Walter Brueggemann über den Lobgesang der Hanna (1.Samuel 2,1-10): „Es ist JHWHs Fähigkeit, angesichts des menschlichen Handelns den Schwachen und Ausgegrenzten Hoffnung zu geben. JHWHs Eingreifen verändert das Missverhältnis von Macht und Möglichkeiten im menschlichen Handeln. So können im Krieg die Mächtigen nicht siegen und die Schwachen stark sein.“

Der Lobgesang der Hanna. Kommentar zu 1. Samuel 2,1-10

Von Walter Brueggemann

Die Geburt eines Kindes für eine unfruchtbare Frau ist zu keiner Zeit eine Routineangelegenheit, schon gar nicht im alten Israel. Die Geburt ist in erster Linie ein Anlass für ein unermessliches Fest. Die tiefste Sehnsucht der Mutter hat sich auf unerklärliche Weise erfüllt. Hannas Wert, ihre Würde und ihr rechtmäßiger Platz bei ihrem Mann sind wiederhergestellt. Hanna muss singen! Zweitens aber wird diese überraschende Geburt als mehr als ein persönliches, familiäres Ereignis wahrgenommen. Die Geburt ist eine Versicherung, die die ganze Gemeinschaft betrifft. Es ist eine Versicherung, dass das Leben und die Zukunft Israels (wie der Schoß Hannas) wieder geöffnet worden sind. Hanna und die Gemeinschaft von Hanna sind nicht vom Schicksal bestimmt. Wenn inmitten der Unfruchtbarkeit ein Sohn geboren wird, wer weiß, was noch alles geschenkt werden kann, vielleicht sogar Wohlstand inmitten dieser unruhigen Gemeinschaft! Die Geburt ist kein privates Wunder, sondern ein Geschenk der Möglichkeit für ganz Israel. Israel muss mit Hanna singen!

Diese Geburt wird nicht durch biologische Manipulation oder durch dunkle, verwaltete religiöse Geheimnisse herbeigeführt. Sie ist ein reines Geschenk, das im intensiven Gespräch von Klage und Antwort, von Versprechen und Treue, von Bedürfnis und Antwort entsteht. Der Erzähler (und Hanna und Israel) zweifelt nicht daran, dass die Geburt JHWH betrifft. JHWH hat inmitten der hoffnungslosen Verlorenheit Israels eine ungeheure lebensspendende Kraft mobilisiert. Daher ist das Lied ein Lobgesang. Israel muss mit Hanna JHWH loben! Zwar wird der neugeborene Sohn gefeiert, aber das Lied handelt schließlich nicht von dem Sohn, sondern von JHWH. Die Betonung liegt auf dem Geber, nicht auf dem Geschenk. So kostbar das Geschenk auch ist, der Geber ist derjenige, der Israels ehrfürchtige Erwartung übertrifft. Lobpreis ist die einzige Rede, die dem Anlass angemessen ist.

Hanna singt ein ganz besonderes Lied, das sich auf ein konkretes Wunder bezieht. Dabei stimmt sie aber in ein Lied ein, das Israel schon lange singt. Israel ist in besonderer Weise eine Gemeinschaft der Doxologie. Sein Leben besteht darin, Gott zu loben für das, was er getan hat und für das, was er in charakteristischer Weise weiterhin tut. Hanna singt also kein neues Lied, sondern macht sich ein in Israel bereits bekanntes Lied zu eigen. Das „Lied der Hanna“ ist also wahrscheinlich aus dem Repertoire der öffentlichen Hymnen Israels übernommen worden. Das Lied hat hymnische Standardelemente; es spricht in uneingeschränkter Weise von JHWHs Macht und Herrschaft. Es scheint eine konkrete Danksagung für erinnerte Gaben zu enthalten, aber diese konkreten Erinnerungen werden nun als charakteristisch für JHWH verallgemeinert. Was JHWH getan hat (in unserer Erinnerung und Erfahrung), kann JHWH in charakteristischer Weise tun und tut es auch.

