Die Zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben
Die jeweiligen Forderungen und Artikel der Bauern blieben im Bauernkrieg meist auf ihren Entstehungsort beschränkt. Nur den Zwölf Artikeln der Christlichen Vereinigung, einem Zusammenschluss des Baltringer, des Allgäuer sowie des Bodensee-Haufens, ist eine weite Verbreitung beschieden. Zusammengestellt hatte diese Artikel wohl der Schreiber des Baltringer Haufens Sebastian Lotzer in Memmingen[1]. Sie wurden Mitte März 1525 bei Melchior Ramminger in Augsburg erstmals gedruckt und erfuhren 27 Nachdrucke. Damit dienten sie anderen Gruppen als Richtlinie für deren Forderungen, die den örtlichen Bedingungen angepasst wurden:
DIE GRÜNDLICHEN UND RECHTEN HAUPTARTIKEL ALLER BAUERNSCHAFT UND HINTERSASSEN DER GEISTLICHEN UND WELTLICHEN OBERKEITEN, VON WELCHEN SIE SICH BESCHWERT VERMEINEN
Dem christlichen Leser Friede und Gnade Gottes durch Christus.
Es gibt viele Widerchristen, die jetzt wegen der versammelten Bauernschaft Anlass nehmen, das Evangelium zu schmähen, indem sie sagen, das seien die Früchte des neuen Evangeliums: niemand gehorsam sein, an allen Orten sich empören und aufbäumen, mit großer Gewalt zusammenlaufen und sich rotten, geistliche und weltliche Obrigkeit zu reformieren, auszurotten, ja vielleicht gar zu erschlagen. Allen diesen gottlosen, freventlichen Urteilen antworten die nachfolgenden Artikel.
Am ersten, damit sie diese Lästerung des Wortes Gottes beseitigen, zum anderen, dass sie den Ungehorsam, ja die Empörung aller Bauern christlich entschuldigen. Zum ersten ist nicht das Evangelium die Ursache der Empörung oder des Aufruhrs, weil es eine Rede von Christus dem verheißenen Messias ist (Röm 1[,3ff.])[2], dessen Wort und Leben nichts als Liebe, Friede, Geduld und Einigkeit lehrt, so dass alle, die diesem Christus glauben, lieblich, friedlich, geduldig und einig werden, wie denn der Grund aller Artikel der Bauern darauf gerichtet ist (wie denn klar gesehen wird), das Evangelium zu hören und ihm gemäß zu leben. Wie können dann die Widerchristen das Evangelium die Ursache der Empörung und des Ungehorsams nennen? Dass aber einige Widerchristen und Feinde des Evangeliums sich wider solches Ansinnen und Begehren auflehnen und aufbäumen, ist nicht die Schuld des Evangeliums, sondern des Teufels, des schädlichsten Feindes des Evangeliums, der solches durch den Unglauben in den Seinen erweckt, damit hier das Wort Gottes (das Liebe, Friede und Einigkeit lehrt) unterdrückt und weggenommen wird.
Zum anderen folgt daraus klar und deutlich, dass die Bauern, die in ihren Artikeln solches Evangelium zur Lehre und zum Leben begehren, nicht ungehorsam und aufrührerisch genannt werden können. Für den Fall aber, dass Gott die Bauern (die nach seinem Wort zu leben ängstlich rufen) erhören will, wer will den Willen Gottes tadeln? Wer will in sein Gericht greifen (Röm 11[,33ff.]; Jes 40[,13]; Röm 8[,33f.])? Ja, wer will seiner Majestät widerstreben? Hat er die Kinder Israels erhört, die zu ihm schrien, und aus der Hand des Pharaos befreit (Ex 3[,7f.]; 14), kann er nicht auch heute noch die Seinen erretten (Lk 18[,7f.])? Ja, er wird sie erretten! Und in Kürze! Derhalben, christlicher Leser, lies die nachfolgenden Artikel mit Fleiß und urteile danach. Hier folgen die Artikel:
Der erste Artikel
Zum ersten ist unsere demütige Bitte und Begehren, auch unser aller Wille und Meinung, dass wir nun Gewalt und Macht haben wollen, dass eine ganze Gemeinde ihren Pfarrer selbst erwählen und prüfen soll (1. Tim 3[,1-7]; Tit 1[,6-9]; Apg 14[,23]). Sie soll auch Vollmacht haben, denselben wieder zu entlassen, wenn er sich ungebührlich verhält. Derselbe erwählte Pfarrer soll uns das heilige Evangelium lauter und klar predigen, ohne jeden menschlichen Zusatz, Lehre und Gebot (Dtn 17[,9-13]; Ex 31[,1-6]; Dtn 10[,22ff.]). Denn wenn uns der wahre Glaube stets verkündigt wird, gibt uns das eine Ursache, Gott um seine Gnade zu bitten, uns denselben wahren Glauben vor Augen zu halten und ihn in uns zu festigen. Denn wenn seine Gnade nicht in uns eingeprägt wird, so bleiben wir stets Fleisch und Blut, das dann zu nichts nütze ist (Joh 6[,63]), wie deutlich in der Schrift steht, dass wir allein durch den wahren Glauben zu Gott kommen könnten und allein durch seine Barmherzigkeit selig werden müssen. Darum ist uns ein solcher Anführer und Pfarrer vonnöten und in dieser Gestalt in der Schrift begründet.
