Darauf hat mich Hans G. Ulrich heute im Gespräch gebracht. Die Rede von selbstwirksamen, anonymen »Kräften« (dynámeis), »Mächten« (archaí) bzw. »Gewalten« (exousíai) , die ihren Anhalt im Neuen Testament hat (vgl. Heinrich Schlier, Mächte und Gewalten im Neuen Testament), erweist sich mitunter als problematisch. Wo keine personale Zuschreibung erfolgt, kann mit Blick auf ein Fehlgeschehen der Vergangenheit die Frage eigener Verantwortlichkeit ausgeblendet werden. So hatte in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg eine dämonologische Interpretation des Nationalsozialismus mit dazu geführt, dass man sich im Nachkriegsdeutschland auch kirchlicherseits einer persönlichen Schuldfrage nur ansatzweise stellen musste.
In der Gegenwart haben selbstwirksame Mächte und Gewalten eine Suggestionskraft im Hinblick auf Verschwörungsgerede. Hat man sich diese Figuren imaginativ aneignet, lassen sich mit ihnen als gesichtlose „Agenten“ Dramaturgien apokalyptischen Ausmaßes narrativ entfalten. Diese können dann wiederum zur Selbstermächtigung von gewaltsamen Handlungen dienen, so wie der Sturm auf das Kapitol in Washington, D.C. am 6. Januar 2021. Vgl. hierzu Jenny Van Houdt, Big-tent eschatology: Apocalypse as a mobilizing concept for the January 6, 2021 Capitol Riot (The Journal of American Culture, 2024, pp. 1-8).