Das Lied hat öffentliche, nationale Dimensionen, indem es von Feinden (V. 1), Krieg (V. 4) und schließlich sogar von einem König (V. 10) spricht. Es ist wahrscheinlich, dass das Lied ursprünglich vom königlichen Establishment verwendet wurde, um monarchische Siege im Krieg zu feiern. Nun aber wird das Lied von der Tradition Samuels in einem doppelten Interpretationsschritt vereinnahmt. Erstens wurde das große öffentliche Lied (das sich in Psalm 113 widerspiegelt) in die Nähe der persönlichen Familienfeier eines erstaunlichen Sohnes gerückt. Zweitens aber ist die Tradition, die sich das Lied für Hanna aneignet, darauf bedacht, dass der Fokus der Samuel-Tradition nicht einfach auf dem jüngst geborenen Samuel liegt, sondern auf dem Entstehen des Königtums in der noch zu erzählenden Geschichte. Der neugeborene Samuel wird, bevor die Geschichte zu Ende ist, ein Königsmacher und ein Königsbrecher sein. So ist die persönliche Freude Hannas auf die kommende Größe Israels unter David ausgerichtet. Das Gedicht erfordert angesichts seiner ursprünglichen Verwendung als könig­licher Psalm und angesichts seiner heutigen Verwendung für Familienfeiern einen doppelt fokussierten Gesang. Israel trennt niemals zwischen intimer Familienfreude und öffentlichem Schicksal. Wenn Mutter Hanna singt, singt sie von ihrer Freude, aber sie singt auch von Israels öffentlicher Zukunft.

Das Lied ist von dem Hinweis auf „mein Horn“ (qeren in V. 1) und „das Horn seines Gesalbten“ (qeren in V. 10) umhüllt. Das Lied beginnt mit der Feier von Hannas „erhobenem Horn“ und endet mit dem „erhobenen Horn“ des Messias. Das ganze Lied handelt von einem „aufgerichteten Horn“, das eine sichtbare Erhöhung von Wert, Würde, Macht, Ansehen und Wohlstand bedeutet. Es ist das Lied einer Frau, die noch vor kurzem unfruchtbar war, und eines Volkes, das noch vor kurzem unterdrückt wurde. Ihre Freude über das neue „erhobene Horn“ entspricht ihrem Erstaunen über diesen unerklärlichen Statuswechsel, der nur durch die Macht JHWHs erklärbar ist, der nur gepriesen werden kann.

1-2. Die wichtigsten theologischen Themen in Hannas unglaublicher Veränderung ihres Status werden vorgestellt. Hanna singt von „meinem Herzen, meinem Horn, meinem Mund, meinen Feinden“ (V. 1), aber diese stehen in krassem Gegensatz zu „deiner Befreiung“ (Hervorhebung durch den Autor). Es ist Hannas Freude, aber JHWHs Macht. Strophe 2 ergänzt Strophe 1 durch einen kraftvollen Dreiklang aus „keiner, keiner, keiner“, der bekräftigt, dass es keinen anderen gibt wie JHWH, dich, unseren Gott. Dieses Lied ist in der Tat eine Feier von JHWHs Unvergleichlichkeit. JHWH ist derjenige, der die Macht hat, zu verwandeln, und die Bereitschaft, für die Machtlosen einzugreifen. Beide Eigenschaften sind erforderlich. Macht zur Verwandlung ohne Bereitschaft zum Eingreifen endet in einer hochmütigen Transzendenz. Die Bereitschaft zum Eingreifen ohne die Kraft zur Verwandlung endet in einer mitleidigen Sentimentalität. JHWH ist weder hochmütig noch mitleiderregend, sondern besitzt wie kein anderer die Kombination von Eigenschaften und Neigungen, die für diese marginale Gesangsgemeinschaft von Bedeutung sind. Israel wirft dieses Lied trotzig gegen die Realität seiner Marginalität. Zu Beginn der Samuel-Erzählung von Israels historischem Wandel bezeugt Israel freudig die merkwürdige Treue dieses Gottes, der den Wandel bewirkt.

