Von Johannes Rehm
Heiligt aber den Herrn Christus in euren Herzen. Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist.
Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.
Liebe Schwestern und Brüder,
„die Hoffnung stirbt zuletzt“, diese umgangssprachliche Redewendung findet in Nürnberg immer wieder einmal Verwendung, wenn der Club vor einem entscheidenden Spiel zum Klassenerhalt steht. „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, das gilt auch für Eltern und Großeltern, wenn bei Kindern und Enkeln wichtige Schulprüfungen bevorstehen. „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, diese Bekundung trotziger Selbstbehauptung bekommt eine existentielle Bedeutung, wenn es etwa um eine kritische Vorsorgeuntersuchung bei uns selbst geht.
Mit diesem Sprachgebrauch bringen wir die lebensentscheidende, lebensnotwendige und manchmal sogar lebensverlängernde Bedeutsamkeit von Hoffnung im umfassenden Sinn für das menschliche Leben zum Ausdruck: „Solange ich atme, hoffe ich“, das wusste schon Cicero und mit ihm die alten Römer und nicht nur sie. Wenn die Hoffnung, die wir so dringend brauchen, doch nur so einfach zur Verfügung stünde! Wenn man sie doch wie ein Vakzin in Dosen abfüllen und für den Bedarfsfall bevorraten sowie gegebenenfalls ausgeben könnte! Doch so einfach ist es selbst für Institutionen, die sich aufs Hoffnungspenden spezialisiert haben, wie etwa Kirchen oder Gewerkschaften, leider nicht. Der allzeit verfügbare Hoffnungs-Booster ist noch nicht entwickelt. Hoffnung ist und bleibt ein Geschenk. Sie bleibt unverfügbar. Wenn sie fehlt, dann mangelt es an Lebensnotwendigem. Wenn sie da ist, geht das Leben weiter.
Dabei ist es klug, sich nicht ausschließlich auf die eigene begrenzte Lebenserfahrung zu verlassen, sondern sich anregen zu lassen und gegebenenfalls auch dazu zu lernen von der biblischen Weisheit, die über die Generationen hinweg uns Menschen zu gutem und gelingendem Leben verholfen hat. Denn erwartungsvoll Ausstrecken nach Hoffnung, das können wir sehr wohl. Die Bibel ist dabei das Buch der Hoffnung schlechthin.
Wenn wir also nach vorne auf den nächsten Sonntag blicken, dann wird auf den evangelischen Kanzeln über eine Art christliche Haustafel als biblischen Predigttext gepredigt, die anregen und ermutigen soll zu einem guten, gelingenden und hoffnungsfrohen Leben. Ich nehme den Sonntagspredigten der Kolleginnen und Kollegen nichts vorweg, sondern greife nur einen Vers heraus, weil dieser mich lebenslang, aber insbesondere bei meinem Dienst im kda stets beunruhigt, herausgefordert und ermutigt hat.
Im 1. Petrusbrief im 3. Kapitel lautet der Vers 15:
„Heiligt aber den Herrn Christus in euren Herzen. Seid Allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist.“
Was für eine Frage, meine lieben Schwestern und Brüder! Was ist denn nun genau meine Hoffnung, und worauf bitte hofft ihr? In meinem Ausbildungs- und beruflichen Werdegang bin ich schon vieles gefragt worden, aber genau diese Frage ist mir so direkt noch nicht gestellt worden. Und ich selbst erinnere mich auch nicht daran, diese Frage so unverblümt jemandem gestellt zu haben. Vielleicht, weil sich dahinter die Frage nach dem Glauben, nach dem Grund aller Hoffnung verbirgt, die man einander in unserem Kulturkreis nicht so ohne weiteres zu stellen wagt. Dabei ist die Antwort auf diese Frage nach der Hoffnung von lebensentscheidender Bedeutung, denn davon hängt ab, was mich antreibt, wo ich denn hinstreben will und was mich tröstet. Jeder Morgen, der am Firmament hinaufzieht, beinhaltet immer wieder neu die Gelegenheit und die Notwendigkeit hoffnungsfroh die Aufgaben und Chancen der vor uns liegenden Zeit wahrzunehmen.
„Heiligt aber den Herrn Christus in euren Herzen“, das ist eine über die Jahrhunderte und die Konfessionen hinausgehende und sie verbindende Hoffnung. Gebt dem Evangelium des gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus Raum in euren Herzen, euren Gedanken und in eurer Lebensgestaltung. Der Sonntag ist von daher der Tag der Hoffnung schlechthin, der anders verbracht werden darf als Werktage, weil an ihm Raum und Zeit ist, den Herrn Christus zu heiligen in unseren Herzen. Am besten mit anderen zusammen.
