Julius Schniewind, Die Freude im Neuen Testament: „Es ist strahlende Freude, dem Worte Gottes zu be­gegnen. Das schildern schon die Evangelien, das beschreibt die Apostelgeschichte in manchen vertrauten Erzählungen, das geht durch alle Paulusbriefe von den frühesten bis zu den letzten: Gottes endgültiges Wort ist ja Freudenbotschaft, ist der Ruf Gottes, der die Gemeinde sammelt und beständig trägt, der Ruf heraus aus dem Herr­schaftsbereich der Finsternis, hin zu Gottes Lichtherrlichkeit, zu seinem ewigen Reich.“

Die Freude im Neuen Testament

Von Julius Schniewind

Wir können nicht von der Freude, die das Neue Testament verkündet, sprechen, ohne mit dem Alten Testament anzu­heben.[1]

Es scheint, als wäre schon im Alten Testament alles da, was wir nur von Christenfreude zu sagen hätten, und als ob wir erst einmal die Lektion des Alten Testaments lernen müßten.

Daß die Kreatur den Schöpfer mit Jauchzen ehrt: die Sterne, da er die Erde gründete; die Son­ne, sie läuft wie ein Held; das Feld und die Acker-Erde, von Gott gesegnet; — daß Himmel und Erde, Berge, Steppe und Einöde frohlocken, da sie die Taten sehn, die er den Seinen tut; — daß er alle Freude schafft und schenkt, die uns Menschen verbindet, die Freude der Arbeit und der Jugend, die Freude der Mutter, die Freude von Mann und Frau, die Freude zwischen Vater und Sohn, die Freude der Wohlfahrt und des Gedeihens; daß er »ein fröhlich Herz« schenkt: — all das weiß schon Israel zu sagen, von den ältesten bis zu den jüngsten Zeiten.

Und Gott erwählt sich sein Volk, seine Gemeinde, ein Volk, das sich seiner freut, und dem er mit Freuden wohltut. Sie frohlocken ihm entgegen, wenn sie seine Feste feiern. Jubel und Freude ist der Ton, auf den der Kult gestimmt ist, von den alten Zeiten an, und im Deutero­nomium und im Levitikus nicht anders als in den Tempelpsalmen, in den Wallfahrtspsalmen, der Chronik und den Zeugnissen des rabbinischen Judentums. Die Freude über Jahwes große Taten klingt am Passah, am Laubhütten; Gottes Sieg über seine Feinde wird gefeiert: da er die Welt schuf, triumphierte er, und wenn er kommt und seine Herr­schaft aufrichtet, wird er triumphieren. Wenn aber Israel seine Feste feiert, so nimmt es an Jahwes Sieg und Thronbe­steigung Anteil, und mit den Farben aus Urzeit und Endzeit wird gemalt, [40] was man von Jahwes alten und neuen Taten zu singen weiß, vom Auszug und Durchzug und Sinai, von der Befreiung aus dem Exil: »Dienet dem Herrn mit Freuden, kommt vor sein Antlitz mit Frohlo­cken.« Und wenn der Freudenpsalm froh­lockt, so versetzt er sich im Geist schon an den kom­menden Tag: Gott hat gesiegt, es ist nun alles neu.

Mehr noch! Was die Psalmen im freudigen Gebet bekennen, es ist die innerste Erfahrung des Einzelnen. »Es freue sich das Herz derer, die den Herrn suchen!« Wie erfährt man seine Erhö­rung und Hilfe, in Krankheit und Not, angesichts des Todes! In dem allen aber das Eine: »der dir alle deine Sünde vergibt.« Äußere und innere Not läßt sich in den Psalmen nicht trennen: Verachtung, Leid, Mangel, Krankheit und Schuld fällt in eins; und man hat gewiß recht, auch hier das Typische zu sehn: im Einzelerlebnis liegt etwas von dem großen Kampf gegen die dämonischen Mächte; der Gott Israels aber hat triumphiert.Dennoch bleibt, was die Psalmen sagen, wirkliches, echtes Einzel­erlebnis. Einzelne Menschen — nicht nur die Gemeinde als ganze — haben diese Freude und »Lust« »am Herrn« gekannt. Dann freilich behält keiner etwas für sich allein. Die Freude des Einzelnen ist nur in und mit der Gemeinde. Alle »Ge­rechten« sollen sich mitfreuen, alle »Elenden«, die auf Gott harren, an dem, was Jahwe tat. »Daß nicht der Widersacher«, Gottes Widersacher, »sich freut«, daß Jahwe recht behält und die Seinen durch ihn recht bekommen, — das ist der Grund der Freude.

