Gottes Schöpfung – Lebenshaus für alle. Die Botschaft der biblischen Schöpfungstheologie
Von Erich Zenger
Unsere Erde und das Leben auf ihr sind vom Tod bedroht. Die größte Gefahr für die Erde sind wir Menschen selbst. Wir haben die Erde rücksichtslos ausgebeutet und große Gebiete als Lebensraum vernichtet. Die Profit- und Konsumgier der reichen Völker dieser Erde macht die armen Länder immer noch ärmer. Wir zerstören die Ozonschicht und verändern das Klima mit schrecklichen Folgen. Wir verschmutzen die Meere und verschwenden das Wasser. Wir quälen die Tiere und rotten viele Arten aus. Wir Menschen haben in der Moderne die Herrschaft über die Erde übernommen. Was anfänglich ein Segen schien, ist für die Erde und das Leben auf ihr zum Fluch geworden. Pessimisten meinen, der selbstgewirkte Untergang der Erde sei nicht mehr aufzuhalten. Viele Zeitgenossen in den reichen Ländern dieser Erde meinen, alles sei nicht so dramatisch und wir Menschen würden auch diese Krise problemlos meistern. Andere Zeitgenossen – ich hoffe, dass wir, die heute Abend hier sind, dazugehören – sind der Auffassung, dass wir eine ernsthafte Umkehr brauchen, einen veränderten Blick auf die Erde und einen neuen Lebensstil, damit die Erde und das Leben auf ihr nicht langsam, aber unaufhaltsam dahinstirbt. Wir wollen uns am ersten Abend unserer Themenreihe „Gottes Schöpfung bewahren“ im Hinhören auf den ersten Teil unserer Bibel das Herz öffnen lassen für eine neue Sicht der Erde. Wir wollen auf die Erde und auf uns selbst gewissermaßen mit den Augen Gottes schauen. Im Gespräch mit der Schöpfungsgeschichte und mit der Sintflutgeschichte, also mit zwei Geschichten, die am Anfang unserer Bibel überliefert sind, wollen wir in mehreren Schritten meditieren, was es bedeutet, dass wir die Erde „Gottes Schöpfung“ nennen.
1. Bildgeschichte über die Beziehung Gottes zu seiner Welt
Um die biblische Schöpfungsgeschichte sachgemäß zu verstehen, ist es wichtig, ihre Sprachgestalt zu beachten. Das sind keine naturwissenschaftlichen Beschreibungen und Erklärungen, in denen uns Gott als Autor ein naturwissenschaftliches Wissen vermitteln will, das wir mit naturwissenschaftlichen Mitteln niemals erreichen könnten. Deshalb sind alle fundamentalistischen Versuche, naturwissenschaftliche Erkenntnisse oder Theorien der Astrophysik und Biologie mit dem Hinweis auf Aussagen der Bibel zu bestreiten, ebenso verfehlt wie die Behauptungen mancher Naturwissenschaftler, ihre Ergebnisse hätten die biblische Schöpfungstheologie definitiv als falsch erwiesen. Die Bibel beschreibt keine Naturgeschichte und liefert kein Schöpfungsprotokoll ab, sondern sie bezeugt uns die Liebe Gottes zur Erde als seiner Schöpfung und sie will uns aufmerksam machen auf das, was unsere Erde und unser Mensch-Sein bestimmt und auszeichnet. Während wir Europäer, vor allem unter dem Einfluss des griechischen Denkens, auf die Frage nach dem Wesen der Erde und des Menschen mit satzhaften Definitionen antworten, zieht es der im Orient lebende Mensch vor, eine Geschichte zu erzählen. Und wenn es um das geht, was grundsätzlich und immer gilt und gelten soll, ist es eine Erzählung über den Anfang der Erde und der Menschen. Wir sagen: Die Erzählung spielt in der Ur-Zeit und wir nennen solche Geschichten deshalb auch Ur-Geschichten. Sie spielen jenseits der historisch fassbaren Geschichte und sie halten doch zugleich fest, was die konkrete Geschichte unserer Erde zutiefst prägt. Sie reden nicht darüber, wie es zu dieser Welt gekommen ist, sondern wie diese Welt „eigentlich“ ist, wie der Mensch sie und sich in ihr sehen soll und vor allem: wie Gott zu dieser Welt, seit es sie gibt, steht. Sie verkünden, dass er sie von Anfang an und solange es sie gibt liebt und am Leben erhält.
Deshalb ist die Schöpfungsgeschichte zuallererst eine Erzählung über Gott, wie gleich die ersten Sätze betonen: „Am Anfang (oder: „im Anfang“, oder: „als Anfang“) hat Gott Himmel und Erde geschaffen … Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es wurde Licht “ (Gen 1,1.3). Hier geht es nicht um die naturwissenschaftlichen Fragen der Weltentstehung, sondern um den Beginn der Beziehung Gottes zu der Größe, die mit dem Wortpaar „Himmel und Erde“ bezeichnet ist, was wir alltagssprachlich mit „Welt“ wiedergeben. Es geht also nicht um die Frage, wann und wie „alles“ entstanden ist, sondern um den Anfang der bleibenden Zuwendung Gottes zu unserer Erde und zu allem Lebendigen auf ihr. Diese bleibende Zuwendung kommt in dem kurzen Gotteswort zum Ausdruck: „Es werde Licht!“ Das Wort „Licht“ hat hier eine theologisch höchst aufgeladene Bedeutung: Es geht nicht um das Licht, das Sonne, Mond und Sterne, die nach der Erzählung am vierten Tag geschaffen werden, ausstrahlen, sondern um Licht als Leben und Heil im Gegensatz zu Finsternis als Unheil und Tod. Es geht um das Licht der Liebe Gottes, das auf die Erde strahlt und strahlen will. Das unterstreicht der Satz: „Gott sah das Licht, dass es gut ist“, d.h. lebensvoll und lebensförderlich, wärmend und erleuchtend.
Die biblische Schöpfungsgeschichte ist eine kunstvoll gestaltete Bildgeschichte, die faszinieren und begeistern will für das Geheimnis unserer Welt, dass sie in den Augen Gottes kostbar, schön und liebenswert ist. Was die Menschen der biblischen Zeit bei der Wahrnehmung der Welt am meisten angerührt und beschäftigt hat, ist nicht der Gegensatz von „Nichts“ und „Etwas“, sondern der Gegensatz von „Chaos“ und „Kosmos“ bzw. von „Tod“ und „Leben“. Nicht dass etwas geschaffen wurde, sondern was und wozu geschaffen wurde, hat sie bewegt – und das haben sie in der Schöpfungsgeschichte zum Ausdruck gebracht. Wer diese in hymnischer Sprache gestaltete Erzählung von der Erschaffung der Welt in sieben Tagen hört und sich dem Gefüge dieses Textes aussetzt, wird zuallererst den Eindruck gewinnen, dass die Welt als ein geordnetes Ganzes präsentiert wird. Die Erzählung klingt wie eine kunstvoll gestaltete Motette, die mit der Wiederkehr bestimmter Motive und gleichlautender Elemente strophisch strukturiert ist und in ihrer beschwingten Melodieführung geradezu zum Mitsingen einlädt. Betrachten wir also kurz den Aufbau des biblischen Schöpfungshymnus, um seine theologische Botschaft tiefer zu erfassen.
