Von Erik Peterson
Die altchristliche Literatur kennt neben der Bezeichnung mit rex noch die Benennung Christi als imperator. In der Schrift über die Aufforderung zur Keuschheit sagt Tertullian [c. 12]: »Sind wir denn nicht auch Soldaten, und zwar unter einer noch viel strengeren Disziplin, da wir unter einem so großen Imperator stehen?« [eo quidem maiors disciplinae, quanto tanti imperatoris], und in der Schrift über die Flucht [c. 10] heißt es bei Tertullian: »Der ist mir ein schöner Soldat seines Imperators Christus, der … am Tage der Verfolgung davonläuft!« Bei Cyprian heißt es Ep. 15,1: »Wenn alle Soldaten Christi die Lehren ihres Imperators bewahren müssen« usw. Die römischen Konfessoren [Cyprians Briefsammlung ep. 31,5] gebrauchen dasselbe Bild. In der Pseudo-Cyprianischen Schrift: De montib. Sina et Sion 8, wird Christus imperator und rex genannt[1], und dazu gehört dann wohl auch, wenn in der Passio S. S. Scilitanorum der heilige Speratus im Verhör sagt: »cognosco domnum meum, regem regum et imperatorum omnium gentium« [bei Knopf-Krüger, Ausgewählte Märtyrerakten, 3. Auflage, Tübingen 1929, S. 29, Z. 8]. Bei Arnobius dem Älteren wird Christus ebenfalls imperator genannt [II 65, S. 101, 11; vgl. 17, 17; vgl. J. de Ghellinck u.a., Pour l’histoire du mot »Sacramentum«, Spicileg. Lovaniense 3; t. I, p. 226 A 3. 230, 232]. Lehrreich ist ferner der Sprachgebrauch bei Lactanz. Wer die Proskynese vor dem Kaiser übt: »tamquam desertor domini et imperatoris et patris sui puniretur« [Div. institut. 7,27, 16]. In 6, 8 spricht er von dem »magister et imperator omnium deus«, und in 4, 6, 5 meint er zu einem Orakel der Sibylle [s. Geffckens Ausgabe S. 227 unter Fragment 1]: »Filium dei / ducem[2] et imperatorem omnium his versis praedicat.« In den »Enarrationes in psalmos« des heiligen Augustinus wird zu Psalm 36 S. III n. 4 [P. L. 36, Sp. 385] bemerkt: »ut esset et ipse totius caput civitatis Jerusalem omnibus connumeratis fidelibus ab initio usque in finem, adiunctis etiam legionibus et exercitibus angelorum, ut fiat illa una civitas sub uno rege et una quaedam provincia sub uno imperatore.«[3] Im Kommentar des Aponius zum Hohenliede endlich wird Christus »der wahre Imperator« genannt [ed. Bottino-Martini S. 202) und an einer anderen Stelle nicht nur als der princeps principum, sondern auch als der imperator imperatorum gekennzeichnet [S. 233).
Es liegt nahe, an einzelnen der genannten Stellen das Wort mit »General«[4] und nicht mit »Kaiser« zu übersetzen, aber daß diese Übersetzung an anderen Stellen, an denen imperator neben rex steht, nicht möglich ist, mahnt zu Vorsicht. In I. Timoth. 6, 16 wird die griechische Akklamation hṑ timḕ kaì krátos aiṓnion im Lateinischen mit: cui honor et imperium wiedergegeben. Ob diese Akklamation auf Gott oder auf Christus zu beziehen sei, ist strittig. Ähnlich liegt der Fall in I. Petr. 4, 11 und 5, 11, aber in Apoc. 1,6 muß doch wohl das ipso gloria et Imperium auf Christus bezogen werden. Jedenfalls ist die Beziehung dieser Akklamation auf Christus in der patristischen Literatur häufig. Das wird verständlich, wenn man sich klarmacht, daß das regnum Christi auch als imperium bezeichnet werden kann. So heißt es in: De laude martyrii des Ps. Cyprian c. 24; p. 47,16 von den Märtyrern: patent regna, parantur imperia [vgl. auch c. 30, Die Märtyrer: imperia perennis temporis tenent]. In einem lateinischen Grabgedicht [bei Buecheler nr. 1359, Z. 3 f.] wird gesagt: mumdumque relinquens immensum Christi possidet imperium. Maximus Taurin bemerkt in einer Homilie [Hom. 85 P. L. 57 Sp. 447 B]: non enim ad imperium coelorum pervenitur superbia. Es ist also klar, daß das Himmelreich auch als Imperium bezeichnet worden ist. Im Carmen paschale des Sedulius II 63 ff. heißt es einmal von Christus: cuius nomen et aeterno complectens omnia gyro imperium sine fine manet.