3-8. In diesen Versen werden konkrete Fälle von Verwandlung beschrieben, die durch JHWHs Macht zur Verwandlung und seine Bereitschaft, einzugreifen, bewirkt wurden. JHWH hat den Vorsitz über alle menschlichen Handlungen und lässt sich von menschlichen Handlungen oder menschlichen Widerständen weder abschrecken noch übermäßig beeindrucken (V. 3; vgl. Spr 16,9). Es ist JHWHs Fähigkeit, angesichts des menschlichen Handelns den Schwachen und Ausgegrenzten Hoffnung zu geben. JHWHs Eingreifen verändert das Missverhältnis von Macht und Möglichkeiten im menschlichen Handeln. So können im Krieg die Mächtigen nicht siegen und die Schwachen stark sein (V. 4; vgl. Spr 21,30-31). Dieses Urteil über den Krieg nimmt die kommenden Triumphe Israels vorweg, vielleicht mit besonderem Bezug auf Davids paradigmatischen Sieg über Goliath (1 Sam. 17).

Die Frage der Verwandlung kommt Hannas eigenem Fall in Vers 5 näher. Zuerst gibt es eine Umkehrung der Satten und der Hungrigen. Dann gibt es eine Umkehrung der Unfruchtbaren und der Fruchtbaren. Man beachte, wie polemisch und parteiisch die Behauptung ist. Es wird nicht gesagt, dass die Hungrigen auch satt sein werden oder die Unfruchtbaren auch Kinder bekommen werden. Vielmehr werden die Satten und Fruchtbaren von den Hungrigen und Unfruchtbaren verdrängt und erleiden nun das Schicksal, das den anderen so lange zugedacht war. Den Satten wird nun der Hunger zum Verhängnis, den sie in den früheren Regelungen auferlegt hatten. Der Tonfall des Textes zeugt von einem weit verbreiteten sozialen Ressentiment gegen diejenigen, denen es zu lange zu gut ging und die nun genau das verlieren sollen, was sie am meisten schätzten (vgl. Lukas 16,19-31).

Nach einer Aussage über Krieg, Nahrung und Kinder wird in Vers 6 der Extremfall, Leben und Tod, genannt. Dieser Gott herrscht in einzigartiger Souveränität über die Gabe des Lebens und des Todes und verleiht diese Gaben in völligem Wissen (V. 3), ohne eine Begründung oder Rechtfertigung anzubieten (vgl. Dtn 32,39). Im Blickfeld von Hanna gibt es keine sekundären Ursachen, keine mildernden Umstände. Es gibt nur JHWH. Denjenigen, die jetzt satt und fruchtbar sind, mag das willkürlich erscheinen. Für diejenigen jedoch, die jetzt hungrig und unfruchtbar sind, erlaubt die Realität JHWHs eine mächtige Hoffnung, die die soziale Möglichkeit über die verwaltete Rationalität des politisch-wirtschaftlichen Establishments hinaus verschiebt (vgl. Lukas 6, 20-21, 24-25). Es handelt sich um eine Hoffnung, die über die festgelegten Grenzen der gegenwärtigen sozialen Realität hinausgeht, eine Hoffnung, die für diejenigen, die durch die gegenwärtigen Grenzen ausgeschlossen sind, am dringendsten ist. Eine solche „irrationale“ Hoffnung ist ein Akt des Glaubens, dass nicht alle Gaben Gottes bereits an die gegenwärtigen Formen und Arrangements gebunden sind. Gott hat neue, mächtige Gaben zu geben und ist dabei, sie unter den Machtlosen und Ausgegrenzten zu verteilen.

Die Macht sozialer Ressentiments und sozialer Möglichkeiten wird in den Versen 7-8 deutlicher, in denen die soziale Umkehrung von Arm und Reich, von Hoch und Niedrig besungen wird. In Vers 8 können wir die gefährlichen sozialen Auswirkungen des Auferstehungsglaubens erkennen. Dies ist die wirkliche „Auferweckung“, die JHWH vornehmen wird, die Auferweckung zu Macht und sozialer Möglichkeit. In diesem besonderen, machtvollen Akt JHWHs werden alle gegenwärtigen sozialen Unterschiede und politischen Ungleichheiten überwunden und verworfen. Inmitten dieses Liedes werden die sozialen Privilegien der Fürsten in die Bedeutungslosigkeit gesungen. Man kann sich den Hochmut der Peninna (1,4-6) vorstellen, die so privilegiert schien. Man kann sich die Arroganz der Philister vorstellen, die so sicher zu sein schienen. Später kann man den Stolz Babylons erahnen (und sich darüber ärgern), das dazu bestimmt zu sein schien, die Welt für immer zu beherrschen (Jes. 47,1-2). Alles, was es braucht, um diese Arrangements von Tyrannei und Ausbeutung in der Vorstellung Israels zu ändern, ist jedoch eine klare Doxologie. Alles, was es für eine neue Möglichkeit braucht, ist eine Tat JHWHs, neben dem es keinen anderen gibt.