2. Geordnetes Lebenshaus für Mensch und Tier
Die Erzähler gliedern die Schöpfungsgeschichte als Abfolge von sieben Tagen, die nicht einfach wie sieben gleiche Perlen auf eine Schnur gereiht sind. Die sieben Tage lassen in ihrer formalen und inhaltlichen Gestaltung eine deutliche Struktur erkennen.
Wie ein Rahmen legen sich über die Erzählung die Abschnitte am Anfang (der erste Tag), in der Mitte (der vierte Tag) und am Ende (der siebte Tag). Diese drei Schöpfungstage kreisen, abweichend von den übrigen Schöpfungstagen, um das Thema Zeit als grundlegende Ordnungskategorie von Leben. Der erste Schöpfungstag gibt mit seiner programmatischen Gottesrede „Es sei/werde Licht“ (Gen 1,3) die Zielsetzung der Schöpfung an: „Licht“ ist hier die Gegenkraft zu „Finsternis“, d.h. als Anfang wird der Schöpfung „Licht“ als Lebens- und Heilsdimension eingestiftet. Und zugleich wird mit der Erschaffung des Lichts die jedem natürlichen Maß von Zeit zugrundeliegende Ordnung von Tag und Nacht hervorgebracht, die als solche auch das Schöpferhandeln Gottes erst als geordnetes Schöpferhandeln ermöglicht. Der vierte Schöpfungstag gibt durch die Erschaffung von Sonne, Mond und Sternen die Möglichkeit, die wie ein Strom dahinfließende Zeit nach Monaten und nach Jahren zu messen und den agrarischen, kultischen, sozialen und historischen Kalender zu markieren. Der siebte Schöpfungstag schließlich bringt durch das Ruhen des Schöpfergottes eine weitere Zeitkategorie hervor, nämlich die wichtige Unterscheidung von Zeit der Arbeit und Zeit der Ruhe, wobei erst die Ruhe die Schöpfung vollendet. Zwischen diese Rahmenstruktur sind paarweise die Schöpfungstage zwei und drei sowie fünf und sechs geschoben. Diese Paare sind kunstvoll aufeinander bezogen. Das erste Paar, also die Schöpfungstage 2 und 3, erzählt, wie der Schöpfergott die vom Meer umspülte Erde als Lebensraum errichtet, in den er dann an den Schöpfungstagen 5 und 6 die entsprechenden Lebewesen setzt. Wie sehr dem Erzähler an der Sicht der Erde als Lebenshaus für alle Lebendigen liegt, geht auf, wenn man sich das Ganze als kontinuierliches Geschehen vorstellt. Aus dem Urwasser grenzt der Schöpfergott ein für allemal eine trockengelegte Erde aus, die sogleich ihr Pflanzenkleid hervorbringt: „So hat Gott allen Lebenden den Tisch bereitet“ – das ist die Perspektive, die dem zweiten und dritten Schöpfungstag gemeinsam ist. Den Erzähler interessiert nicht, dass es auf der Erde Berge und Täler gibt, sondern dass sie der gedeckte Tisch für Lebewesen ist, ein Tisch, den die Erde immer zu decken in der Lage sein soll. Die Pflanzen und Bäume gelten hier nicht als Lebewesen auf der Erde, sondern sie sind Teil der Erde selbst, die wesentlich lebendige und lebenermöglichende Erde ist. An den Schöpfungstagen 5 und 6 wird diese Erde der Reihe nach und aufgeteilt (!) den verschiedenen Lebewesen übergeben. Am 5. Schöpfungstag übergibt der Schöpfergott den Wasser- und Flugtieren den Raum rund um die Erdscheibe und über ihr. Am 6. Schöpfungstag übergibt er den Landtieren und den Menschen die Pflanzen tragende Erde. Der Erzähler wird nicht müde, das Thema Leben zu betonen: viermal sagt er ausdrücklich, dass der Schöpfergott „lebendige Wesen“ auf der Erde will, also lebenshungrige und lebensfähige Wesen, die sich danach ausstrecken, Leben zu empfangen als eine Gabe, die sie sich nicht selbst geben können, die sie aber in der Schöpfung vor-finden. Darüber hinaus ruft der Schöpfergott über die Lebewesen seinen Segen aus, d.h. ihnen wird die Fähigkeit geschenkt, als Lebendige ihr Leben weiterzugeben in der Kette der Generationen.
Die Schöpfung erscheint hier in technisch-künstlerischer Metaphorik. Der Schöpfergott plant und realisiert gemäß seinem Plan den Kosmos, wie man ein Haus entwirft und einrichtet. Zunächst schafft Gott inmitten der chaotischen Wassermassen einen kosmischen Hohlraum, dem er dann durch das Himmelsgewölbe und durch den Erdboden die Gestalt eines Hauses gibt. Dieses teilt er dann in einzelne Lebensräume auf, die er mit entsprechenden Gegenständen und Lebewesen ausfüllt. An die Decke des Hauses gibt er die Leuchtkörper Sonne, Mond und Sterne, auf dem Boden des Hauses lässt er die Pflanzen wachsen und weist die einzelnen Räume den Tieren und Menschen zu; in das Wasser, das das Haus wie ein Wasserschloss umgibt, setzt er die Fische. Und den Leuchtkörpern gibt er zugleich die Funktion, dem Haus und seinen Bewohnern als großes „Weltuhrwerk“ (N. Lohfink) zu dienen. Noch mehr freilich gilt: Die Gestirne am Himmel verkünden die Herrlichkeit des Schöpfergottes, die über und in diesem Haus gegenwärtig ist. Seine Herrlichkeit durchstrahlt und beherrscht das ganze Haus.
