Ernst Fuchs, Die Sprache im Neuen Testament (1958): „Das Neue Testament lehrt uns im Blick auf Jesus, dass die Freiheit des Glau­bens die Freiheit zum Wort ist. Jetzt kommt es darauf an, ob der Glaube auch bei uns das Wort nehmen wird. Das Neue Testament schickt uns die Verantwortung für die Freiheit des Glaubens zu, es nimmt sie uns nicht ab. Es will nicht, dass wir das Wort ihm überlassen, sondern es will, dass wir selber das Wort nehmen, wie Jesus das Wort nahm.“

Die Sprache im Neuen Testament

Von Ernst Fuchs

Sprache ist Mitteilung. Wer von der Sprache im Neuen Testament reden will, der muß ja wohl sagen oder wenigstens zu zeigen versuchen, wovon das Neue Testament spricht. Das kann auf sehr verschiedene Weise geschehen. Ich entscheide mich für ein Vorgehen, das zugleich die aus historischen und inhaltlichen Gründen problematisch gewordene Ein­heit des Neuen Testaments andeuten soll.

Die Gliederung des Referats umfaßt drei Teile: einen einleitenden, der die Untersuchung an einer der Diskussion bedürfenden These orientieren soll, dann einen zweiten Teil, der von dem sprachlichen Charakter der Gottesherrschaft handelt, und endlich einen dritten Teil über die sprach­liche Tendenz des Neuen Testaments im Blick auf die Theologie des Glaubens.

I. Die These

Das Neue Testament reflektiert nicht über die Sprache, weil es damit beschäftigt ist, selbst zu sprechen. Trotzdem könnte es sein, daß das Neue Testament dem Phänomen der Sprache ein auch anderwärts zu beobachtendes Schicksal bereitet. Vergleichen wir mit dem, was voraus­geht! Jesus hat nichts geschrieben. Seine Jünger wohl auch nicht. Der Apostel Paulus nimmt vielleicht eine Mittelstellung ein. Aber er schrieb noch unfreiwillig. Nach Paulus entsteht freilich eine ganze Literatur. An ihrer Grenze finden wir die Evangelien. Was später kommt, wirkt, wenigstens innerhalb des Neuen Testaments, wie ein Anhang.

Schon um der Evangelien willen kann man nicht sagen, daß etwa Jesu Wort im Neuen Testament einfach untergegangen sei. Dennoch stehen wir im Neuen Testament vor einem neuen Phänomen: jetzt hat sich die Theologie des Glaubens angenommen, während Jesus vom Reiche Gottes gesprochen hatte.

Das Neue Testament verdankt sich in gewissem Sinne der Theologie. Schon deshalb kann man nicht etwa nur sagen, es sei eben das Produkt der urchristlichen Mission und habe Jesus so verkündigen oder über­setzen müssen, wie ihn Nichtjuden verstehen konnten. Schwerer wiegt das Argument, daß die Ereignisse um Jesu Tod Jesu Person eben über sein historisches Wort stellten. Aber die Evangelien nahmen ja Jesu Wort wieder auf. Der Glaube an Jesus konnte auf Jesu Wort nicht verzichten. Warum?

Die neutestamentlichen Schriftsteller haben sich über den Glauben theologisch Rechenschaft gegeben. Das konnten sie nur tun, indem sie über Jesus nachdachten. Wenn nun Jesu Wort für eine Weile zurücktritt, so liegt der Gedanke nahe, daß dies an Jesu Wort selber liegen könnte. Nicht nur in dem Sinne, daß Jesus eben nicht mehr da war, so daß er sozusagen verstummt wäre. Wichtiger ist die Überlegung, daß Jesu Wort Folgen gehabt hat, die mitbedacht werden mußten, wenn Jesus verstan­den werden sollte. In der Tat: schon Jesu Tod verbietet eine einseitige Isolierung der Verkündigung Jesu. Sein Tod und andere Folgen von Jesu Wort mußten mit ihren Ursachen verglichen werden. Wer sich über den Glauben Rechenschaft gab, der mußte sich auf diesen Denkprozeß ein­lassen. Das hat das Neue Testament getan. Nicht nur Jesu Verkündigung, sondern auch die nach Jesus auftretende Theologie war ein Phänomen des Lebens, eines, wie es scheint, durchaus in sich zusammenhängenden Lebens. Damit wir jedoch zu einer brauchbaren These kommen, bedarf unsere Besinnung noch einer Erweiterung. Das Neue Testament kann nicht einfach der Theologie zugeschlagen werden.

Weil man sich den Vorgang nicht so denken darf, als laufe eine mündliche Tradition sozu­sagen im Neuen Testament aus und erstarre dort, muß man zuerst darauf achten, daß und wie sich das Leben im Neuen Testament sprachlich gesehen auf neue Weise äußert. Dafür mag das literarisch gewordene Evangelium als Beispiel dienen. Das Neue Testa­ment hat ja in den literarischen Evangelien eine ganz neue Stilgattung entwickelt, die nicht mit der Etikette „Kleinliteratur“ überklebt werden sollte. Die Evangelisten machten sich an die Aufgabe, die Jesustradition literarisch aufzuarbeiten. Aber diese Aufgabe war schwer lösbar. Um nur Eines herauszugreifen: wie wollte man mit den vielerlei Logien zu­rechtkommen, von denen ja immerhin mindestens schon eine Sammlung vorlag? Ein Vergleich unter den synoptischen Evangelien ergibt ohne weiteres, daß die Schwierigkeit empfunden wurde. Matthäus kann uns dafür als Beweis dienen. Er wahrt die stilgerechte Form der Logien besser als Lukas, während Markus nur wenige Logien in sein Evangelium auf­nimmt, weil er mit ihnen nicht recht fertig wird. Die Logien waren in sich zu verschiedenartig, um auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden zu können. Sie verlangten nach einer sachgerechten Verteilung und Inter­pretation. Der stilkundige Matthäus interpretiert seinen Stoff, indem er ihn auf verschiedene Themen verteilt, also bewußt komponiert. Ja, alle drei Evangelisten interpretieren ihren Stoff durch ihre je verschiedene Komposition. Will man die Kompositionstechnik der Evangelisten richtig erkennen, so muß man sich freilich davor hüten, sie voreilig als historisie­rende Tendenz aufzufassen. Gleichwohl fehlt auch diese Tendenz nicht. Aber sie steht ihrerseits unter bestimmten theologischen Vorzeichen. Matthäus blickt mit Jesu Augen auf Israel zurück, mag er auch die Kirche damit warnen wollen. Lukas dagegen sieht mit der Kirche auf Jesus zurück, um ihre Hoffnung zu bestärken. Markus ist bemüht, dem Glauben in Wort und Tat Jesu und des Geistes ein Fundament zu geben und so der Frage nach Jesus einen festen Anhalt zu verschaffen. Aber diese Tendenzen machen die Eigenart des Stoffs nicht unkenntlich. Es ist für die Sprödigkeit des Stoffs, aber auch für seine Eigenart bezeichnend, daß alle drei Evangelisten auch ihre Komposition selber betont zu ver­klammern suchen, Markus in den Leidensweissagungen Jesu, im apoka­lyptischen Kapitel und im Petrusbekenntnis, Matthäus darüber hinaus und Ansätze bei Markus weiterführend in Reflexionszitaten und durch sie gestützten Summarien; auch Lukas folgt einem theologisch entwor­fenen und wie in 4, 21, so in 24, 26 festgemachten Programm. Wirkt sich in alledem zwar der traditionelle Gedanke der zu erfüllenden und erfüllten Weissagung aus, so ist doch nicht zu verkennen, daß jeweils die ganze Evangelien-Komposition wie ein Drama auf die Ebene der Sprache hinaufgehoben wird. Alles, was sich ereignet und ereignen wird, ist zu­gleich Offenbarung im Wort, auch der Tod und die Auferstehung Jesu. Die äußeren Begleitumstände treten abgesehen von der Passion und dem Anfang des Evangeliums zurück oder bleiben hinter einem Schleier, das Redegut drängt nach vorn; auch die Wundergeschichten zeigen die Tendenz zum Wort hin. Dieser Zug zur Sprache wird im Johannesevangelium durch den Logos-Begriff christologisch unterstrichen, wenn nicht sogar überbetont. Die Evangelien wollen insgesamt als Sprach­phänomene gewürdigt sein. Sie sind auch Sprachleistungen von ein­maligem Rang (E. Auerbach).