Damit stellt sich aber der Glaube an das imperium sine fine Christi der bei Vergil, Aeneas I 278 f. dem irdischen Rom gegebenen Verheißung: imperum sine fine dedi entgegen[5].
Wenn in der Civitas Dei II 22 der heilige Augustinus die Römer auffordert, das himmlische Vaterland zu suchen, und hinzufügt: in ea veraciter semperque regnabis, hat er auch das Vergil-Zitat angeführt, aber an die Stelle des imperium sine fine dedi hat er in futurischer Abwandlung ein: imperium sine fine dabit gesetzt. An die Stelle des heidnischen Imperiums ist also das Imperium Christi getreten[6]. Wenn man diese ganzen Zusammenhänge bedenkt, wird es erlaubt sein, auch die Stellen, an denen die altchristliche Literatur von Christus als dem imperator spricht, nicht nur einseitig von dem Feldherrntum Christi in seiner militia zu verstehen, sondern in dem Christus-Imperator zugleich den Herrn über ein imperium, das alle imperia dieser Welt transzendiert, zu sehen.
Christus unter dem Bilde des römischen Kaisers zu sehen, ist alt. Ich meine, daß schon die Geheime Offenbarung, in der Christus als »princeps [im Griechischen steht árchōn] regum terrae« [1,5] hymnisch gepriesen wird, diese Parallelisierung vorgenommen hat. Nur so erklärt sich, daß »der Menschensohn-Ähnliche« im Himmel zwischen Kandelabern steht [I, 13]; er wird damit die Gegengestalt zu dem kaiserlichen Bild, das zwischen Kandelabern aufgestellt wird[7]. Nur so versteht man, daß von seinen Füßen gesprochen wird, die wie Golderz blinken [l, 1 5]. Die Füße werden hervorgehoben, weil ihnen, wie den Füßen des Kaisers, Verehrung [Proskynese] gebührt. Nur so begreift man, daß der Ton seiner Stimme, die wie Kaskaden rauscht, hervorgehoben wird [das.]. Seine Stimme übertönt gleichsam die Stimme des irdischen Imperators. Wenn er sieben Sterne in der Hand hält [1, 16], so übernimmt er, wie man schon längst gesehen hat, ein kaiserliches Machtsymbol, und wenn sein Antlitz wie die Sonne glänzt [das.], so wird er zum Gegenbild des kaiserlichen roi-soleil. Von da aus wird begreiflich, daß auch seine Tracht beschrieben wird [1, 13]. Die Schilderung des kaiserlichen Kleides als Machtsymbol findet hier ein Gegenstück in der Beschreibung des Kleides des königlichen Hohenpriesters im Himmel, der als solcher den »Königen der Erde« überlegen ist. Wie der kaiserliche Prinzeps durch Akklamationen begrüßt wird, so wird auch dem himmlischen Imperator in Form von Akklamationen gehuldigt. Die politische Gegensatzschilderung setzt sich in c. 4 der Geheimen Offenbarung noch fort. Zunächst wird ein Thron beschrieben, auf dem Einer sitzt, dessen Name nicht genannt wird, vielleicht aus der jüdischen Scheu, den Namen Gottes zu nennen, vielleicht weil die Vorstellung der Verehrung eines leeren Thrones dahintersteht. Der auf dem Thron sitzt, ist unsichtbar, nur sein Glanz wird unter den Symbolen von Edelsteinen geschaut. Edelsteine sind ein Symbol politischer Herrschaft zu allen Zeiten. Der auf dem Thron sitzt, erhält den Huldigungsruf des dignus es; auch das ist ein Ruf, der der politischen Sphäre entstammt [Script. Hist. Aug. Gordianus c. 8]. Es ist die Loyalitätserklärung vor dem Thron des unsichtbaren Herrschers, eine eindrucksvolle Gegenkundgebung gegen den Herrscherkult und die Adoration des leeren Thronsessels des Monarchen, die zunächst hellenistische Einrichtung war und dann nach Rom gekommen ist[8]. Der auf dem Thron sitzt, hält in der Rechten ein Buch (5, 1). Auch hier ist wieder an ein Vorbild aus der politischen Welt zu denken. Der Kaiser hält eine Buchrolle in der Hand. Diese Rolle ist versiegelt. Sie kann eben nur von dem Beamten geöffnet werden, dem der Kaiser die Rolle überreicht. Wenn Christus hier diesem Beamten entspricht, so ist er freilich mehr als ein Beamter, sitzt er doch mit Gott — unter dem Symbol des Widders gesehen – auf dem Thron. Aber der Kaiser bleibt ja auch