3. Die Menschen als Schützer im Lebenshaus
In das Lebenshaus der Schöpfung werden die Menschen mit einem besonderen Auftrag eingewiesen. Der Mensch ist im „Haus der Welt“ das einzige Lebewesen, das Verantwortung übernehmen kann und soll. Die Erzähler fassen dies mit ihrer Aussage von der Gottebenbildlichkeit der Menschen zusammen: „Lasst uns Menschen machen als unser Bild, wie unsere Ähnlichkeit. “ (Gen 1,26) Was mit der Gottebenbildlichkeit gemeint ist, lässt sich in drei Überlegungen bündeln:
1. Von der Bedeutung des hebräischen Wortes ṣӕlӕm her, das für „Bild“ steht, sollen die Menschen wie eine Art lebendiges Götterbild oder lebendige Götterstatue in der Welt wirken. Nach der Vorstellung des Alten Orients und des Alten Ägypten repräsentiert ein Götterbild die abgebildete Gottheit und ist Träger ihrer Macht. Es ist sozusagen der Ort, von dem aus die Gottheit wirkt. Das Götterbild signalisiert das Wo und Wie der göttlichen Lebendigkeit. Götterbilder werden deshalb behandelt, als ob sie belebte Wesen wären. Sie sind wie ein Leib, in den die lebendige Gottheit eintritt, um durch ihn in der Welt wirkmächtig gegenwärtig zu sein. Von diesem Verstehensansatz her sollen die Menschen als lebendige Bilder und Statuen des Schöpfergottes Medien göttlicher Lebenskraft auf der Erde sein.
2. Eine zweite Nuance der Redeweise vom Menschen als Gottesbild erschließt der Blick in die ägyptische und mesopotamische Kultur, wo die Pflichten des königlichen Amtes oft mit dem Begriff vom König als Abbild des Schöpfergottes umschrieben werden. Vorzüglichste Aufgabe des so verstandenen königlichen Amtes ist es, die Lebensordnung gegen äußere und innere Feinde zu schützen sowie gerade den Schwachen zu ihrem Recht zu verhelfen. Während in der ägyptischen Tradition der König auf Grund seines königlichen Amtes „Bild Gottes“ ist, kommt in der biblischen Schöpfungserzählung diese Würde und diese Aufgabe allen Menschen unterschiedslos zu. Die Vorstellung wird hier „demokratisiert“: nicht auf Grund besonderer Leistungen oder Aufgaben, sondern als Menschen sind die Menschen königliche Bilder Gottes.
3. Einen weiteren Schlüssel für die in Gen 1 proklamierte Gottebenbildlichkeit liefert der nähere literarische Zusammenhang, wenn es später heißt, dass Adam seinen Sohn Set als seine eigene Ähnlichkeit und wie sein Bild zeugt. Damit wird die Beziehung Vater – Sohn als eine Beziehung gekennzeichnet, in der ein Sohn durch sein Denken und Handeln zur Wiederholung seines Vaters wird. Die Aussage „Bild Gottes“ charakterisiert demnach die Abhängigkeit der Menschen von Gott als eine Art Gottesverwandtschaft, die sie verpflichtet, wie gute Töchter und Söhne Gottes zu handeln, nämlich die Erde als Haus ihres Vaters zu schützen und zu pflegen.
Zugleich hebt die Schöpfungsgeschichte hervor: Die mit der Gottebenbildlichkeit gegebene Beziehung des Menschen zu den anderen Lebewesen und zur Erde als dem allen Lebewesen gemeinsamen Lebenshaus bleibt abhängig vom Schöpfergott, dem das Haus gehört und dessen „Reich“ es ist, und rückgebunden an ihn. Diese Perspektive kommt im sog. Schöpfungsauftrag zum Ausdruck, dessen tiefere Bedeutung wir erst in den letzten Jahren wieder zu begreifen begonnen haben. Dieser Schöpfungsauftrag ist, so sehen wir heute, ein gottgegebener Auftrag zur Ordnung und zur Gestaltung der Welt – aber nicht zur schrankenlosen Herrschaft „über alle Geschöpfe“ und schon gar nicht zum zerstörerischen Krieg gegen die Erde, wie die amtlichen Übersetzungen der beiden großen deutschen Kirchen nahezulegen scheinen: „Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet …“ (Martin Luther). „Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch und herrschet …“ (Einheitsübersetzung).
Beide Übersetzungen sind nicht voll falsch, aber sie sind in zweifacher Hinsicht problematisch:
1. Sie leisten dem Missverständnis Vorschub, der Mensch solle sich der Erde gegenüber wie ein kriegerischer Feldherr verhalten, der Mensch müsse gar gegen die Erde kämpfen.
2. Nicht textgemäß ist in diesen Übersetzungen, dass als Nutznießer des Umgangs mit der Erde die Menschen selbst eingetragen werden, indem übersetzt wird: „Machet sie euch untertan!“ bzw. „Unterwerft sie euch!“ Der Dativ „euch“ steht nicht im hebräischen Text.
Dass hier weder eine Unterwerfung der Erde unter die Menschen noch gar ein Niedertrampeln der Tiere (und der Pflanzen) gemeint ist, und dass der Schöpfergott schon gar nicht seinen Segen zur Zerstörung und Ausplünderung unseres Planeten gibt, lässt sich durch zwei kurze Überlegungen klären.
1. Das von M. Luther mit „untertan machen“ und von der Einheitsübersetzung mit „unterwerfen“ übersetzte hebräische Wort kabasch meint „seinen Fuß setzen auf“. Dieser Gestus hat nach Ausweis der altorientalischen Bildtradition sowie der Verwendung des Wortes und der mit ihm verwandten Wörter im Ersten Testament ein vielschichtiges Bedeutungsfeld. Es gibt Bilder, auf denen der siegreiche Pharao (z.B. Siegesstele des Naramsin) oder mesopotamische König (z.B. Relief des Königs Anubanini) auf seinen Feinden steht und sie triumphierend niederhält. Andere Darstellungen zeigen den Pharao auf seinem Königsthron, wie er seine Füße auf einen Fußschemel setzt, auf dem symbolisch die Völker dargestellt sind, die zu seinem Herrschaftsgebiet gehören. Es gibt Bilder und Statuen, vor allem aus der Kultur des Perserreiches, in denen die universale Friedensherrschaft des Perserkönigs programmatisch dadurch zum Ausdruck kommen soll, dass er buchstäblich auf menschlichen Gestalten steht, die die von ihm regierten Völker symbolisieren (z.B. die 1972 gefundene Statue des Darius I.). Auf Siegelbildern ist ein Gott oder ein Held zu sehen, der seinen Fuß auf ein friedlich vor ihm lagerndes Tier setzt, während er mit der Hand oder mit der Keule einen anstürmenden Löwen abwehrt. Wieder andere Siegelbilder zeigen einen königlichen Gott, der auf Raubtieren steht und sie so bändigt – und daneben wächst der Lebensbaum, das heißt: der Gott bändigt das Chaos und fördert so den Kosmos. Aus mehreren Texten des Ersten Testaments wissen wir darüber hinaus vom Gestus der Inbesitznahme eines Grundstücks, indem man es betritt. Und wir kennen bis heute die Bedeutsamkeit des Betretens eines neuen Hauses. Alle diese Aspekte sind mitgemeint, wenn es heißt:
„Seid fruchtbar und werdet zahlreich und füllt die Erde aus
und setzt euren Fuß auf sie“ (Gen 1,29)
Die Menschen werden von Gott ermächtigt, „das Haus“ zu betreten, es in Besitz zu nehmen, es als „Hausverwalter“, als Ökonomen zu schützen und zu verteidigen: als Haus des Lebens gegenüber allen Mächten des Chaos – und zwar zum Wohl aller Lebewesen, für die die Erde als Lebensraum bestimmt ist.