Was von den Evangelien gilt, das ist schon vom Urchristentum zu sagen: wie sich die Evangelien literarisch nirgends ganz einordnen lassen, so paßt das Urchristentum in keine soziologische Kategorie hinein. Das Urchristentum ist selbst ein Sprachphänomen. Eben deshalb hat es sich in der neuartigen Stilform des Evangeliums ein Denkmal gesetzt. Auch die johanneische Apokalypse und erst recht die apostolische Brief­literatur sind Schöpfungen einer neuen Sprache, die alles verwandelt, was sie berührt. Sprachliche Assimilation macht sich erst an den Rändern des Neuen Testaments, z. B. in den Pastoralbriefen, und nach dem Neuen Testament bemerkbar, als sich die kirchlichen Institutionen und das kirchliche Dogma zu entwickeln begannen. Mag die ausdrückliche Zu­sammenfassung des Neuen Testaments zu einem Kanon der Nötigung zur kirchlichen Rechtsbildung zu verdanken sein, die ihrer regula fidei sicher werden wollte, — der Inhalt des neutestamentlichen Kanons war längst gegeben und ragt nun weit oberhalb der Apokryphen wie etwas Fremdes, so nicht mehr zu Bewältigendes in die ganze Zeit nach dem Neuen Testa­ment hinein. Ein Vergleich mit den modernen Leben-Jesu-Romanen könnte den Sachverhalt sehr anschaulich zu Bewußtsein bringen. Auch das Passions- oder das Krippenspiel hat die sprachliche Gewalt Jesu und des Urchristentums nicht eingefangen; von den Möglichkeiten musika­lischer Darstellung darf ich hier absehen. Offenbar deckt sich der Inhalt des Neuen Testaments weitgehend mit seiner Form. Wir müssen deshalb fragen, wieso sich die Sache des Neuen Testaments, Jesu Rede von Gott, zwar alsbald übersetzen lassen konnte, sogar übersetzen lassen wollte, aber offenbar gleich mit der ersten Übersetzung als Neues Testament ihr Ziel erreichte. Inwiefern haben wir es hier der Sache nach mit einer neuen Sprache zu tun?

Die Antwort liegt nahe. Die im Neuen Testament niedergelegte Sprache des Urchristentums ist eben in erster Linie gar nicht eine dem Urchristentum selbst gehörende Sprache gewesen, die dann in der Folge­zeit durch eine andere Sprache hätte ersetzt werden müssen. Ich be­zeichnete vorhin auch das Urchristentum als Sprachphänomen. Damit ist gemeint: die neue Sprache diente nicht dem Urchristentum, sondern das Urchristentum war um der neuen Sprache willen da und hatte seinen Dienst getan, als das Neue Testament geschrieben war. Insofern war der Satz, daß sich das Urchristentum in den Evangelien ein Denkmal gesetzt habe, nur ein vorläufiger, uneigentlicher Satz. Wir müssen in dieser Sache umdenken. Jesus sprach vom Reiche Gottes. Es ist nicht wahr, daß statt des Reiches Gottes die Kirche kam. Es ist auch nicht so, daß mit dem Reiche Gottes die Kirche kam. Sondern: Durch das Reich Gottes kam das Neue Testament. Diese These ist nunmehr zu ent­falten. Das Mittel dazu wird die im Neuen Testament geleistete theolo­gische Denkarbeit sein.