In Strophe 8c stellt das Lied eine bemerkenswerte interpretatorische Verbindung her. In den Versen 5 und 7-8a ging es um die Hungernden, Unfruchtbaren, Armen und Bedürftigen. In einem doxologischen Ausruf bekräftigt Hanna/Israel, dass JHWH der Schöpfer ist, der die Welt auf Säulen gegründet hat, die nur JHWH gehören (V. 8a). Die Wendung der Doxologie ist durch ein betontes „für“ gekennzeichnet, das den Grund für Hannas Zuversicht und Freude angibt. Die Hoffnung der Armen und Schwachen ist in der grundlegenden Macht des Schöpfers verwurzelt. Die Hoffnung Israels und die Macht Gottes werden durch die Präposition „denn“ miteinander verbunden. Die tief stehenden Säulen JHWHs lassen die Welt nicht im Chaos versinken. Die Welt gehört ganz JHWH, und JHWH hat sie möglich gemacht. JHWH hat den Vorsitz über die Welt und kann deshalb mit ihr machen, was JHWH will. Vers 8c ist jedoch mehr als eine Machtbekundung. Es ist eine Behauptung von JHWHs völliger Freiheit. JHWH braucht sich vor keinem Fürsten oder Adligen zu beugen, zu beugen oder zu beugen. JHWH muss sich keiner legitimen sozialen Ordnung unterwerfen. JHWH ist frei, die Erde neu zu ordnen, und er wird dies im Namen der Menschen am Rande tun.

Das Gedicht verbindet also die Majestät der Souveränität JHWHs über die Schöpfung mit der Hoffnung der Menschen am Rande. Diese Verbindung wird in Deuteronomium 10,14, 17-18 kurz und bündig dargelegt:

„Siehe, dem HERRN, deinem Gott, gehören der Himmel und der Himmel der Himmel, die Erde und alles, was darauf ist … Denn der HERR, dein Gott, ist der Gott der Götter und der HERR der Herren, der große, der mächtige und der schreckliche Gott, der nicht parteiisch ist und sich nicht bestechen lässt. Er übt Gerechtigkeit an den Waisen und Witwen und liebt die Fremden und gibt ihnen Nahrung und Kleidung.“

Die kosmische Macht JHWHs wird gerade für die sozial Schwachen mobilisiert. Kein Wunder, dass Hanna singt! Die weltliche Hoffnung der Schwachen ist in der Macht verwurzelt, die die Welt zusammenhält. Kein Wunder, dass die Randständigen in Israel in Hannas Lied einstimmen! Kein Wunder, dass ihre Lieder an JHWH gerichtet sein müssen, der als Einziger eine so souveräne Macht hat, der als Einziger auf die Marginalen achtet.

9-10. Hier wird ein etwas anderes Thema vorgestellt. Der gepriesene Gott ist der Richter, der über die ganze Erde und alle Mächte auf ihr herrschen wird (V. 10). Als Richter wird JHWH nicht nur Urteile verkünden, sondern auch aktiv eingreifen, um diese Urteile umzusetzen. JHWH wird zwischen den „Treuen“ und den „Bösen“ unterscheiden (V. 9a). Die Treuen sind diejenigen, die auf Gottes Verheißungen vertrauen, Gottes Gaben empfangen und ihre Gelübde gegenüber Gott einhalten – Menschen wie Hanna. Die Gottlosen sind diejenigen, die sich auf ihre eigene Kraft verlassen – Menschen wie Peninna oder die Philister. Gegen die richtende, herrschende Macht JHWHs kann die arrogante menschliche Kraft nicht bestehen (V. 9b). Keine Macht, kein gesellschaftliches Arrangement, kein alternativer Autoritätsanspruch kann der Herrschaft JHWHs widerstehen (vgl. 1. Korinther 1,25).