2. In der Auslegungs- und Wirkungsgeschichte des biblischen Schöpfungsauftrags ist vor allem der Imperativ „und herrscht über die Fische des Meeres und über die Vögel des Himmels und über alles Getier, das auf der Erde kriecht“ (Gen 1,28) als Rechtfertigung gewalttätiger Beherrschung der Natur und der Tierwelt durch die Menschen gedeutet worden. Seit den Siebziger Jahren hat sich bibelwissenschaftlicher Widerspruch gegen diese Deutung erhoben. Unter der Voraussetzung, dass hier eine Metapher (ein Bild) verwendet ist, um die mit der Gottebenbildlichkeit der Menschen gemeinte Aufgabe der Menschen gegenüber ihrem Lebensraum zu erläutern, ist eine gewalttätige und nur dem Menschen dienliche „Herrschaft“ wenig wahrscheinlich. Sie würde ja dem ganzen in Gen 1 entworfenen Schöpfungsplan von der Erde als einem Haus des Lebens für alle voll entgegenwirken. Zerstörerische, brutale Menschen als „Bilder“ des guten Schöpfergottes – das läuft dem ganzen Aussagegefälle von Gen 1 zuwider. Dass ein solcher „Herrschaftsauftrag“ mit der Formel eingeleitet werden könnte: „Und Gott (Elohim) segnete sie und sprach …“, ist ohnedies schwer vorstellbar.
Der biblische Herrschaftsauftrag ist eine Metapher, die an der Beziehung Mensch – Tier – Lebensraum die Verantwortung der Menschen für das Lebenshaus verdeutlichen will, insofern die Menschen sorgende und verfügende, schützende und ordnende Repräsentanten des Schöpfergottes selbst sein sollen. Als solche sollen sie königliche Hirten der Lebewesen sein, zumal die Fürsorge der Schöpfergottheiten für ihre Geschöpfe häufig als Hirtentätigkeit gezeichnet wird. Der sogenannte „Herrschaftsauftrag“ ist also eigentlich ein „Hüteauftrag“. Es ist keine Erlaubnis zur Zerstörung des Lebenszusammenhangs, sondern im Gegenteil: Der Mensch ist Stellvertreter des sich um das Leben sorgenden Gottes in dessen Schöpfung.
Die jüdische Tradition stellt heraus, dass es in Gen 1 zehnmal heißt „Und Gott sprach“, und sie parallelisiert die zehn Schöpfungsworte Gottes mit den Zehn Geboten vom Sinai, zumal es beiden um Leben und Freiheit geht. Das zehnte Gotteswort bei der Schöpfung, das in Gen 1,29-30 steht, ist uns in seiner Bedeutsamkeit meist wenig vertraut. Und doch ist es eine Art Zusammenfassung der Idee, die Gott für seine Schöpfung hat. In Gen 1,29-30 wird das Schöpfungsziel formuliert, hinter dem die Menschen faktisch zurückbleiben (wie die Sintflutgeschichte erläutert) und das dennoch als Schöpfungssinn (oder als Vision) gültig bleibt:
„Und Gott sprach:
Siehe, hiermit (über)gebe ich euch alle Pflanzen, die Samen samen, die über die ganze Erde hin sind, und alle Bäume, an denen Baumfrüchte sind, die Samen samen: euch sollen sie sein zur Nahrung.
Allem Wildgetier der Erde und allem Fluggetier des Himmels und allem Kriechgetier auf der Erde, in dem lebendiges Wesen ist, gebe ich alles Blattwerk der Pflanzen zur Nahrung.“
Es sind vier Aspekte, die der Erzähler durch die metaphorische Gottesrede verdeutlichen will:
1. Die feierliche Übereignungsformel („Siehe, hiermit übergebe ich …“), die aus der Rechtssprache stammt, zeigt an, dass mit dieser Gottesrede den Menschen, den Landtieren und den Vögeln die mit Pflanzen ausgestattete Erde als Lebensraum übergeben wird. Wie ein königlicher Landesherr Ölberge, Weingärten und Äcker seinen Vasallen als Lehen „gibt“ (vgl. 1 Sam 8,14; 22,7; 27,6), so übereignet der Schöpfergott die Erde den Lebewesen als ihr „Lebenshaus“. Dieser Aspekt, der durch die zweimalige Zweckangabe „zum Essen, zur Nahrung“ betont wird, unterscheidet die biblische Schöpfungstheologie von den meisten altorientalischen Kosmogonien, in denen die Menschen geschaffen werden, um die Erde zuallererst für die Götter zu bearbeiten.
2. Die Übereignung der Erde geschieht so, dass den Menschen und den Tieren unterschiedliche Lebensbereiche zugewiesen werden. Der Erzähler deutet damit bildhaft die Utopie an, dass das Einhalten der den einzelnen Lebewesen zukommenden Lebensräume die dem Schöpfungsgeschehen entsprechende Lebensfülle am besten sichern könnte. Dass der Erzähler die grundlegende Unterscheidung menschlicher und tierischer Lebensbereiche für seine Lebensutopie wählt, hängt mit der Welterfahrung damaliger Menschen zusammen, für die sich in der Relation Mensch – Tier viel grundlegender Spannungen der Schöpfung verdichteten als für uns moderne Menschen. Hinter Gen 1,29-30 steht die Erfahrung, dass Menschen und Tiere als Bewohner ein und desselben Lebenshauses faktisch Partner und Rivalen zugleich sind, wozu die Zuweisung unterschiedlicher Lebensräume das utopische Gegenbild sein will.