II. Der sprachliche Charakter der Gottesherrschaft

a) Das Qaddisch bittet: Und er lasse herrschen sein Königreich in euren Lebzeiten und in euren Tagen und zu Lebzeiten des ganzen Hauses Israel bald und in naher Zeit! Amen. (Fiebig.) Brächte das Reich Gottes nicht sogar das Ende dieser Weltzeit? die Auferstehung der Toten? den Anbruch einer neuen Schöpfung? Macht man sich einer Spiritualisierung der jüdischen eschatologischen Hoffnung schuldig, wenn man sagt, mit dem Reiche Gottes sei das Neue Testament gekommen? Oder sollen wir vorsichtiger sagen, daß an die Stelle lediglich einer Vorstellung von der Zukunft Gottes die Zukunft selbst getreten sei, die sich, sofern sie unsere Existenz gegenwärtig bestimme, eben damit schon als gegenwärtige Macht erweise, so daß das Neue Testament als Beispiel für die Wirkung dieser Macht angeführt werden muß? Die Gottesherrschaft wäre dann teilweise in Analogie zu der Macht des Todes verstanden. Der Tod kann ja seine Macht auch nur als Zukunft ausüben, während sie zu Ende ist, wenn der Tod eintrat. Das paulinische Taufverständnis sagt aber darüber hinaus den Tod sogar als in Christus schon erledigt an und gibt nun den Glauben daran in die Hand der Zukunft, so daß wir hoffen können, im Glauben jedes Leiden und das Sterben so zu bestehen, daß Christus aus unserem Leben, Leiden und Sterben als Sieger hervorgeht. Wir wissen, daß Paulus dazu überging, die ganze apokalyptische Kon­zeption der Gottesherrschaft seiner Christusbotschaft dienstbar zu machen. Der Vorwurf einer Spiritualisierung der Reich-Gottes-Erwartung kann aber dem Apostel schon deshalb nicht gemacht werden, weil der zentrale paulinische Begriff, das Pneuma, keineswegs spiritualistisch ge­dacht ist. Im Gegenteil! Das für Paulus mit der Gottesherrschaft durch­aus verbundene Pneuma besagt für den Apostel, daß sich der christliche Glaube schon innerhalb der Gottesherrschaft bewegt. Diese Bewegung des Glaubens ist mit den Machtwirkungen der Gottesherrschaft sogar identisch, so daß dort, wo der Glaube wirksam wird, in der Liebe, sofort Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geiste als die Kräfte der Gottesherrschaft um sich greifen und, wie die paulinischen Charismen zeigen, auch Wunder tun. Dem steht die mit dem Glauben ebenfalls ver­bundene Gewissenserfahrung nicht entgegen. Der paulinisch verstandene Glaube hält sich zwar innerhalb der Gewissenserfahrung, weil er nur in der Gewissenserfahrung als Glaube an Gottes Gnade zustande kommt, so daß der Mensch im Glauben immer auch gegen sich selbst steht. Aber die in der Gewis­senserfahrung als überwundene präsenten Mächte der Vergangenheit sind ja die Macht des Fleisches, der Sünde und des Todes. Diese Mächte sind ihrerseits Weltmächte, so daß sich der diese Mächte als überwunden bezeugende Glaube immer zugleich auf die Welt selbst aus­wirkt. Es ist ein Fehler des positivistischen Psychologismus, daß er die Glaubensaussagen über die Weltmächte nur als Deutungen der Welt auffaßt, so daß er gezwungen ist, die in der Gewissenserfahrung unbe­streitbar gegen uns aufstehende Macht nur als die nach innen, in das Bewußtsein gekehrte Macht der Sinnlichkeit zu verstehen und so die Macht der Welt auf die Sinnlichkeit einzuschränken. Dem steht aber schon jedes tiefere Verständnis der Angst als einer existentiellen Be­stimmtheit durch die Seinsart der Welt (der Vergänglichkeit) entgegen. Im paulinisch verstandenen Glauben weicht man der Erfahrung des geängsteten Gewissens nicht aus, sondern man geht in sie hinein, so daß Furcht und Zittern zu Glaubenserfahrungen werden. Weil der Glaube die Gewissenserfahrung im Horizont der Welterfahrung durchsteht, be­gnügt er sich nicht mit irgendeiner Reue oder einem Schuldgefühl, son­dern der Glaube vergegenwärtigt die Nichtigkeit der Welt im Gewis­sen. Deshalb überspielt der Glaube das Gewissen nie, sondern er respek­tiert das Maß an Kraft, das jeder der Nichtigkeit der Welt im Glauben als eigenes Bewußtsein entgegenzusetzen vermag. Der Macht der Angst tritt die je konkrete Freiheit zu einem bestimmten Verhalten entgegen, so daß einer des andern Bruder und Hilfe wird. Der Kampf mit der Welt wird nicht leichter oder abstrakter, sondern ernster, konkreter, wenn er im Gewissen ausgefochten wird. Und es ist auch deutlich, daß der Chri­stenmensch leicht als Verlierer daliegen kann, wenn Christus der Ge­winner sein soll. Christen müßten sogar bis in die Arena hinein das Vor­bild der guten Verlierer werden können, meint Paulus.

Es ist höchst beachtlich, daß dieser Kampf des Glaubens nicht etwa die Welt neutralisiert, — es sei denn, man spräche in anderem Zu­sammenhang von einer Ethik der Neutralität —, sondern daß er die Welt weit eher komprimiert. Der Glaube muß seinen Kampf mit der Welt sogar stets neu beginnen, weil nicht er, sondern sein Herr der Sieger sein soll. Deshalb sieht er sich in seinem Kampf mehr und mehr auf des­selben Gottes Werk angewiesen, das schon den Glauben in uns ermög­lichte. Das vollkommene Ende wäre ein „geistlicher“ Leib, ein Dasein, das den um der Sünde willen dann „toten“ Leib, also seine Vergangen­heit, völlig befreit hinter sich gebracht hätte. Das ist existentiell in dieser Welt nicht möglich, in welcher man sich vielmehr kämpfend auf das Ziel zu bewegen muß. Trotzdem bleibt der Mensch im Glauben nicht nur mit sich selbst konfrontiert. Paulus weiß sich vielmehr dem Herrn über­antwortet.

Hier erscheint nun die Sprachlichkeit der paulinischen Existenz. Das gesamte Wirken Gottes hat sich für den paulinischen Glauben sprachlich auf den Namen Jesu Christi und damit auf die Person des Herrn Christus konzentriert. Für den Theologen Paulus entsteht an dieser Konzentration des Wirkens Gottes auf den Herrn Christus Jesus die Aufgabe, Jesu Herrschaft im Blick auf alles, tà pánta, auszusagen. Dieser Aufgabe entledigt er sich aber im wesentlichen nicht durch Theoreme, obwohl Paulus die traditionellen, dem Israeliten und der Urgemeinde geläufigen Lehraussagen noch verwendet. Paulus bemüht sich vielmehr darüber hinaus, die menschliche Existenz selbst neu aus­zulegen. Das Mittel dazu ist für ihn das Gesetz. Es ist nicht richtig, daß der paulinische Christ immer noch der Mensch unter dem Gesetz sei. Er erfüllt zwar Gottes Gebote, aber er tut das in Freiheit, sei er nun in der Welt Sklave oder ein Herr. Das als Liebe verstandene Gesetz Gottes wird dadurch selbst zum Instrument der Freiheit. Das Gesetz dient dem Christenmenschen, so daß jeder das will, was Gott tut, und dorthin sät, wo Gott die Ernte schickt, während der Mensch vorher nicht tat, was Gott wollte. Christi Herrschaft ist deshalb für Paulus allerdings an der konkreten Erfüllung der Gebote ablesbar. Was daran noch fehlt, wird sich in der Gemeinde der Glaubenden als Leiden nur indirekt, aber an der Welt als Gericht direkt auswirken, so daß am Ende gerade Gottes Gesetz triumphieren wird. Nun sagt Paulus freilich, wer im Geist lebt, der solle auch im Geist sein Leben führen. Aber dieser Imperativ wirft den Glaubenden nicht unter das Gesetz zurück, sondern spricht ihm seine Freiheit aufs neue zu. Denn der Geist, in welchem der Glaube sein Leben führt, ist der Geist, in welchem man Gottes Gesetz als das von Gott selbst in Christus durchgeführte Gesetz vor Augen behält. Gott wird sein Gesetz auch in Zukunft, aber nun nicht mehr gegen uns, sondern uns zugute, mit Christus, durchführen. Das tägliche Verderben des alten Menschen schafft jetzt die Kontinuität des neuen Menschen, bis Gott alles in allem sein, d. h. Gottes Herrschaft die einzige Herrschaft in allem sein wird. Diese höchst lebendige Auffassung von der Gottesherrschaft als einer geschichtlich schon wirksamen Macht bestimmt die paulinischen Aussagen durch und durch, vor allem im konkreten Dank und in der konkreten Bitte. Das Reich Gottes ist noch bei Paulus ohne das Gebet überhaupt nicht denkbar. Erweist es sich aber nicht schon dadurch als ein seinem Wesen nach zu Wort kommen wollendes Phänomen?

