Über den Sinnspruch „Das Licht der Öffentlichkeit verdunkelt alles“
Das ist ein Sinnspruch, der es in sich hat und auf die Abwicklung mancher politischer Skandalgeschichten zutrifft:
„Das Licht der Öffentlichkeit verdunkelt alles.“
Hannah Arendt hat ihn in ihrer Einleitung zu Men in Dark Times (1968) Martin Heidegger zugeschrieben und in folgenden Kontext gestellt:
„Dies sind die Bedingungen, die Sartre vor dreißig Jahren in La Nausée (das meiner Meinung nach immer noch sein bestes Buch ist) mit Begriffen wie böser Glaube und resprit de’sérieux beschrieben hat, eine Welt, in der jeder, der öffentlich anerkannt ist, zu den salauds gehört, und alles, was ist, in einer undurchsichtigen, bedeutungslosen Dimensionalität existiert, die Verdunkelung verbreitet und Ekel hervorruft. Und dies sind dieselben Bedingungen, die Heidegger vor vierzig Jahren (wenn auch zu ganz anderen Zwecken) mit unheimlicher Präzision in jenen Abschnitten von Sein und Zeit beschrieben hat, die sich mit „den ’sie'“, ihrem „bloßen Gerede“ und ganz allgemein mit allem befassen, was, unverhüllt und ungeschützt durch die Privatsphäre des Selbst, in der Öffentlichkeit erscheint. In seiner Beschreibung der menschlichen Existenz wird alles, was real oder authentisch ist, von der überwältigenden Macht des „bloßen Geredes“ angegriffen, das sich unaufhaltsam aus dem öffentlichen Bereich erhebt und jeden Aspekt der alltäglichen Existenz bestimmt, indem es den Sinn oder den Unsinn von allem, was die Zukunft bringen mag, vorwegnimmt und vernichtet. Aus der „unbegreiflichen Trivialität“ dieser gewöhnlichen Alltagswelt gibt es nach Heidegger kein Entrinnen, außer durch den Rückzug in jene Einsamkeit, die die Philosophen seit Parmenides und Platon dem politischen Bereich entgegengesetzt haben. Es geht hier weder um die philosophische Relevanz von Heideggers Analysen (die meines Erachtens unbestreitbar ist) noch um die dahinter stehende philosophische Denktradition, sondern ausschließlich um bestimmte zugrunde liegende Zeiterfahrungen und deren begriffliche Beschreibung. In unserem Zusammenhang geht es darum, dass die sarkastisch-pervers klingende Aussage „Das Licht der Öffentlichkeit verdunkelt alles“ den Kern der Sache trifft und eigentlich nicht mehr ist als die prägnanteste Zusammenfassung der bestehenden Verhältnisse.“
Bei Heidegger heißt es in Sein und Zeit (1927):
„Abständigkeit, Durchschnittlichkeit, Einebnung konstituieren als Seinsweisen des Man das, was wir als »die Öffentlichkeit« kennen. Sie regelt zunächst alle Welt- und Daseinsauslegung und behält in allem Recht. Und das nicht auf Grund eines ausgezeichneten und primären Seinsverhältnisses zu den »Dingen«, nicht weil sie über eine ausdrücklich zugeeignete Durchsichtigkeit des Daseins verfügt, sondern auf Grund des Nichteingehens »auf die Sachen«, weil sie unempfindlich ist gegen alle Unterschiede des Niveaus und der Echtheit. Die Öffentlichkeit verdunkelt alles und gibt das so Verdeckte als das Bekannte und jedem Zugängliche aus.“ (Tübingen: Max Niemeyer, 15. A., 1979, § 27, S. 127)