3. Dass die Erde als Lebenshaus geplant ist und dies bleiben soll, deutet der Erzähler vor allem dadurch an, dass Menschen und Tieren ausschließlich die „pflanzliche“ Erde übergeben wird. „Wer sich auf Poesie versteht, weiß auch ohne die Einwürfe der modernen Naturwissenschaft, dass diese Erzählung von der goldenen Zeit eine Dichtung ist, ein schöner Traum sehnsüchtiger Herzen“ (H. Gunkel). Dass die Menschen nur von den Früchten der Bäume und Pflanzen leben, ist auch in der Paradiesgeschichte (Gen 2) Metapher für die gottgegebene Lebensfülle der Ur-Zeit. Der Erzähler dehnt diese Vorstellung ausdrücklich auf alle Lebewesen der Erde aus. Da die Pflanzen nach altorientalischer Vorstellung keine Lebewesen, sondern nährende und bergende Gabe der Erde sind, ist die hier gemeinte Metaphorik klar: Im Lebenshaus des Schöpfergottes soll kein Lebewesen auf Kosten anderer Lebewesen leben. Die Erde soll nicht durch Gewalttat und Blut zu einem Haus des Todes werden. Das Haus des Friedens soll nicht zu einem Platz von Kampf und Krieg um die besten Fleischstücke werden.
4. In diesem Text schwingt eine gesellschafts- und herrschaftskritische Dimension mit. „Vegetarisch zu leben bedeutet in der Tradition des Altertums, sich der mit dem Fleischverzehr gesetzten Hierarchie zu enthalten … Im Anteil am Fleisch manifestiert sich die Stellung eines Menschen in der gesellschaftlichen Hierarchie – in der Verteilerfunktion die Herrschaft“ (J. Ebach). Die Metapher zielt demnach auf ein Zusammenleben ohne Kampf und ohne Privilegien – sie zielt auf eine Gesellschaft, in der es keine Gewalt und keine Feinde gibt, weil es keine Rivalität und keine Feindschaft gibt. Die Metapher zielt auf kosmischen Frieden auf der Erde als dem Reich Gottes. Dass diese biblische Utopie eine ökonomische und politische Provokation gerade heute darstellt, ist evident.
Wie sehr die Erzähler von der Erde als einem Haus des Glücks und des Friedens träumen, unterstreichen sie im Schlussabschnitt ihrer Schöpfungsgeschichte. Er bringt die vielleicht überraschendste schöpfungstheologische Aussage überhaupt, insofern es nicht heißt, Gott habe am sechsten Tag sein Schöpfungswerk vollendet, sondern wenn dies erst vom siebten Tag ausgesagt wird:
„Und Gott vollendete am siebten Tag sein Werk, das er gemacht hatte, und er ruhte am siebten Tag von all seiner Arbeit, die er gemacht hatte“ (Gen 2,2).
Die Ruhe des siebten Tages ist eine weitere Schöpfungstat Gottes, wie die rabbinische Schriftauslegung erklärt: „Was wurde am siebten Tag erschaffen? Gelassenheit, Heiterkeit, Frieden und Ruhe.“ Das ist die Ruhe der Vollendung, von der es im synagogalen Schabbat-Gebet heißt: „Um deine Größe zu verherrlichen und als Krönung des Heils hast du deinem Volk einen Tag der Ruhe und der Heiligung gegeben. (Über diesen Tag der Ruhe) jubelte (bereits) Abraham. Isaak jauchzte. Jakob und seine Kinder aber finden Ruhe durch ihn: eine Ruhe in Liebe und Weitherzigkeit, eine wahre Ruhe voll des Vertrauens, eine Ruhe, die Frieden und Gelassenheit, Unerschütterlichkeit und Zuversicht verleiht. Eine vollkommene Ruhe, an der du Gefallen hast.“ Um dieser „Ruhe der Vollendung“ willen hat Gott die Welt geschaffen. Man könnte geradezu überspitzt so sagen: Um diese Ruhe erleben und genießen zu können, hat Gott selbst gearbeitet. Und zugleich lädt die biblische Schöpfungsgeschichte dazu ein, dass auch wir Menschen das Aufhören von unserer Arbeit und die Ruhe des siebten Tages zu genießen, um die Welt als das wahrzunehmen was sie ist: ein Lebenshaus für alle.
4. Die Erde als Königreich des barmherzigen Gottes
Um die Botschaft der biblischen Schöpfungstheologie voll zu begreifen, müssen wir noch einen Blick auf die so genannte Sintflutgeschichte werfen. Erst wenn sie mitgehört wird, wird verstehbar, warum wir die Welt „Gottes Schöpfung“ nennen und dass es dabei um ein Geheimnis der Welt geht, das jenseits aller naturwissenschaftlichen Forschung liegt.
Von der Sintflutgeschichte gilt besonders, was wir von der Schöpfungsgeschichte gesagt haben: Es geht nicht um ein einmaliges Ereignis, das irgendwann in der Frühzeit der Erde und der Menschen geschah. Deshalb wird auch keine Expedition je die Arche des Noach finden, weder auf dem Ararat noch auf irgendeinem anderen Flecken unserer Erde. Gewiss: Die Flutgeschichten, die es in vielen Kulturen der ganzen Welt gibt, verarbeiten geschichtliche Erfahrungen von katastrophischen Überschwemmungen und lang andauernden Sturzregen, durch die Ackerkulturen, Siedlungen und Tausende von Tier- und Menschenleben vernichtet wurden. Selbst unsere Moderne ist bei allem wissenschaftlichen und technischen Fortschritt weithin hilflos und ohnmächtig, wenn solche Sintfluten über eine Region hinwegtosen. Das sind die Menschheitserfahrungen, die den geschichtlichen Hintergrund für die motivliche Gestaltung der ur-geschichtlichen (mythischen) Sintflutgeschichten der Bibel und ihrer Umwelt bilden.
Ihre Sinnspitze ist aber nicht, dass es die erzählte weltweite, kosmische Sintflut wirklich gab, sondern im Gegenteil: Absicht der Erzählungen ist es, die Angst zu bewältigen, dass es jemals eine solche kosmische Katastrophe als ein von den Göttern bzw. vom Schöpfergott geschicktes Strafgericht geben werde. Um die Hoffnungsbotschaft, dass es seine solche Flut nie geben werde, zu vermitteln, wird erzählt, dass es einmal „am Anfang“, in der Ur-Zeit (also vor der historischen Zeit), eine solche Flut gab und dass die Götter bzw. der Schöpfergott dabei gelernt und geschworen haben, dass es eine Sintflut nie wieder geben dürfe. Für die „historische“ Zeit der Schöpfung heißt dies: Die Götter sagen zu, dass sie nie eine kosmische Vernichtungsflut schicken werden, was immer geschehen mag. Biblisch gesprochen: Der Schöpfergott sagt zu, dass er seine Schöpfung nie gewaltsam vernichten werde, auch nicht wegen der Bosheit der Menschen, wie groß diese auch immer sein mag und wie berechtigt darüber auch sein Zorn entbrennen werde.
