In dem im Februar 2022 neu aufgelegten Buch Pioniere und Propheten. 366 Frauen und Männer aus der Kirchengeschichte, herausgegeben von Roland Werner und Johannes Nehlsen bei fontis in Basel, habe ich folgendes Lebensbild zu Lesslie Newbigin verfasst:
301. Lesslie Newbigin (1909–1998)
Ich sehe das Kreuz Jesu stets als den Ort menschlicher Geschichte, an dem die letzten Geheimnisse von Schuld und Vergebung, Zwang und Freiheit, Konflikt und Frieden, Tod und Leben letztgültig verhandelt werden.
Zwei Monate dauerte die Rückreise von Indien auf dem Landweg über Afghanistan, den Irak, Syrien und die Türkei. Lesslie Newbigin kehrte auf diese Weise – als Rucksacktourist – mit seiner Frau Helen im Frühling 1974 nach England zurück. Hinter ihm lagen vierzig Jahre Dienst als Missionar auf dem indischen Subkontinent, zuletzt als Bischof der vereinigten Kirche Südindiens in Madras.
Im Alter von 65 Jahren stellte sich Newbigin einer neuen Aufgabe in Birmingham. Er unterrichte Missionstheologie im Selly Oak College und wurde Pfarrer einer kleinen reformierten Gemeinde. Für ihn bestand nunmehr die Herausforderung darin, das Evangelium in der westlichen Kultur unter den Bedingungen von Aufklärung und Säkularisierung als öffentliche Wahrheit zu verkündigen. Bis kurz vor seinem Tod am 30. Januar 1998 war er öffentlich und literarisch tätig.
Was Lesslie Newbigin besonders auszeichnete, war ein tiefer persönlicher Glaube an Jesus Christus verbunden mit der Gewissheit, dass Evangelium und soziale Verantwortung eng zusammengehören. Getragen von der Überzeugung, dass Christus der eine Herr der ganzen Kirche ist, suchte er die Überwindung von Denominationen und Konfessionen. Wie kaum ein anderer Bischof im 20. Jahrhundert hat er persönlichen Glauben, seelsorgerlichen Hirtendienst, organisatorische Klugheit, ökumenische Weite, politisches Gerechtigkeitsempfinden, theologische Sprachfähigkeit und soziologische Reflexion miteinander verbunden.
Dabei blieb Newbigin immer zuerst der Heiligen Schrift verpflichtet. Als Bischof begegnete er den ärmsten seiner Mitchristen in Indien respektvoll auf Augenhöhe. Er ging in die Gemeinden und leitete sie zum missionarischen Zeugnis und zum Leben als Christen an. Seine Schriften haben bis heute weltweit großen Einfluss durch ihre ganzheitliche Sicht auf Jesus Christus und auf diese Welt. (JT)