Nun werden wir nicht übersehen dürfen, dass die Hoffnung des christlichen Glaubens eine von den verschiedensten Seiten in Frage gestellte Hoffnung ist. Dies ging auch schon den Empfängern des 1. Petrusbriefes ganz genauso. Mit ihnen zusammen sind wir auch Christen in der Diaspora, in der Minderheitssituation der Zerstreuung und als Fremde im Umfeld galt ihnen und uns heute der apostolische Zuspruch in seelsorglicher Absicht.
Der christliche Glaube ist wahrlich keine Selbstverständlichkeit in unserer Gesellschaft, wenn er das jemals gewesen war. Umso aktueller ist deshalb die Frage nach der Hoffnung, weil es darauf recht unterschiedliche Antworten gibt, so wie wir Menschen eben verschieden sind. Auf diesem Markt der Möglichkeiten ist es aber gut möglich, die christliche Hoffnung dialogisch ins Gespräch zu bringen. Das ist doch die Rechenschaft über die Hoffnung, die Apologia, zu der uns die apostolische Mahnung herausfordert. Als Menschen der Hoffnung können wir stärken und unterstützen in Situationen, in denen es schwer ist, die Hoffnung zu bewahren. Ich denke dabei an die Mitarbeitenden von Galeria Kaufhof, die wir als kda lange begleiten durften und von denen nun viele doch ihre Arbeitsplätze tragischerweise verloren haben. Aber auch unternehmerisch Tätige in Oberfranken bei der Glasindustrie, die uns ebenfalls lange schon nahestehen, möchte ich nennen, die dringend hoffen, dass sie die Energiepreise auch künftig bezahlen und erwirtschaften können. Oder ähnlich ein großes Handwerksunternehmen in Unterfranken, das wir kürzlich mit dem landeskirchlichen Arbeitskreis Kirche und Handwerk besuchten, das alle Schaffenskraft und alles Können dareinsetzen muss und will, dass seine aufwendigen Produkte den Erwartungen ihrer Kundschaft entsprechen. Unsere kda-Foren Kirche-Wirtschaft-Arbeitswelt waren über viele Jahre da gute willkommene Gelegenheiten, sich darüber auszutauschen über diese konkreten Hoffnungen in all ihrer Unterschiedlichkeit.
Beim unmittelbar zurückliegenden Nürnberger Kirchentag durfte ich richtig viel von den Hoffnungen Anderer erfahren. So erlebten wir bei unserem Kirchentags-Workshop „Sonntagsruhe in multikultureller Gesellschaft“ die tiefe freundschaftliche Gemeinsamkeit von Religionsvertretern im Ringen um Frieden und Verständigung, aber auch manche erwartbaren Unterschiede z.B. zwischen der Rabbinerin Dr. Antje Yael Deusel, der Muslima Gönül Yerli vom Islamischen Zentrum Penzberg und nicht zuletzt mit uns vom kda beim Anliegen des arbeitsfreien Sonntags. Aber, was soll`s – lasst uns einfach weiter darüber sprechen, was wir erhoffen! Auf die Praxis der Apologia in Liebe und Respekt, die ehrliche Rechenschaft über die Hoffnung, den offenen Dialog über den Glauben, darauf kommt es entscheidend an. Da, wo Menschen miteinander in Dialog kommen über das, was sie verbindet, da werden auch Unterschiede und Gegensätze zu Tage kommen, aber es lässt sich auch angstfrei besprechen, was unterschiedlich und nicht harmonisierbar ist.
Genau so habe ich auch stets den Auftrag unseres kda verstanden. Er leistet in diesem dialogischen Sinne einen unverzichtbaren Beitrag zu einem gelingenden gesellschaftlichen Miteinander in unserem Land. Diesen Beitrag sollte er auch in Zukunft leisten dürfen. Hoffnung in die Gesellschaft hineinzusprechen – das ist keine beliebige von Kassenlagen abhängige kirchliche Zusatzaufgabe, sondern unverzichtbarer existentieller Ausdruck christlichen Glaubens.
