Nachdem im September 1941 alle Juden in Deutschland den „Judenstern“ tragen mussten, verfasste die Breslauer Stadtvikarin Katharina Staritz ein Rundschreiben an die Breslauer Pfarrer, auf das hin am 18. Dezember 1941 in der SS-Zeitung „Das schwarze Korps“ der Artikel „Frau Knöterich als Stadtvikarin“ erschien: „Da gibt es beispielsweise in Breslau eine so genannte Stadtvikarin, die das seltsame und seltene Amt eines weiblichen Seelsorgers ausübt. Man hat sie in dieses Amt hineingeschickt wohl in der Annahme, dass ein solches ‚letztes Aufgebot‘ in sonderlichem Maße befähigt sein würde, auf die weiblichen Tränendrüsen zu drücken und unmittelbarer als bei den Männern der Fall ist, unter Ausschaltung des kritischen Verstandes, auf das Herz einzuwirken … Die Staritze mögen die Juden getrost zum „Kirchgang“ abholen … Ja niemand würde die Verfasserin ernstlich daran hindern wollen, sich selbst einen Judenstern auf den asketischen Busen zu heften, und noch lieber sähen wir es, wenn sie und ihresgleichen demnächst auch mit den Juden in das harrende östliche Kanaan abzögen.“
Abschrift Rundschreiben Nr. 36
Stadtdekan Breslau, den 12. September 41
G*Nr. 1336
Nachstehende Bitte der Frau Stadtvikarin möchte ich mit einer herzlichen Empfehlung an die Breslauer Amtsbrüder weiterleiten.
In Vertretung:
Meissner.
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Im Reichsgesetzblatt vom 5.9.41 ist eine Polizeiverordnung veröffentlicht über die Kennzeichnung der Juden, die am 19.9.41 in Kraft tritt.
Sie bestimmt folgendes:
Juden im Sinn der Nürnberger Gesetze, soweit sie nicht in privilegierter Mischehe leben« müssen beim Erscheinen in der Öffentlichkeit durch ein Abzeichen in Form eines handtellergrossen Davidsterns mit der schwarzen Aufschrift „Jude“ gekennzeichnet sein, sie dürfen Orden und andere Abzeichnen nicht mehr tragen und ihre Wohnsitzgemeinde nicht ohne schriftliche polizeiliche Genehmigung verlassen. Zu den von dieser Verordnung betroffenen Menschen gehören auch einige unserer Gemeindeglieder und zwar, wie mir von einzelnen Fällen her bekannt ist, auch solche, die schon seit mehreren Jahrzehnten treue Glieder der evangelischen Gemeinden sind, und solche, die als Säuglinge getauft wurden, evangelisch erzogen und konfirmiert sind, also nie etwas mit jüdischer Religion zu tun hatten. Viele von ihnen sind treue Gottesdienstbesucher.
Diese Menschen müssen nun vom 19.9.41 ab, auch wenn sie am evangelischen Gottesdienst oder irgendwelchen Gemeindeveranstaltungen teilnehmen wollen, dort mit dem Judenabzeichen erscheinen; ebenso die zum Kindergottesdienst kommenden nichtarischen Kinder, da der Judenstern vom 6. Lebensjahre an getragen werden muss, ist Christenpflicht der Gemeinden, sie nicht etwa wegen der Kennzeichnung vom Gottesdienst auszuschliessen. Sie haben das gleiche Heimatrecht in der Kirche wie die anderen Gemeindeglieder und bedürfen des Trostes aus Gottes Wort besonders.
Für die Gemeinden besteht die Gefahr, dass sie sich durch nicht wirklich christliche Elemente irreführen lassen, dass sie die christliche Ehre der Kirche durch unchristliches Verhalten gefährden. Es muss ihnen hier seelsorgerlich, etwa durch Hinweis auf Luk. 10,25-57, Matth. 25,40 und Sach. 7,9-10 geholfen werden.
Praktisch bitte ich zu erwägen, ob nicht die Kirchenbeamten, Gottesdienstordner usw. in geeigneter seelsorgerlicher Form anzuweisen wären, sich dieser gezeichneten Gemeindeglieder besonders anzunehmen, ihnen wenn nötig Plätze anzuweisen usw. Evtl. wären auch besondere Plätze in jedem Gotteshaus vorzusehen, jedoch nicht als Armesünderbank für die nichtarischen Christen, sondern um sie davor zu bewahren, von unchristlichen Elementen fortgewiesen zu werden. Damit das aber nicht als unevangelische Absonderung aufgefasst werden kann, ist es notwendig, dass treue Gemeindeglieder, die wissen, was Kirche ist, und die in der Kirche mitarbeiten (z.B. aus Gemeindekirchenrat, Frauenhilfe, Pfarrhaus) auch auf diesen Bänken neben und unter den nichtarischen Christen Platz nehmen. Es ist auch zu überlegen, ob nicht wenigstens in der ersten Zeit diese gekennzeichneten Christen auf ihren Wunsch von Gemeindegliedern zum Gottesdienst abzuholen wären, da einige mir gegenüber schon geäussert haben, sie wussten nicht, ob sie nun noch wagen dürften, in die Kirche zu gehen.
Lic. Staritz
Stadtvikarin
Quelle: Evangelisches Zentralarchiv in Berlin, Best. 50 Nr. 110 Bl. 287.