b) Auch bei Jesus gehört die Gottesherrschaft zum Gebet. Mag das Vaterunser so, wie es von Matthäus und Lukas wiedergegeben wird, als Gemeindegebet formuliert worden sein — daß dieses Gebet Jesu Haltung widerspiegelt und voraussetzt, läßt sich schwerlich bestreiten. Zwar schwingt in der 5. Bitte, die sich bei Matthäus und bei Lukas findet, ein gesetzlicher Akzent mit, den Matthäus sogar unterstrich. Aber die Be­ziehung zum Gesetz ist dennoch auch hier wie bei Paulus lediglich auf die Probe gestellt. Das Vaterunser ist ein eschatologisches Gebet. Es erwartet die Gottesherrschaft, es ruft sie aber auch her und setzt sie damit prak­tisch schon im Heute voraus. Gewiß, die Gottesherrschaft wird wie beim Täufer so auch von Jesus als die nahe herangekommene Macht mit der Mahnung zur Umkehr eingeschärft, weil auch Jesus die Umkehr mit dem Blick auf ihre Nähe motiviert. Dabei wird freilich zu beachten sein, daß der Ruf zur Umkehr ja an diejenigen ergeht, die dem Gericht nicht an­heimfallen sollen. Gottes Gericht und die Forderungen des Gesetzes sind auch bei Jesus zu unterscheiden. Wendet er sich gegen den Mißbrauch des Gesetzes, so doch keineswegs gegen das Gesetz selber, das er in Gottes Namen sogar neu formuliert. Jesus weist das ex opere operato ab, aber nicht den Glauben, daß Gott belohnt. Er kennt die dem Gesetz mit­gegebene Freude an Gott. Was Jesus eigentlich will, ist diese Freude. Aber solche Freude ist Geschenk, man kann sie nicht lehren. Setzt sich Jesus mit bußfertigen Zöllnern und Sündern zusammen, so nimmt er mit diesem Verhalten freilich eine Vollmacht in Anspruch, die vom Gesetz zwar nicht unter allen Umständen verboten, aber auch nicht gewährt wird. Unbestreitbar hat Jesus sogar heilen können und Macht über Besessene erlangt.

Für uns und angesichts einer kritisch gesichteten Tradition äußert sich Jesu Vollmacht vor allem in seiner Sprache, in seinen von anderen kaum erreichten Gleichnissen und in seinen pointierten Logien. Die moderne Stiluntersuchung der Gleichnisse hat zur Abwehr der Allegorese und zum Grundsatz der Unterscheidung von Bildhälfte und Sachhälfte geführt. Dennoch ist Jesu Sprache nicht in erster Linie nach künstleri­schen Gesichtspunkten zu werten. Ihre Bilder stammen mit Vorliebe aus dem Alltag eines ländlichen Lebens, aber sie sind nicht provinziell ge­dacht, sondern fast immer paradox zugespitzt. Dadurch wird man leicht dazu verleitet, Jesu Verständnis der Gottesherrschaft ebenfalls als ein paradoxes aufzufassen. Nichts wäre verkehrter. Wir haben auf das sprachliche Wagnis dieser Bildsprache zu achten, mag sie formal auch die Bildworttechnik des semitischen Sprichworts weiterentwickeln. Nicht das Bild selbst, sondern sein Daß, seine implizite Anwendung ist gewagt! Jesus geht in seinen Parabeln und Gleichnissen nicht nur von dem Ge­danken der Gottesherrschaft aus; es ist auch gleichgültig, ob er die Gottes­herrschaft dabei ausdrücklich nennt oder nicht. Er beteiligt die Zuhörer vielmehr durch dieses Vorgehen, durch die völlig deutliche Bildwahl, an seiner eigenen Vollmacht, obwohl er doch wissen muß, daß und worin er sich von ihnen unterscheidet. Aber es ist bezeichnend, daß Jesus seine Zuhörer nicht etwa an der ihm persönlich vorbehaltenen Erfahrung mit der Gottesherrschaft beteiligt, sondern daß er nur diejenigen Erfahrun­gen mit ihr gelten läßt, die alle miteinander machen können, wenn sie auf ihn hören. Indem er Bilder der Entschlossenheit, des Wagemuts, der Naturkraft, der gewissen Belohnung, der Überraschung, des uner­warteten Ausgleichs zeichnet, weckt er Zuversicht zu Gottes Tun. Jesus will, daß seine Zuhörer mit alledem die Freiheit bekommen, nun auch ihrem Nächsten neu zu begegnen. Aber er weiß, daß dieses Verhalten nur mit Gott, nicht gegen ihn gewagt werden kann, so wie der Bauer nicht gegen die Natur, sondern mit ihr arbeiten muß, wenn er der Natur etwas abgewinnen will. Die Gottesherrschaft hebt also mit einer neuen Ein­stellung des Menschen an, in einer Umkehr, die der Sprache Gottes mäch­tig wird, so wie der Bauer durch seine Arbeit der Natur mächtig wird. Die Gottesherrschaft ist schon da, weil diese Sprache möglich wurde. Sie bewegt den Menschen dazu, nunmehr Gott und dem Menschen gerecht zu werden, indem einer den andern wie die Syrophönizierin beim Wort nimmt. Nur so kann ja ein unter Menschen verbindliches Wort gewagt werden. Deshalb ist Jesu Sprache so natürlich und unbefangen, bald kritisch, bald voll Zuspruch, überlegt und doch ohne jede einschrän­kende Bedingung, entschlossen, Gott dadurch Meister sein zu lassen, daß zwischen Menschen volle Klarheit herrscht. Dergleichen kann nur in völliger Freiheit vor sich gehen. So ist Jesu Sprache vor allem ein Zeugnis seiner Freiheit. Diese Freiheit konnte ihrem Wesen nach so wenig auf ihn allein beschränkt bleiben wie das Pneuma des Apostels auf Paulus. Das vierte Evangelium hat Jesu Freiheit auch terminologisch zum Ausdruck gebracht.

