Hannah Arendt zu Jesu Salbung durch eine Sünderin (Lukas 7,36-50): „Nur denen, die geliebt werden, kann vergeben werden; nur denen, die man liebt, kann (und darf) man vergeben; nicht das Unrecht, das ich getan habe, kann vergeben werden, sondern nur mir, der geliebt wird.“

Zu Jesu Salbung durch eine Sünderin (Lukas 7,36-50)

Von Hannah Arendt

Juli 1951

Wenn man (mit Recht) sagt, dass nur die Liebe vergeben kann, vergisst man meist: Nur denen, die geliebt werden, kann vergeben werden; nur denen, die man liebt, kann (und darf) man vergeben; nicht das Unrecht, das ich getan habe, kann vergeben werden, sondern nur mir, der geliebt wird. – Dies alles wird meist vergessen, weil man vergisst, dass Liebe, wenn sie schon ein »Gefühl« sein soll, nur als gegenseitiges Gefühl existiert. – Das Wort der Evangelien: Ihr wird viel vergeben werden, denn sie hat viel geliebt [Lukas 7,47], ergibt einen Sinn erst, wenn man interpretiert: Also wird ihr von Vielen vergeben werden. Es wird ihr bestimmt nicht um ihres berühmten »Gefühls« willen vergeben werden.

Quelle: Hannah Arendt, Denktagebuch 1950-1973, hrsg. von Ursula Ludz und Ingeborg Nordmann, München: Piper, 2020, S. 110.

Hier der Text als pdf.

Vgl. Hannah Arendt, Die Unwiderruflichkeit des Getanen und die Macht zu verzeihen (Vita activa oder vom tätigen Leben).

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