Vor 90 Jahren fand am 22. April 1934 in Ulm ein evangelischer Bekenntnistag im Ulmer Münster statt, der als die Geburtstunde der Bekennenden Kirchen in Deutschland gilt. Seinerzeit schrieb darüber der Evangelische Pressedienst: „Am Sonntag, den 22. April, fand in der alten schwäbischen Reichsstadt Ulm ein eindrucksvoller evang. Bekenntnistag statt. Die Nachricht, daß Landesbischof D. Wurm im Münster predige, führte eine weit über 5000 Menschen umfassende Gemeinde in dem ehrwürdigen Gotteshaus zusammen. Nicht nur zahlreiche Ulmer Gemeindeglieder hatten sich eingefunden, sondern auch Vertreter aus den umliegenden Städten und Dörfern waren in unerwartet großer Zahl gekommen. Der Bekenntnistag erfuhr dadurch eine besondere Bedeutung, daß aus allen deutschen Gauen, auch aus den entferntesten, Abgesandte erschienen waren, Pfarrer und Gemeindeglieder. Unter ihnen befand sich Landesbischof D. Meiser, Bayern, Präses Koch, Oeynhausen, Reichsgerichtsrat Flor, Leipzig, Rechtsanwalt Fiedler, Leipzig, die Pfarrer Asmussen, Altona, Vogel, Berlin. Superintendent Hahn, Dresden u. a.“
Im Ulmer Münster wurde folgende Erklärung verlesen, die vom sogenannten ‚Nürnberger Ausschuss‘ am 18. April 1934 in München vorbereitet worden war:
Vom 22. April 1934
Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes!
Wir versammelten Vertreter der Württembergischen und Bayrischen Landeskirchen, der freien Synoden im Rheinland, in Westfalen und Brandenburg, sowie vieler bekennender Gemeinden und Christen in ganz Deutschland erklären als rechtmäßige Evangelische Kirche Deutschlands vor dieser Gemeinde und der gesamten Christenheit:
Auf uns lastet die schwere Sorge um die Deutsche Evangelische Kirche. Zwar hat die Reichskirchenregierung in ihren neuesten Verordnungen und Gesetzen vom Frieden geredet. Ihre Taten stehen zu diesen Erklärungen im Widerspruch. Sie offenbaren, daß dieser „Friedenswille“ nicht aus Gottes Wort und Geist geboren ist.
Man kann nicht Frieden verkündigen und unmittelbar danach einer bekenntnismäßig gebundenen Landeskirche wie der württembergischen Gewalt antun. Das aber ist geschehen durch das Kirchengesetz des Reichsbischofs, das im Widerspruch zu der Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche den Zusammentritt des Württembergischen Landeskirchentages verhindert hat.
Um der dauernden Gefährdung des Bekenntnisses und der Kirche willen, auch um der Wahrhaftigkeit willen stellen wir uns der Christenheit und allen, die es hören wollen, dar als eine Einheit, die durch die Kraft Gottes treu zum Bekenntnis zu stehen gedenkt, obschon wir damit rechnen müssen, daß uns dadurch viel Not erwachsen wird. Wir versammelten Kirchenführer, Vertreter freier Synoden und Abgeordnete vieler Gemeinden und Christen in deutschen Gauen sind aber in Gottes Wort getrost und freudig, alles auf uns zu nehmen, was Gott uns auferlegt, – komme, was da wolle, – damit das Kreuz Christi wirklich das Leben der Kirche beherrsche. Daran werden wir uns auch nicht hindern lassen, wenn weiteren hin die ganze deutsche Öffentlichkeit so irregeleitet werden sollte wie neuerdings über die kirchlichen Zustände in Württemberg. Entgegen der Darstellung der Reichskirchenregierung stellen wir fest, daß von einem schweren kirchenpolitischen Zwist in der Württembergischen Landeskirche nicht die Rede sein konnte. Auch was sonst über den Besuch des Reichsbischofs in Württemberg gesagt worden ist, entspricht nicht den Tatsachen. Der Reichsbischof hat den Württembergischen Landesbischof weder gesehen noch gesprochen. Wir gedenken mit Gottes Hilfe der Anwendung von Gewalt und übler Nachrede das Wort Gottes und das Bekenntnis unserer Kirche in Wort und Tat entgegenzusetzen, in der gewissen Zuversicht, daß Gott seine Sache nicht verlassen wird.
Die unausgesprochene Absicht der Reichskirchenregierung bei ihrer Verordnung zur Wiederherstellung des kirchlichen Friedens in Württemberg war offenbar nicht die Herbeiführung des wahren Friedens innerhalb der Reichskirche, sondern die gewaltsame Niederkämpfung eines der letzten Bollwerke der Bekenntniskirche in Deutschland. Wir bezeugen: Die Deutsche Evangelische Kirche muß den Segen Gottes verlieren, wenn sie so der Unwahrheit Raum gibt. Sie muß in Unordnung versinken, wenn in dieser Weise die oberste Kirchenleitung selbst die Würde und Autorität des Leiters einer Landeskirche untergräbt und die Gemeinden geistlich und rechtlich entmündigt.
Darum rufen wir auch alle Gemeinden, Ältesten und Kirchengemeinderäte, Kirchenvorsteher und Pfarrer auf, mit uns zusammenzustehen gegen solche Gefährdung der Kirche. Aller Verschleierung zum Trotz bezeugen wir: Das Bekenntnis ist in der Deutschen Evangelischen Kirche in Gefahr! Das geistliche Amt wird seines Ansehens durch die Deutschen Christen und ihre Duldung durch die oberste Kirchenbehörde beraubt. Das Handeln der Reichskirchenregierung hat seit langer Zeit keine Rechtsgrundlage mehr. Es geschieht Gewalt und Unrecht, gegen welche alle wahren Christen beten und das Wort bezeugen müssen. Als eine Gemeinschaft entschlossener, dem Herrn Christus gehorsamer Kämpfer bitten wir Gott, den Allmächtigen, er möge allen Christen die Augen auftun, daß sie die Gefahr sehen, welche unserer teuren Kirche droht. Er möge uns nicht wanken lassen, daß wir zu seiner Ehre und in seinem Dienst fest bleiben, auch alles tun, was er von uns an Treue und Gefolgschaft gegen Volk und Staat verlangt. Pfarrer und Gemeinden der Württembergischen Landeskirche, schart euch um euren Landesbischof! Ihr Christen deutscher Zunge, steht mit uns allen zusammen, fest gegründet auf Gottes Wort, unverrückt im Gebet, freudig im Glauben und in der Liebe! Dann wird von diesem Tage Segen kommen auf unsere ganze Kirche und unser ganzes Volk! Das walte Gott!
Quelle: Kirchliches Jahrbuch 1933-1944, hrsg. v. Joachim Beckmann, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 21976, S. 65f.
