Von Huub Oosterhuis
Ein Name ist nicht einfach ein Wort. Der Name eines Menschen ist geschichtsbeladen: Ereignisse und Erfahrungen, Freud und Leid und Mißverständnis klingen darin mit. Wenn ich die Namen meiner Freunde ausspreche, entsinne ich mich, wie ich zu ihnen stehe, was uns bindet. Unsere ganze Verbundenheit – das ist für mich die Tiefe und Höhe ihrer Namen. Manchmal sagt man von einem Verstorbenen: Wenn ich seinen Namen nenne, so ist er ganz da.
Wenn wir jemanden bei seinem Namen nennen, heißt das: ihm die Möglichkeit geben, zu sich selbst zu kommen, er selbst zu werden. Wie man im gegenteiligen Fall einen Menschen demütigen, isolieren und eigentlich entmenschlichen kann, indem man nie seinen Namen, seinen Rufnamen, niemals seinen vollen Namen ausspricht, sondern sich immer mit irgendeinem Beinamen, einem Schrei, einer Entstellung seines Namens begnügt.
Quelle: Huub Oosterhuis, Ganz nah ist Dein Wort. Gebete, aus dem Niederländischen übertragen von Peter Pawlowsky, Herder: Wien-Freiburg-Basel 101972, S. 12.