Und noch ist das Letzte nicht gesagt. Höchste Freude des frommen Juden ist Jahwes Wort, und das heißt für ihn: Jahwes Gesetz. »Am Wandel nach deinen Zeugnissen freue ich mich mehr als über allen Reichtum.« Man muß es dem 119. Psalm und all den ähnlichen Zeugnis­sen einfach glauben, daß sie aus Erfahrung sprechen. Diese Menschen haben gewußt, daß es Freude und Wonne ist, Gottes Wort zu vernehmen, daß es Freude und Lust ist, Gottes heiliges Gesetz zu empfangen und zu erfüllen. Man darf ihnen nicht ins Wort fallen und sagen, sie hät­ten sich getäuscht, oder sie hätten das alles nur im Blick auf den Messias oder auf die Süh­ne des Versöhnungstages hin ge­sprochen. Zu beidem haben wir kein Recht. Vielmehr beginnt [41] hier die Aufgabe, die wir eingangs nannten: die Lektion des Alten Testaments lernen.

Es ist nämlich wörtlich richtig, was die Psalmen von der Ge­setzeserfüllung sagen. Wo immer auch nur im geringsten Gottes Gebote befolgt werden, da ist Freude. Jeder weiß es aus der Kindererziehung; jeder weiß es, der in lebendiger Überlieferung steht, sei es ernsthafter kirch­licher Sitte oder des lebendigen Pietismus oder auch des »ethischen Idealismus«: Paulus setzt es voraus, daß auch die Heiden Gottes Gesetz kennen, ja (Röm 2!) tun; und dessen, was er als Jude besaß, rühmt er sich freudig (Phil 3, Röm 9 u. ö., trotz Röm 7!). Und man muß es dem pha­risäisch-rabbinischen Judentum lassen, daß die Freude der Gesetzespsalmen, die Freude der Esra- und Chronikzeit nie in ihm verstummt ist.

Und wie hier, so ragt in allen andern das Alte Testament zum Neuen empor. Den Kultus rechnet Paulus zu Gottes höchsten Gaben, und Jesus selbst heiligt den Tempel mit eigener Hand. Alle Freude des Geschaffenen kehrt im Neuen Testament wieder, da Jesus die Ehen und die Kinder heiligt; da die Apostel »Haustafeln« geben, wie jeder Jude und Heide sie versteht: aber diese Ordnungen sind »in Christo« gefaßt, vom »dankbar in allen Dingen« her, vom »beten ohne Unterlaß« und »allezeit fröhlich«. Die Freude des Paulus aber ist Gottes Werk in Gottes Gemeinde (»meine Freude und mein Kranz«); und sie ist Freude »in Hoff­nung«, Freude auf den »lieben Jüngsten Tag«, denn da werden sie ihn vor Christi Antlitz um­stehn, seine »Kinder«, und da ist Gottes Werk vollendet. Aber alle Freude der Christen ist eschatologische Freude: der Lohn ist groß in den Himmeln; »Freude und Wonne« ist die Offen­barung der Lichtherrlichkeit des Christus, und das spiegelt sich jetzt schon im Tun und Leiden der Seinen, ja gerade im Leiden. Dabei aber läßt sich so wenig wie in den Psalmen Äußeres und Inneres trennen. Daß Jesus Kranke und Dämonische heilt und vom Tode rettet, das ist Freude und Frohlocken ebenso, wie wenn er vergibt, die zukünftige Gottesherrschaft als Gegenwart verkündet, — Gegenwart in ihm.

Ist nicht alles, was im Neuen Testament steht, im Alten schon da — die Freude des Geschaf­fenen, der Gemeinde, des Kultus, [42] der Gotteshilfe, der Sündenvergebung, der Eschatolo­gie, die schon Gegenwart wird, die Freude des Gotteswortes und des erfüllten Gesetzes?

Aber über dem allen steht im Neuen Testament das eine Wort: »In Christo.« Und damit wird alles völlig neu, was das Alte Testament sagt.