Der zweite Artikel
Zum anderen, obgleich der rechte Zehnte im Alten Testament eingesetzt und im Neuen erfüllt ist (Hebr; Ps 110[,4]), wollen wir den rechten Kornzehnten[3] nichtsdestoweniger gerne geben, doch wie es sich gebührt. Danach soll man ihn Gott geben und den Seinen mitteilen (Gen 14[,20]; Dtn 18[,1]; 12[,12]; Dtn 25[,4]; 1. Tim 5[,18]; Mt 10[,9f]; 1. Kor 9[,9]). Gebührt er einem Pfarrer, der klar das Wort Gottes verkündigt, so sind wir willens, diesen Zehnten hinfort durch unseren Kirchenpropst, den dann eine Gemeinde einsetzt, einsammeln und einnehmen zu lassen, wovon einem Pfarrer, der von einer ganzen Gemeinde gewählt wird, der gebührende und genügende Unterhalt, ihm und den Seinen, nach dem, was eine Gemeinde zuerkennt, gegeben werden soll. Und was übrigbleibt, soll man armen Bedürftigen, die in demselben Dorf vorhanden sind, mitteilen, nach Art der Sache und Festsetzung einer Gemeinde. Was übrigbleibt, soll man behalten, für den Fall, dass man um des Landes Not willen ins Feld ziehen muss; damit man keine Landsteuer auf den armen Mann zu legen braucht, soll man es von diesem Überschuss ausrichten. Auch wenn es vorkäme, dass eins oder mehrere Dörfer wären, die den Zehnten selbst wegen der Not einiger verkauft hätten, dieselbigen sollen es dem, der ihn so von einem ganzen Dorf erhalten hat, nicht entgelten lassen, sondern wir wollen uns in angemessener Weise nach Gestalt der Sache mit ihm vergleichen und ihm solches wieder mit angemessenem Ziel und Zeit ablösen. Aber wenn einer von keinem Dorf solches erkauft hat und nur seine Vorfahren sich selbst solches angeeignet haben, so wollen und sollen und sind wir ihm nichts weiter schuldig zu geben, außer dem, was oben steht, unseren erwählten Pfarrer damit zu unterhalten, Verpflichtungen abzulösen oder den Bedürftigen mitzuteilen, wie die Heilige Schrift beinhaltet, sie seien geistlich oder weltlich. Den kleinen Zehnten[4] wollen wir gar nicht geben, denn Gott der Herr hat das Vieh frei dem Menschen geschaffen (Gen 1[,26]), so dass wir es für einen ungebührenden Zehnten halten, den die Menschen erdichtet haben. Darum wollen wir ihn nicht weiter geben.
Der dritte Artikel
Zum dritten ist bisher der Brauch gewesen, dass man uns für ihre eigenen Leute gehalten hat, was zum Erbarmen ist, angesehen dass uns Christus alle mit seinem kostbaren Blutvergießen erlöst und erkauft hat (Jes 53[,4ff.]; 1. Petr 1[,18f.]; 1. Kor 7[,23]), den Hirten ebenso wie den Höchsten, keinen ausgenommen. Darum ergibt sich aus der Schrift, dass wir frei sind und sein wollen. Nicht dass wir ganz frei sein wollen, keine Obrigkeit haben wollen (Röm 13[,1ff.]; Weish 6[,4]), das lehrt uns Gott nicht. Wir sollen nach den Geboten leben, nicht nach freiem, menschlichem Mutwillen, sondern Gott lieben (Dtn 6[,13]; Mt 4[,10]; Lk 4[,8]), ihn als unseren Herrn in unserem Nächsten erkennen und alles tun, was wir auch gerne hätten (Lk 6[,31f.]; Mt 7[,12]; Joh 13[,34f.]), was uns Gott im Abendmahl zuletzt geboten hat. Darum sollen wir nach seinem Gebot leben. Es zeigt und weist uns dieses Gebot an, dass wir der Obrigkeit nicht nur gehorsam sein sollen, nicht allein der Obrigkeit, sondern wir sollen uns gegen jedermann demütig erweisen, so dass wir auch gerne gegen unsere erwählte und gesetzte Obrigkeit (so uns von Gott gesetzt, Röm 13[,1f.]) in allen gebührenden und christlichen Dingen (Apg 5[,23]) gerne gehorsam sind. Wir haben auch keinen Zweifel, ihr werdet uns aus der Leibeigenschaft als wahre und rechte Christen gerne entlassen oder [aber] uns aus dem Evangelium erweisen, dass wir zu Recht leibeigen sind.
