Gerhard Sauter über den Sterbesegen: „Den Segen können wir uns nicht selber sagen. Er muss uns gesagt werden, und so markiert er, dass wir im Tode nicht allein gelassen sein werden. Der Tod erscheint uns als eine Enge ohne Ausweg: daraus entsteht Angst, Todesangst. Und doch führt er in die Weite Gottes.“

Über den Sterbesegen

Von Gerhard Sauter

Für Sterbende erhält der Segen eine Bedeutung, die gar nicht überschätzt werden kann: er hüllt in Gottes verheißungsvolles Wirken ein. Er bezeichnet alle, die gesegnet werden, als diejenigen, die Gott gehören. Den Segen können wir uns nicht selber sagen. Er muss uns gesagt werden, und so markiert er, dass wir im Tode nicht allein gelassen sein werden. Der Tod erscheint uns als eine Enge ohne Ausweg: daraus entsteht Angst, Todesangst. Und doch führt er in die Weite Gottes. […]

Unsere Hoffnung beruht auf der Verheißung Jesu Christi, dass unsere Verschlos­senheit in uns selbst überwunden werden wird. Dennoch können wir einem bestimmten unvermeidlichen Alleinsein nicht entgehen. Deshalb müssen wir bereit sein, uns dieser Einsamkeit auszusetzen, und wir sollten sie auch bei anderen Menschen achten. Wir dürfen nicht meinen, wir könnten das Allein­sein angesichts des Sterbens verringern oder gar ausräumen, indem wir andere und uns selbst im Netzwerk sozialer Beziehungen aufzufangen versuchen, und zwar so lange und so intensiv wie nur möglich. Im Augenblick höchster Einsam­keit werden wir von Gott nicht allein gelassen.

Darauf zu hoffen, gehört zur »Hoffnung, wo nichts zu hoffen ist« (Römer 4,18). Diese Hoffnung wird geweckt, wenn Gottes Segen zugesprochen wird. Sie widerstreitet der Isolation, die durch unsere Verkrümmtheit in uns selbst ent­steht. Der Segen, der Leidende und Sterbende in letzter, äußerster Einsamkeit erreicht, weist auf das Handeln Gottes hin, der uns würdigt, zu leben und zu sterben, und zwar so, dass Gottes richtendes und rettendes Ja zu dem Leben, das Gott uns gewährt hat, offenbar wird. In diesem Handeln werden wir mit unzähligen Anderen zusammengeschlossen.

Auf die Begegnung im Sterben vorbereiten – sich darauf vorbereiten und gar andere: wer vermag das? Doch mit Gottes Segen werden wir dafür bereitet und damit auch zu unserem eigenen Sterben bereit. In dieser Bereitung werden wir inne, wie wenig vollendet unsere Existenz ist.

Diese Bereitung ist dreifach verheißungsvoll begründet:

Gott spricht das letzte Wort über mein Leben – darum bleibe ich mit meiner Selbstbeurteilung nicht hoffnungslos allein. Wenn Christus mich richtet, dann tritt er zugleich zwischen das »Ich«, das ich selbst zustande gebracht habe, und das »ich«, das sagen darf: »Christus lebt in mir.« So dürfen wir auf Christus blicken, wenn wir radikal mit uns selber konfrontiert werden. Denn würden wir nur auf uns sehen, dann wären wir verloren.

Gott überblickt mein Leben, völlig anders, als ich es selbst überschauen und selektiv durchschauen kann. Mit seinem Urteil über mich wird sein verborge­nes Handeln in meinem Dasein offenbar werden: in allen den unüberseh­baren Verflechtungen mit dem Leben Anderer, mit Wirkungen, denen ich ausgesetzt war, an denen ich beteiligt gewesen bin und durch die meine Ver­antwortung gebildet worden ist. Dann werde ich erkennen – nicht mehr nur glauben -, dass ich so und nicht anders geschaffen bin: ich werde mich erken­nen, wie ich von Gott erkannt bin (1 Korinther 13,12).

Mein gelebtes Leben bildet eine unverhoffte Einheit, weil es von dem Zusam­menhang des Handelns Gottes getragen und mit ihm verwoben ist. Gottes Gerechtigkeit wird aus ihm hervortreten, so, dass alle Ungerechtigkeit end­gültig von ihm abfällt. Auch das Verhältnis all meines Erleidens zu meinem Tun wird einsichtig werden. Dann wird das Staunen vollendet werden, zu dem ich geschaffen worden bin.

Quelle: Gerhard Sauter, Das verborgene Leben. Eine theologische Anthropologie, Gütersloh: GVH, 2011, S. 328f.

Hier der Text als pdf.

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