Herr Jesu! Und wir bekennen mit Herz und Mund, mit der ganzen Christenheit: Ich glaube an den Heiligen Geist, Eine Heilige Christliche Kirche, die Gemeinschaft der Heiligen. Amen.
Vortrag anlässlich des Hohen Friedensfestes in Augsburg am 8. August 1943.
Quelle: Hermann Sasse, Zeugnisse. Erlanger Predigten und Vorträge vor Gemeinden 1933-1944, hrsg. v. Friedrich Wilhelm Hopf, Erlangen: Martin-Luther-Verlag, 1979, S. 225-240.