Obwohl mit einem starken Einfluß der Täuferbewegung auf Jesu Jün­ger und Anhänger zu rechnen ist, ist der Unterschied zwischen Jesus und dem Täufer bedeutend genug. Jesu Gerichtsverkündigung ist nicht etwa die Vorstufe zu seiner Freiheit (auch die Gerichts Verkündigung des Täu­fers darf übrigens nicht so aufgefaßt werden), sondern Jesu Gerichts­verkündigung ist die Konsequenz aus einer Freiheit, die freilich das Vermögen eines prophetischen Charismatikers weit übersteigt. Die Schärfe seiner Gesetzesinterpretation mag sich zwar dem Bewußtsein verdanken, daß Gottes Tun keine Halbheiten zuläßt. Ist sie polemisch zugespitzt, so wendet sie sich offenbar gegen törichte Einwände. Aber sogar die zugespitzten Antithesen der Bergpredigt sind doch eigentlich nur Bildhälfte und haben insofern dialektischen, didaktischen Charakter, als sich ja ein anderes Verhalten als das von Jesus z. B. gegen den Feind ins Auge gefaßte für die Liebe überhaupt nicht mehr lohnt. Jesus hat weder einer Interimsethik noch überhaupt einer Ethik das Wort geredet. Er denkt nicht daran, dem Menschen in die Windungen seiner Praktiken zu folgen. Ihn kümmert ganz allein das Neue selbst, wie es zwischen den Menschen Ereignis werden will (G. Bornkamm). Wer die Gottesherrschaft kennt, der bedauert die, welche ohne sie auskommen wollen, und wider­steht denen, die sie leugnen oder verunstalten und mißbrauchen.

Was ist es nun um das Wesen dieser Gottesherrschaft, wenn sie bei Jesus als Freiheit erscheint und in Freiheit gehütet und angeboten wird? Sie trägt wie angedeutet auch bei Jesus die Züge des Phänomens, das bei Paulus als Pneuma angesprochen ist, also die Züge der Macht über alles das, was dem Menschen sonst unverfügbar bleibt. Wenn das Wort Glaube von Jesus wirklich gebraucht wurde, so ist die Rede vom berge­versetzenden Glauben die Jesus immer noch angemessenste. Aber es geht beim Glauben Jesu nicht um Macht überhaupt, etwa im Gegensatz zu irgendwelcher Ohnmacht, sondern um die Macht Gottes, die jetzt ins alltägliche Leben des Menschen hineingeht. So wie sich im literarischen Evangelium das von Gott gestellte neue Thema des Lebens und Sterbens Jesu mit der Sprache des Volkes verband, so verband sich auch für Jesus selbst Gottes Macht mit dem Alltag. Hier liegen die Akzente vom Auf­treten Jesu. Weil die damals maßgebende jüdische Theologie den Alltag zugunsten sakraler Illusionen preisgab oder sich in Rechtspraktiken ver­wickelte, wandte sich Jesus gegen die Unart der Schriftgelehrten auf Moses Stuhl. Und sofern die Apokalyptik an Garantien für die Zukunft interessiert war, widersprach Jesus in der Tat ihrer arithmetischen Phan­tasie. Dennoch war Jesus nicht einfach ein Volksmann. Aber er hielt sich an die Bedingungen, die gelten, wenn Gottes Herrschaft eine Sache des Volkes sein sollte. Wir können an dieser Stelle Parallelen beiziehen: Jesus machte die Sache Gottes ganz zur Sache des freien Worts, während Sokrates in den Gedanken ausweichen mußte. Jesu Wort gewinnt seine Autorität nicht erst an seinen Bildern und Vergleichen, auch nicht wie Paulus an der Diskussion über das Gesetz oder wie Platon an der Macht der Idee, sondern zuvor und ursprünglicher am Phänomen des Rechts selber, das ein Mensch dem andern und damit Gott schuldig ist (E. Käse­mann). Das Recht beschränkt sich nicht auf Güter, wie beim Erbrecht, sondern es meint den Menschen selbst. Eben deshalb verbindet es sich bei Jesus stets mit dem freien Wort. Es ist nicht nur wie bei den Griechen und dann auch in der Urgemeinde das Recht auf das freie Wort, sondern das Recht, das mit dem freien Wort kommt und geht wie Sonnenschein und Wind oder Regen. Wer darauf achtet, sieht ein, daß Jesu Wort eigentlich ein Recht schaffendes Wort ist, dem freilich in dem Augenblick Gewalt angetan war, als es in Rechtsvorschriften für die Gemeinde ver­wandelt wurde. Das Recht, das von Jesu Wort geschaffen wird, ist in Wahrheit das freie Wesen der Gottesherrschaft, Gottes Spruch im Heute. Hier wächst der Mensch seiner Bestimmung entgegen, Gottes Ebenbild in Freiheit zu sein. Daher ist Gottes Macht oder Recht bei Jesus Voll­macht zur Freiheit. Die Freiheit Jesu bewährt sich als das Wort, das Gott bei den Menschen und den Menschen bei Gott ins Recht setzt.

So kommt es, daß Jesus alles an sein Wort wagt. Er läßt sich nicht zum Schweigen bringen. Daher wird die Gefahr um ihn herum wohl immer größer geworden sein. Aber Jesus kümmert sich darum nicht. Auch um den theologischen Ausgleich seiner Terminologie sorgt er sich nicht, zu­mal er auf echt jüdische Weise den Vergleich oder das Bild vor dem Be­griff bevorzugt. Gottes Herrschaft erschöpft sich bei Jesus weder in einer Vorstellung noch in einem Begriff, sondern sie ist, wo sie ist, sei es im Himmel, sei es auf Erden. Wer sie kennt, wird erst recht um sie bitten. Er bittet dann Gott um das Wort. Es geht bei Jesus nicht um den homo coram Deo, sondern um ein Deus coram homine.

III. Die Sprache und die Theologie des Glaubens

Nehmen wir jetzt wieder das Neue Testament als ein einheitliches Ganzes in den Blick, so dürfte deutlich geworden sein, daß es eine Kurve beschreibt, die sich freilich nicht mehr mit seinen literarischen Anfängen deckt. Diese Kurve geht historisch von Jesu Wort aus und geht im Evangelium literarisch zu Jesu Wort zurück. Auf diesem Wege passiert Jesu Wort die Ebene der Theologie des Urchristentums oder, inhaltlich gesprochen, der Theologie des Glaubens. Die ersten Glaubensformeln be­zeichnen Jesus als Gegenstand des Glaubens, während Jesus selbst nur Glauben an die Macht des Wortes gefordert hatte, des Wortes, das er selber sprach und anbot, weil es Gottes Spruch im Heute war. Nunmehr wird also Jesus selbst zum Wort, das der Glaube glaubt und spricht, indem er es bekennt (R. Bultmann). Aber dabei bleibt es nicht. Jesu Wort bringt sich noch einmal in den Evangelien zur Geltung. So erleben wir das eigentümliche Schauspiel, daß Jesus und sein Wort im Neuen Testa­ment miteinander zu konkurrieren scheinen.

