Teufel VI. Systematisch-theologisch
Von Joachim Track
In der christlichen Tradition wird der Teufel als „Widersacher“ Gottes, als „Verführer“ und „Versucher“ der Menschen, als wirkmächtige „Gestalt“ des Bösen verstanden. So spitzen sich in der systematisch-theologischen Reflexion des „Teufels“ die Grundfragen des Gottes-, Menschen- und Weltverständnisses noch einmal zu. Zugleich steht jede dogmatische Entfaltung unter dem Vorbehalt: Wird damit der mythischen Figur des Teufels nicht zu viel Aufmerksamkeit erwiesen? Wir sollen nicht an den Teufel glauben, sondern seine Wirkmächtigkeit nüchtern und wachsam wahrnehmen (Barth, KD IV/3, 301). Entziehen sich nicht das Böse und der Teufel „bestimmungsresistent“ (Jüngel 1707), hartnäckig dem analytischen Zugriff? Sind Versuche einer Objektivation nicht schon erste Schritte zu einer „Entbösung des Bösen“?
Andererseits bedarf es einer Wahrnehmung der „Wirkmächtigkeit“ des Bösen, damit man ihm widerstehen kann (Ricœur 405f.). Die Entmächtigung des Bösen fordert, es beim Namen zu nennen und zu „demaskieren“ (Wink; Stringfellow). Nicht zuletzt angesichts der verheerenden Wirkungsgeschichte des Teufelsglaubens im Christentum bedarf es einer kritischen Annäherung an das Phänomen des Bösen in seiner Entzogenheit und vielgestaltigen Wirkmächtigkeit.
1. Das Reden vom Teufel
Im Kontext der Aufklärung fiel die Rede vom Teufel einer als notwendig erachteten Entmythologisierung anheim. Sie schien nur in einer existentialen, vorwiegend von psychologischen Einsichten bestimmten Interpretation zugänglich. Theologisch hatte sich weitgehend Schleiermachers These von der dogmatischen Irrelevanz und der nur Widersprüche hervorrufenden „Erklärungsleistung“ der Rede vom Teufel durchgesetzt (Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der Evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt [21830-1831], hg. v. Martin Redeker, Berlin, I 71960, §§ 44-45). Während die katholische Theologie sich an den Festlegungen ihrer Tradition und der Praxis des Exorzismus abarbeitet (Haag; Claret), ist es in der protestantischen Theologie seit den 70er Jahren des 20. Jh. zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit der Rede vom Teufel gekommen. Sie fällt zusammen mit einer „Renaissance des Bösen“ und einer Wiederkehr der Rede von „dunklen Mächten“, die in den westlichen Gesellschaften auf dem Hintergrund der Erfahrungen des Bösen in der jüngeren Geschichte und aktueller, Unrecht und Leiden erzeugender Eigendynamiken weltweiter Entwicklungen neu interessieren. Neu werden die Zeitgebundenheit von Teufelsvorstellungen in Schrift und Tradition und die damit verbundene mythische Sprach- und Denkform diskutiert. Ausgehend von der allgemeinen Mythosdebatte wird für die „Symbolik des Bösen“ (Ricœur 17ff.) darauf verwiesen, daß solche Symbole als Ausdruck von Erfahrungen und Weltdeutungen eine imaginativ-poietische, verhaltenssteuernde Funktion (Geertz 53) haben. Sie sind darin unhintergehbar, daß der „Sinn“ des Symbols nicht unmittelbar gegeben ist, sondern immer wieder interpretativ eingelöst werden muß (Ricœur 401f.) und so auch nicht bleibend in Wissen oder gar in eine (lehramtliche) Doktrin überführt werden kann. So zeitbedingt biblisches Reden vom Bösen ist, als dessen „personale Repräsentanz“ der Teufel vorgestellt wird, so deutlich gibt uns das Böse in seiner realen zerstörerischen Macht zu denken und zu handeln auf.
2. Die Wirkmächtigkeit des Teufels und des Bösen
Vielfältig sind die Beschreibungen der Wirkweisen des Bösen. Die Tradition unterscheidet zwischen dem kreatürlichen, dem metaphysischen und dem moralischen Übel. Letzteres verdankt sich der bösen Absicht und dem bösen Handeln des Menschen und ist im engeren Sinn als Böses zu verstehen. Das gilt unbeschadet der unverkennbaren Wechselwirkungen zwischen dem malum naturale und malum morale.