Am Ende des Liedes (V. 10) wird uns gesagt, dass die Herrschaft JHWHs in der Stärke des Königs liegt. Wie seltsam! Ganz am Anfang des Buches Samuel, lange bevor Saul oder David oder irgendein König in Israel auftaucht, lässt die Dichtung Hanna behaupten, dass der kommende König ein Vertreter der Armen, Bedürftigen, Hungernden und Unfruchtbaren sein wird (vgl. Ps 72,1-4.12-14). Dieses Gedicht nimmt die Hoffnung vorweg, die in das Königtum für die kommende Zeit gesetzt wird. Darüber hinaus formuliert das Gedicht die Kriterien, nach denen spätere Könige zu beurteilen sind. All dies liegt auf den dankbaren, erwartungsvollen Lippen von Hanna.

Wir hatten gedacht, dies sei Hannas Lied über ihren Sohn. Das ist es auch. Es handelt von ihrem „Horn“. Das Lied geht jedoch über Hanna hinaus. Es vertraut nun auf das „Horn Davids“, das das wahre Horn Israels ist, und nimmt es vorweg. Es nimmt vorweg, dass JHWH die soziale Wirklichkeit neu ordnen wird, gerade im Interesse derer, die zu arm und zu schwach sind, um ihren eigenen Weg zu gehen.

In erster Linie ist dieses Gedicht tatsächlich Hannas Lied. Es ist die Stimme einer freudigen Frau, die auf erstaunliche Weise aus der Unfruchtbarkeit gerettet wurde. Gleichzeitig ist es aber auch ein kraftvolles Gedicht, das weit über Hanna hinaus Zukunft hat. Childs hat festgestellt (S. 272-273), dass dieses Lied einen „Interpretationsschlüssel“ für die Samuelbücher liefert. Das heißt, die Macht und die Bereitschaft JHWHs, sich einzumischen, zu intervenieren und umzukehren, ist das Hauptthema dieser Erzählung. Wir beobachten, wie die Verachteten (Israel, David) zu den Großen werden. Im Mittelpunkt dieser verblüffenden Umkehrung steht der achte Sohn (16,11-12), der mit den Prinzen zusammensitzt und einen Ehrenplatz erbt (2,8).

Dieses Lied wird zum Lied Marias und zum Lied der Kirche (Lk 1,46-55), da die gläubige Gemeinschaft in Jesus das Mittel findet, durch das JHWH die Welt wenden und in Ordnung bringen wird. Das Lied der Maria, das von Hanna stammt, wird zur Quelle für die radikale Darstellung Jesu durch Lukas. Dieses Lied wird zu einer Quelle tiefer und gefährlicher Hoffnung in der Welt, wo die Aussicht und die Möglichkeit menschlicher Regelungen erschöpft sind. Wenn die Menschen den Verheißungen der Machthaber dieses Zeitalters nicht mehr glauben können, wenn die Gaben des Wohlstands nicht mehr über die etablierten Kanäle gegeben werden, dann bringt dieses Lied eine Alternative zum Ausdruck, an die sich die verzweifelten Gläubigen klammern.

1. Samuel 2,1-10 beginnt mit der erlösten Unfruchtbarkeit; die Unfruchtbarkeit ist jedoch die vorletzte Demütigung. Die letzte Bedrohung ist der Tod, und das beste und erstaunlichste Geschenk ist das auferstandene Leben. Hanna und Israel singen von dem, der „zum Leben erweckt“, der die Macht des Todes bricht. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Macht als Unfruchtbarkeit, als Verzweiflung oder als Unterdrückung erlebt wird. Hanna stellt sich mit diesem Lied mutig der Macht des Todes entgegen. Ihre Tat ist ein Akt kühner Hoffnung, der in einem konkreten Geschenk wurzelt und auf mehr Leben wartet, das noch gegeben werden muss. Unsere interpretatorische Verantwortung besteht nun darin, herauszufinden, wer von uns dieses gefährliche, kühne Lied mit demselben Gott verbinden kann, der die Macht hat, zu verwandeln, und der bereit ist, einzugreifen. Diese Macht und Bereitschaft sind die Quelle des einzigen Trostes für Israel (Lk 2,25) und die Energie, die die Samuel-Erzählung zu ihrer bemerkenswerten davidischen Möglichkeit antreibt.

Quelle: Walter Brueggemann, First and Second Samuel, INTERPRETATION. A Bible Commentary for Teaching and Preaching, Louisville, Kentucky: John Knox Press, 1990.

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