Wir haben nämlich das Alte Wort noch nicht zu Ende gehört. Neben der Freude steht das ver­zehrende und ungestillte Leid. Neben der freudigen, Gott wohlgefälligen Tat steht ungehoben und anklagend die Sünde. Womöglich im gleichen Psalm steht beides unvermittelt und unge­löst nebeneinander; für das Ganze des Psalters ist es offenkundig: kein Ausgleich ist da zwi­schen dem »Vor dir ist kein Lebendiger gerecht« und dem freudigen Stolz der Gottesfurcht. Besonders deutlich ist das an dem schönen Nehemiawort (8,10): »Die Freude am Herrn ist eure Stärke.« Israel weint (8,9), da es Gottes Gesetz vernimmt; aber das wird ihm gewehrt: »Denn (10) die Freude an Jahwe ist eure feste Burg.« Aber ist das nicht gleichsam auf Wider­ruf gesagt? In Neh 9 kommt die wahre Sachlage zum Vorschein: dies ergreifende Bußgebet und die ihm ähnlichen aus alttestamentlicher Spätzeit, die wir — mit Recht — noch mitbeten, wären sie nicht in Wahrheit das letzte Wort des Alten Testa­mentes? Vielleicht noch mit dem Schreien: »Laß mich hören Freude und Wonne! Verwirf mich nicht von deinem Angesicht und nimm deinen heiligen Geist nicht von mir. Gib mir die Freude an deiner Hilfe zurück!« — Eben dies aber, sagt der Hebräerbrief, ist auch der letzte Sinn des ganzen Kultus: er ist nur immer neu »Gedächtnis der Sünden« (10,3). Aller Jubel und alle Freude kann darüber nicht täuschen.

Damit steht das Neue Testament in der Linie der Propheten. Sie künden das Unheil, das kommen muß und gar nicht aus­bleiben darf, und dann, so heißt es immer wieder, wird der Jubel des Kultus aufhören; dann »will ich verschwinden lassen Freudenjubel und Wonnejubel, Bräutigamsjubel und Braut­jubel«. Entsprechend aber wird die neue Zeit, die Gott selbst her­aufführt, beschrieben, immer wieder, als die Zeit der höchsten Freude, wie Erntefreude, wie Siegesfreude, wie freu­diges Wasserschöpfen: »Ewige Freude wird über ihrem Haupte sein, Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Kummer und [43] Sorgen wird entfliehn.« — Ja noch mehr! »Wie sich ein Bräuti­gam freut über die Braut, so wird sich dein Gott über dich freuen.« Daß Gott sich unser freut, das ist der letzte und der einzige »Grund ewiger Freuden«.

Hier, von diesem höchsten und letzten, sagt Jesus: es ist da! »Freude ist im Himmel«, d.h. Freude ist bei Gott, »über einen Sünder, der umkehrt, mehr als über neunundneunzig Gerech­te, die der Umkehr nicht bedürfen.«

Können wir jetzt den Schritt wagen, ganz über die Schwelle, ganz hinein ins Neue Testament?

Aber wir werden gewarnt, vorschnell zu sein. Daß Gott sich der Seinen freut, das steht nicht nur im Propheten, es steht auch im Gesetz; dort aber mit dem warnenden Entweder — Oder: Es wird Jahwe eine Freude sein, euch zugrunde zu richten und zu vertilgen, wie er vorher Freude daran hatte, euch glücklich und zahlreich zu machen. Vielleicht, ihr kehrt noch um, wenn der Fluch sich erfüllt, und gehorcht wieder und tut alle seine Ge­bote: dann wird »Jahwe wieder Freude an dir haben, wie er sich über den Vätern freute«.

Ob sich das jemals erfüllt hat? Israel war geneigt genug, es zu glauben. Als das Exil aufhörte, als der Tempel neu erstand, da glaubte man wohl, jetzt sei sie da, die ewige Freude, die ver­heißene neue Welt Gottes; und dann bleibt doch alles beim alten, und der Kontrast, von dem wir sprachen, verschärft sich nur.

Im Judentum der Zeit Jesu ist er bis aufs letzte zugespitzt. Auf der einen Seite die stolze Freu­de, das Gesetz zu besitzen und zu erfüllen; auf der andern Seite das Düster einer nicht enden­den »Buße« und einer ungelösten Furcht. Der fromme Jude weiß, daß Gott sich seiner freut, sich seiner Frommen freut; doch ziemt dem Frommen Sack und Asche, Fasten und die »Te­schuba«, die »Umkehr«, die »Buße«. Aber grade daraus macht er wieder seinen Stolz, daß er so schön Buße tut, so tief zerschlagen ist. Nicht nur die Schilderung Mt 6 zeigt uns das, son­dern ebenso die Dokumente des damaligen Judentums.