a) Im Vordergrund steht zunächst das Bekenntnis zu dem Jesus, der für uns starb und auferweckt ist (egḗgertai). Dieses Bekenntnis hat seinen Akzent auf dem pro nobis. Mit dem pro nobis wird Gottes Recht als Gnade zum Menschenrecht auf Glauben proklamiert. Das Menschen­recht des Glaubens ist die Freiheit zum Glauben. Die ihr gemäße Theolo­gie des Glaubens wird zwar erst von Paulus entfaltet. Aber der Kern dieser Theologie, eben die Freiheit zum Glauben, vereinigt das gesamte Urchristentum. Zweifellos ist die Freiheit zum Glauben nicht nur als Freiheit zum Bekenntnis, wie es in der Taufe abgelegt wurde, sondern weit darüber hinaus als Freiheit zum Wort verstanden worden. Sie war nicht irgendeinem Amt vorbehalten, obwohl es von Anfang an als bevor­zugt anerkannte Zeugen des Glaubens gab, wie auch Paulus erkennen läßt. Während die Theologie des Glaubens ein charismatisches Produkt der Frühzeit war, erscheinen die Ämter, die dann für Lehre und Disziplin sorgen, erst spät im Neuen Testament.

Jedoch, die Kennzeichnung der Theologie des Glaubens als eines charis­matischen Werks verrät noch nichts über die Notwendigkeit einer der­artigen Theologie. Weder das urchristliche Bekenntnis zu Jesus noch der an diesem Bekenntnis orientierte Glaube hatten die Entstehung einer judaistischen Bewegung und einer spekulativen Gnosis verhindern kön­nen, die sich beide, sogar mit einem liturgischen Akzent, verbinden mochten. Gegen sie wurden die paulinischen Briefe, später der Kolosser- und der Epheserbrief, aber wohl auch die großen Evangelien geschrieben, die Jesu Wort wieder in den Vordergrund rückten. Der Unterschied zwi­schen den Synoptikern auf der einen, Johannes auf der andern Seite macht die Verlegenheit deutlich, die von der Theologie des Glaubens be­wältigt werden mußte und doch nur grundsätzlich bewältigt werden konnte. Es genügte eben nicht, einfach an Jesu historisches Wort zu erinnern. Was besaß denn der Glaube am Glauben? Die Frage wurde empfunden. Sie wurde auch beantwortet und führte so die Kehre von Jesus zu Jesus herbei. Denn es gab ja ein Maß des Glaubens. Dieses Maß war in der Tat Jesus selbst.

An diesem Punkt haben sich auch in unseren Tagen die Geister ge­schieden, obwohl die Scheidung genau genommen nicht recht einleuchten will. Der Streit um die Entmythologisierung wurde nicht zu Ende gedacht, weil die Prämisse auf beiden Seiten zu ähnlich blieb. Ich meine den Be­griff der Heilstatsache, der sich noch bei Bultmann findet. Wer an diesem Begriff festhält, der sollte zeigen können, wie sich Heilstatsachen mit dem Phänomen eines ursprünglich nur im mündlichen Bereich sich ereignenden, Recht schaffenden Worts vereinigen lassen. Der Begriff der Heilstatsache begünstigt die Konzentration der theologischen Aussagen und dann auch der Verkündigung auf das Bekenntnis zum Tode und zu der Auferstehung Jesu. Neutestamentlich formuliert geht es dabei um den Begriff des Augenzeugen (H. Conzelmann; M. Barth). Auch dieser Begriff schränkt die theologischen Aussagen und ihnen zufolge die Ver­kündigung auf dasjenige Minimum ein, für das Augenzeugen einstehen können. In den johanneischen Schriften ist die Gefahr erkannt. Aber schon in der durch Paulus 1. Kor. 15, 1—11 aufgenommenen Tradition zeigt es sich, daß die Botschaft der Augenzeugen durch Schriftaussagen bereichert werden mußte. Es ist merkwürdig, daß gerade der Augenzeuge den historischen Jesus zurückdrängt. Wir müssen neu ansetzen. Die frühesten Glaubensformeln wurden erst in den kerygmatischen Stücken der Apostelgeschichte mit dem historischen Jesus kombiniert. Die Rede von der Auferweckung Jesu von den Toten dürfte anfänglich einen viel umfassenderen Sinn gehabt haben, als wir unter dem Einfluß der Kate­gorie der Heilstatsache oder des Augenzeugen, man könnte vielleicht auch sagen: unter dem Einfluß des Petrus meinen. Noch in der Darstellung von 1. Kor. 15, 5—8 zeichnet sich sozusagen eine Kettenreaktion von apokalyptischen Erfahrungen und eine eschatologische Wertung (des Todes und) der Auferstehung Jesu ab, die in einen wesentlich anderen Zusammenhang hineinweisen. Wer von einer eschatologischen Enttäu­schung zu reden wagt, der sollte prüfen, woran er diese Aussage anknüp­fen will. Ihr Anknüpfungspunkt muß nicht von vornherein der historische Jesus sein. Sehr wohl aber hat man zu urteilen, daß die apokalyptischen Hoffnungen oder besser Erfahrungen dieser Frühzeit in der Tat zusam­mengebrochen sind, mögen sie auch in dem schwärmerischen Bewußtsein eine Fortsetzung gefunden haben, gegen welches dann die Theologie des Glaubens kämpft. Wie bei der Präzisierung der Herrnmahlliturgie, so hat die Theologie des Glaubens auch im Blick auf den Tod Jesu und seine Bedeutung für den Glauben unter dem Zwang der Antithesen zu Konse­quenzen geführt, die im Ergebnis nicht kritiklos übernommen werden dürfen. Denn die eigentliche Intention dieser Theologie ist eine andere, wie wir sofort sehen, wenn wir wieder auf das Ganze blicken.