Das läßt zuallererst deutlich werden, daß das Böse im Sinne des Schlechten nur von relativer Eigenständigkeit ist. Es zeigt sich an und in anderem und durch anderes. Deshalb wird das Böse als Schlechtes, d.h. als Mangel des Guten (Augustin; Thomas von Aquino), dem kein eigenes Sein zukommt, gedeutet. Allerdings positioniert sich in der Gegenwart des Menschen das Böse so, daß es das Seiende, das Gute besetzt und benützt (Besessenheit), sich so auch den Anschein des Guten gibt, aber es verkehrt, einzelne Aspekte isoliert und abspaltet, Beziehungen trennt und entzweit. Darin wird es in seiner zerstörerischen Macht zum Gegensatz des Guten.
Durch den Menschen, durch das menschliche Verblendet-Sein findet das Böse Eingang in die Welt. Der Teufel ist in diesem Sinn nichts ohne den Menschen. Er hat keinen eigenen Grund. Dennoch ist das Böse nicht auf den Menschen als seinen Grund reduzierbar, weder auf den Gebrauch der Freiheit des Einzelnen noch auf ein überindividuelles Wirken in Gemeinschaften, Institutionen und Strukturen (das gesellschaftliche Böse). Das Böse entwickelt, einmal in die Welt gekommen, seine eigene, sich verselbständigende Dynamik (Tillich III, 124ff.), Logik und Raffinesse (Ricœur 405f.). Obwohl erfinderisch im Bösen, erfinden wir das Böse nicht, sondern setzen es fort, variieren es als Täter und Opfer in einem. So begegnet das Böse dem Menschen auch als ein „Außen“.
3. Herkunft, Ort und Gestalt des Teufels
Im theologischen Sinn ist das Böse das von Gott nicht als gut Bejahte, das Verneinte. Das Böse vollzieht sich als Widerspruch gegen Gott, als Verweigerung der Gemeinschaft mit Gott, als Verkehrung der Berufung des Menschen zum Ebenbild Gottes. Das Böse am Bösen ist die Sünde (Ebeling I, 294). Wie verhält sich die den Menschen und die Welt erwählende, bejahende und erlösende Macht Gottes, seine Liebe zu dieser Welt zu dieser Macht des Widerspruchs (Theodizee)? An Erklärungsversuchen, wozu der Widerspruch gut sei, etwa als notwendiger Schritt zur Selbstverwirklichung des Absoluten in der Negation der Negation (Hegel), fehlt es ebensowenig wie an Versuchen, die Unumgänglichkeit des Widerspruchs aufzuweisen, etwa als mit der Realisierung von Freiheit und Verantwortlichkeit des Menschen gegebene Notwendigkeit (Tillich II, 52), als das mit dem Gewollten Nichtgewollte (Barth, KD II/1, 612). Doch solche Versuche entlasten zwar Gott, aber sie beschränken seine Macht und Liebe.
Darum ist davon auszugehen, daß der Teufel nicht nur von Mensch und Welt geliehene (Zeilinger) und geraubte, sondern auch eine von Gott zugelassene, nicht aus Zorn in Dienst genommene, sondern in seiner Liebe zu uns erlittene Macht hat. So ist der Teufel keine dunkle Seite Gottes. Zur Verborgenheit Gottes gehört für uns diese unbegreifliche Zulassung des Widerspruchs. Dagegen ist es im Licht des Glaubens unmöglich zu sagen, daß Gott in sich selbst widersprüchlich wäre.
Da der Teufel sein „Unwesen“ (Barth, KD IV/3, 300) in diesem zugelassenen, geliehenen und geraubten Raum treibt, hat er keinen rechten Ort und will überall „einwohnen“. Wenn symbolisch vom Teufel als gestürztem Engel geredet wird, ist die Zusammengehörigkeit des Falls des Engels und des Sündenfalls der Menschen hervorzuheben. Dabei ist das Neue Testament mehr an der Erfahrung der Macht der Sünde und ihrer Überwindung interessiert als an den Fraugen, ob es einen Versucher gibt und wo die Sünde herkommt. Der Teufel ist ein Phänomen des Übergangs. Darin liegen seine Macht und Ohnmacht.