Jesus aber kommt zu diesen Frommen mit der Botschaft der vollkommenen Freude: »Wie können Hochzeltleute fasten?« Es ist Hochzeit, Zeit der vollkommenen Freude. Und mußt du wirklich fasten, ist wirklich Reue und Schmerz deine Lage vor [44] Gott: salbe dein Haupt! Denn Umkehr ist Freude. Freude herrscht in Zakchäus’ Haus, Freude beim Zöllner Levi; — denn Gott freut sich des Umkehrenden, freut sich des Verlorenen. Sollte der Stolze, der From­me, sich nicht freuen, nicht mit dem Vater freuen, da der Verlorene wiederkehrt? »Frohlocken aber und dich freuen solltest du, denn dieser dein Bruder war tot und ist lebendig worden, war verloren und ist gefunden worden.« Hat der Fromme die Botschaft gehört, die ihn selbst in seiner Verlorenheit traf? Er lehnt den Freudenboten ab, er lehnt die Freudenbotschaft ab; denn sie gilt nur den »Armen«.

Erst hier wird die Lektion, die das Alte Testament uns schenken wollte, zu Ende geführt. Al­les kann bei uns da sein, was schon der fromme Jude besaß; und doch fehlt die Freude Jesu, die vollkommene Freude. Alles kann bei uns da sein: wie die Freude am Guten und seiner Erfüllung, von der wir sprachen, so die Freude an Gott und seinem Dienst, die Freude an Gott (wirk­lich an Gott!) in seinen Schöpfergaben, die Freude an Gottes Gemeinde und ihrer Ge­meinschaft, die Freude erfahrener Gebetserhörung, erfahrener Sündenvergebung, die Freude an Gottes zukünftiger Welt; und über dem allen ein Bewußtsein darum, daß Gott sich unser freut: denn hätte er nicht noch »Wohlgefallen an seinen Werken«, noch etwas von seinem Schöpfer-Wohlgefallen, so wären wir alle vergangen. Aber neben all dieser Freude steht ungelöst die Auflehnung gegen Gott, und sie zeigt sich nicht anders als bei Jesu Zeitgenossen: im Selbstgefallen bis in das Gebet und in die Buße hinein, in der Auflehnung dagegen, daß andere uns zuvorkommen, die doch viel »schlechter« waren als wir. Und dann brauchen wir uns über die Symptome der Freudlosigkeit nicht zu wundern, die so oft in asketischen Schrif­ten und Liedern beschrieben werden, die »Dürre«, das Entschwinden der Vergebung, das Sichmühenmüssen, wohl gar das Raumgewinnen des Satans. Wir fallen »unter das Gesetz«, d.h. unter den Zorn, den Fluch, den ewigen Tod, unter die freudelose ungelöste Furcht.

Gerade hierhin aber gehört Lk 15. Gott freut sich der Ver­lorenen, gerade der Verlorenen. Das ist keine Lehre, die man lernen, wohl gar einmal auslernen könnte, sondern es ist die Wirk­lichkeit Jesu; er in Person ist die Freude, die Gott an den Verlorenen hat. Er »frohlockte im Geist« und pries den Vater [45] im Himmel, daß er solches den Weisen und Klugen verbarg und es den Unmündigen offenbarte. Sein ganzes Leben, von seiner Geburt an, steht unter die­sem Zeichen. Die Freudenbotschaft der Engel sagt, daß Gott an uns Menschen der verlorenen Welt Wohlgefallen hat, daß er sich unser freut, wie er sich einst seiner vollkommenen Schöp­fung freute. Und Jesu eigenes Wort und Werk ist mit den Gleichnissen in Lk 15 gemeint. Er ist es, der sich der Verlorenen annimmt; er ist es, der den älteren Bruder vor die Entscheidung stellt, ob er nicht mit dem jüngeren zu­sammengehören möchte.

Und in dem Stand, zu dem er die Seinen rief, erhält er sie auch. Sie kehren begeistert zurück von der Aussendung; denn der Satan mußte ihnen weichen. Aber das darf nicht ihre Freude sein — man kann prophetisch reden und Dämonen austreiben und dennoch selbst verloren gehn (Mt7,22f.): — »freuet euch, daß eure Namen im Himmel angeschrieben sind«, daß Gott euch als die Seinen kennt, als die Bürger seiner ewigen Stadt; daß Gott Wohlgefallen an euch hat. So sagt er es denn in den Ab­schiedsreden, und betet darum im Hohenpriesterlichen Ge­bet: daß seine Freude in den Seinen bleibe, die vollkommene Freude. Seine Freude, das heißt doch: das vollkommene Wohlgefallen des Vaters. Auf ihm hat des Vaters Wohlgefallen ge­ruht, auf dem einen Sohn, und darum ließ ihn der Vater nicht allein, keinen Augenblick; und an diesem Wohlgefallen, an dieser vollkommenen Freude gibt er den Seinen Teil.