So kommt gerade in der Sintflutgeschichte deutlich zum Ausdruck, was Schöpfung als theologische Kategorie (im Unterschied zum naturwissenschaftlichen Schöpfungsbegriff) meint: dass der Schöpfergott eine Beziehung der Liebe und Treue zur Erde hat und dass er grundsätzlich und unwiderruflich Ja zu dieser Erde und zu diesen Menschen sagt.
So unterschiedlich die weltweit erzählten Sintflutgeschichten im Einzelnen auch sein mögen, gemeinsam ist ihnen allen, dass nicht eigentlich die Sintflut als Vernichtungsgeschehen ihr Thema und ihr Anliegen ist, sondern dass in bzw. aus der Flut ein Menschenpaar mitsamt vie- len/allen Tierarten gerettet wird und dass nach der Flut das Leben auf der Erde (neu) weitergeht. Die uns überlieferte biblische Sintflutgeschichte nennt ausdrücklich die Gründe für die vom Schöpfergott geschickte Flut. Da heißt es zunächst:
„Und es sah JHWH, dass die Bosheit des Menschen auf der Erde gigantisch war und dass alle Gebilde der Planungen seines Herzens nur böse waren den ganzen Tag. Und es reute JHWH, dass er den Menschen gemacht hatte auf der Erde und er grämte sich in seinem Herzen. Und JHWH sprach: Ich will wegspülen den Menschen weg vom Erdboden“ (Gen 6,5-7).
Und danach folgt eine weitere Feststellung, deren Vorwurf besonders massiv klingt, wenn man sich die Formulierung in Erinnerung ruft, mit der die Schöpfungsgeschichte die Darstellung des sechsten Schöpfungstages abschließt: „Und Gott sah alles, was er gemacht hatte, und siehe: es war/ist sehr gut“ (Gen 1,31). Demgegenüber heißt es nun:
„Und es verderbte die Erde vor Gott, und voll wurde die Erde von Gewalttat, und Gott sah die Erde, und siehe: sie verderbte sich, denn alles Fleisch verderbte seinen Weg über die Erde. Und Gott sprach zu Noach: Das Ende allen Fleisches ist vor mich gekommen, denn die Erde ist voll von Gewalt [vgl. Gen 4] von ihnen her. Und siehe, ich verderbe sie zusammen mit der Erde“ (Gen 6,11-13).
Und so lässt Gott eine gewaltige Sintflut kommen, die alle und alles vernichten sollte. Er reagiert, wie die meisten weltlichen und geistlichen Herrscher es taten und tun: Er straft und vernichtet. Auf die Gewalt seiner Geschöpfe reagiert nun auch er selbst mit Gewalt.
Dass eine gottgeschickte Sintflut die Götter von den lästigen Menschen befreien sollte, haben vor Israel auch schon die Sumerer und die Babylonier erzählt. Von ihnen haben die biblischen Erzähler den Stoff übernommen. Vermutlich kannten sie sogar die zwei altorientalischen Fassungen, die auch wir heute kennen; die eine Fassung ist auf der elften Tafel des Gilgamesch- Epos überliefert, die andere findet sich im sog. Atramhasis-Epos. Um die theologische Botschaft unserer biblischen Erzählung besser zu begreifen, ist es hilfreich, ihre mesopotamische Vorlage mitzuhören.
In dieser findet bei der Sintflut ein Konflikt zwischen mehreren Göttern statt. Es ist der Sturm- und Staatsgott Enlil, der da in göttlichem Zorn die menschlichen Störenfriede, die seine Götterruhe (seinen „Mittagsschlaf“) beeinträchtigen, ein für allemal durch eine Sintflut ausrotten will. Keiner der Götter wagt es, im Götterrat gegen die göttliche Gewalt zu protestieren. Sogar die Muttergöttin (im Gilgamesch-Epos heißt sie Ischtar, im Atramhasis-Epos heißt sie Nintu, „Herrin des Gebärens“) stimmt, wenn auch schweren Herzens, dem Beschluss zu. Aber als die Sintflut einsetzt, heißt es von ihr:
„Da schreit Ischtar wie eine Gebärende.
Es jammert die Herrin der Götter, die schönstimmige:
Wäre doch jener Tag zu Lehm (?) geworden,
da ich in der Schar der Götter Schlimmem zustimmte!
Wie konnte ich in der Schar der Götter Schlimmem zustimmen,
dem Kampf zur Vernichtung meiner Menschen zustimmen.
Erst gebäre ich meine lieben Menschen,
dann erfüllen sie wie Fischbrut das Meer!“
In der Muttergöttin bricht der Widerspruch der göttlichen Gewalt auf: Es „ist wie die Erfahrung einer Mutter, die das, was sie unter Mühen und Schmerzen geboren hat, unter keinen Umständen vernichtet sehen will“ (O. Keel). So ist sie überglücklich, als sie am Ende der Sintflut sieht, dass ein Mensch mit seiner Familie die Katastrophe überlebt hat: im Gilgamesch-Epos heißt er Ziusudra bzw. Utnapischtim, im Atramhasis-Epos heißt er Atramhasis (in der biblischen Überlieferung heißt er Noach). Dieser eine überlebte nach der mesopotamischen Überlieferung, weil Enki, der Gott der Weisheit, ihm den Vernichtungsplan verraten und ihm den Rat gegeben hatte, das rettende Boot bzw. die rettende Arche zu bauen.
Als Dank für seine Rettung baut der Gerettete einen Altar und bringt ein Opfer dar. Und als der Duft des Weihrauchs aufsteigt und die Götter anlockt, da verwehrt die Muttergöttin, die Göttin der Güte, dem Gott Enlil, dem Gott des Zorns, den Zutritt zur Götterrunde. Und sie verkündet:
„Ihr Götter hier, so wahr des Lapislazuliamuletts
an meinem Halse ich nicht vergesse,
will ich die Tage hier, fürwahr, mir merken,
dass ewig ihrer ich nicht vergesse!“
Was die mesopotamische Überlieferung auf mehrere Gottheiten verteilt, findet nach der biblischen Überlieferung im Kopf und Herzen ein und desselben Gottes statt. Und zwar so, dass dieser Gott am Ende der Sintflut ein anderer ist als vorher. Überspitzt gesagt: Am Anfang ist er Enlil, der Gott des vernichtenden Zorns, sowie Enki, der listig-bewahrende Gott der Weisheit – und am Ende ist er Ischtar-Nintu, die Gottheit der mütterlichen Liebe. Was zu Beginn der Erzählung der Grund für seinen gewalttätigen Zorn war, ist am Ende der Grund für seine warmherzige Geduld und Liebe. Als JHWH das Weihrauchopfer der Versöhnung riecht, das ihm Noach darbringt, verkündet er:
„Solange die Erde besteht, will ich die Menschen nicht vernichten,
auch wenn ihr Trachten nach Bösem und nach Gewalt ist, von ihrer Jugend an.