Der vierte Artikel
Zum vierten ist bisher im Brauch gewesen, dass kein armer Mann die Freiheit gehabt hat, dazu zugelassen zu werden, das Wildbret, Geflügel oder Fische im Wasser zu fangen, was uns ganz unangemessen und unbrüderlich dünkt, besonders eigennützig und dem Wort Gottes nicht gemäß. Auch hat an einigen Orten die Obrigkeit das Wild uns zum Trotz und mächtigen Schaden, so dass wir es leiden und dazu schweigen müssen, dass die unvernünftigen Tiere das Unsere (das Gott dem Menschen zum Nutzen hat wachsen lassen) mutwillig zum Unnutzen abfressen, was wider Gott und den Nächsten ist. Denn als Gott der Herr den Menschen erschuf, hat er ihm Macht gegeben, über alle Tiere, über den Vogel in der Luft und über den Fisch im Wasser (Gen 1[,11ff.]; Apg 10[,13ff.]; 1Tim 4[,3ff.]; 1Kor 10[,30]; Kol 2[,16f.20ff.]). Darum ist unser Begehren: Wenn einer ein Gewässer (wasser) besitzt und durch Schriften genügend beweisen kann, dass man das Gewässer mit Bewusstsein so erkauft hat, begehren wir es nicht mit Gewalt zu nehmen, sondern man müsste ein christliches Einsehen darinnen haben wegen der brüderlichen Liebe. Wer es aber nicht genügend beweisen kann, soll einer Gemeinde einen gebührenden Anteil gewähren.
Der fünfte Artikel
Zum fünften sind wir auch beschwert der Holzungen halber, denn unsere Herrschaften haben sich die Gehölze alle allein angeeignet. Und wenn der arme Mann etwas braucht, muss er es ums doppelte Geld kaufen. So ist unsere Meinung, dass die Gehölze, mögen sie Geistliche oder Weltliche innehaben, die sie nicht gekauft haben, sollen einer ganzen Gemeinde wieder anheimfallen und einer Gemeinde in gebührender Weise freistehen soll, einen Jeden nach seinem Bedürfnis zum Brennen ins Haus nehmen zu lassen, auch wenn es vonnöten sein sollte zu zimmern, auch umsonst nehmen zu lassen, doch mit Wissen derer, die von der Gemeinde dazu erwählt werden. Wenn aber keins vorhanden sein sollte außer dem, das redlich gekauft worden ist, soll man sich mit demselben brüderlich und christlich vergleichen. Wenn aber das Gut am Anfang von ihnen selbst angeeignet und danach verkauft worden ist, soll man sich nach der Gestalt der Sache und Erkenntnis brüderlicher Liebe und Heiliger Schrift vergleichen.
Der sechste Artikel
Zum sechsten ist unsere harte Beschwerung der Dienste halber, die von Tag zu Tag vermehrt werden und täglich zunehmen. Wir begehren, dass man ein gebührendes Einsehen damit habe, uns dermaßen nicht so hart zu beschweren (Röm 10[,1]), sondern uns hierinnen gnädig anzusehen, wie unsere Eltern gedient haben, allein nach dem Wortlaut des Wortes Gottes.
Der siebente Artikel
Zum siebenten, dass wir uns hinfort von einer Herrschaft nicht wollen weiter beschweren lassen, sondern wie es eine Herrschaft jemandem in gebührender Weise verleiht, so soll er es besitzen nach dem Vertrag zwischen dem Herrn und dem Bauern. Der Herr soll ihn nicht weiter zwingen und bedrängen, mehr Dienste oder anderes von ihm umsonst zu begehren (Lk 3[,14]; 1Thess 4[,6]), damit der Bauer solches Gut unbeschwert, also ruhig gebrauchen und genießen kann. Wenn aber dem Herrn Dienst vonnöten wäre, soll ihm der Bauer willig und gehorsam vor anderen sein, doch zu Stunde und Zeit, zu der es dem Bauern zu keinem Nachteil gereicht, und ihm um einen angemessenen Lohn Dienst tun.
