Aus Kaj Munks Predigten unter deutscher Besatzung
Vor 80 Jahren, am 4. Januar 1944 wurde der dänische Pastor und Schriftsteller Kaj Munk auf Anweisung von Heinrich Himmler von einem SS-Kommando im Pfarrhaus in Vedersø verhaftet und in Hørbylunde bei Silkeborg erschossen. Munk, bekannt durch sein Drama Ordet („Das Wort“, geschrieben 1932 und 1943 bzw. 1956 verfilmt), hatte sich mit öffentlichen Protesten im dänischen Widerstand gegen die deutsche Besatzungsmacht engagiert.
Es gibt Leute, die sich einbilden, daß man die Wahrheit sozusagen einsalzen könne. Man könne sie im Salzeimer versteckt liegen lassen, meinen sie, um sie herauszunehmen und ein Stück davon zu verwenden, wenn sich gelegentlich die Situation dafür eignet. Aber auch bei uns gibt es Leute, die den lebendigen Glauben haben, daß die Wahrheit da ist, um gesagt zu werden, und daß sie nur da ist, wenn sie gesagt wird. Diese guten Männer sind vom selben Fleisch und Blut wie der Täufer. Wie er kennen sie die Bangigkeit vor dem eigenen Schicksal und haben eine noch schmerzhaftere Angst vor den Schäden und Leiden, die die unverhehlte Wahrheit ihrem Volk bringen kann. Aber eines Tages sehen sie ein, daß die Feigheit ihre Zungen nicht mehr binden darf, daß die Leiden, die durch Heuchelei, Schweigen und Lüge über das Volk kommen, tausendmal gefährlicher sind. Auch in unserem Land haben wir einen Herodes, der mit den fremden Göttern Unzucht treibt. Ich meine jenen Geist der Kompromisse, der um des Wohlbefindens willen nicht vor unwürdigen Handlungen zurückschreckt.
Hier der vollständige Text der ersten Predigt als pdf.
An diejenigen seiner Landsleute, die ins Gefängnis geraten sind, weil sie für die Wahrheit eintraten:
Ihr habt Euch der Sache der Wahrheit angenommen, während einige das Lügen und andere das Schweigen vorzogen, und Ihr habt dadurch eine Tat vollbracht, aus der eine wahre Zukunft sprossen kann.
„Du Grundgütiger Heiliger Geist! Trockne mir die Tränen von meinen Augen, damit ich den Erlöser erblicke, den Erlöser, klar genug, daß ich meinem Volke jetzt in seiner Schicksalsstunde von Ihm zu erzählen vermag.“
So beten wir dänischen Pastoren im Jahre 1941. Die Kanzel ist uns eine Stätte solcher Verantwortung geworden, daß wir unter unserem Talar schlottern, wenn wir ihre Stufen betreten. Denn hier, in Gottes Haus, ist das Wort frei; aber nicht frei in dem Sinne, daß wir selbst darüber gebieten, sondern in dem Sinne, daß das Wort über uns gebietet. Hier drinnen gilt nur des Heiligen Geistes Zensur, und das ist die Zensur, die uns nicht zwingt, zu schweigen, sondern zu reden! Welche Angst erfüllt uns, daß wir nicht ihre gehorsamen Diener sein könnten! … Die Kirche ist und bleibt der Ort, wo das Unrecht in den Bann getan, wo die Lüge entlarvt, die giftige Bosheit angeprangert werden muß – der Ort, wo Barmherzigkeit geübt werden soll als der Quell des Lebens, als der Herzschlag der Menschheit. Und wo man etwas anderes lehrt als diesen Glauben, da lehrt man Dschungel und Tod.
Hier der vollständige Text der zweiten Predigt als pdf.
Literaturempfehlung: Kaj Munk, Fünf politische Predigten in einem besetzten Land.
Aus dem Dänischen übersetzt und herausgegeben von Paul Gerhard Schoenborn, Wuppertal: Verlag NordPark, 2018.