Nein, was lebendig ist, will ich nicht mehr vernichten,
wie ich es in der Sintflut getan habe“ (Gen 8,22.21).
Das ist nun eine andere Reue Gottes als zu Beginn der Sintflut. Da schaute JHWH auf sich selbst, nun schaut er auf die Menschen: Es sind doch seine Kinder, die er bedingungslos lieben und zu denen er halten will, nicht nur in guten, sondern vor allem in bösen Tagen. Nachdem er sich auf die Menschen eingelassen hat, will er sich voll auf sie einlassen – nicht mit der kalten Logik von „law and order“, sondern mit der großzügigen Liebe einer Mutter, die immer noch zu ihren Kindern hält und ihnen hilft, wenn niemand mehr helfen will.
Das ist die besondere Pointe der biblischen Sintflutgeschichte: „Die Flut hat … nicht den Menschen verwandelt, sondern Gott“ (L. Perlitt). Als Schöpfergott hat er eine Schwäche für seine Geschöpfe, an denen er leidenschaftlich hängt -und die er nicht aufgibt, weil er (paradox gesagt) sich nicht selbst aufgeben kann. Diese „Schwäche“ des Schöpfergottes ist seine unaufgebbare Bindung an seine Schöpfung, durch die die Welt zum Ort der täglich gelebten göttlichen Barmherzigkeit wird. Das ist in der Tat der Höhepunkt der biblischen Schöpfungstheologie: Dass Gott der Schöpfer des Himmels und der Erde ist, bedeutet, dass er sie zutiefst liebt – gegen alle „Vernunft“ und „umsonst“ (d.h. nicht vergebens, sondern aus reiner Gnade). Das sichtbare Zeichen seiner Barmherzigkeit ist nach Gen 9 der „Bogen in den Wolken“.
Mit einer feierlichen Erklärung stellt der Schöpfergott alle Lebewesen unter die Gnade seines Bundes:
„Ich richte meinen Bund auf mit euch und mit eurem Samen nach euch und mit allen lebendigen Wesen …, des Inhalts: Nie (mehr) soll alles Fleisch ausgerottet werden von den Wassern der Flut, und nie (mehr) soll eine Flut sein, um zu verderben die Erde“ (Gen 9,9-11).
Dieser Bund kennt keine Bedingungen, sondern gründet einzig und allein im Schöpfergott, der diesen Bund „errichtet“, d.h. unerschütterlich fest hinstellt. Diesen Bund können die Menschen nicht zum Wanken bringen oder brechen. Sie können ihn bestreiten oder ignorieren, aber dass alle Lebewesen faktisch aus der Gnade dieses Bundes leben, ist die eine große schöpfungstheologische Aussage, auf die es ankommt.
Das unterstreicht die Erzählung mit dem Bild vom Bogen in den Wolken:
„Meinen Bogen habe ich in die Wolken gegeben, und er soll sein zu einem Zeichen des Bundes zwischen mir und zwischen der Erde. Und es soll sein: Wenn ich daran gehen möchte, Wolken der Sintflut über die Erde kommen zu lassen, dann wird der Bogen in den Wolken erscheinen, und ich werde meines Bundes gedenken …“ (Gen 9,13-15).
Im hebräischen Urtext ist hier nicht die Rede von einem Regenbogen, den Gott als meteorologisches Phänomen schafft, „sondern davon, dass Gott seinen Bogen, d.h. einen Bogen, den er bereits zuvor besaß, in die Wolken gehängt habe. Das [hebräische] Wort qäschät [das hier steht] bezeichnet zunächst den Kriegsbogen. Gott hat also seinen Kriegsbogen weggehängt, hat nicht nur ab-, sondern umgerüstet, den Kriegsbogen in den Regenbogen verwandelt … Aus dem Kriegsbogen wird ein Zeichen des Gewaltverzichts, vergleichbar der Verheißung vom Umschmieden der Schwerter in Pflüge (Jes 2; Mi 4)“ (J. Ebach). Der abgelegte Bogen signalisiert das Ende der Auseinandersetzung zwischen JHWH und seiner Schöpfung. Wenn JHWH angesichts der vielfältigen Gewalt auf der Erde daran gehen möchte, die Erde durch eine Sintflut zu vernichten, strahlt der (Regen-)Bogen am Gewitterhimmel auf und erinnert JHWH an seinen Bund mit der Schöpfung.
In der altorientalischen Ikonographie hat der (Kriegs-)Bogen noch eine andere Symbolfunktion. Er ist das Zeichen der Herrschaft und des Königtums. Im Konfliktfall, in dem der Schöpfergott in seinem gerechten Zorn über die Bosheit und Gewalt der Menschen meint, die Erde vernichten zu müssen, soll der Bogen in den Wolken erscheinen und JHWH daran erinnern, dass die Erde sein Königreich ist, dem er sein bedingungsloses Ja gegeben hat. Insofern ist dieser königliche Bogen, der sich über die ganze Schöpfung wölbt, das Bundeszeichen schlechthin, das die lichtvolle Botschaft in die Schöpfung ausstrahlt: Der Schöpfergott steht auf der Seite des Lebens, weil er das Leben liebt. So heißt es ausdrücklich im Buch der Weisheit Salomos: „Du liebst alles, was ist, und du verabscheust nichts von allem, was du gemacht hast … Du bist ein Liebhaber des Lebens“ (Weish 11,24.26).
Von Gott her gilt: Die Sintflut liegt, was ihn anbelangt, immer schon hinter uns, weil er der Gott der Barmherzigkeit in Treue ist. Dass wir Menschen der Moderne nach dem Motto leben: „Nach uns die Sintflut!“, ist eine Perversion der biblischen Gottesbotschaft: „Hinter euch liegt die Sintflut!“
Die biblische Botschaft, dass der Gott des Bundes seine Schöpfung nie aufgibt, weil er sie liebt, ist eine Vision, die unseren Umgang mit der Schöpfung inspirieren und verändern will. Davon soll abschließend noch kurz die Rede sein.