als Kaiser noch Beamter, er bleibt Konsul. Bedeutungsvoll ist dann weiter, daß der Engel Christus nicht einen Widder, sondern den »Löwen aus Juda«, der »gesiegt« hat, nennt [5, 5]. Wiederum liegt in der Erwähnung des »Sieges« Christi der Gedanke an eine Gegensatzschilderung zur politischen Welt nahe. Als Christus nun die Rolle in die Hand nimmt, kommt es zur Proskynese der 24 Presbyter. Die nach Analogie eines politischen Vorgangs gesehene Übergabe der Rolle wird von einer politischen Geste begleitet. Gleichzeitig schwenken die Presbyter goldene Schalen, die mit Weihrauch gefüllt sind. Das sind doch wohl die turibola, die wir auch aus dem römischen Kaiserkult kennen und die speziell beim Triumph und in Prozessionen – aber nicht dort allein – Verwendung finden. Auf die Öffnung der Rolle durch das Lamm folgt dann in c. 6 die Schilderung der vier eschatologischen Reiter. Man kann sich schwer gegen den Eindruck wehren, daß die Öffnung der Rolle und das Auftreten der vier Reiter noch in einer sachlichen Beziehung zueinander stehen. Die Kommentatoren pflegen zu bemerken, daß die Farben der vier Pferde den Farben der Zirkusparteien entsprechen. Der Gedanke des Wettrennens legt sich auch darin nahe, daß der Beginn des Rennens bezeichnet wird. Eine Stimme ruft den Pferden: Komm! zu. Wenn aber das hier im Bilde gesehen ist, dann wird die Verknüpfung mit der Öffnung der Rolle darin zu erblicken sein, daß der Beginn der Amtstätigkeit mit Zirkusspielen eröffnet wird. Der Amtsantritt des kaiserlichen Konsulats zu Neujahr wird mit Zirkusspielen begangen, dabei wird eine Beziehung auf den Sieg hergestellt[9]. Man begreift die innere Gedankenverknüpfung in der Geheimen Offenbarung. Der Antritt der Herrschaft Christi wird mit kosmischen Zirkusspielen eingeleitet, die das Proömium zum Ende dieser Welt darstellen.
Es wäre leicht, den politischen Charakter der Symbolik in der Geheimen Offenbarung und den Gegensatz, in dem sie zum Kaiserkult steht, noch an anderen Beispielen zu erläutern. Aber das Gesagte mag genügen. Es ist klar, daß in der Parallelisierung Christi mit dem Imperator keine zeitlose Symbolik, sondern eine Kampfsymbolik vorliegt[10]. So tritt auch in den patristischen Zeugnissen für das Imperatorentum Christi der kämpferische Charakter dieses Bildes deutlich hervor. Die militia Christi, die von dem himmlischen Imperator zum Kampf gefordert ist, führt in den Märtyrern einen Kampf um die Macht, der letzthin nur aus dem eschatologischen Charakter der christlichen Verkündigung zu verstehen ist. In seinem bekannten Buch ober die Militia Christi, Tübingen 1905, S. 10, hat Ad. Harnack behauptet, das militärische Element in der christlichen Stimmung sei nicht aus der christlichen Apokalyptik, sondern aus der sittlichen Ermahnung abzuleiten. Ich halte das für eines jener Mißverständnisse Harnacks und der liberalen Theologie, das auf einer mangelnden theologischen Einsicht beruht. Man kann den altchristlichen Begriff des Märtyrers nicht verstehen, wenn man nicht den Zusammenhang mit der urchristlichen Eschatologie erkennt. Man lese nur einmal die Geheime Offenbarung, um diese Zusammenhänge zu begreifen. Der Christus, der Imperator ist, die Christen, die zur militia Christi gehören, sie sind Symbole eines Kampfes um ein eschatologisches imperium, das sich allen imperia dieser Welt entgegenstellt. Es handelt sich hier nicht um eine Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche, die sich als zwei Institutionen gegenüberstehen und als Institutionen nun auch einen modus vivendi finden müssen, sondern der Kampf [und nicht die Auseinandersetzung) ist nötig geworden, weil die Basis des Institutionellen im Imperium verlassen ist. Als mit der Vergrößerung des Imperiums die Massen nicht mehr einfach mit den Institutionen der Polis zu regieren waren, mußte der princeps als Führer alle Macht in sich vereinen.