Doch, was ist in so einem Dialog als die spezifische christliche Hoffnung zur Geltung zu bringen? Ganz sicher doch, dass Gott der Schöpfer und Herr des Lebens selbst nicht nur eine, sondern, dass er die Hoffnung der Welt schlechthin ist. Diese Apologia, dieses Bekenntnis würden unsere interreligiösen Gesprächspartner vom Kirchentag wohl mitsprechen können. Darüber hinaus möchte ich aber auch noch von der Lebensgeschichte Jesu Christi erzählen, der am Kreuz in eine denkbar hoffnungslose Lage geraten war und an sich die lebensverwandelnde und lebenserweckende Kraft Gottes erfahren durfte. Doch nicht ausschließlich er. Der erste Petrusbrief spricht bereits in seinem ersten Kapitel von unserer Wiedergeburt als Menschen „…zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten“ (1. Petr 1, 3). Der christliche Glaube daran, dass Gottes Liebe zu uns über dieses irdische Leben weit hinausreicht, vermag Hoffnung Suchende in Menschen der Hoffnung zu transformieren.
In unserem gut besuchten Workshop am Kirchentag „Bete und arbeite. Spiritualität während der Arbeitszeit“ zeigte sich, dass erstaunlich viele Mitmenschen derzeit auf der Suche danach sind, wie ihr Glaube zur Kraftquelle auf der Arbeit werden könnte. Eindrücklich berichtete unser Freund Chris Orlamünder von seinem Netzwerk „Christen in der Automobilindustrie“, welches ihm und seinen Kollegen half, eine Firmenkrise durchzustehen. Oder Ariane Engelhardt-Krahe, der selbst eine geistliche Haltung hilft in der Beratung Angehöriger von an mit Demenz Erkrankten, um gemeinsam gangbare Wege der Hoffnung zu finden. Lebendig wird diese Hoffnung in ihrer Unverfügbarkeit, aber auch in ihrer Unverwüstlichkeit nicht zuletzt dadurch, dass wir solchen Menschen begegnen dürfen, die uns zu Hoffnungsgestalten werden können.
Die orientierende biblische Hoffnungsgestalt schlechthin ist dabei doch Noah, der bei sinkender Sintflut durch die Luke seiner Arche eine Taube aussendet in der Hoffnung auf das Ende der Flut. Durch den Krieg in der Ukraine, den niemand von uns wollte, erleben wir nun die Verletzlichkeit unserer Lebens- und unserer Wirtschaftsweise. Mich bedrückt, dass durch die Inflation die sozialen Gegensätze von Lebenslagen sehr viel krasser zutage treten als wir das bisher in der Bundesrepublik Deutschland gewohnt waren. Die Armen dürfen jetzt nicht diejenigen werden, die den Preis zahlen für Russlands Angriffskrieg. Aber es gibt auch Entwicklungen, die hoffen lassen. So begrüße ich es im sozialethischen Grundsatz, dass es nun ein Einwanderungsgesetz gibt, das die Einwanderung in unser Land vereinfacht, auch weil unsere Wirtschaft so dringend zusätzliche Arbeitskräfte braucht. Sorgen mache ich mir aber, dass so viele Mitbürger sich genau damit so schwertun, nämlich mit der zunehmenden Multikulturalität und Multireligiosität, so dass es zu Gewalt in Worten und Taten kommt. Das wird man als Christ und Bürger natürlich scharf verurteilen müssen, was aber nicht reicht. Es bedarf der Bereitschaft die knapper werdenden Ressourcen an Energie, Nahrungsmittel und Lebenschancen fair zu teilen. Und es bedarf eben auch der Apologia, des Dialogs über die dahinterstehenden Hoffnungen, die in uns sind.
Hoffnungen, das sind wesentlich auch Worte, Taten und Aktionen. Ich bin immer wieder darauf angesprochen worden, dass unsere Bauwagenkirche, die während des Kirchentages in der Königstrasse durchgehend im Einsatz war, sie an Noahs Arche erinnert. Die Bauwagenkirche ist ja tatsächlich ein von Arbeitnehmern eigenhändig auf einem oberpfälzischen Bauhof in Waldershof umgebauter Bauwagen. Wie die Arche damals bietet sie Schutz vor den Unbilden der Umwelt, sie ermöglicht Gemeinschaft und ihre Fenster eröffnen einen hoffnungsvollen Blick zum Himmel. Denn wir Menschen sind und bleiben, um es mit dem für mich biographisch so wichtigen Nürnberger Kirchentagsmotto von 1979 zu sagen: „Zur Hoffnung berufen“ zu einer lebendigen Hoffnung, die nicht einmal zuletzt, sondern die überhaupt nicht stirbt, weil der Schöpfer und Erlöser selbst ihr Inhalt und ihr Garant in einem ist. Amen
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Gehalten im Gottesdienst aus Anlass der Verabschiedung von Pfarrer Dr. Johannes Rehm als Leiter des Kirchlichen Diensts in der Arbeitswelt (kda) in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern am Mittwoch, dem 28. Juni 2023, in der Kirche St. Jobst in Nürnberg.