Von Hans G. Ulrich
8 Seid alle eines Sinnes, voller Mitgefühl, liebt einander, übt Barmherzigkeit, seid demütig! 9 Vergeltet nicht Böses mit Bösem, nicht üble Nachrede mit übler Nachrede. Im Gegenteil: Segnet, denn ihr seid dazu berufen, Segen zu erben. 10 Denn „wer das Leben lieben will und gute Tage sehen möchte, der halte seine Zunge im Zaum, fern vom Bösen, und seine Lippen, dass sie nichts Heimtückisches sagen. 11 Er gehe aber dem Bösen aus dem Weg und tue Gutes, er suche Frieden und jage ihm nach. 12 Denn die Augen des Herrn sind gerichtet auf die Gerechten und seine Ohren ihrer Bitte zugewandt; das Antlitz des Herrn aber steht gegen die, die Böses tun.“ (Psalm 34,13-17a) 13 Und wer wird euch etwas antun, wenn sich euer Eifer auf das Gute richtet? 14 Doch auch wenn ihr um der Gerechtigkeit willen leiden müsst – selig seid ihr. Den Schrecken, den sie verbreiten, fürchtet nicht, und lasst euch nicht irremachen! 15 Den Herrn aber, Christus, haltet heilig in euren Herzen. Seid stets bereit, Rede und Antwort zu stehen, wenn jemand von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist. 16Tut es jedoch mit Sanftmut und Ehrfurcht, mit einem guten Gewissen, damit die, die euren guten Lebenswandel in Christus schlechtmachen, beschämt werden, wenn sie euch in Verruf bringen. 17Denn es ist besser, Gutes zu tun und – wenn es der Wille Gottes ist – zu leiden, als Schlechtes zu tun und zu leiden. (1.Petrus 3,8-17 Zürcher)
Gnade sei mit Euch und Friede von dem, der da ist, der da war und der da kommt.
Liebe Gemeinde,
In der Bibel – diesem Buch mit seiner nie wirklich feststehenden Sprache und ihren unabsehbaren Bedeutungen – gibt es bestimmte Leitwörter (wie Martin Buber uns dies gezeigt hat), zentrale Wörter, an die wir uns halten können, wenn wir verstehen wollen, was uns da gesagt ist und worum es wirklich geht. Das soll uns ja wirklich auch erreichen. In der Lesung des Evangeliums (Lukas 6,36-42) haben wir heute schon zwei solcher Leitwörter gehört: Barmherzigkeit und Vergebung – und in unserem heutigen Predigttext werden wir neben einer ganzen Reihe weiterer solcher Leitwörter ein besonders zentrales Leitwort hören.
Durch die ganze Bibel, in der ganzen großen Geschichte, die sie erzählt vom Anfang der Schöpfung an, gibt es solche Leitwörter, die beständig wiederkehren, im Alten und im Neuen Testament. Sie erinnern immer wieder daran, gegen unser Vergessen, was Gott wirklich für uns, und von uns und mit uns will und vorhat.
Barmherzigkeit und Vergebung sind Worte sind, die sagen, was Gott tut und nur Gott selbst, Gott allein uns geben kann.
Denn: Wer von uns Menschen kann so vergeben, dass Schuld wirklich aufgehoben ist, wer von uns kann so barmherzig zu einem Menschen sein, dass diesem Menschen sich wirklich ein neuer Weg zeigt. Wenn dann gesagt wird, wir sollen wie Gott barmherzig sein und wie er vergeben, dann meint das immer ein Gleichnis – wie Gott, aber auf unsere menschliche Weise (wie: brich dem Hungrigen Dein Brot) und immer so – dass wir weitergeben, was wir einzig von Gott selbst bekommen können – wie Vergebung, wenn wir erfahren, dass Schuld wirklich aufgehoben ist, und die Barmherzigkeit, die uns aus Ängsten wirklich befreit, aus der Angst vor dem Tod, der Angst vor dem Sterben, aus der Angst vor ungewisser Zukunft. (Psalm 34,5).
Barmherzigkeit, Vergebung – das sind zwei Leitwörter, die festhalten, was wir von Gott erhoffen dürfen.
Manche weiteren Leitwörter werden uns sofort einfallen – wie „Gerechtigkeit“,[1]“Friede“, „Treue“, oder „Befreiung“ („Heil“ etc.) und „Vertrauen“ („Glaube“)[2], „Umkehr“, „neue Schöpfung“.
Alle diese übergreifenden Leitworte teilen etwas von dem mit, was Gott mit uns verbindet und uns Menschen mit ihm. Diese Leitworte halten fest, was es heißt, mit Gott zu leben, damit das nicht leer bleibt, sondern seine wirkliche, reale Bedeutung für uns gewinnt.