Dem Übergang aus dem Staatlich-Institutionellen in die Dynamik der politischen Aktion des princeps mußte aber notwendigerweise auch eine Verschiebung in der religiösen Sphäre korrespondieren. Hatte es bisher noch einen Staatskult gegeben – etwa den der kapitolinischen Trias –, der an die Institutionen des Staates gebunden, doch den außerhalb Stehenden eine große Toleranz gewährte, so mußte jetzt, wo die Institutionen zurücktraten, die Person des Monarchen für den Kult wichtiger werden als die Verehrung der Staatsgötter. Vom Standpunkt der politischen Logik eines heidnischen Staates aus gesehen war es durchaus konsequent, wenn der aktuelle Träger der politischen Gewalt auch zum aktuellen Empfänger der religiösen Verehrung wurde. In dem Maße aber, als die auctoritas auf den princeps überging – und damit letzthin aufgehoben wurde –, mußte alles Gewicht auf die potestas fallen und damit auch die religiöse Verehrung der Staatsgötter in den Kaiserkult einmünden. Der Kult der alten Staatsgötter konnte tolerant sein, der Kaiserkult mußte notwendigerweise intolerant werden, war doch das Göttliche im Kaiser präsent geworden und forderte als ein numen praesens seine Anerkennung.
Es ist bekannt, daß sich die Präsenz des Gottkaisers vor allem im Kaiserbild fortsetzt, das sozusagen das Sakrament des Kaiserkultus gewesen ist. In dem nach überallhin verschickten Kaiserbild, das bei seiner Ankunft in einer Stadt, wie der Kaiser selber, in feierlicher Prozession empfangen wird, kommt die Omnipräsenz des Gottkaisers in seinem Reiche zum Ausdruck. Wer das kaiserliche Bild nicht ehrt, wird notwendigerweise zum Gegner der politisch-aktuellen Gewalt. Jeder kann durch das Bild auf seine Untertanentreue hin geprüft werden. Immer ist also die Präsenz der kaiserlichen Bilder eine fordernde Präsenz – im Unterschied zu den Götterbildern in den Tempeln –, und so sind denn Opfer und Proskynese von der Gegenwart der Kaiserbilder gar nicht wegzudenken.
Weil die Aktualisierung der staatlichen Gewalt an der Person des princeps haftet, darum wird seine salus das Zentrum aller Wünsche, Gebete und Opfer für ihn[11]. Da ferner der Kaiser in der Irrationalität der geschichtlich-politischen Welt seine Betätigung findet, so wird seine Tyche, seine Fortuna, sein Genius nicht nur für das politische, sondern auch für das religiöse Leben von größter Bedeutung. Man wird gezwungen, bei der kaiserlichen Tyche, bei dem kaiserlichen Genius zu schwören[12], weil man im politischen Leben ihnen verfallen ist[13]. An den Erfolg des Kaisers zu glauben, wird zu einer Pflicht der devotio, denn die Tyche des Kaisers verbürgt den Sieg. Niederlagen kann es nicht geben. Der princeps siegt immer; semper victor lauten die Akklamationen, die man ihm zuruft[14]. Von da aus gibt es dann die Möglichkeit, die Herrschaft des Monarchen zu mythologisieren. Mit seinem Regierungsantritt bricht das goldene Zeitalter an, wie zahlreiche römische Kaisermünzen bezeugen. Die felicitas temporum ist unter einem neuen Stern verheißen. Eine neue astrologische Weltperiode bricht herein.