Die vollkommene Freude! Es ist die Freude, die »niemand von euch nehmen kann«, es ist die ewige Freude, die Freude der zukünftigen Welt Gottes. Und das Wort, auf das wir anspielten, spricht ja von der Auferstehung, da die Seinen ihn »wiedersahen«. In der Auferstehung Chri­sti, so sagt es das ganze Neue Testament, ist die zukünftige Welt Gottes zu uns gekommen. Und so klingt durch alle Auferstehungsberichte hindurch der Ton der Freude immer wieder, in Furcht und Unglaube und Zweifel hinein, die große Freude.

Zuvor aber geht die Schmach und Angst und Schande des Kreuzes. Das zieht durch die gan­zen Abschiedsreden hindurch; das steht ausdrücklich im Hebräerbrief: statt der vor ihm lie­genden Freude erduldete er das Kreuz und achtete nicht der Schmach. Und was das heißt, sagen wieder Hebräerbrief und [46] Johannesevangelium am deutlichsten: es ist die Vollen­dung der Versuchungen, es ist das Ringen mit dem Satan; es ist (so wagen es die ersten Evangelisten zu berichten) die Gottverlassenheit, die »totalis derelictio«, und die Kirche aller Zeiten, die Kirche der Reformation insbesondere, hat gewußt, daß das »für uns« geschah: »sonst müßten wir verzagen«.

Der Gekreuzigte, Auferstandene aber schenkt seiner Gemeinde, die »in ihm« lebt, die ewige, vollkommene, allzeit währende Freude.

Wir müssen das Neue Testament beim Wort nehmen. Immer wieder klingt das Wort von der »vollkommenen« Freude nach; immer wieder klingt die Mahnung zur Freude »allewege«, »alle­zeit«, ohne Unterlaß. Dies bedeutet doch, daß das Schwanken aufhört, aufgehört hat, von dem wir vorhin sprachen. Das stammt daher, daß der Gemeinde die »vollkommene« Hoff­nung geschenkt ist, und darum »Freude und Friede im Glauben«, und darum freudige Hoff­nung.

Nichts anderes ist damit gesagt, wenn die Freude »Freude im Heiligen Geist«, »Frucht des Geistes«, »Freude des Heiligen Geistes«, oder »in der Kraft des Heiligen Geistes« genannt wird. Denn der Heilige Geist ist Angeld und Pfand der zukünftigen Welt, er ist die Gegenwart der zukünftigen Herrschaft Gottes, er ergreift schon jetzt die Gerechtigkeit, die Gott im End­gericht den Seinen zusprechen wird. Ja der Geist ist die unmittelbare Gegenwart Gottes; und die Freude, von der wir reden, ist also, wenn anders sie wirklich geistliche Freude ist, etwas schlechthin Übernatürliches und Überweltliches, etwas, das unbedingt und schlechthin nicht aus menschlicher Psychologie und menschlichem Wesen stammt, sondern allein von Gott. Es geht immer wieder durch die Briefe des Neuen Testaments und durch die Schilderung der Apostelgeschichte die Freude an Gottes Werk. Die Freude, daß, wie aus dem Nichts und ge­gen allen Schein eine Gemeinde erwächst wie die von Thessalonich, eine Gemeinde blüht wie die von Philippi; die Freude, daß die Trennung zwischen Juden und Heiden, die die Christen­heit in ihrem Bestand bedroht, überwunden wird; die Freude der Heiden, daß auch sie zu Got­tes Herrschaft gehören; die Freude der Boten über Gemeinden, die sie selbst nicht gründeten: aber neidlos sieht Barnabas das Blühen der antiochenischen, Paulus [47] das der römischen Ge­meinde. »Mitarbeiter der Freude« nennt Paulus die Evangeliumsboten; und die Freude kann auch darin bestehen, daß der Bote selbst seiner Schwachheit inne wird, während die Gemein­de erstarkt. »Keine größere Freude«, als daß »meine Kinder in der Wahrheit wan­deln«; ja die Liebe, die den andern sucht, freut sich mitsamt der (personifizierten!) Wahrheit, wo Wahrheit siegt, und kann sich nicht mehr über »Ungerechtigkeit« freuen, d.h. darüber, daß ich so viel besser bin als der andere. Neidlose Freude eint den Säenden und den Schneiden­den; trium­phierende Freude, der Vorgeschmack zu­künftiger Welt, eint die Gemeinde beim Brotbrechen.