- Wie kann denn gesagt werden, dass unser Leben nicht ins Leere läuft, wenn wir nicht gewiss sein können, dass es in Gottes Geschichte aufgehoben ist, dafür steht Gottes „Gerechtigkeit“, seine Treue zu uns.
- Wie kann denn gesagt werden, dass es „Befreiung“ gibt, aus all dem, was uns im Denken, Wollen, Ängsten und Hoffen gefangen hält, wenn da nicht einer ist, der sagen kann: Sorgt Euch nicht um Euer Leben?
- – Wie kann denn gesagt werden, dass die neue Zeit angebrochen ist („die Zeit der Gnade“, Jes 49,8)[3] – und nicht die alte Zeit nur eine Wendung im alten Kreislauf genommen hat, wenn da nicht der „König der Zeiten“, wie die Bibel Gott nennt (Jer 10,10), eine neue Zeit heraufführt? [4]
Auch auf der politischen Bühne sind viele von diesen Leitwörtern zu hören – und wir hätten ohne sie keine Sprache – so ist die Rede von: Freiheit, Befreiung, Gerechtigkeit, Solidarität, Friede, Zuversicht, ja, und auch von Zeitenwende.
Was aber sind die Nachrichten, die mit diesen Wörtern verbunden sind? Was sind die Nachrichten, die guten und die schlechten, die mit Zeitenwende verbunden sind, was sind die Nachrichten, die mit der Aufforderung verbunden sind, dass wir zuversichtlich sein dürfen? Auch Zuversicht ist ein eigenes biblisches Wort – neben dem Wort Hoffnung. Was sind die Nachrichten, die unser Leben bestimmen?
Hier in der Bibel sind „Gerechtigkeit“, „Friede“, „Zuversicht“ Botschaften an uns Menschen. Es sind dringende Botschaften. Unbedingt sollten sie gehört werden und jeden Menschen erreichen, so wie damals Gottes Volk in Israel, das immer in Gefahr war, verloren zugehen, und dringlich an die christlichen Gemeinden bis heute, die Botschaft, dass wir an der Grenze zu der neuen Zeit leben, die Gott selbst angefangen hat.
Ein Leitwort soll das besonders anzeigen, und seine Botschaft sollte jeden erreichen – das Leitwort „Hoffnung“. „Hoffen“ war auch auf dem Kirchentag auf die Fahnen geschrieben.
Hoffen – Was ist die Botschaft und was sind die vielleicht guten Nachrichten, die damit verbunden sind?
Davon hören wir heute im Predigt-TEXT – aus dem 1. Petrusbrief, Kapitel 3 – ein Brief an die christliche Gemeinde; sie sollte erfahren, was die neue Hoffnung ist und was es heißt, dass eine neue Zeit angefangen hat, wenn auch die alte mit ihren Nöten, Krisen und Bedrängnissen nicht zu Ende ist ……
Ich lese den zentralen Satz daraus, Vers 15, nach der Zürcher Bibel
Den Herrn aber, Christus, haltet heilig in euren Herzen. Seid stets bereit, Rede und Antwort zu stehen, wenn jemand von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist.
Unsere Hoffnung – heißt es hier – ist dieser Jesus Christus – IHN sollen wir „heiligen in unseren Herzen“ – diesen Jesus Christus, der der Herr der Welt ist, den sollen wir unser Leben regieren und leiten lassen – dafür steht das Herz. „Gott ist der, der mit seinem Wort die Herzen regiert“, so haben die Reformatoren gesagt – nicht weltliche Reden sollen die Herzen in Beschlag nehmen, nicht die Nachrichten uns beherrschen… – Gott leitet die Herzen mit seinem Wort, das sie auffängt und ein neues Leben beginnen lässt. So wie der Petrusbrief schon am Anfang sagt: „Denn ihr seid wiedergeboren … aus dem lebendigen Wort Gottes, das da bleibt.“ (1Petr 1,23)
In all den Stimmen und Nachrichten, die auf uns eindringen, sollte die Botschaft zu hören sein, für die ganze Welt, dass Gott längst eine neue Geschichte angefangen hat, wie damals mit seinem erwählten Volk und so dann mit Jesus Christus und der Gemeinde, die in diesem Brief Gottes Volk genannt wird: (2,10)[5] „Ihr seid … das Volk Gottes“.