Als Christus geboren wurde, gab es eigentlich nicht mehr ein Königtum als Institution. Das nationale Königtum der Juden bestand schon seit langem nicht mehr. Herodes, als König der Juden, war ein Fremder[15]. Bei den Römern wiederum gab es nicht den rex, sondern den Caesar, zu dessen Wesen es gehört, daß er die Institutionen sprengt. Als Pilatus die Juden fragt: regem vestrum crucifigam?, antworten ihm die Juden: non habemus regem, nisi Caesarem [Joh. 19, 15]. In dieser Antwort ist der Tatbestand der politischen Welt, in die Christus eintrat, ausgesprochen worden. Die Juden haben keinen rex, und die Römer haben den Caesar. Auf die Frage des Pilatus: Ergo rex es tu? antwortet ihm Jesus: Tu dicis quia rex sum ego [Joh. 18, 37]. Wie die Antwort zu verstehen ist, zeigt das Wort Jesu: Regnum meum non est de mundo hoc [das. 18, 36). So ist Christus also König, und nicht Imperator des kommenden Äons. Als solcher ist er der Rex regum und der Dominus dominorum [Apoc. 17, 14; 19, 16; vgl. I. Timoth. 6, 15]. Aber wie Christus zu der Antwort, die er dem Pilatus gibt: Tu dicis, quia rex sum, noch hinzufügt: Ego in hoc natus sum, et ad hoc veni in mundum, ut testimonium perhibeam veritati [Joh. 18, 37] – ein Zusatz, welcher sich scheinbar kaum mit dem Anspruch auf königliche Würde verträgt –, so kommt zu dem Zeugnis für Christus als König der kommenden Welt noch hinzu, daß er auch als ein Imperator in einem Kampfe sichtbar wird, den die Engel mit den bösen Geistern und die Apostel und Märtyrer mit den Mächten dieser Erde führen. In einer Welt, die notwendigerweise von allem Institutionellen gelöst ist, da die Juden ohne König sind und die Heiden nur den Cäsar haben, muß auch der König der kommenden Welt in dem Kampf um den zukünftigen Äon etwas von einem Imperator annehmen. Wenn das Reich Gottes freilich rein supralnatural wäre, könnte das nicht eintreten; wenn aber dem Himmelreich »Gewalt angetan wird«, wenn Apostel und Märtyrer zugleich mit dem königlichen Hohepriester priesterlich opfern, um königlich zu herrschen, dann kann es geschehen, daß das eschatologische Präsentwerden Christi in den Gesichten der Zeugen gleichsam vorweggenommen wird und der himmlische Menschensohn in Analogie zu dem Imperator gesehen wird. Dann wird es begreiflich, daß Christus nicht nur als König der zukünftigen Welt in Hymnen gepriesen wird, sondern daß ihm auch in den Akklamationen der Kirche Majestät und Macht schon jetzt übertragen wird, daß das geschichtliche und politische Weltbild dieses Äons, das den princeps zum Vollstrecker der Tyche macht[16], im blutigen Krieg der Märtyrer überwunden wird, daß das eucharistische Mahl, das die Kirche feiert, nicht nur ein Mysterium ist, sondern auch schon etwas von dem eschatologischen Mahl an sich hat, das der Herr bei seiner Wiederkunft mit den Seinen begehen wird (Luk. 19, 30)[17].
In diesem Sinne macht sich die Kirche die Worte Tertullians [Apologet. 50] zu eigen: »Wir wünschen das Leiden aber in der Weise wie etwa der Soldat den Krieg; keiner erträgt ihn gern, da er notwendig auch Unruhe und Gefahr im Gefolge hat. Dennoch kämpft auch er mit allen Kräften, und wenn er in der Schlacht siegt, so freut er sich, weil ihm Ruhm und Beute zuteil wird, während er vorher über den Krieg sich beklagte. Eine Schlacht ist es für uns, wenn wir vor die Schranken des Gerichtes gerufen werden, um dort unter Lebensgefahr für die Wahrheit zu streiten. Sieg aber ist es, zu erlangen, um was man gestritten hat. Diesen Sieg begleitet der Ruhm, Gott wohlgefallen zu haben, und als Beute das ewige Leben«[18]. So wird denn die in den Märtyrern streitende Kirche Christus als den Imperator sehen[19], um in der Überwindung einer Welt, die in den Juden ohne König ist und in den Heiden nur den Cäsar hat, den König der kommenden Welt zu erwarten[20].
Ursprünglich erschienen in Catholica 5, 1936, S. 64-72.
Quelle: Erik Peterson, Theologische Traktate, Ausgewählte Schriften, Band 1, herausgegeben von Barbara Nichtweiß, Würzburg: Echter 1994, S. 83-92.
[1] Harnack, Patristische Miszellen in: Texte und Unters. N. F., Bd. 5,3, bemerkte dazu: »eine Bezeichnung, die mir sonst nicht begegnet ist« [S. 144).