Die paulinische und die johanneische Theologie des Glaubens bewegen beide den Glauben in die Existenz hinein. Warum tun sie das? Weil beide gegenüber aller schwärmerischen Erlebnisfreudigkeit an Jesu Freiheit festhalten. Als Paulus der Gemeinde in Korinth die Freiheit zum Glauben klarmachen mußte, reiste er lieber ab und begab sich in eine allen sehr genau bekannte Todesgefahr, die durch die Reise noch vergrößert wurde, wie er später gesteht, als daß er der Gemeinde seine persönliche Autorität aufgenötigt hätte. Und von Johannes können wir vielleicht so viel sagen, daß er das Evangelium lieber ganz neu schrieb, als daß er den Glauben einer traditionell gewordenen Institution überlassen hätte, die gegen ihre Schwärmer nicht mehr aufkommen konnte. Zwischen dem Schwärmertum und einer die Vollmacht zum freien Wort verlierenden Tradition sucht die Theologie des Glaubens ihren Weg mit Jesus selbst zu gehen.

b) Damit kehrt der Einwand der Spiritualisierung noch einmal zu uns zurück. Ist der Jesus, mit dem die Theologie des Glaubens gehen will, nicht notwendig ein spiritualisierter Jesus? Es scheint doch, als würde der Herr bei Paulus eben zum Geist, zwar zur Macht, aber zur Macht vor­nehmlich des Glaubens? In der Tat, das wäre ein Einwand, wenn die Theologie des Glaubens nicht auf der ganzen Linie Kreuzestheologie wäre. Wir können jetzt auch den Hebräerbrief bei unseren Erwägungen berück­sichtigen. Wo es darum geht, daß der Glaube wie Abraham gehorcht, weil er im Finstern geht, oder anders ausgedrückt, weil und obwohl der Kampf mit der Sünde, mit dem Unglauben, immer brennender wird, da wird Jesus allerdings selbst zum Sinnbild des Glaubens und seiner Macht. Man darf über der Gefahr einer Verflüchtigung der sichtbaren, nach außen wirksamen Bezüge des Glaubens die viel größere Gefahr der fal­schen Objektivierung der Person Jesu nicht übersehen. Jesu Subjektivi­tät ist in bezug auf den Glauben die Objektivität des Geistes und der Wahrheit. Die urchristliche Theologie des Glaubens hat sich nicht damit begnügt, in Jesu Kreuz ein Sinnbild des auf sein Recht haltenden Gottes vorzustellen. Paulus begnügt sich bei seinem Rechtfertigungsverständnis nicht mit den Mitteln der juridischen Schriftexegese. Und Johannes greift radikaler als der Hebräerbrief zu einer Sprache, die von keiner traditions­gebundenen Schriftexegese erschüttert werden kann. Die Beziehungen zwischen dem Alten Testament und der Theologie des Glaubens sind nicht so harmlos, daß sie mit einem Mehr oder Weniger an Allegorese ausgeglichen werden dürften. Wo Geschichte zustande kommt, da ist die Sprache nicht mehr nur ein Instrumentar für alle möglichen Sinndeutun­gen, sondern da wird die Sprache selbst weltbildend und weltzerstörend zum Ereignis.

Diejenigen, die von der Erfüllung der Weissagung ausgehen, stehen zwar formal der neutestamentlichen Theologie des Glaubens näher. Man muß sich nur davor hüten, diese Einsicht mit Hilfe des mangelhaften Begriffs einer Geschichtstheologie zu belegen. Denn dieser Begriff schützt noch nicht vor der geheimen Skepsis, die gerade die Theorie von der Erfüllung der Weissagung umwittert. Die Theorie kommt aus dem Judentum. Sie wird in der Theologie des Glaubens modifiziert, und das gerade dadurch, daß man sich die Weissagungen herausgreift, deren Er­füllung behauptet werden soll. Der Glaube entscheidet sich dabei für dasjenige Wort, das mit den Erfolgen des Glaubens übereinstimmt. Der Hauptfehler der Diskussion unserer Tage scheint mir zu sein, daß der Glaube aus dem Zweifel interpretiert wird. Statt dessen muß man davon ausgehen, daß der Glaube erfolgreich ist. Nicht Enttäuschungen, son­dern die Erfolge des Glaubens bringen die Theologie des Glaubens hervor. Der Glaube macht Erfahrungen des Glaubens. Wer diese Erfahrungen kennt, sieht aber leicht, daß auch die tiefere Gefahr des Glaubens nicht in seinem Mißerfolg, sondern gerade in seinen Erfolgen liegt und aus diesen Erfolgen erwächst. Hier steckt die Wurzel wie des Schwärmertums, so der Gesetzlichkeit. Denn die Erfahrungen des Glaubens schlagen unvermeidlich auf den Glauben zurück und verwandeln ihn fast immer in ein den Glauben aufhebendes und dann bald nicht mehr zureichendes Schauen. Das hat die Theologie des Glaubens erkannt. (In dieser Sicht gewinnen die apokalyptischen Restaussagen bei Paulus neues Interesse. Sie verhindern immerhin, daß der Glaube schon ins Schauen umschlägt. Das Gleiche gilt für das noch eschatologisch verstandene Sakrament.)

Sogar die Erfahrungen mit Jesus konnten dem Glauben in Zukunft im Wege stehen. Jesus wußte sehr wohl, warum er seine Zuhörer nur an die­jenigen Erfahrungen wies, die sie mit seinem Worte machen werden. Von seinen ihm eigenen Erfahrungen hat er geschwiegen. Der Glaube braucht um seiner selbst willen einen diakritischen Punkt, an welchem er als Glaube zu sich selbst zurückgerufen wird. Dieser Punkt ist in der Theologie des Glaubens der Todesgehorsam Jesu. Jesu Todesgehorsam liegt zwar nicht so auf der Waage, daß er den Ungehorsam der Sünder aufwöge. In diesem Sinne liegt vielmehr Jesu Tod selbst auf der Waage. Aber die ihn derart objektivierende Einschätzung des Todes Jesu darf nicht dazu verführen, daß wir vom Verhalten des historischen Jesus ab­sehen. Jesus wird selbst zum Maß des Glaubens, weil sein Todesgehorsam dieses Maß ein für allemal illustriert hat, ob man ihn nun mit der Tat des Präexistenten zusammensieht oder nicht. Wer an Jesus glaubt, der über­liefert den Glauben eben nicht an die eigenen, noch so unerhörten Er­fahrungen, sondern er blickt auf Jesu Verhalten, auf Jesu Freiheit, auf Jesu Freiheit zum Wort. Gewiß, die Freiheit des historischen Jesus hat sich in hymnischen Liedern zum Lob seines Verhaltens, seines Gehorsams, seiner Liebe verdichtet. Aber gerade die Lieder sind selber als Sprach­gefüge ein Zeugnis dafür, daß die Freiheit zum Wort wichtiger ist als jede erfahrene Freiheit, weil der Glaube Zukunft hat, während die Erfahrung die Zukunft verliert.