Der achte Artikel
Zum achten sind wir damit beschwert, und deren gibt es viele, die Güter innehaben, dass dieselben Güter die Zinsen nicht erbringen können und die Bauern das Ihre dabei einbüßen und verderben. Wir begehren, dass die Herrschaften diese Güter von redlichen Leuten besichtigen lassen und nach Billigkeit einen Zins abschöpfen, damit der Bauer seine Arbeit nicht umsonst tue, denn ein jegliches Tagwerk ist seines Lohnes würdig (Mt 10[,10]).
Der neunte Artikel
Zum neunten sind wir beschwert durch großen Frevel, dass man stets neue Satzungen macht (Jes 10[,1f.]), nicht dass man uns straft nach Gestalt der Sache, sondern zuzeiten aus großem Neid und zuzeiten aus großer Gunst. Es ist unsere Meinung, uns mit der alten geschriebenen Strafe zu strafen, danach die Sache gehandelt ist, und nicht nach Gunst (Eph 6[,1-9]; Lk 3[,14]; Jer 26[,14]).
Der zehnte Artikel
Zum zehnten sind wir beschwert, dass einige sich Wiesen angeeignet haben, desgleichen Äcker, die aber einer Gemeinde zugehörten (Lk 6[,31]). Dieselben werden wir wieder zu unseren gemeinen Händen nehmen, es sei denn, dass man es redlich gekauft habe. Wenn man es aber unbilligerweise gekauft hat, soll man sich gütlich und brüderlich miteinander vergleichen nach Gestalt der Sache.
Der elfte Artikel
Zum elften wollen wir den Brauch, genannt den Todfall[5], ganz und gar abgetan haben und ihn nimmer dulden und gestatten, dass man Witwen und Waisen das Ihre wider Gott und Ehre also schändlich nehmen und berauben soll (Dtn 18[,1ff.]; Mt 8[,20]; 23[,14]; Jes 10[,1f.]), wie es an vielen Orten auf mancherlei Weise geschehen ist, und zwar von denen, die sie beschützen und beschirmen sollten. Sie haben uns geschunden und geschabt. Und wenn sie ein wenig Recht gehabt hätten, hätten sie es ganz genommen. Das will Gott nicht mehr leiden, sondern das soll ganz ab sein. Kein Mensch soll hinfort schuldig sein, etwas zu geben, weder wenig noch viel.
Beschluss
Zum zwölften ist unser Beschluss und endgültige Meinung, wenn einer oder mehrere Artikel, die hier aufgestellt sind, dem Worte Gottes nicht gemäß wären – wie wir aber nicht glauben –, dieselbigen Artikel möge man uns mit dem Wort Gottes als unzutreffend erweisen, so wollen wir davon abstehen, wenn man es uns aufgrund der Schrift erklärt. Für den Fall, dass man uns schon jetzt einige Artikel zuließe und danach sich herausstellte, dass sie unrecht wären, sollen sie von Stund an tot und hinfällig sein und nichts gelten. Desgleichen wollen wir uns auch vorbehalten und beschlossen haben, wenn in der Schrift mit der Wahrheit mehr Artikel gefunden werden, die wider Gott und eine Beschwernis des Nächsten wären, und uns in aller christlichen Lehre üben und bewahren; darum wollen wir Gott den Herrn bitten, der uns dasselbe geben kann und sonst niemand. Der Friede Christi sei mit euch allen.
Quelle: Helmar Junghans (Hrsg.), Die Reformation in Augenzeugenberichten, Düsseldorf: Karl Rauch, 1967, S. 287-293 (bearbeitet).
[1] Zur Entstehungsgeschichte vgl. Peter Blickle, Memmingen – ein Zentrum der Reformation, in: Joachim Jahn/ Hans-Wolfgang Bayer (Hrsg.), Die Geschichte der Stadt Memmingen, Bd. 1: Von den Anfängen bis zum Ende der Reichsstadt, Stuttgart: Theiss, 1997, S. 351-418, hier 405-409.
[2] Die Bibelstellen – nur mit Angabe des Kapitels – stehen im Original am Rand neben jeweiligen Artikeln.
[3] Der für Getreide und andere Agrarprodukte auferlegte ›Feldzehnt‹.
[4] Der für Tiere und tierische Produkte auferlegte ›Blutzehnt‹.
[5] Abgabe (Erbschaftssteuer) bei Tod eines Hörigen oder Leibeigenen.
Hier die ursprüngliche Textfassung nach der Druckausgabe von Melchior Ramminger in Augsburg.
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