Tatsächlich: Hoffnung für die Welt ist angesagt als dringend nötige und befreiende Botschaft. Sie soll die Herzen erreichen: Gottes Geschichte mit seinen Menschen endet nicht irgendwo und irgendwie, sondern Gott hat mit diesem Jesus Christus eine neue Geschichte angefangen, in der sich die christliche Gemeinde, wo immer sie ist, als Gottes Volk zusammenfinden darf. Ja, wirklich, dieses Gottes Volk ist der Hoffnungsträger – für diese Welt. Zu jeder Zeit soll die Welt es erfahren können.
Gegen die Nachrichten, die uns verfolgen und sich festsetzen, Ängste und Sorgen, wie Mächte, die wir nicht kennen, wie die Visionen und Prognosen vom Weltende (von den letzten Tagen der Menschheit oder dem Ende der Kirche) und die überall zu hörende Rede von den vielen „Krisen“, die fordert oder verspricht, dass wir sie in den Griff bekommen.
„Hoffnung“ – dieses Leitwort hat manche Generationen besonders begleitet.
In meiner Generation (in den 60iger und 70iger Jahren) ist es mit der „Theologie der Hoffnung“ laut geworden, weil alle Entwicklung auf eine Welt gerichtet war, die sich mit enorm gewachsenen Möglichkeiten verändert – doch worauf war die Hoffnung gerichtet, auf welche Gerechtigkeit, auf welchen Frieden? Jetzt, 50 Jahre später ist die Hoffnung vor allem mit der Erwartung verbunden, dass wir Menschen endlich merken, wie es um die Erde steht, dass wir die Zerstörung von Lebensgrundlagen und Bedingungen für Gerechtigkeit wahrnehmen.
Doch: Was ist die Botschaft – was ist die Botschaft an die Welt?
In unserem Predigttext lautet die Botschaft einfach, durch die Zeiten hindurch, in einem Satz gesagt: „lasst Gottes Wort, das mit Jesus Christus in dieser Weltgeschichte erschienen ist, die Herzen regieren“ – das hätte auf den Fahnen des Kirchentags stehen können: „ER ist Eure Hoffnung“, weil mit IHM eine neue Geschichte im Gang ist. Gottes Reich, das kommt, fängt hier bei uns an – mit den Herzen der Menschen – darauf setzt er.
So ist Gottes Regierung im Kommen … So fängt die neue Zeit an (ich lese einige weitere Verse und Leitworte in dem Brief):
So beginnt Gottes Reich mit dem, was Menschen in die Welt bringen, die in der neuen Hoffnung leben, was durch sie in die Welt kommt. Denn: alles, das Gleich-Gesinnt-Sein, die Barmherzigkeit, Sanftmut, Versöhnlichkeit, … all das, was wie Forderung klingt – alles das entsteht zusammen der neuen Geschichte, die angefangen hat – was wie eine Aufforderung klingt … seid eines Sinnes, seid barmherzig, vergeltet nicht Böses mit Bösem, oder – wie im Wochenspruch „Einer trage des anderen Last“ – entsteht mit dem Wort von Gottes neuer Geschichte, das die Herzen erreicht. So wird die Aufforderung zu einer Botschaft ….
Es ist neue Zeit – in der Gottes Wort spricht gegen die Angst um eigene Verluste, die eigene Angst, die die Not des Nächsten vergisst. So kommt mit der Hoffnung die Barmherzigkeit in die Welt.
Es ist neue Zeit – Gottes Wort teilt mit, was allen gemeinsam ist, es müssen nicht unüberbrückbare Differenzen, „Spaltungen“, und Abgrenzungen (die Weltordnung) dominieren – so kommt die Versöhnlichkeit in die Welt.
Es ist neue Zeit – Gottes Wort sagt an, dass gegen das Böse Gott selbst sich wendet – wie es weiter in dem Brief heißt: „das Antlitz des Herrn steht gegen die, die Böses tun“ (V. 12 als Zitat von Psalm 34,17a)
Der Brief folgt dem Psalm 34: in dem es einfach heißt „weiche dem Bösen aus“ – denke nicht, Du könntest das Böse in der Welt bekämpfen, Du wirst dadurch nur selbst darin verstrickt. Der Kampf gegen das Böse bleibt Gott überlassen. Unsere menschliche Aufgabe ist nur – und das ist viel genug – Menschen vor dem Bösen zu schützen – nur das, nichts sonst, kann den Einsatz von Gewalt fordern, nur dieser Schutz ist zugestanden, und ausschließlich denen, denen die Macht (nicht die Gewalt) übertragen ist, das zu tun.
Alles in diesem Gemeindebrief ist direkt für unsere Zeit angesagt. Eine Hoffnung, die nicht leer bleibt, die so gelebt wird – und so in die Welt kommt, mit denen, die sich davon erfassen lassen – mit dieser Bewegung der Hoffenden. Sie setzen darauf, dass Gottes Wort die Herzen erreicht – ein Wort, ohne Gewalt.