Sogar Jesu Worte werden in den Evangelien ebenfalls zum Sinnbild seines Verhaltens, zum Sinnbild seiner Freiheit zum Wort, zum Sinn­bild des Glaubens, so daß auch sie an Rang und Würde mit den Christushymnen nicht selten konkurrieren. Was sich uns anfänglich als Konkur­renz Jesu mit seinem eigenen Wort darstellte, das erweist sich jetzt als ein höchst sachgemäßer Zirkel: der Glaube bringt sich als Freiheit zum Wort hervor, die Freiheit zum Wort bewirkt sich als Glaube. Wer an Jesus glaubt, der will im Glauben bleiben. Was ihm in solchem Glauben geschenkt wird, das ist die Freiheit zum Wort, die er an Jesus wieder­erkennt, so daß er sich im Glauben mit Jesus verbunden weiß. Die Frei­heit des Glaubens greift nicht in Gottes Wirken ein, sondern sie hält sich an die ihr jeweils gegebene Freiheit zum Wort. Das Wort des Glaubens bleibt wie bei Jesus das Wort des Rechts, das Gott dem Menschen gibt und das der Mensch dem Menschen schuldet. Sind wir in diesem einen Stück Mitarbeiter Gottes, so wird uns Gottes Wirken um so gewisser. Der Glaube will wie Jesus, was Gott tut. Und Gott will, daß wir auf diese Weise glauben. Der Glaube vertraut dann in der Freiheit zum Wort ganz auf Gottes Wirken, wie Abraham, und er beschränkt sich darauf, zu sagen, was recht ist, wie Jesus. Aber in diesem Stück ist der Glaube nun ganz frei. Nimmt der Glaube das Wort, so teilen sich die Schleier, und die Herrschaft Gottes erscheint. —

Die These lautete, daß mit dem Reiche Gottes und durch das Reich Gottes das Neue Testament gekommen sei. Ihre Wahrheit hängt davon ab, ob der Glaube im Neuen Testament wirklich das Wort nahm. Das Neue Testament lehrt uns im Blick auf Jesus, daß die Freiheit des Glau­bens die Freiheit zum Wort ist. Jetzt kommt es darauf an, ob der Glaube auch bei uns das Wort nehmen wird. Das Neue Testament schickt uns die Verantwortung für die Freiheit des Glaubens zu, es nimmt sie uns nicht ab. Es will nicht, daß wir das Wort ihm überlassen, sondern es will, daß wir selber das Wort nehmen, wie Jesus das Wort nahm. So bleibt das Neue Testament in seinen für es charakteristischen Aussagen ein selb­ständiges Sprachphänomen. Und weil es dasjenige Wort meint, das in der Freiheit zum Wort Ereignis wird, hält es uns bei einem Sprachver­ständnis fest, für welches das Wort den Gewinn der Freiheit und die Freiheit den Gewinn des Worts bedeutet. Der Glaube nimmt das Wort, wenn wir dieser Sprache folgen und von der Freiheit zum Wort Gebrauch machen. So gilt: der Glaube verdankt sich dem Wort, das Wort ergibt sich dem Glauben. Das Wort geht aber nicht in den Glauben über! Gott entbindet den Glauben als Freiheit zum Wort, Er entbindet den Menschen im Wort zum Menschsein. Aber der Mensch hat dann Gott im Wort. In der Freiheit zum Wort berührt sich der Mensch mit Gott. Ein Austausch findet statt: Gott gibt dem Menschen im Wort teil an der Freiheit, der Mensch gibt Gott sein Menschliches, sein Sterbliches hin. Denn wohl ist der Mensch für seine Freiheit zum Wort verantwortlich, weil das Wort Ereignis werden will. Aber die Macht und das Gewicht des Recht schaffenden Worts bleibt beim Wort und geht nicht auf den Men­schen über. Wohl ist der Mensch selbst gemeint. Aber es ist Gott, der ihn meint und trifft, wenn das freie Wort Ereignis wird. Nur aus diesem Grunde verbindet sich das Wort im Neuen Testament mit dem Sakrament. Denn im Sakrament will sich genau die Freiheit ereignen, in welcher der Mensch am Wort teil hat, in welcher aber zugleich klar wird, daß Gott selbst für das Wort der Freiheit einsteht. So greift das Wort über das Sein der Lebenden hinaus. Es gibt ja auch kein Recht, das die Toten abschreiben dürfte. Wir verstehen jetzt vielleicht, warum das Wort im Neuen Testament zum Worte Jesu zurückdrängt. Dieses Wort ist, weil es ganz nur Wort ist, noch nicht voll eingelöst, seine Freiheit begnügt sich nicht mit den Anfängen im Alltag, sondern es wartet auf die Stunde, in welcher Gott das Recht des Wortes einlöst, das wir einander schuldig sind und doch nie ganz geben können. Unsere Verantwortung für die Freiheit zum Wort erweist sich jetzt als das Pfand dafür, daß Gott seine Gottheit vor dem Menschen zu verantworten gedenkt. Jesus wartet auf die Stunde, in welcher der Mensch Gott Recht geben muß, ob einer will oder nicht. Wer in Jesu Art glaubt, der weiß das. Unser Wort kann nichts anderes sagen wollen als Jesu Wort: daß wir uns Gottes freuen wollen. Es bleibt im Neuen Testament beim Wort, weil das Neue Testament weiß, aus Erfahrung weiß, daß das Wort Recht bekommt, hier im Glau­ben, dort im Schauen, weil es das Wort der Freiheit ist, die nur noch den Unterschied zwischen Gott und dem Menschen als verbindlich anerkennt. Gott ist uns nirgends näher als im Wort. Deshalb werden wir ihm am nächsten sein, sobald alles nur noch auf das Wort ankommt. Davon spricht das Neue Testament.

Anmerkung: Die Diskussion veranlaßte mich, das Referat mündlich wie folgt zu ergänzen:

  1. Auch im Neuen Testament hat man zwischen der Sprache und den Sprachen zu unterscheiden, weil z. B. auch innerhalb des griechisch vorliegenden Neuen Testaments Sprachverfremdungen eintreten, die nicht wenige Worte ihrem mitgebrachten Zusammenhang entreißen und sie zur vox theologica machen.
  2. Das Phänomen der Sprache birgt die Frage, wie sich das Wort zum Sein verhält.
  3. Reduziert man die Sprache des Neuen Testaments auf das Wort, so läßt sie sich als jenes Ja vernehmen, das in Gericht und Gnade die Auferstehung der Toten meint: Gott steht zu seinem Willen.
  4. Was dar­aus für das Verständnis der Kirche und der Geschichte folgt, ist neu zu fragen. (Dasselbe gilt für das Phänomen der Leiblichkeit.)

Für die Details und die Literatur verweise ich auf meine Hermeneutik, 1954, 2. Aufl. mit Ergänzungs­heft 1958, sowie auf die jüngsten Jahrgänge der ZThK und auf meine Schrift: Das urchristliche Sakramentsverständnis, 1958.

Quelle: Wilhelm Schneemelcher (Hrsg.), Das Problem der Sprache in Theologie und Kirche: Referate vom Deutschen Evangelischen Theologentag, 27.–31. Mai, 1958 in Berlin, Berlin: Töpelmann, 1959, S. 21-36.

Hier der Text als pdf.

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