Wenn vom Teufel „personal“ geredet wird, so kann dies als Ausdruck der Erfahrung gedeutet werden, daß ein der eigenen Person sich bemächtigender fremder Wille begegnet (Ebeling 1,369 f.). Vom Teufel nur so zu reden verdeckt aber die bleibenden Unterschiede seines „Wesens“ zum Wesen Gottes und der Menschen. Die „Zwischenstellung des Teufels“ erfordert auch eine Rede vom Teufel als transpersonaler Macht.
Ein Widerschein dieser Zwischenstellung findet sich in der Kunst, die den Teufel nur als eine Art Misch- und Zwischengestalt, als eine unter der Maske der gelungenen Gestalt verborgene Mißgestalt zur Erscheinung bringt.
4. Die Befreiung und Überwindung vom Teufel und vom Bösen
Der Teufel ist nicht zuletzt deshalb ein „Phänomen des Übergangs“, weil er im Lichte der biblischen Botschaft als eine gerade im Augenblick des Ausspielens seiner Macht im Kreuzestod Jesu und somit als eine überwundene, entmachtete und vergehende Macht gekennzeichnet wird. Die Befreiung in Christus löst die Menschen und die Mächte selbst aus ihrem Bann (Moltmann). Die in der Tradition diskutierte Frage, ob der Teufel am Ende gerichtet und vernichtet oder auch erlöst wird, können wir der Zukunft in Gott überlassen. Die in Jesus Christus geschehene Befreiung des Menschen vollzieht sich in einem Leben im Glauben, in der Liebe und Hoffnung. In der noch ausstehenden Vollendung des Sieges Christi liefert sich der Mensch im mangelnden Vertrauen zu Gott immer wieder dem Bösen aus und gibt ihm darin „verkehrte Macht“. Der Mensch aber steht unter der Verheißung neuer Erfahrung der Zuwendung Gottes, die dem Menschen die Gerechtigkeit Gottes zuspricht und ihn darin freispricht. Dem korrespondiert ein Verhalten gegenüber dem Bösen, das das Böse in seiner Macht und Vielgestalt ernst nimmt, ihm mit den Strukturen des Rechts widersteht, es entlarvt (dekonstruiert), ihm mit dem Guten zuvorkommt und in der Versuchung und in der Erfahrung des Bösen seine Zuflucht bei Gott und seiner Verheißung nimmt.
Literatur
Karl Barth, KD. – Christl. Glaube u. Dämonenlehre. Die Lehre der Kirche über den Teufel, hg. v. der Kongregation f. die Glaubenslehre in Rom, Stein am Rhein 1975 31999. – Bernd J. Claret, Geheimnis des Bösen. Zur Diskussion um den Teufel, 1997 22000 (IThS 49). – Gerhard Ebeling, Dogmatik des christl. Glaubens, 3 Bde., Tübingen 1979 31987. – Clifford Geertz, Dichte Beschreibung. Beitr. zum Verstehen kultureller Systeme, Frankfurt a.M. 1983 = 1987 61999 (stw 696). – Herbert Haag (Hg.), Teufelsglaube, Tübingen 1974 21980. – Georg Wilhelm Friedrich Hegel, SW. XVII-XIX. Vorl. über die Gesch. der Phil., hg. v. Hermann Glöckner, Stuttgart 1928 = 1965. – Eberhard Jüngel, Art. Das Böse. V. Dogm.: RGG4 1 (1998) 1707f. – Walter Kasper/Karl Lehmann (Hg.), Teufel – Dämonen – Besessenheit. Zur Wirklichkeit des Bösen, Mainz 1978. – Jürgen Moltmann, Zwölf Bemerkungen zur Symbolik des Bösen: EvTh 52 (1992) 1-6 (Themenheft: Wohin mit dem Teufel?). – Paul Ricœur, La symbolique du mal, Paris 1960; dt.: Symbolik des Bösen. Phänomenologie der Schuld II, Freiburg/München 1971 21988. – William Stringfellow, Free in Obedience, New York 1964. – Paul Tillich, Syst. Theol., 3 Bde., Stuttgart 1957-1966. – Walter Wink, Engaging the Powers. Discernment and Resistance in a World of Domination, Philadelphia, Pa. 1992. – Thomas Zeilinger, Zwischen-Räume – Theol. der Mächte u. Gewalten, Stuttgart 1999 (Forum Systematik 2).
TRE 33 (2001), S. 134-136.