Diese Bedeutung haben alle die Worte gemeinsam: die neue Zeit beginnt mit dem Ende von Gewalt – „Sanftmut“ – heißt es hier. „Sanftmut“!
Hoffnung mit „Sanftmut“, nicht Gewalt, ist angesagt,
Hoffnung mit „Demut“, nicht Durchsetzungsvermögen,
Hoffnung mit „Einmütigkeit“, nicht Dauerstreit oder eine „gespaltene Gesellschaft“ ist angesagt.
Wir dürfen gewiss sein (hier ist vom guten „Gewissen“ die Rede), dass die Botschaft die Herzen erreichen kann – die Botschaft davon, dass Gott mit uns, seinen Menschen seine Geschichte weiterleben will, bis in alle Ewigkeit. Das ist die Botschaft in all diesen Aufforderungen, die Ankündigung einer neuen Wirklichkeit, die jetzt in den Herzen beginnt – mit Sanftmut, mit Einmütigkeit –
Eine neue Wirklichkeit – denn, es ist eine realistische Hoffnung, dass Menschen – in ihren „Herzen“ – neu geschaffen werden, zu neuen Menschen in einer neuen Zeit, in der Barmherzigkeit wirkt, und Einmütigkeit wirkt, in der wirkliche Hoffnung erscheint. Gott – so wird er in der Bibel genannt – ist der König der Zeiten, er wendet die Zeit und die Herzen, die sich von Gottes Wort ergreifen lassen. Mit ihnen fängt die neue Zeit an.
So weit, liebe Gemeinde, die Botschaft aus dem Brief an die christliche Gemeinde, die zum Hoffnungsträger für die Welt wird.
Es ist damals im Römischen Reich eine Welt, in der die christliche Gemeinde wie die Invasion eines fremden Volkes erscheint, sie wird verleumdet und verfolgt. Eine bedrohliche Konstellation für die christliche Gemeinde – ein Fremdkörper in der Welt, in Bedrängnis, weil die Welt nach anderen Gesetzen verläuft, wie nach dem Gesetz „Wie Du mir, so ich Dir“, „Schimpfwort gegen Schimpfwort“, und im Kampf gegen das Böse, das immer die Anderen sind (und im Verweis auf den Splitter, der immer im Auge des anderen ist).
Der Petrusbrief sagt der Gemeinde einfach – wie Paulus auch im Römerbrief – lasst Euch Eure Lebensform verändern durch ein neues Verstehen, lebt nicht nach den Gesetzen dieser Welt.
So wie Jesus dem Pilatus sagt: mein Reich ist nicht von dieser Welt. Nicht von dieser Welt, aber in dieser Welt fängt es an, realistisch, weil das Wort von der Hoffnung Herzen ergreift, eine neue Zeit hat damit angefangen, Gott hat sie angefangen und nur so gibt es eine Zeitenwende. Darauf ist die ganze Dramatik in diesem Gemeindebrief gerichtet –
Durchweg in der Bibel im Zentrum der Bibel über die ganze Geschichte, die sie umspannt, geht es um die Hoffnung, die dort wach wird, wo Menschen Gottes Wort hören, Gottes politische Botschaft von der neuen Zeit, immer neu – weil sie immer wieder vergessen wird und sich im Gewirr der Nachrichten verliert. Gottes Wort immer neu sprechen zu lassen, das macht Volk Gottes aus, das nicht verloren geht. Es erinnert, was von Gott kommt, das macht Gottes Volk zum Hoffnungsträger für die Welt.
„Denn ihr seid neu geboren … durch das Wort des lebendigen, ewigen Gottes.“ (1.Petrus 1,23 Zürcher). AMEN.
Gehalten am 4. Sonntag nach Trinitatis, 2. Juli 2023, in der evangelisch-reformierten Hugenottenkirche in Erlangen.
Dr. Hans G. Ulrich ist emeritierter Professor für Systematische Theologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
[1] Jesaja 51,4: Merket auf mich, du mein Volk! meine Nation du, auf mich lauschet! denn Weisung, von mir fährt sie aus, und meine Gerechtigkeit, zum Licht der Völker winke ich sie heran.
[2] 1Mose 15,6 Er aber vertraute IHM; das achtete er ihm als Bewährung.
[3] Psalm 80,15: Kehre um, Gott.
[4] Daniel 2,21 Und er ist es, der Zeiten und Fristen wechseln lässt, er setzt Könige ab und setzt Könige ein.
[5] 1Petrus 2,10 Ihr seid die, die einst kein Volk waren, jetzt aber das Volk Gottes.