All dies aber, was wir Werk Gottes nannten, geschieht durch Gottes Wort. Es ist strahlende Freude, dem Worte Gottes zu be­gegnen. Das schildern schon die Evangelien, das beschreibt die Apostelgeschichte in manchen vertrauten Erzählungen, das geht durch alle Paulusbriefe von den frühesten bis zu den letzten: Gottes endgültiges Wort ist ja Freudenbotschaft, ist der Ruf Gottes, der die Gemeinde sammelt und beständig trägt, der Ruf heraus aus dem Herr­schaftsbereich der Finsternis, hin zu Gottes Lichtherrlichkeit, zu seinem ewigen Reich.

Aber wir haben mit all dem nur die eine Seite gesehen. Freude »allezeit«: das heißt doch, daß Freude auch und gerade da lebendig ist, wo Trauer, Angst und Not zu siegen scheint. Und wie das bisher Gesagte von der Freude »im Herrn« so redete, daß die Wirkung des Auferstan­de­nen unmittelbar (wenn man so sagen darf) gezeigt wurde, so ist jetzt daran zu erinnern, daß der Erhöhte der Gekreuzigte bleibt, und daß die Freude der Seinen die Kreuzeszüge trägt und behält.

Dabei denken wir wohl alle zunächst an die Freude mitten in der Verfolgung, ja gerade über die Verfolgung. Die Selig­preisungen sprechen davon, die Apostelgeschichte, der Jakobus­brief, besonders aber die beiden großen Dokumente erster Christen Verfolgungen, der Hebrä­erbrief und der erste Petrusbrief. Ist es nicht der klarste Beweis für den übernatürlichen Cha­rakter der Christenfreude, daß sie gerade in der Ver­folgung erwächst? — Aber noch einmal werden wir gewarnt, vorschnell zu sein. Es gibt stolzes freudiges Martyrium im vorchristli­chen Judentum (Makkabäer!) wie in der nachapostoli­schen Zeit (Ignatius!). Was diesen Martyrienstolz von der ur-[48]christlichen Freude unterscheidet, ist das Verbundensein mit dem Gekreuzigten. Hier ist kein Menschenruhm, sondern »auswendig Kampf, inwendig Furcht«. Hier ist wirklich ein Verlassensein, ein Sichängsten, Bedrängtsein: so meint Paulus seine berühmten Schilderungen in den Korintherbriefen, und (so sagt Schlatter einmal) die Erinnerung an den leidenden, schwachen Paulus war den stolzen Korinthern höchst unange­nehm. Paulus aber erzählt ihnen, wie der Satansengel ihn schlägt, und wie sich gerade darin Gnade und Kraft des erhöhten Christus an der Schwachheit vollendet. So ist denn das Leiden der Christen ganz un­mittelbar ein Teilhaben am Leiden Christi, ja dessen Voll­endung. Eben darin aber ist es Freude: »so wir anders mit­leiden, daß wir auch mit verherrlicht werden.«

Darin liegt noch ein Weiteres. Paulus nennt die Christenfreude wiederholt Freude des Glau­bens. Was er aber unter Glauben versteht, das wissen wir aus Röm 4 und 5 und 9 und 10: Absehn von sich selbst, rechtgeben dem Urteil Gottes, das den Gottlosen gerecht spricht, beständiger Zugang zur Gnade. So kann dann die Freude wohl gerade im Gestraft werden bestehn (2Kor 7!), im Mißerfolg und Gekränktwerden (Phil 1), im Aufgeopfert- und Verzehrt­werden. Schon der Täufer sagt es bei Johannes: »Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen«; dies aber ist Freude. Möchte ein wenig von dem, was das Neue Testament uns be­zeugt, in unserm Leben wahr werden.

Quelle: Julius Schniewind, Geistliche Erneuerung, Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1981, S. 39-48.


[1] Zeit der Entstehung und Bestimmung ist dem Mskr. nicht mehr zu entnehmen.

Hier der Text als pdf.

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