5. Gottes Schöpfung bewahren
Die Bibel präsentiert ein gottgegebenes Leitbild für unseren Umgang mit der Erde und ihren Gütern. An die Stelle der einseitigen Fixierung auf Fortschritt und Wachstum müssen die Ehrfurcht vor der Welt als Schöpfung Gottes und ihre Hochschätzung als gemeinsames Lebenshaus für alle, für Mensch und Tier, treten. Neben dem notwendigen Einsatz von Naturwissenschaft, Technik, Wirtschaft, Medizin und Politik für ein weltweit besser werdendes Schöpfungsglück brauchen wir die sensible Wahrnehmung der durch unser Handeln ausgelösten Störungen und Gefährdungen des Lebens. Notwendig ist ein neuer Lebensstil, der nicht das individuelle Lebensglück, sondern den Erhalt und den Schutz der Erde als Lebenshaus für alle, insbesondere für die armen Völker dieser Erde, zum Maßstab der politischen, gesellschaftlichen und individuellen Entscheidungen macht. Es genügt nicht, dass jeder nur die sein eigenes Leben störenden Faktoren bekämpft, sondern es kommt künftig vor allem darauf an, die das Leben der anderen Menschen und das Leben der Natur insgesamt schützenden und entfaltenden Faktoren zu verteidigen und zu fördern.
Die biblische Schöpfungstheologie fordert, dass wir uns vom neuzeitlichen Weltmodell verabschieden, das die Natur vorwiegend als Nutzbringerin für menschlichen Wohlstand behandelte und dementsprechend misshandelte. Es wird höchste Zeit, dass wir Menschen nicht länger als Herren und Ausbeuter der Natur sowie als rücksichtslose Konsumenten ihrer Ressourcen agieren, sondern dass wir unsere Verantwortung für die Erde ernstnehmen, und zwar durch Konsumverzicht, Maßhalten und Rücksichtnahme. Wir sind nicht Herren, sondern Diener der Schöpfung Gottes, der uns die Erde als Gabe übergibt, und zwar in einem dreifachen Sinn: als Vor-Gabe, als Leih-Gabe und als Auf-gabe.
Dass die Welt dem Menschen als Gottes Schöpfung vor-gegeben ist, soll dem Menschen bei seinem technischen und kulturellen Umgang mit der Natur bewusst machen, „dass … diese Natur ihm als unhintergehbare Voraus-Setzung seines Handelns gegeben ist …, dass also die wichtigsten Lebensgrundlagen für alle Lebewesen (wie das Licht, das Wasser, die Luft, der Erdboden, die elementaren Nahrungsmittel usw.) nicht vom Menschen gemacht, sondern ihm übergeben und darum auch nicht unbegrenzt der Macht seines Alles-machen-Könnens und -Wollens ausgeliefert sind“ (M. Kehl). Die Natur, die Pflanzen und die Tiere haben als Mitgeschöpfe der Menschen einen Eigenwert und eine Würde, die der Verfügungsmacht der Menschen Grenzen setzen und eine liebevolle Achtsamkeit der Menschen verdienen, insbesondere bei Eingriffen in das genetische Erbgut von Pflanzen und Tieren, ganz zu schweigen von Menschen.
Insofern die Welt „Gottes Schöpfung“ ist, ist sie sein Eigentum, wie Ps 24,1 sagt: „Dem Herrn gehört die Erde und was sie erfüllt, der Erdkreis und seine Bewohner“ (Ps 24,1). Die Erde und ihr natürlicher Reichtum gehören nicht den Reichen und Mächtigen dieser Erde, keiner noch so großen Nation und schon gar nicht den globalen Wirtschaftsunternehmen und Börsenspekulanten, sie gehört auch nicht den Menschen einer bestimmten Epoche. Sie ist vielmehr der Menschheit insgesamt von Gott als Leih-Gabe anvertraut. Das bedeutet, dass wir Menschen Rechenschaft ablegen müssen über unseren Umgang mit dem uns anvertrauten Lebenshaus Erde – und zwar Rechenschaft gegenüber Gott als dem Schöpfer und Eigentümer der Erde.
Die Erde ist eine wunderbare Gabe des uns alle liebenden Gottes. Wir sollen staunen über ihre Schönheit sowie über den Reichtum und die Vielfalt des Lebens auf ihr. Und vor allem sollen wir sie als Gottes Schöpfung lieben, in den vielen alltäglichen Entscheidungen unseres Lebens auf und mit ihr. Nicht der Eigenprofit, nicht der Konsum, nicht die Gedankenlosigkeit, sondern der liebevolle Blick auf die Erde und ihre Güter, auf die Pflanzen und auf die Tiere, und nicht zuletzt der liebevolle Blick auf die notleidenden Menschen und Völker der Welt soll unseren Lebensstil und unser Bewusstsein prägen und verändern. Die uns heute zukommende Auf-Gabe hat der 2002 verstorbene Biochemischer Erwin Chargaff im ersten Kapitel seines Buches „Serious Questions“ / „Ernste Fragen“ folgendermaßen auf den Punkt gebracht: „Wenn die Welt noch gerettet werden kann, wird sie durch Amateure gerettet.“ Er meint dabei das Wort „Amateur“ in dessen ursprünglicher Bedeutung: wer liebend bei der Sache und offen für sie ist, weil er nicht durch die Vorurteile der Meinungsindustrie und durch die Dogmen der Wissenschaft blockiert ist. Er sagt: „Formulieren wir es provokativ: Naturwissenschaftler, deren Hinwendung zur Natur die Qualität eines Jobs in einer Goldgräberstadt hat, Experten, in denen die Zweifel des Liebenden an sich selbst und an seinem Tun abgestorben sind, Spezialisten, die blind sind für den Reichtum und die Hinfälligkeit des Ganzen“ (E. Chargaff) und Konsumenten, die die ökonomische Wertsphäre für eine ethische Werteskala halten: sie alle sind zum Schutz des Klimas, zur Rettung der Umwelt und zur Förderung der Lebenszusammenhänge auf der Erde untauglich. Tauglich dafür werden wir, wenn wir wieder lernen, die Welt als Gottes Schöpfung zu sehen und sie als solche zu lieben – als Ausdruck unserer Gottesliebe, inspiriert von Worten aus dem 1. Johannesbrief:
„Wenn jemand sagt: ich liebe Gott,
aber seine Schwester, die Erde, misshandelt,
ist er ein Lügner.
Denn wer seine Schwester nicht liebt, die er sieht,
kann Gott nicht lieben, den er nicht sieht.
Wer Gott liebt,
soll seine Schwester, die Erde, lieben und achten“ (vgl. 1 Joh 4,20f).
Gehalten als Predigt im Rahmen der geistlichen Themenabende zur Fastenzeit am 24. Februar 2010 im Dom zu Münster.
Quelle: Michael Kappes (Hrsg.), Gottes Schöpfung feiern und bewahren, Materialien zur Gestaltung des Schöpfungstages und der Schöpfungszeit 1. September bis 4. Oktober, Münster: ACK–NRW, 2010, S. 8-19.