[2] Im Sibyllenorakel ist von Gott die Rede, der hēgētḗs heißt [Fr. 1 vs. 6).
[3] Vgl. Morin, Augustini Sermones [Miscellanea Augustineana] p. 532,6: »a duce, rege, imperatore … Jesu Christo.«
[4] So Bayard in seiner Ausgabe der Briefe des heiligen Cyprian. S. Cyprien, Correspondence, Paris 1925, S. 43 und S. 80.
[5] Dieses Vergil-Wort ist in der Literatur oft wiederholt worden, siehe W. Gernentz, Laudes Romae, Dissert. Rostock 1918, S. 41 f.
[6] Im Introitus der Dominica infra octavam Epiphaniae heigt es: In excelso throno vidi sedere virum, quem adorat multitudo angelorum, psallentes in unum: ecce, cuius imperii nomen est in aeternum.
[7] Siehe die Darstellung der Notitia dignitatum in Alföldis Artikel Röm. Mitteilungen 1934, S. 115.
[8] Siehe Alföldi, Römische Mitteilungen 1935, S. 134.
[9] Siehe Alföldi, Römische Mitteilungen 1934, S. 94 ff. – Über Investiturdarstellungen vgl. jetzt Andre Grabar, L’empereur dans l’art byzantin Paris 1936 p.88 ff. Über die Geste der 24 Ältesten als Gegenstück zur offiziellen Untersuchungszeremonie der Reges siehe daselbst S. 232 f.
[10] Diese Kampfsymbolik wird bei Ambrosius, Sermo contra Auxentium. P. L. 16, 1018, wieder erkennbar, wo es heißt, daß Christus der Imperator der Kirche sei.t
[11] Es ist charakteristisch für die Geheime Offenbarung, daß in ihr 7,10 der salus-Ruf Gott und dem Lamme zuteil wird [ebenso 19, 1: salus et gloria et virtus Deo nostro est], obwohl der salus-Ruf doch Gott und dem Lamme gegenüber eigentlich sinnlos ist.
[12] Alföldi, Römische Mitteilungen 1935, S. 78 f.
[13] Die Eidesformel wird also politisiert. – Es ist bekannt, daß die Christen die Tyche in der heidnischen Eidesformel fortgelassen haben, Wilcken, Würzburger Papyri [S. 90), die salus dagegen beibehalten haben [S. 104]; damit wird deutlich, daß sie das heidnisch-politische Weltbild, in dem die kaiserliche Tyche waltete, erkannt und verworfen haben.
[14] Diese Akklamation hat man verchristlicht, indem man sie mit dem Sieg des Kreuzes verband, siehe Peterson, Heis Theos, Göttingen 1926, S. 153 und Anm. 1. Vgl. auch J. Gage in: Revue d’histoire et de philosophie religieuses 1932 p. 370 ff.
[15] Die feindliche Stellung des Herodes und der Herodianer zu Jesus wäre in einer umfassenden theologischen Behandlung des Königtums Christ theologisch zu erörtern. Wenn die Häresiologen von den Herodianern als einer Sekte sprechen, so ist das nicht so sinnlos, wie es den Historikern des 19. Jahrhunderts erschien.
[16] In der Eidesfrage wurde für die alten Christen akut, ob es möglich war, ein geschichtliches und politisches Weltbild anzuerkennen, das nicht das christliche war.
[17] Die Bezeichnung dominica caena (deĩpnon kyriakón) in I. Kor. 11,20 wäre gar nicht möglich gewesen, wenn die Eucharistie nur Mysterienfeier gewesen wäre, denn im griechischen Adjektiv liegt ein staatsrechtlicher Ausdruck vor, der die Öffentlichkeit und nicht das Mysterienhafte dieses Mahls betont.
[18] Übersetzung Harnacks in Militia Christi S. 33 Anm.
[19] Wenn die altchristliche und byzantinische Kunst Christus als Imperator dargestellt hat [siehe darüber die interessanten Ausführungen von A. Grabar, L’empereur dans l’art byzantin. passim. Vgl. auch Johs. Kollwitz in Römische Quartalschrift Bd. 44, 1936, S. 57 ff.], so spricht sich auch darin das Bewußtsein der Reichskirche aus, die Kirche der Märtyrer zu sein.
[20] Es ist hier nicht der Ort, über das Gottesgnadentum christlicher Könige in seinem inneren Zusammenhang mit der christlichen Eschatologie zu handeln.